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FORUM
Vorteile eines standardisierten Extraktes in der Phytotherapie
Janine Rossman Lanz
Die Phytotherapie ist heute bei vielen Ärzten ein fester Bestandteil des Praxisalltags geworden, und auch unser Gesundheitssystem anerkennt den therapeutischen Nutzen der pflanzlichen Präparate. Es kann nicht mehr von einem Gegensatz Natur versus Wissenschaft gesprochen werden, denn wissenschaftliche Belege auf hohem Niveau bestätigen die Wirksamkeit, Anwendungssicherheit und Verträglichkeit etablierter standardisierter und quantifizierter Pflanzenextrakte.
Synthetische Wirkstoffe – pflanzliche Extrakte
Zwischen der Herstellung eines synthetischen Wirkstoffes und eines pflanzlichen Extraktes besteht ein prinzipieller Unterschied: Nach Patentablauf eines synthetischen Wirkstoffes kann dieser jederzeit hergestellt werden, wenn eine Firma die entsprechenden technischen Einrichtungen hat, denn die gut dokumentierte chemische Formel definiert diesen synthetischen Wirkstoff eindeutig. Es handelt sich immer um denselben, identischen Wirkstoff, egal wo er hergestellt wird. Ein pflanzlicher Extrakt besteht hingegen immer aus Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Inhaltsstoffen, es handelt sich also um ein Vielstoffgemisch. Und in diesem Sinn ist ein Extrakt nicht so einfach definierbar wie eine synthetische Substanz.
Gibt es Unterschiede bei Extrakten?
Die Herstellungsart charakterisiert im Wesentlichen einen Extrakt. Das pflanzliche Vielstoffgemisch hat nur dann eine Existenzberechtigung, wenn die spezielle und reproduzierbare Zusammensetzung durch
die phytopharmazeutische Technologie gesichert ist. Die Evaluation und Reproduktion eines pflanzlichen Wirkstoffes ist technologisch anspruchsvoll und darf keinesfalls vernachlässigt werden. Dabei spielen die Auswahl des Rohmaterials (Anbau oder Wildsammlung), das Herstellverfahren (Perkolation oder Mazeration) und das Auszugsmittel (Ethanol oder Wasser) eine entscheidende Rolle. Viele pflanzliche Extrakte sind heute im Europäischen Arzneibuch (1) monografiert und werden entsprechend der Monografie hergestellt. Neue Extrakte werden von spezialisierten Unternehmen entwickelt und mit validierten Herstellverfahren produziert. Herstellverfahren können patentgeschützt sein, um lange Entwicklungszeiten zu schützen und einem Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal zu geben. Die Reproduzierbarkeit des Herstellprozesses (Validierung) ist entscheidend für die nachfolgenden analytischen und naturwissenschaftlichen Studien. Standardisierte Extrakte werden anhand ihrer Einstellung auf wirksamkeitsbestimmende Inhaltstoffe beschrieben. Als Beispiel: bei der Faulbaumrinde auf wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe wie 57–108 mg Trockenextrakt aus CascaraRinde DEV:4,2–5,6:1 eingestellt auf Hydroxyanthracen-Glycoside (berechnet als Cascarosid A) Auszugmittel Ethanol 52% (V/V). Quantifizierte Extrakte werden auf die wirksamkeitsmitbestimmenden Substanzen eingestellt. Als Beispiel: Hyperforin, 600 mg quantifizierter Trockenextrakt aus Johanniskraut DEV: 4–7:1, quantifiziert auf 0,6–1,8 mg Gesamthypericin und 18–36 mg Hyperforin, Auszugsmittel Methanol 80% (V/V). Weiter gibt es gemäss Extraktdeklarationen, welche von der Swissmedic (2) definiert sind, sogenannte «andere Extrakte». Diese sind durch ihre Angabe der verwendeten Arzneidroge und
die Art des Extraktes bestimmt. Zum Beispiel 240 mg Trockenextrakt aus Brennnesselwurzel, DEV: 5,4–6,6:1, Auszugsmittel Ethanol 20%. Ungeprüfte Nachahmerpräparate entsprechen oft in keiner Art und Weise dem oder sind nicht vergleichbar mit dem Originalpräparat, wenn der verwendete Extrakt nicht äquivalent ist. Ein pflanzlicher Extrakt ist also nicht gleich ein pflanzlicher Extrakt, viele Parameter von der Ernte über die Herstellung bis zur klinischen Überprüfung müssen beachtet werden, damit die Sicherheit und die Qualität eines pflanzlichen Arzneimittels gewährleistet sind.
Evidenzbasierte Phytotherapie und technologische Basisfaktoren
Evidenzen beruhen auf klinisch-pharmakologischen und klinisch-epidemiologischen Studien. Der therapeutische Wert eines Arzneimittels ist nur dann gegeben, wenn eine Krankheit oder die Sterblichkeit des Patienten nachweislich verringert und die Lebensqualität verbessert werden kann (3). Die Wirksamkeitsevidenz und damit die Indikation eines Extraktes kann traditionell bestimmt sein (traditional use), wird jedoch meist mittels Studienbelegen (in vitro, in vivo, klinisch) evidenzbasiert sein (well-established use). Bei der evidenzbasierten oder rationalen Phytotherapie wird mittels Studien die Wirksamkeit eines standardisierten Arzneipflanzenextrakts für eine bestimmte Indikation bewiesen. Die Herstellung eines Pflanzenextraktes hat einen entscheidenden Einfluss auf die Wirkungsweise, da sich die aus einer pflanzlichen Arzneidroge stammenden wirksamen Bestandteile betreffend ihre stoffliche Charakteristik stark unterscheiden können.
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PHYTOTHERAPIE
5/2013
FORUM
EGb 761®
Der Ginkgo-biloba-Extrakt EGb 761 ist der wohl am besten untersuchte Pflanzenextrakt. Die Studienlage, die ständig erweitert wird, umfasst Dutzende von klinischen Studien. Die Spezifikation von EGb761 ist auf 24% Ginkgo-Flavon-Glycoside und 6% Terpen Lactone, ≤ 5 ppm Ginkgolsäuren eingestellt. Dies umfasst einen lang dauernden Herstellungsprozess, der beim Anbau der Arzneipflanze beginnt, während der Ernte, Trocknung und Extraktion verschiedenste Kontrollen erlebt und bis zur Kontrolle der Verpackung weitergeführt wird. Mit der Ausnahme von EGb761 variieren Ginkgoprodukte signifikant in ihrem Inhaltsstoffgemisch je nach Batch, Extraktionsmittel, Extraktionsprozess und Reini-
gungsschritten (nebst weiteren Faktoren). EGb761 ist hingegen immer Ginkgo, und EGb761 ist immer EGb761, von Batch zu Batch, Ginkgo ist aber nicht immer EGb761. In diesem Sinn dürfen nur Extrakte die Indikationen von EGb 761 angeben, die diesem Standard entsprechen.
Zulassung
Nur ein pflanzliches Arzneimittel, welches den von der Schweizer Behörde erforderlichen Nachweis bezüglich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit erbringen kann, wird auch zugelassen. Dabei werden von der Behörde auch die Qualität und Nachvollziehbarkeit der pharmakologischen bis klinischen Studiendatenlage auf die beantragte Indikation überprüft.
Ein modernes Phytotherapeutikum, welches aus einem standardisierten oder quantifizierten Extrakt hergestellt wurde, steht den Anforderungen an ein chemischsynthetisches Präparat in nichts nach. N
Anschrift der Verfasserin MSc Janine Rossmann Lanz Schwabe Pharma AG 6403 Küssnacht Janine.rossmann@schwabepharma.ch
Literaturreferenzen: 1. Pharmacopoea Europaea (Ph. Eur 7) Dezember 2009. 2. Komplementär- und Phytoarzneimittel-Verordnung. http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20051631/index.html 812.212.24. 3. Loew D. Rietbrock N. (1998). Einleitung, Phytopharmaka – Forschung und klinische Anwendung, Loew K., Rietbrock N (Hrsg), Band 4, Steinkopff Verlag, Stuttgart.
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