Transkript
STUDIE REFERIERT
Zusammenspiel von Nierenerkrankungen und Alter
Aussagekraft von Nierenparametern
Eine Metaanalyse nahm die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate und den Albumin-KreatininQuotienten unter die Lupe. Besteht ein Zusammenhang mit dem Alter und mit Gesundheitsrisiken?
JAMA
Eine chronische Nierenerkrankung (CKD) liegt bei einer verminderten glomerulären Filtrationsrate (GFR) von unter 60 ml/min/1,73 m2 vor. Ein weiterer Hinweis auf eine Nierenschädigung sind grössere Mengen von Albumin im Urin. Definitionsgemäss liegt eine Albuminurie ab einem AlbuminKreatinin-Quotienten (AKQ) von über 30 mg/g vor. Eine chronische Nierenerkrankung betrifft 10 bis 15 Prozent der Erwachsenen in den USA, Europa und Asien. Dabei steigt die Prävalenz mit dem Alter dramatisch an. In den USA beispielsweise nimmt sie von 4 Prozent bei einem Alter von 20 bis 39 Jahren auf 47 Prozent bei einem Alter von über 70 Jahren zu.
Merksätze
❖ Die Datenlage zeigt, dass eine niedrige geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) und erhöhte Werte des Albumin-KreatininQuotienten (AKQ) über die ganze Altersspannbreite in einem engen Zusammenhang mit der Mortalität und dem Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz stehen.
❖ Bei den allgemeinen und risikoreichen Kohorten war das relative Mortalitätsrisiko im Alter geringer, wohingegen der absolute Mortalitätsrisikounterschied zunahm.
Die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) und die Albuminkonzentrationen im Urin erhalten eine zunehmend grössere Bedeutung bei der Definition und Einteilung chronischer Nierenerkrankungen und den damit verbundenen Gesundheitsrisiken. Es gibt jedoch eine Kontroverse darüber, ob das Alter im Hinblick auf diese Parameter ebenfalls einen Einfluss darstellt. Daher wurde eine Metaanalyse durchgeführt, um das Zusammenspiel von Alter, eGFR, Albuminurie und Gesundheitsrisiken zu untersuchen. Bei der Auswertung wurden das relative und das absolute Risiko ermittelt. Das relative Risiko drückt dabei nichts über die absolute Riskoreduktion aus. Beispiel: Bei einem Risiko von 1 Prozent in der Beobachtungsgruppe und 2 Prozent in der Kontrollgruppe ist der absolute Risikounterschied nur 1 Prozent, doch das relative Risiko wird um 50 Prozent (1%/2%) verringert. Die Hazard-Ratio (HR) ist gewissermassen ein Sonderfall des relativen Risikos. Hazard steht für die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Ereignis in einem Kollektiv über einen bestimmten Zeitraum eintritt. Die HR widerspiegelt das Verhältnis zweier Hazards. Ist die HR grösser als 1, ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des Ereignisses in der beobachteten Gruppe in der gewählten Zeitspanne grösser als in der Vergleichsgruppe.
Studienteilnehmer und Ziele Die internationale Metaanalyse bewertete die Daten von 2 051 244 Erwachsenen, die aus Asien, Australien, Europa und Amerika stammten. Die Durchführung erfolgte zwischen 1972 und 2011, wobei die mittlere Beobachtungszeit 5,8 Jahre (Spanne 0–31 Jahre) betrug. Es gab 33 allgemeine und risikoreiche Kohorten, wobei zur zweiten
Gruppe Menschen mit einer erhöhten Gefahr für eine vaskuläre Erkrankung gehörten. Personen mit einer chronischen Nierenerkrankung wurden 13 weiteren Kohorten zugeteilt. Die Teilnehmer wurden in vier Alterskategorien (18–54, 55–64, 65–74, > 75 Jahre) unterteilt. Für eine einheitliche Auswertung wurden die verschiedenen Gruppen zudem im Hinblick auf Geschlecht, Rasse, kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, systolischen Blutdruck, Cholesterinwerte, Body-Mass-Index und Rauchen angeglichen. Primär wurde das Risiko für die Gesamtmortalität und das Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz ermittelt. Letztere wurde definiert als der Beginn einer Dialyse, die Notwendigkeit einer Nierentransplantation oder das Eintreten eines Todesfalls aufgrund einer Nierenerkrankung ausschliesslich einer akuten Nierenverletzung.
Allgemeine und risikoreiche Kohorten Bei den 33 allgemeinen und risikoreichen Kohorten ereigneten sich insgesamt 112 325 Todesfälle und 2766 terminale Niereninsuffizienzen. Das Mortalitätsrisiko war bei einer niedrigen eGFR und einem grösseren AKQ bei jeder Alterskategorie erhöht. Die ermittelten HR für das Mortalitätsrisiko waren mit dem Alter zunehmend niedriger. Beispielsweise betrugen die bereinigten HR bei einer eGFR von 45 versus 80 ml/min/1,73 m2 3,50 (95%Konfidenzintervall [KI]: 2,55– 4,81) in der Altersklasse 18 bis 54 Jahre, 2,21 (95%-KI: 2,02–2,41) in der Altersklasse 55 bis 64 Jahre, 1,59 (95%-KI: 1,42– 1,77) in der Altersklasse 65 bis 74 Jahre und 1,35 (95%-KI: 1,23–1,48) in der Altersklasse über 75 Jahre. Der absolute Risikounterschied bei dem gleichen Vergleich war jedoch im Alter höher (9,0 [95%-KI: 6,0–12,8], 12,2 [95%-KI: 10,3–14,3], 13,3 [95%-KI: 9,0–18,6] beziehungsweise 27,2 [95%KI: 13,5– 45,5] zusätzliche Todesfälle pro 1000 Personenjahre). Das Mortalitätsrisiko begann bei einer eGFR von 60 bis 75 ml/min/1,73 m2 zuzunehmen, lediglich bei den über 75-Jährigen war erst eine eGFR von höchstens 56 ml/ min/1,73 m2 statistisch signifikant. Beim AKQ war ein Alterseinfluss weniger offensichtlich, und auch erst höhere AKQ-Bereiche fielen ins Gewicht. So betrugen die HR der Gesamtmortalität
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bei einem AKQ von 300 versus 10 mg/g 2,53 (95%-KI: 2,13– 3,03) in der Altersklasse 18 bis 54 Jahre, 2,30 (95%-KI: 1,84–2,88) in der Altersklasse 55 bis 64 Jahre, 2,10 (95%-KI: 1,83– 2,44) in der Altersklasse 65 bis 74 Jahre und 1,73 (95%-KI: 1,45–2,05) in der Altersklasse über 75 Jahre. Dahingegen waren die absoluten Risikounterschiede beim gleichen Vergleich bei den älteren Altersstufen höher (7,5 [95%-KI: 4,3– 11,9], 12,2 [95%-KI: 7,9–17,6], 22,7 [95%-KI: 15,3–31,6] bzw. 34,3 [95%KI: 19,5–52,4]) zusätzliche Todesfälle pro 1000 Personenjahre). Im Hinblick auf das Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz begann die HR bei einer eGFR von 70 ml/min/ 1,73 m2 und einem AKQ von 10 mg/g bei allen Alterskategorien zuzunehmen. Die ermittelte durchschnittliche Inzidenzrate für eine terminale Niereninsuffizienz bei einem bestimmten eGFR- oder AKQ-Wert war in der ältesten Gruppe am niedrigsten. Die absoluten Risikounterschiede waren jedoch nicht signifikant, ausser innerhalb eines begrenzten eGFR-Bereichs, in dem die ermittelte durchschnittliche Inzidenzrate für terminale Niereninsuffizienz bei der jüngsten Altersstufe am höchsten war.
Nierenkranke Kohorten Bei den 13 nierenkranken Kohorten wurden 9037 Todesfälle und 5962 Vorkommnisse von terminaler Niereninsuffizienz registriert. Eine separate
Analyse der nierenkranken Kohorten wurde mit einem niedrigeren Referenzwert für die eGFR (50 ml/min/1,73 m2) durchgeführt. Das ermittelte relative Mortalitätsrisiko nahm nicht mit dem Alter ab, weshalb kein Alterseinfluss angenommen wird. Das absolute Mortalitätsrisiko war bei den älteren Personen zwar höher, aber der Unterschied war mehrheitlich nicht signifikant. Im Hinblick auf den Beginn einer terminalen Niereninsuffizienz war die durchschnittliche Inzidenzrate bei der jüngsten Gruppe bei einer mässig verringerten eGFR am höchsten. Mit abnehmender eGFR nahm das Risiko bei den älteren Personen ebenfalls stark zu, was zu vergleichbaren absoluten Risiken bei einer eGFR von 15 ml/min/ 1,73 m2 führte. Die Auswertung von erhöhten Albuminspiegeln im Urin zeigte vergleichbare Muster, allerdings mit dem Vorbehalt, dass nur in einigen nierenkranken Kohorten der AKQ bestimmt wurde.
Fazit Ein Pluspunkt dieser Metaanalyse ist die grosse Anzahl von Teilnehmern, worunter sich auch sehr alte Menschen befinden. Des Weiteren wurden verschiedene Länder und Kontinente berücksichtigt, wodurch die Ergebnisse im internationalen Umfeld mehrheitlich gültig sind. Studiendaten von der afrikanischen Bevölkerung wurden allerdings kaum einbezogen.
Bei den allgemeinen und risikoreichen Kohorten war das relative Mortalitätsrisiko im Alter geringer, wohingegen der absolute Mortalitätsrisikounterschied zunahm. Bei den nierenkranken Kohorten hatte das Alter keinen wesentlichen Einfluss auf die Mortalitätsparameter. Im Hinblick auf das Risiko für den Beginn einer terminalen Niereninsuffizienz beeinflusste das Alter weder die relativen noch die absoluten Risikogradienten signifikant. Eine niedrige eGFR und erhöhte AKQWerte standen bei einer grossen Anzahl von Studien über die ganze Altersspannbreite in einem engen Zusammenhang mit der Mortalität und dem Auftreten einer terminalen Niereninsuffizienz. Die Daten befürworten die Definition und Einteilung chronischer Nierenerkrankungen anhand der eGFR und Albuminurie für alle Altersgruppen. Indem nur ein weithin gebräuchliches Klassifizierungssystem für chronische Nierenerkrankungen bei allen Altersstufen verwendet wird, kann der Praxisalltag vereinfacht werden. ❖
Monika Lenzer
Quelle: Hallan SI et al.: Age and association of kidney measures with mortality and end-stage renal disease. JAMA 2012; 308(22): 2349–2360.
Interessenkonflikte: Einige der Autoren erhielten Zuwendungen von verschiedenen Pharmafirmen, der National Kidney Foundation oder anderen Institutionen.
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