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FOKUS ERNÄHRUNGSMEDIZIN
Eine toxische Beziehung: Lebensmittel und Plastikverpackungen
Food Packaging Forum
Das Food Packaging Forum wurde als gemeinnützige Stiftung 2012 gegründet und hat sich die Aufgabe gestellt, wissenschaftliche Grundlagen zum Thema Lebensmittelverpackung zu erarbeiten. Denn seit Jahren ist bekannt, dass Tausende Chemikalien aus der Verpackung in die Nahrungsmittel übergehen können. Das Food Packaging Forum publiziert seine Arbeiten in international bedeutenden medizinischen Zeitschriften und arbeitet eng mit Partnern aus Wissenschaft, Industrie, staatlichen Behörden und NGOs zusammen. Dr. Jane Muncke, Geschäftsführerin und Leiterin Wissenschaft, gibt uns im Interview einen Überblick.
Dr. Jane Muncke
Wie kam es zu der Gründung? Dr. Jane Muncke: 2012 war ich Gründungsmitglied der Stiftung. Vorher hatte ich während fünf Jahren für Bucher Industries, einen grossen Schweizer Glashersteller (1), wissenschaftliche Informationen zu verschiedenen Lebensmittelverpackungen zusammengestellt und auch publiziert. Schon zu dieser Zeit gab es viele Daten, die aber isoliert erhoben und nie in einen grösseren Zusammengang gestellt wurden. Um eine grössere Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit zu erreichen, entschied Bucher Industries, eine Stiftung zu gründen, und beauftragte mich damit. Inzwischen haben wir mehrere Spender aus der Industrie, Unterstützung von Privaten sowie Aufträge von Forschungsinstitutionen und öffentliche Forschungsgelder.
Wie hat sich das Institut entwickelt? In den letzten zwölf Jahren sind wir zu einem international anerkannten Institut geworden und können unsere wissenschaftliche Arbeit in renommierten Journals publizieren. Wir sind keine Lobbyorganisation, so sprechen wir auch über Nachteile von Glasverpackungen und machen keine Kampagnen. Plastik steht im Vordergrund, da es das meistverwendete Verpackungsmaterial für Lebensmittel ist und weil daraus viele Chemikalien in Lebensmittel übergehen.
Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich mich mit der Ökotoxizität von synthetischen Chemikalien im Abwasser befasst. Mich hat erstaunt, dass genau diese Bestandteile, die man aus dem Abwasser herausholen wollte, in Verpackungen für Lebensmittel verwendet werden. Beispielsweise Nonylphenol, welches aus Milchkartons in die Milch übergeht. Dieser Stoff ist inzwischen vom Markt, aber es gibt viele andere Beispiele. Wir investieren viel Geld für die Abwasserreinigung, lassen aber gefährliche Stoffe in Lebensmittelverpackungen zu.
Mit welchen Organisationen arbeiten Sie zusammen? Wir sind offen für die Zusammenarbeit mit Universitäten, Industrie, Regulatoren und Medien. Intensiv ist die Zusammenarbeit mit akademischen Partnern. Seit letztem Jahr halte ich an der ETH im Masterstudium Lebensmitteltechnologie eine Vorlesung. Einen früheren Lehrauftrag an der Universität Tübingen musste ich aus Zeitgründen aufgeben.
Gelegentlich werde ich für Vorträge nach Bern, Brüssel oder Washington DC eingeladen. Doch unser Arbeitsschwerpunkt bleibt die wissenschaftliche Forschung, für die wir am meisten Ressourcen verwenden.
Im Oktober 2024 waren wir an der Organisation eines Symposiums an der ETH zum Thema «hormonell aktive Chemikalien aus Plastik» beteiligt (2). Die Vorträge sind abrufbar (3).
Unterscheiden sich die Vorgaben der Lebensmittelverpackung der Schweiz im Vergleich zur EU? In der Schweiz sind die Vorgaben etwas strenger, weil rezykliertes Papier im Lebensmittelbereich grösstenteils verboten ist. Das ist weltweit einzigartig. Da beim RecyclingPapier die Gefahr besteht, dass mineralölba-
sierte Drucktinte (von Zeitungen etc.) und damit karzinogene Substanzen nicht vollständig entfernt werden, können diese in die Lebensmittel übertreten. Konrad Grob und Kollegen vom Kantonalen Labor Zürich haben dies vor rund fünfzehn Jahren beschrieben und sich erfolgreich für dieses Verbot eingesetzt (4,5).
Wie beeinflusst die Zusammensetzung des Lebensmittels die chemische Migration? Hohe Temperaturen fördern die Migration, beim heissen Abfüllen des Lebensmittels oder beim Erhitzen bei Gebrauch, wie bei Nudelsuppe, Fertiglasagne oder Popcorn. Wichtig ist auch die Lagerungszeit, besonders bei Lebensmitteln mit einer hohen Oberfläche, wie Reis, Mehl oder Polenta. Bei längerer Lagerung können die regulatorischen Grenzwerte massiv überschritten werden.
Bei einem Fettgehalt ab rund 25% migrieren fast alle fettlöslichen Stoffe in das Lebensmittel, also etwa bei Wurst, Rahm, Käse oder Butter. Eine Untersuchung der Sendung Kassensturz 2023 hat bedeutende Mineralrückstände in der Butter nachgewiesen. Man fand grosse Unterschiede zwischen Butter aus industrieller Herstellung und aus kleineren Molkereien. Möglicherweise gelangt die Butter in Grossbetrieben über längere Strecken durch Röhren als in kleineren Betrieben. Das Verarbeitungsgerät in der Lebensmittelproduktion ist einer der Faktoren der Kontamination (6).
Welche Verpackungen sollte man fördern? Plastik ist als Verpackungsmaterial weit verbreitet, weil es sehr leicht und funktional ist. Es ist essenziell für die globale Lebensmittelproduktion bei riesigen Abfüllanlagen und auch im Supermarkt. Plastik ist günstig, sau-
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ber, geht nicht kaputt und spart Transportkosten. Auch wird der Rohstoff stark subventioniert (7–9).
Doch aus der Logik von Umweltschutz und Gesundheit macht diese Art der Lebensmittelproduktion wenig Sinn. Statt globaler Zuliefer- und Verteilungsketten wäre eine lokale, saisonale Produktion mit weniger verarbeiteten Lebensmitteln besser. Doch dies erfordert einen höheren Zeitaufwand für die Zubereitung des Essens. Die Ernährung spielt für viele Menschen eine geringe Rolle, dabei ist sie ein sehr wichtiger Faktor für die Gesundheit.
Bei Glas kommt es praktisch nicht zur Migration. Mehrwegverpackungen wären sinnvoll, wenn Transport und Wiederverwertung über kurze Distanzen erfolgen. Glas hat den Nachteil, dass es schwer ist, viel Energie für Transport, Wiederaufbereitung und Leergutlogistik benötigt. Deshalb passt es nicht in das aktuelle, globalisierte Geschäftsmodell und ist auch für Detailhändler wenig attraktiv.
Welche Gefässe wären im Haushalt besser als Plastik? Geeignet sind vor allem Glas und Edelstahl und auch Keramik, wobei die Glasur in geringerem Ausmass Schwermetalle enthalten kann. Bei Plastik kommt es zu einer Migration von synthetischen Stoffen. Lagert man beispielsweise eine Tomatensauce in einem weissen Plastikgefäss, verfärben die Pigmente den Plastik, aber es gelangen auch Plastikchemikalien in die Nahrung, vor allem beim Erhitzen.
Welches waren bisher besonders erfolgreiche Projekte? Wir konnten unsere Forschungen in wichtigen wissenschaftlichen Zeitschriften publizieren. Über unsere letzte Studie (10,11) wurde in den USA gross berichtet (12).
Als unabhängige wissenschaftliche Institution können wir für verschiedene Organisatoren die wissenschaftlichen Fakten erarbeiten. Vor fünf Jahren organisierten wir mit amerika-
Verschiedene Spender des Food Packaging Forum Verschiedene Glashersteller, Stiftungen, Umwelt Funds, Europäische Kommission, Forschungsprojekt Horizon 2020, private Spender
nischen NGOs eine Konferenz über die gesundheitlichen Auswirkungen von Plastik, konnten aber auch zeigen, dass die Alternativen wie rezykliertes Papier und Bioplastik keine perfekten Alternativen sind. Der Kampf gegen Plastik zeigt Erfolge. So wurde Exxon Mobil kürzlich wegen Irreführung der Öffentlichkeit bezüglich Plastik-Recycling verklagt (13).
Ist Plastik-Recycling von Lebensmittelverpackungen nicht sinnvoll? In der Realität werden viele Plastik- und auch Textilabfälle in Entwicklungsländer verschifft und dort auf riesigen Müllhalden gelagert. Mehrwegflaschen wären grundsätzlich besser, allerdings ist das System mit Lagerung, Transport und Reinigung teuer, deshalb wehren sich die Detailhändler. Mehrwegflaschen machen auch nur Sinn, wenn das Material inert ist, d.h. keine Chemikalien daraus übergehen bzw. davon aufgenommen werden, und wenn keine langen Transportwege nötig sind. Zurzeit ist die Motivation gering. Es müsste von Behördenseite in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteuren durchgesetzt werden.
PET selbst enthält viele problematische Chemikalien, die sich herauslösen können, beispielsweise Antimon, das vom US National Toxicology Program als karzinogen eingestuft wird (14). Phthalate werden nicht verwendet für die PET-Herstellung, trotzdem migrieren sie in geringen Mengen aus PET, vermutlich aufgrund von Verunreinigungen. Phthalate interagieren bereits in sehr geringen Mengen mit dem Hormonsystem und haben Auswirkungen auf den Körper, dabei gibt es aus wissenschaftlicher Sicht keinen sicheren Grenzwert. Zusammen mit der Universität Basel und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) haben wir zum Thema PET eine Studie publiziert (15).
Was ist eine nächste wichtigste Aufgabe? Seit 50 Jahren weiss man, dass Chemikalien in die Lebensmittel übertreten, seit 30 Jahren, dass diese teilweise schädlich sind, doch noch immer passiert zu wenig (16). In der UNO ist ein Abkommen zum Thema Plastik in Arbeit, ähnlich wie für Klima oder Biodiversität. Hier sind wir involviert und liefern wissenschaftliche Informationen zuhanden der verschiedenen Akteure. Im November fand dazu eine Konferenz in Südkorea statt. Über 70 internationale, unabhängige Wissenschafter waren dort vor Ort, gemeinsam mit
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Fakten zu Lebensmittelverpackungen (englisch, einige auch deutsch)
über 1000 Diplomaten und weiteren 2000 Konferenzteilnehmern. Wir wollten den globalen Regulatoren die Zusammenhänge aufzeigen zwischen Chemikalien, Plastik und Gesundheit (17,18). Die Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen sind, entgegen der Planung, noch nicht abgeschlossen, Mitte 2025 wird es eine weitere Verhandlungsrunde geben, und hier hoffen wir auf ein Abkommen, das die Umweltbelastung mit Plastik(verpackungs-)müll drastisch reduziert, dabei aber auch die gesundheitlichen Auswirkungen des Plastiks und seiner Alternativen besser reguliert.
Wie kann jeder selbst die Belastung (durch Chemikalien) vermindern? Wir müssen uns bewusst sein, welche Faktoren die Migration der chemischen Stoffe fördern: Temperatur, Lagerzeiten, Fettgehalt und kleine Verpackungsgrössen (z.B. kleine Salatsaucen). Ein paar einfache Massnahmen sind: • Wasserkocher aus Plastik mit einem Was-
serkocher aus Edelstahl ersetzen • keine (schwarzen) Kochlöffel aus Plastik
verwenden und schon gar nicht im heissen Essen belassen • Essen nicht in Plastik erhitzen • Öl nicht in Plastikflaschen kaufen • keine Konserven- und Aludosen (Innenbeschichtung) • keine Schneidebretter aus Plastik (Plastikpartikel gehen in Nahrungsmittel über) • Silikonformen vermeiden • Teebeutel aus Plastik vermeiden
Ich verwende vereinzelt auch Kunststoff in der Küche, aber nicht im Kontakt mit heissen, sauren oder fettigen Lebensmitteln.
Wer weitergehen will, sollte auf Convenience-Produkte verzichten und mehr selbst kochen. Ja, der Lebensstil muss etwas angepasst werden, aber wenn man sich der Nachteile von Plastikverpackungen bewusst wird, lohnt es sich.
Das Interview führte Barbara Elke.
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Literatur: 1. https://www.bucherindustries.com/de/ 2. https://www.srf.ch/audio/wissenschaftsmagazin/
lebensmittel-in-plastik-verpackt-viele-unbekannte-chemikalien?id=78abe96c-3e42-4401-820b765a4114d84e#autoplay 3. https://foodpackagingforum.org/events/swisssymposium-on-endocrine-disrupting-chemicals 4. Biedermann, M et al.: Migration of mineral oil from printed paperboard into dry foods: survey of the German market. Part II: advancement of migration during storage. Eur Food Res Technol. 2013;236: 459-472. doi:10.1007/s00217-012-1909-2 5. Vollmer A et al.: Migration of mineral oil from printed paperboard into dry foods: survey of the German market. Eur Food Res Technol. 2011;232: 175-182. doi:10.1007/s00217-010-1376-6 6. https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/tests/labortest-unerwuenschte-inhaltsstoffe-in-der-butter 7. https://snis.ch/wp-content/uploads/2020/01/2019_Littoz-Monnet_Working-Paper-6.pdf.pdf 8. https://www.ciel.org/wp-content/uploads/2023/10/ Tackling-Subsidies-for-Plastic-Production_FINAL. pdf 9. https://eunomia.eco/turning-off-the-subsidiestap-for-plastics/ 10. Geueke et al.: Evidence for widespread human exposure to food contact chemicals. J Expo Sci Environ Epidemiol (2024). doi.org/10.1038/ s41370-024-00718-2 11. Elke B. Tausende Chemikalien in Lebensmittelverpackungen nachgewiesen. Schweizerische Zeitschrift für Ernährungsmedizin. 2024;5:19. https://www.rosenfluh.ch/media/ernaehrungsmedizin/2024/05/Tausende-Chemikalien-in-Lebensmittelverpackungen-nachgewiesen.pdf 12. https://www.foxnews.com/video/6362610609112 13. https://www.swissinfo.ch/ger/kalifornien-verklagt%c3%96lkonzern-wegen-%22t%c3%a4uschungskampagne%22/87603746 14. https://ntp.niehs.nih.gov/whatwestudy/assessments/cancer/completed/antimonyt 15. Schreier VN et al.: Evaluating the food safety and risk assessment evidence-base of polyethylene terephthalate oligomers: A systematic evidence map. Environ Int. 2023;176:107978. doi:10.1016/j. envint.2023.107978 16. Yates J et al.: A toxic relationship: ultra-processed foods & plastics. Global Health. 2024;20(1):74. Published 2024 Oct 24. doi:10.1186/s12992-02401078-0 17. https://news.un.org/en/story/2024/11/1157426 18. https://earth.org/the-outcome-of-the-global-plastic-treaty-negotiations-in-busan-a-pivotal-moment-or-a-missed-opportunity/
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