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Titel
Rheumatologie – Viele ehemals nicht behandelbare Erkrankungen sind heute bereits sehr gut therapierbar
Untertitel
PD Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Gerth Stv. Chefarzt Reha Rheinfelden
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Rubrik
Rückblick 2024 / Ausblick 2025
Artikel-ID
81106
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Rheumatologie
PD Dr. med. Dr. rer. nat. Ulrich Gerth Stv. Chefarzt Reha Rheinfelden
«Viele ehemals nicht behandelbare Erkrankungen sind heute bereits sehr gut therapierbar!»
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend? Es gibt aktuell in der Rheumatologie Studien, in denen mithilfe moderner zellbasierter Therapien (CAR[chimeric antigen receptor]-T-Zellen) die Heilung von rheumatologischen Erkrankungen zu gelingen scheint. Hierbei wurden positive Daten für den systemischen Lupus erythematodes (SLE) und gemischte Daten für die systemische Sklerose (SSc) veröffentlicht (1). Neben dieser zellulären Therapie ist die Applikation von sogenannten bispezifischen Antikörpern, die körpereigene T-Zellen auf B-Zellen lenken, ebenfalls Gegenstand aktueller Studien. Mit dieser Therapieform konnte an einzelnen Patienten mit SSc ein erfolgreicher alternativer Therapieansatz demonstriert werden (2). Aber auch bei der therapierefraktären rheumatoiden Arthritis (RA) sind erste Fallberichte mit bispezifischen Antikörpern sehr vielversprechend (3). Hierbei handelt es sich aktuell noch um wenige und extrem teure experimentelle Ansätze, deren Umsetzung in der allgemeinen Praxis und Routineversorgung jedoch mittelfristig realistisch erscheint und daher Patienten berechtigterweise Hoffnung geben kann. Neben der genauen Indikationsstellung für den Zeitpunkt der Therapie ist es zukünftig notwendig, die Langzeitsicherheit zu evaluieren.

Neu zugelassene Medikamente 2024? Was haben wir 2024 gelernt? Bei der axialen Spondylarthritis (axSpA) und Psoriasisarthritis (PsA) wurde 2024 mit Bimekizumab ein selektiver, dualer Inhibitor von Interleukin(IL)-17A und IL-17F zur Behandlung zugelassen (4,5), der bei guter Sicherheit überzeugende Daten zur Wirksmkeit zeigt. Erfreulich ist ebenfalls, dass das Wissen über die Wirkung verschiedener Therapien zunehmend differenzierter wird. So konnte bei der PsA gezeigt werden, dass die zusätzliche Therapie mit Methotrexat gegenüber der Monotherapie mit verschiedenen Antikörpern (z.B. Tumornekrosefaktor-Hemmer, IL-17-Hemmer, IL-23-Hemmer) nicht überlegen ist (6,7). Das ist extrem praxisrelevant und kann somit bei dieser Patientengruppe die Polypharmazie reduzieren, mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Immunsuppressiva vermindern, ohne jedoch die gewünschte Wirkung zu minimieren.
Ist es möglich, durch frühzeitige Medikation das Ausbrechen rheumatischer Erkrankungen zu verhindern? 2024 gab es wesentliche Studien zur «prophylaktischen Medizin». Hierbei wurde die Frage untersucht, ob man z.B. der Entwicklung einer RA vorbeugen kann. Bekannt ist, dass vor der klinischen Symptomatik entsprechende Antikörper im Blut nachgewiesen werden können. Therapeutisch ist dies jedoch aktuell noch nicht zu adressieren. So haben verschiedene Studien zur Therapie mit Steroiden, Rituximab, Methotrexat, Hydroxychloroquin, Abatacept oder Omega-3-Fettsäuren in Summe keinen Unterschied im Ergebnis gezeigt, d.h. das Auftreten der Erkrankung konnte nicht verhindert werden. Teilweise wurde jedoch das Auftreten der Symptome verzögert, man hat also Zeit gewonnen (8–10).
Die künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und hat in der Medizin in gewissen Bereichen bereits Einzug gehalten. Wie stehen Sie dazu? Was versprechen Sie sich davon? Nutzen Sie KI bereits für Ihre Arbeit? Ja, KI ist in aller Munde und verspricht bei der zukünftigen Diagnostik auch seltener Erkrankungen eine gute Hilfe zu sein. Ebenfalls wird sie sicherlich in Bezug auf die Deutung genetischer Befunde mit der riesigen Datenflut im klini-

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schen Kontext eine wichtige Rolle spielen. Wichtig hierbei wird es sein, neben den Vorteilen auch die Grenzen der diesbezüglichen Nutzung zu kennen. Mit anderen Worten: Neben Labor, klinischer Untersuchung, Bildgebung und anderen Methoden kann und wird KI zukünftig einen wichtigen Platz in der Diagnostik einnehmen. Am Ende wird jedoch weiterhin der Arzt zusammen mit dem Patienten alle Informationen in die Werkschale werfen, individuelle Therapieentscheidungen treffen und die Verantwortung für die Therapie übernehmen.
Was hat Sie 2024 am meisten gefreut und was am meisten geärgert? Erfreulich ist, dass im Bereich der SSc die europäischen Leitlinien aktualisiert wurden. So können wir heutzutage entsprechend der klinischen Manifestation mit recht guter Evidenz viele Organbeteiligungen effektiv behandeln. Insbesondere in Bezug auf die Lungenbeteiligung stehen mit Tocilizumab und Rituximab zwei bekannte Substanzen zur Verfügung, die bei der interstitiellen Lungenerkrankung in vielen Fällen die Krankheit kontrollieren lassen (11). Auch im Bereich der nicht medikamentösen Therapien gibt es gute Ansätze, die Evidenz verschiedener Therapieoptionen aufzeigen (12). Hierbei wird insbesondere auf die Bedeutung von Patienteninformation und -selbstmanagement, aber auch auf aerobe Bewegungsübungen sowie Lymphdrainage hingewiesen. Schade ist, dass bei den grossen Volkskrankheiten wie «Rückenschmerzen», «Arthrose» oder «Fibromyalgie» weiterhin weder Therapiedurchbrüche gelungen noch in naher Zukunft zu erwarten sind …
Ist 2025 in Ihrem Fachbereich etwas Besonderes zu erwarten / geplant und was versprechen Sie sich davon? Was erhoffen Sie sich von 2025? Bei der doch recht häufigen Polymyalgia rheumatica (PMR), die oft auch von Hausärzten behandelt wird, ist es eine Frage der Zeit, bis wir neue Therapien als Alternative zu Steroiden haben. In den USA wurde bereits Sarilumab zur Behandlung der PMR zugelassen (SAPHYR-Studie [13]).

Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis? Insbesondere im Bereich der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen werden die Therapien immer gezielter und effektiver bei teilweise exzellenter Verträglichkeit. Viele ehemals als nicht behandelbar angesehene Erkrankungen sind heutzutage bereits sehr gut therapierbar! 
Referenzen: 1. Müller F et al.: CD19 CAR T-Cell Therapy in Autoimmune Disease - A Case
Series with Follow-up. N Engl J Med. 2024;390(8):687-700. doi:10.1056/ NEJMoa2308917 2. Subklewe M et al.: Application of blinatumomab, a bispecific anti-CD3/CD19 T-cell engager, in treating severe systemic sclerosis: A case study. Eur J Cancer. 2024;204:114071. doi:10.1016/j.ejca.2024.114071 3. Bucci L et al.: Bispecific T cell engager therapy for refractory rheumatoid arthritis. Nat Med. 2024;30(6):1593-1601. doi:10.1038/s41591-024-02964-1 4. Swissmedic Journal 07/2024, 23. Jahrgang. 5. Bundesamt für Gesundheit (BAG). Spezialitätenliste 12/2024. 6. Koehm M et al.: Methotrexate plus ustekinumab versus ustekinumab monotherapy in patients with active psoriatic arthritis (MUST): a randomised, multicentre, placebo-controlled, phase 3b, non-inferiority trial. Lancet Rheumatol. 2023;5(1):e14-e23. doi:10.1016/S2665-9913(22)00329-0 7. Regierer AC et al.: No difference in clinical parameters and drug retention in PsA patients receiving b/tsDMARD monotherapy versus combination with methotrexate: data from the RABBIT-SpA registry. RMD Open. 2024;10(3):e004389. doi:10.1136/rmdopen-2024-004389 8. Deane KD: Rheumatoid arthritis: prediction of future clinically-apparent disease, and prevention. Curr Opin Rheumatol. 2024;36(3):225-234. doi:10.1097/BOR.0000000000001013 9. Rech J et al.: Abatacept inhibits inflammation and onset of rheumatoid arthritis in individuals at high risk (ARIAA): a randomised, international, multicentre, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet. 2024;403(10429):850-859. doi:10.1016/S0140-6736(23)02650-8 10. Cope AP et al.: Abatacept in individuals at high risk of rheumatoid arthritis (APIPPRA): a randomised, double-blind, multicentre, parallel, placebo-controlled, phase 2b clinical trial. Lancet. 2024;403(10429):838-849. doi:10.1016/ S0140-6736(23)02649-1 11. Del Galdo F et al.: EULAR recommendations for the treatment of systemic sclerosis: 2023 update. Ann Rheum Dis. Published online October 17, 2024. doi:10.1136/ard-2024-226430 12. Parodis I et al.: EULAR recommendations for the non-pharmacological management of systemic lupus erythematosus and systemic sclerosis. Ann Rheum Dis. 2024;83(6):720-729. doi:10.1136/ard-2023-224416 13. Spiera RF et al.: Sarilumab for Relapse of Polymyalgia Rheumatica during Glucocorticoid Taper. N Engl J Med. 2023;389(14):1263-1272. doi:10.1056/ NEJMoa2303452

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