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Titel
Gastroenterologie – Das Akademische ist weitgehend verschwunden
Untertitel
Interview mit Prof. Gerhard Rogler Klinikdirektor Gastroenterologie und Hepatologie Universitätsspital Zürich
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Datum
Autoren
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Rubrik
Rückblick 2020/Ausblick 2021
Artikel-ID
49995
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RÜCKBLICK 2020/AUSBLICK 2021

Gastroenterologie
Prof. Gerhard Rogler Klinikdirektor Gastroenterologie und Hepatologie Universitätsspital Zürich
Das Akademische ist weitgehend verschwunden
Wie hat die Coronapandemie Ihre Arbeit im vergangenen Jahr beeinflusst?
Die Pandemie hat meine Arbeit am Unispital sehr verändert. Sitzungen und Vorlesungen mussten virtuell ablaufen. Wie alle Kolleginnen und Kollegen musste ich den ganzen Tag eine Maske tragen. Und das «akademische Leben», das essenziell ist für ein Unispital, war stark eingeschränkt. Ich konnte zum Beispiel wesentlich weniger zu Kongressen und Meetings fahren und habe auch weniger Vorträge gehalten und Fort- und Weiterbildungen durchgeführt. Für jemanden, dem das akademische Umfeld wichtig ist und der klinische Forschung und Grundlagenforschung betreibt, bedeutet das, dass Neuigkeiten und Innovationen viel schwieriger zu erfahren sind. Ich habe auf Kongressen immer mit Begeisterung Neues erfahren und dazugelernt und diese Neuigkeiten dann über Vorträge mit anderen geteilt. Das ist in dieser Form aktuell nicht mehr möglich. Ich habe mich für eine Arbeit am Universitätsspital entschieden, weil für mich das akademische Umfeld genau richtig ist. Aber dieses «Akademische» ist im besten Sinne des Wortes weitgehend verschwunden. Ich interagiere nicht mehr mit Studierenden, da alle Vorlesungen virtuell sind, und kaum mehr mit Forscherkollegen und -kolleginnen. Das ist vielleicht auch etwas, das die Medien begreifen sollten: Ein Uni-

versitätsspital hat spezielle Aufgaben, die anders sind als die Aufgaben eines Regionalspitals oder eines Kantonsspitals: Es soll zum Wohle aller die Medizin voranbringen, die Medizin weiterentwickeln und die nächsten Generationen von Ärztinnen und Ärzten aus- und weiterbilden. Diese ewigen Vergleiche mit dem Regionalspital XY in den leicht populistischen Medien ignorieren den Sinn und Zweck eines Unispitals. Das und die damit verbundenen Pauschalurteile haben mich in den letzten Wochen sehr geärgert. In St. Gallen, Winterthur, Luzern und Zug mussten wir unsere klinischen Round Tables ausfallen lassen, an denen wir sonst Patientenfälle besprochen und dadurch sicherlich auch zur besseren Versorgung und Therapie dieser Patienten beigetragen haben. Ich mache nun auch mehr Verwaltungsarbeit als je zu vor. Die Pandemie hat ja keineswegs zu einer Reduktion der Administration geführt. Im Homeoffice wird man von der Administration mit immer neuen «dringlichen» Forderungen drangsaliert.
Hatten Sie Kontakt mit SARS-CoV-2-positiven Patienten, und wie sind Sie damit umgegangen?
Ja, während Endoskopien und auf Station, ich habe mich entsprechend geschützt. Im Unispital haben sich bisher – soweit nachweisbar – nur sehr wenige direkt im Spital angesteckt. Die meisten Ansteckungen geschahen im privaten Bereich. Daher habe ich nach 2 Wochen, in denen ich durchaus auch Angst hatte, auf die wirkungsvollen Schutzmassnahmen vertraut.
Mussten Sie Untersuchungen und Behandlungen wegen der Coronapandemie verschieben? Falls ja: Welche Folgen könnte dies für die Patienten haben?
Im Frühjahr haben wir unseren ganzen Ambulanzbetrieb heruntergefahren. Auch stationär hatten wir nur noch einen Drittel der normalen Patientenzahlen. Das war teilweise

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sehr problematisch. Wir konnten durch den Lockdown der Ambulanz nicht bemerken, dass Patienten nach Lebertransplantation aus Angst ihre Immunsuppression abgesetzt hatten oder Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in schwere Schübe kamen, weil sie sich nicht ins Spital trauten. Es gab eine Reihe von Patienten, die durch das unnötige Herunterfahren unserer Leistungen unnötig Schaden genommen haben. Und in Zürich wurden die verordneten Ausfälle im Gegensatz zu vielen anderen Kantonen von der Gesundheitsdirektion bisher nicht kompensiert. Das ist frustrierend. Wertschätzend ist das auf keinen Fall.
Abgesehen von der Coronapandemie: Welche neuen Erkenntnisse und Erfahrungen des letzten Jahres fanden Sie für Ihr Fachgebiet besonders spannend?
Möglicherweise könnte es bei rezidivierenden Clostridium-difficile-Infekten nach Standardantibiose bald eine bequemere Lösung geben. Zur Rückfallprävention wird schon seit Längerem die Stuhltransplantation durchgeführt, die jedoch sehr aufwendig ist. Am letzten Jahreskongress der United European Gastroenterology wurde nun erstmals eine doppelblind randomisierte, multizentrische und plazebokontrollierte Phase-III-Studie mit einer oralen Stuhlkap-

sel vorgestellt. Diese besteht aus lyophilisiertem Mikrobiom zur Wiederherstellung und Ergänzung des durch die Antibiose geschwächten Mikrobioms und wird einmalig eingenommen. In der PRIMS-3-Studie erhielten 198 Patienten mit Clostridium-difficile-Rezidiven oder -Neuinfektion zusätzlich zur Antibiose einmalig entweder eine orale Stuhl- oder eine Plazebokapseltherapie, bestehend aus jeweils 10 Kapseln zum Schlucken. Als primärer Endpunkt waren die anhaltende klinische Heilung nach 8 Wochen und Nebenwirkungen nach 24 Wochen definiert. Es zeigte sich, dass in der Mikrobiomkapselgruppe nach 8 Wochen signifikant mehr Patienten (74,5%) eine anhaltende Heilung erreicht hatten als unter Plazebo (61,5%), was eine Risikoreduktion von 21 Prozent bedeutet (p = 0,0488). Die Number Needed to Treat betrug 7,6. Zudem zeigte sich unter der Stuhlkapsel eine Vergösserung der Mikrobiomdiversität. Die Stuhlkapsel wurde gut vertragen, es traten keine schweren Nebenwirkungen auf. Die häufigsten milden bis moderaten Nebenwirkungen waren meist gastrointestinaler Natur und in beiden Gruppen ähnlich. Diese Entwicklung ist interessant und könnte bei dem schon lange währenden Problem der Clostridium-difficile-Rezidive eine einfache Lösung bringen.

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