Transkript
Therapie der Pneumonie
Abdeckung «typischer» Keime reicht ambulant völlig aus
BERICHT
Von den Hausarztpraxispatienten mit Verdacht auf Pneumonie haben tatsächlich nur etwa 5 Prozent auch wirklich eine Pneumonie. Wie eine virale Bronchitis von einer bakteriellen Pneumonie abgegrenzt werden kann und wie die Pneumonie im ambulanten Sektor am besten zu behandeln ist, erklärte Prof. Philip Tarr, Leiter Infektiologie und Spitalhygiene, Kantonsspital Baselland, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel.
Beide respiratorischen Infekte – die bakterielle Pneumonie und die virale Bronchitis – zeigen eine ähnliche Anamnese mit akutem Husten und Fieber. Mehr-Etagen-Erkrankungen mit Schnupfen, Husten, Halsweh und Konjunktivitis seien eher «virale» Symptome, während Fieberpersistenz von mehr als 4 Tagen und erhöhte Atemfrequenz um > 20/min für eine bakterielle Pneumonie sprächen, ebenso ein auskultatorisch abnormaler Thoraxbefund in den meisten Fällen (80%), erklärte Tarr. Als Laborwert erhöht ein CRP (C-reaktives Protein) > 30 mg/l die Wahrscheinlichkeit für eine Pneumonie (1). Die Messung des Procalcitonins dagegen bringt in der Hausarztpraxis im Gegensatz zum Spital keinen zusätzlichen Nutzen für Anamnese und Status (1), deshalb wird sie in den europäischen Guidelines nicht empfohlen (2). Die Anfertigung eines Röntgenbilds ist gerechtfertigt, wenn der Puls > 100, die Atemfrequenz um > 24, die Temperatur seit mehr als 4 Tagen > 38 Grad beträgt und bei der Untersuchung fokale Zeichen wie Rasselgeräusche und gedämpfter Klopfschall auffallen. Eine mikrobiologische Untersuchung ist bei ambulanten Patienten nicht empfohlen, bei hospitalisierten dagegen schon. Es sollte innerhalb von 10 Stunden nach Antibiotikabeginn untersucht werden, später ist ein Bakteriennachweis nicht mehr möglich. Blutkulturen sind allenfalls bei hospitalisierten Hochrisikopatienten oder Immunsupprimierten empfohlen, weil das Resultat oft keine Anpassung der A ntibiotikatherapie
MERKSÄTZE
� Typische Symptome einer bakteriellen Pneumonie sind Husten und Fieber.
� Bei prominenten extrapulmonalen Symptomen an eine atypische oder virale Pneumonie denken.
� In der ambulanten Therapie ist Amoxiclav ausreichend, «atypische» Keime müssen nicht abgedeckt werden.
� Eine Antibiotikadauer von 5 bis 7 Tagen ist meist ausreichend.
� Falls nach 72 Stunden keine Besserung eintritt, Diagnose überdenken und Ergüsse punktieren.
nach sich zieht oder aber eine Anpassung den Verlauf selten beeinflusst. Die Testung des Urinantigens sei bei ambulanten Patienten nicht empfohlen, sie sei nicht sensitiv genug, so Tarr.
Keimspektrum bei der Pneumonie
In etwa 50 Prozent der Fälle wird die Pneumonie von «typischen» Keimen verursacht. Dazu gehören Streptococcus pneumoniae (20–75%), Haemophilus influenzae (2–10%), Staphylococcus aureus (1–5%), gramnegative Stäbchen (< 10%), andere (Moxarella catarrhalis usw.) (< 5%, aber häufig bei COPD-Exazerbationen). «Atypische» Keime spielen bei 7 bis 40 Prozent der Pneumonien eine Rolle (Legionella pneumophila, 2–8% der hospitalisierten Fälle), Mycoplasma pneumoniae (1–18%), Chlamydia pneumoniae (4–6%). Bei bis zu einem Viertel der Fälle (6–27%) handelt es sich um einen Mix aus «typischen» und «atypischen» Keimen. Viren sind bei 2 bis 16 Prozent der Pneumonien verantwortlich, in 6 bis 10 Prozent der Fälle ist eine Aspiration die Ursache. Bei der ambulanten Behandlung der Pneumonie müssen die «atypischen» Erreger gemäss Schweizer Guidelines (siehe QR-Code) nicht obligat mit abgedeckt werden. Denn «atypische» Keime finden sich eher bei jüngeren Patienten (ca. 15% der Pneum oniepatienten < 45 Jahre, 2–3% bei Pneumoniepatienten > 45 Jahre). Patienten mit Legionellose werden aufgrund der Erkrankungsschwere üblicherweise im Spital behandelt, und Infektionen mit Mykoplasma und Chlamydien sind oft selbstlimitierend. Die Behandlung von typischen Erregern kann mit Betalaktamen (Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure, Cefuroxim, Ceftriaxon), mit Makroliden (Clarithromycin, Azithromyzin), mit Quinolonen (Levo-, Moxi- oder evtl. Ciprofloxazin) oder mit Doxycyclin erfolgen. Würde man «atypische» Erreger ebenfalls abdecken wollen, kämen Makrolide (Azithromycin, 3 bis 5 Tage), Quinolone (Levofloxacin, 5 bis 10 Tage) oder Doxycyclin zum Zug, so die Erklärung des Infektiologen. Legionellosen seien in der Schweiz seit Jahren ansteigend, seit 2008 hätten sie sich verdoppelt (3), der Grund dafür sei jedoch unklar, so Tarr. Eine saisonale Häufung ist im Sommer zu beobachten. Die meisten Patienten mit Legionellosen werden hospitalisiert. Meist betrifft es ältere, geschwächte oder
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Pneumonietherapie: Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie
Schweregrad Mild (ambulant)
Moderat (stationär) (Kombination nur bei Hochrisikopatienten)
Schwer (Intensivstation)
Schwer, mit Risiko für P. aeruginosa
Erste Wahl Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 625 mg per os oder Doxycyclin1 2 × 100 mg per os Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 1,2 g i.v. +/– Clarithromycin 2 × 500 mg per os oder Ceftriaxon 1 × 2 g i.v. +/– Clarithromycin 2 × 500 mg per os Ceftriaxon 1 × 2 g i.v. plus Clarithromycin 2 × 500 mg per os Piperacillin/Tazobactam 3 × 4,5 g i.v. plus Ciprofloxacin 2 × 750 mg per os oder Cefepime 3 × 2 g i.v. plus Ciprofloxacin 2 × 750 mg per os
Alternativtherapie Makrolide2, Quinolone3 resp. Quinolone3
Levofloxazin 2 × 500 mg i.v. Carbapenem4 plus Ciprofloxacin 2 × 750 mg per os
1 deckt auch atypische Keime wie Mycoplasma pneumoniae und Chlamydien ab 2 Clarithromycin 2 × 500 mg per os oder Azithromycin 1 × 500 mg per os 3 Levofloxacin 1(–2) × 500 mg per os/i.v. oder Moxofloxacin 1 × 400 mg per os 4 Meropenem 3 × 2 g i.v. oder Imipenem 4 × 500 mg i.v.
Quelle: Prof. P. Tarr, FOMF AIM 2020, Basel, www.sginf.ch
immunsupprimierte Patienten. Die Genesung kann verzögert sein mit prolongierter Müdigkeit und neuromuskulären Symptomen.
Abwarten bei Aspirationspneumonie
Zu einer Pneumonie kann auch das Aspirieren führen. In den ersten 3 bis 4 Tagen handelt es sich oft «nur» um eine chemische Pneumonitis durch Fremdkörper, Magensaft oder Flüssigkeiten, die meist ohne Antibiotika wieder abklingt. Deshalb braucht es gemäss Tarr initial keine Antibiotika. Falls an den Tagen 4 bis 5 allerdings eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit Fieber und Auswurf eintritt, ist eine infektiöse Aspirationspneumonie infolge bakterieller Superinfektion wahrscheinlich und eine Antibiotikagabe ab diesem Zeitpunkt angebracht. Werden Antibiotika dagegen bereits am Aspirationstag verabreicht, könnte der Keim bereits am Tag 4 bis 5 resistent sein. Das dabei gewählte Antibiotikum sollte Anaerobier abdecken (Amoxicillin/Clavulansäure, Metronidazol, Clindamycin). Bei zahnlosen Patienten ist das allerdings nicht nötig, in ihrem Mund leben keine Anaerobier.
Therapie je nach Schweregrad
Gemäss den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie richtet sich die ambulante Pneumoniethera pie nach dem Schweregrad (siehe QR-Code). Bei einer milden, meist ambulanten Erkrankung ist die Therapie der Wahl Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 625 mg oder Doxycyclin 2 × 100 mg, alternativ Makrolide oder Quinolone. Das Kantonsspital St. Gallen empfiehlt seit April 2019 eine alleinige Amoxicillindosis von 3 × 1 g (4). Die Dauer der Antibiotikatherapie beträgt 5 bis 7 Tage, bei Legionellen 7 bis 10 Tage. Die
Antibiotika können frühestens abgesetzt werden, wenn der
Patient 2 bis 3 Tage afebril ist. Zusätzliche Medikamente wie
Mukolytika, hustenstillende Pharmaka sowie inhalative Be-
tamimetika und Anticholinergika werden oft verschrieben,
sind bei Ärzten und Patienten beliebt, haben allerdings keine
gute Evidenz für ihre Wirksamkeit (5).
Sollte 72 Stunden nach adäquater Antibiotikatherapie keine
Besserung eintreten, sei meist keine Komplikation vorhanden,
so Tarr. Es brauche vielleicht einfach noch 1 bis 2 Tage länger
Geduld. Bei schwer kranken, älteren oder multim orbiden
Patienten kann es bis zu 7 Tage dauern. Möglicherweise muss
jedoch die Diagnose infrage gestellt werden. Gründe, weshalb
Patienten schlecht atmen können, können beispielsweise auch
COPD-Exazerbationen, Influenza (in Saison), Lungenembo-
lie, Herzinsuffizienz oder ein Empyem sein. Eine Bestimmung
der Leukozyten und des CRP-Werts sowie eine Wiederholung
des Thoraxröntgens können weiterhelfen. Die britische Infek-
tiologiegesellschaft empfehle eine Zugabe eines Makrolids
oder Quinolons, falls die bisherige Therapie ohne «atypische»
Abdeckung gewesen sei, so Tarr. Nach A bklingen der Pneu-
monie folgt eine längere Erholungszeit. 6 Wochen nach einer
Antibiotikabehandlung fühlen sich 40 Prozent der Patienten
immer noch müde, ein Drittel hustet noch, ein Drittel hustet
noch dyspnoisch, und ein Viertel hat immer noch Auswurf
(6). Eine Pneumonie ist eben mehr als nur eine Erkältung, das
braucht viel Zeit.
Wichtig sei es zu berücksichtigen, dass etliche Patienten
(20%) im Zuge einer Pneumokokkenpneumonie ein kardio-
vaskuläres Ereignis wie einen Herzinfarkt, eine neue Arrhyth-
mie oder eine Dekompensation einer bereits vorhandenen
Herzinsuffizienz erlitten, so Tarr abschliessend.
s
Empfehlungen zum Management der ambulant erworbenen Pneumonie www.rosenfluh.ch/qr/sginf_cap
oder direkt via QR-Code.
Valérie Herzog
Quelle: «Respiratorische Infekte», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 29. Januar bis 1. Februar 2020 in Basel.
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Referenzen: 1. Van Vugt SF et al.: Use of serum C reactive protein and procalcitonin
concentrations in addition to symptoms and signs to predict pneumonia in patients presenting to primary care with acute cough: diagnostic study. BMJ 2013; 346: f2450. 2. Woodhead M et al.: Guidelines for the management of adult lower respiratory tract infections – full version. Clin Microbiol Infect 2011; 17(Suppl6): E1–E59. 3. Bundesamt für Gesundheit: Die Legionärskrankheit in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein, 2008 bis 2017. BAG-Bulletin 2018; 21: 7–11. 4. Kantonsspital St. Gallen: https://kssg.guidelines.ch/guideline/1508. Letzter Abruf 19.2.20 5. Smith SM et al.: Over-the-counter (OTC) medications for acute cough in children and adults in ambulatory settings. Cochrane Database Syst Rev 2012; 15: CD001831. 6. Marie TJ et al.: Predictors of symptom resolution in patients with community-acquired pneumonia. Clin Infect Dis 2000; 31: 1362–1367.
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