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Arsenicum: Amtstauglichkeit von Plagiatoren?
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Dr. Jan von Overbeck, designierter Kantonsarzt von Bern, hat plagiiert. 2005 war es zirka ein Viertel seiner Publikation. Weiss Regierungsrat Perrenoud davon nichts? Oder akzeptiert er es bei seinem Chefbeamten? Berner Kantonsarzt/-ärztin – das ist eine Schlüsselposition mit magistralen Funktionen und viel Macht, in einem Kanton mit grösster Bedeutung. Für den Inhaber dieses Amtes sind – neben Fachkompetenz – Integrität, Unbestechlichkeit, Team- und Führungsqualitäten sowie eine blütenweisse Weste unabdingbar. Auffälligkeiten in der Berufsbiografie und dem Privatleben sollten vor der Wahl untersucht werden – bis jetzt war dies in Bern die Regel. Das Beispiel Deutschland zeigt, dass Plagiieren kein Kavaliersdelikt ist.
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Rubriken — ARSENICUM
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Amtstauglichkeit von Plagiatoren?

Dr. Jan von Overbeck, designierter Kantonsarzt von Bern, hat plagiiert. 2005 war es zirka ein Viertel seiner Publikation. Weiss Regierungsrat Perrenoud davon nichts? Oder akzeptiert er es bei seinem Chefbeamten? Berner Kantonsarzt/-ärztin – das ist eine Schlüsselposition mit magistralen Funktionen und viel Macht, in einem Kanton mit grösster Bedeutung. Für den Inhaber dieses Amtes sind – neben Fachkompetenz – Integrität, Unbestechlichkeit, Team- und Führungsqualitäten sowie eine blütenweisse Weste unabdingbar. Auffälligkeiten in der Berufsbiografie und dem Privatleben sollten vor der Wahl untersucht werden – bis jetzt war dies in Bern die Regel. Das Beispiel Deutschland zeigt, dass Plagiieren kein Kavaliersdelikt ist. Angela Merkel musste lernen, dass Plagiatoren in öffentlichen Ämtern untragbar sind und ihr Umfeld schädigen. Auch Universitäten sollten keine Plagiatoren dulden – wie das deutsche und amerikanische Dekane schmerzlich erfahren mussten. Denn Plagiieren ist weit mehr als eine Urheberrechtsverletzung. In den Fällen der Ex-Minister von G. und S. der Bundesrepublik Deutschland intervenierten Hunderte junger Wissenschaftler. Junge Ethiker sprachen von Verantwortung, Schuld und Schande. Junge Biologen verglichen Plagiatoren mit Parasiten, die auf Kosten von anderen und ohne Rücksicht auf andere leben und den Wirtsorganismus krank machen. Junge Juristen sprachen von vorsätzlichem Handeln, von Diebstahl, Hochstapelei, Betrug. Juristisch mag das nicht zutreffen. Faktum ist aber, dass in der Wissenschaft nicht plagiiert werden muss. Resultate von anderen dürfen mit Quellenangabe zitiert und eigenen klugen Betrachtungen verbrämt werden. Dafür gibt es auch Lorbeeren. Plagiieren ist der Beweis für eigene Unfähigkeit. Der universitäre/universale Druck «publish or perish» mag mehr Mediziner in Versuchung führen, sich mit fremden Federn zu schmücken. Aber um ihr nachzugeben, müssen spezifische Charakterdefekte vorliegen. Junge deutsche Psychologen sprechen von Persönlichkeitsstörungen, von malignem Narzissmus bis hin zur Dissozialität. Der krankhafte Geltungsdrang, die unstillbare Gier nach Ruhm, Geld und Macht lassen Plagiatoren Regeln, Normen und Werte missachten, kriminelle Handlungen begehen, Menschen und Institutionen schädigen. Sie verachten die «fleissigen Dummen», die sich in mühevoller, redlicher Weise ihre Erfolge selbst erarbeiten, und beuten sie brutal aus. Sie liefern die «vertrauensvollen Deppen», wie Dekane, Redakteure, Wahlbehörden und Vorgesetzte, dem öf-

fentlichen Gespött aus, bis hin zu Rücktrittsforderungen, weil diese sie nicht kontrollierten, ihnen nicht auf die Schliche kamen, sondern auf ein Minimum an Redlichkeit bei einem Akademiker vertrauten. Plagiatoren bereuen und ändern ihr Verhalten fast nie, wenn sie trotz wütender Gegenwehr überführt werden. Die Memoiren des Herrn von G. zeigen die Strategien. Schönreden des Verhaltens: «Dumm gelaufen», «Pech gehabt». Höhnen über die «Pedanterie», «… wegen der paar Anführungszeichen». Versuche, andere zu Mittätern zu machen: «Kupfert nicht jeder von uns ein bisschen ab?» Schlüpfen in die Opferrolle: Jammern, dass sich Missgünstige gegen sie verschworen hätten. Sympathisanten finden Plagiatoren unter denen, die es selber nicht so genau mit der Korrektheit nehmen. Oder bei leicht zu Beeinflussenden, die sich von Charisma und Charme der Plagiatoren blenden lassen. Bei versöhnlichen Menschen, die an Einsicht, tätige Reue und Veränderungswille glauben – dies gibt es bei Plagiatoren aber leider fast nie. Lasst uns dafür sorgen, dass in unseren Ämtern nur Amtsinhaber amten, die deren würdig sind. Im Bildungs- und Erziehungsministerium, wo es um die Bildung der Jugend und die Forschung ohne Fehl und Tadel geht, muss die Ministerin ethisch handeln, Vorbild sein. Im Verteidigungsministerium, wo Verträge und Glaubwürdigkeit wichtig sind, muss Treu und Glauben herrschen. Minister müssen so zuverlässig und gesetzestreu sein, wie sie es von Armeeangehörigen und ihren Mitarbeitern fordern. Denn es geht um Schicksale, um Leben und Tod, und die Zukunft von vielen Menschen, um Bevölkerungsschutz. Genau wie im Kantonsarztamt. Verantwortlichkeit für öffentliche Gesundheit, unter anderem für Schularztwesen, Berufsausübung von Medizinalberufen, gesundheitspolizeiliche Massnahmen, fürsorgerische Unterbringungen, heikle Forschungsfragen – all das erfordert eine Persönlichkeit grösster Integrität. Wir Berner halten unsere Werte hoch. Bei uns gilt noch das Wort, der Handschlag. Wir vertrauen anderen, sind diplomatisch, lassen andere ihr Leben leben, nehmen nichts so schnell krumm. Wir sind für unsere Gmögigkeit bekannt, für Bedacht, Toleranz und Versöhnlichkeit. Doch wer uns deshalb für dumm hält und für dumm verkaufen will, liegt falsch. Das sei dem designierten Kantonsarzt – vor Amtsantritt – und seinem Regierungsrat freundlich, aber unmissverständlich gesagt.

ARSENICUM

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ARS MEDICI 23 I 2013