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Titel
Pneumologie – Zwei Studien zu COVID-19 geplant
Untertitel
Interview mit Prof. Dr. Jörg Leuppi Chefarzt Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Baselland, Liestal
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Rückblick 2020/Ausblick 2021
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49977
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RÜCKBLICK 2020/AUSBLICK 2021

Pneumologie
Prof. Dr. Jörg Leuppi Chefarzt Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Baselland, Liestal
Zwei Studien zu COVID-19 geplant
Wie hat die Coronapandemie Ihre Arbeit im vergangenen Jahr beeinflusst?
Der Kanton Baselland hat in der ersten Welle entschieden, dass das Bruderholzspital zum Referenzspital wird und alle COVID-19-Patienten des Kantons dort behandelt werden. Um das zu ermöglichen, mussten wir als Spital- beziehungsweise Klinikleitung alle drei Standorte «umbauen»: Die internistischen Patienten aus Laufen wurden nach Liestal und die Rehabilitationspatienten aus dem Bruderholz nach Laufen verlegt. Das war organisatorisch eine Riesenleistung. Zusammen mit den Leitern der Intensivstation und des Notfalls war ich für den Betrieb dieses Referenzspitals verantwortlich. Es war spannend, aber für alle sehr anstrengend. Unangenehm war, dass die Weiter- und Fortbildungsaktivitäten gar nicht mehr möglich waren, was uns alle sehr beeinträchtigt hat.
Hatten Sie Kontakt mit SARS-CoV-2-positiven Patienten, und wie sind Sie damit umgegangen?
Ja, ich habe vor allem zu Beginn der Pandemie auf der Verdachtsstation in Liestal mitgeholfen. Ich habe aber selbst keine Abstriche durchgeführt. Dank der grossen Unterstützung der Spitalhygiene haben wir alle rasch gelernt, wie man sich schützt. Im Sommer haben wir zusammen mit dem Kantonsspital Schwyz an einer Studie teilgenommen, die den Antikörperstatus beim Klinikpersonal untersucht hat – und der war mehrheitlich negativ. Infektionen beim Personal erfolgen überwiegend ausserhalb des Spitals. Aber wie überall ist das Arbeiten dort, wo man spezielle Hygienemassnahmen berücksichtigen und die Kleidung ständig wechseln muss, für die Mitarbeitenden an der Front sehr anstrengend. Der Aufwand und das immer gleiche Thema machen das Arbeiten auf lange Sicht ermüdend. Mittlerweile findet man nicht nur bei der Bevölkerung eine Coronamüdigkeit, sondern vor allem auch bei den Pflegenden, den Assistenz- und den Kaderärzten, die auf diesen Stationen arbeiten. In der ersten Welle war die Intensivstation überbelegt, aber die aktuelle Situation ist dank einer sehr guten Zusammenarbeit auf Ebene der Intensivstationen in der Region nun viel erträglicher. Die Patienten werden dabei zwischen uns, dem Unispital Basel und dem Claraspital entsprechend den Kapazitäten optimal verteilt.

Was haben Sie im Umgang mit den Patienten und der Medikation gelernt?
Wir haben bei der medikamentösen Therapie gelernt, wir verwenden heute Dexamethason in der frühen Phase der Erkrankung und je nach Situation bei den hospitalisierten Patienten auch Remdesvir. Wir haben den Eindruck, dass es seltener zu Verlegungen auf die Intensivstation kommt – möglicherweise ist die Unterdrückung des inflammatorischen Sturms hilfreich. Ausserdem geben wir Antibiotika, wenn eine bakterielle Superinfektion vorliegen könnte – was nicht immer einfach zu entscheiden ist. Wir haben in unserer medizinischen Universitätsklinik eine sehr engagierte Infektiologie und eine sehr aktive Forschungsgruppe. Zusammen planen wir zwei Studien zu COVID-19, mit der einen können wir demnächst starten. Wir möchten den Nutzen einer Vitamin-D-Substitution in Standard- respektive höherer Dosierung bei Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel untersuchen, da es Hinweise gibt, dass ein Vitamin-D-Mangel zu einem schlechteren Verlauf führt. Zusätzlich planen wir eine Studie mit Aviptadil, das ist ein vasoaktives intestinales Peptid, ursprünglich entwickelt zur Therapie der erektilen Dysfunktion. Wir möchten jetzt eine inhalative Applikation testen, damit sich Verlegungen auf die Intensivstation möglichst erübrigen.
Mussten Sie Untersuchungen und Behandlungen wegen der Coronapandemie verschieben? Welche Folgen könnte dies für die Patienten haben?
Das war ja in der ersten Welle eine bundesrätliche Anordnung, an die wir uns auch gehalten haben. Operationen liefen nur noch im Notfallbetrieb, Sprechstunden wurden verschoben, alles war massiv heruntergefahren. Nach und nach konnten wir dann auch telemedizinische Sprechstunden anbieten. Neben Bagatellsachen blieben so leider auch viele ernste Probleme unbehandelt – und es ist tragisch, wenn man Herzinfarkte verpasst und Tumoren nicht erkannt und behandelt werden. Das machen wir jetzt in der zweiten Welle besser. Die notwendigen Untersuchungen laufen ungehindert weiter, auch wenn es logistisch schwierig ist, Patienten mit COVID-19 und Patienten ohne COVID-19 nebeneinander zu betreuen.
Abgesehen von der Coronapandemie: Welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten Jahres fanden Sie für Ihr Fachgebiet besonders spannend?
Ein systematischer Review und eine Metaregression von 55 randomisierten Studien analysierten über die letzten zwei Dekaden die Exazerbationsraten bei COPD-Patienten. Die Autoren konnten zeigen, dass sich die Exazerbationsraten um 6,7 Prozent pro Jahr oder gar um 50 Prozent pro Dekade verminderten. Das ist eine ganz erstaunliche Grössenordnung (1).
Welche Erkenntnisse könnten Diagnose und Therapie in der Hausarztpraxis künftig verändern?
In einer schwedischen Studie wurden 365 324 Asthmapatienten eingeschlossen und im Mittel über 85 Monate nachver-

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folgt. 30 Prozent der Patienten wiesen einen überhöhten Ge-

brauch von sofort wirksamen Beta-2-Mimetika auf. Es zeigte

sich eine klare Assoziation zwischen dem Gebrauch sofort

wirksamer Beta-2-Mimetika und der Mortalität. Auch eine

britische Analyse von 400 Asthmatodesfällen zeigte eine

Assoziation der Todesfälle mit dem vermehrten Verschreiben

von sofort wirksamen Beta-2-Mimetika. Als Konsequenz

empfehlen die internationalen Guidelines die Verwendung

von inhalativen Kortikosteroid/Formoterol-Kombinationen

als Notfallmedikament (2, 3).

s

Referenzen: 1. Andreas S et al.: Decline of COPD exacerbations in clinical trials over two
decades – a systematic review and meta-regression. Respir Res 2019; 20(1): 186. 2. Nwaru BI et al.: Overuse of short-acting β2-agonists in asthma is associated with increased risk of exacerbation and mortality: a nationwide cohort study of the global SABINA programme. Eur Respir J 2020; 55(4): 1901872. 3. Charriot J et al.: Asthma rescue treatments, time to reboot. Eur Respir J 2020; 55(4): 2000542.

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