Transkript
Editorial
Keine Frage, die Idee der sogenannten Krebsvorsorge ist auf den ersten Blick von bestechender Plausibilität: Wird ein Tumor im Frühstadium entdeckt, kann rechtzeitig eine Therapie eingeleitet werden, günstigstenfalls mit dem Ergebnis einer echten Heilung. Das gewiss wäre ein Triumph, liesse sich doch so dem vorzeitigen Tod ein Schnippchen schlagen. Nur leider ist es oft nicht so einfach. Das PSA-Screening zur Früherkennung des Prostatakarzinoms zeigt das besonders eindrücklich. Es erweist sich ja auch als effektiv: Dort, wo das Screening breit genutzt wird, wird viel häufiger ein Prostatakarzinom entdeckt. In den USA beispielsweise hat sich das Lebenszeitrisiko, an Prostatakrebs zu erkranken, von
Nicht beantwortet ist die Frage, ob sich durch das PSA-Screening überhaupt Menschenleben retten lassen. Auch die beiden aktuellen Grossstudien brachten bei Weitem nicht die nötige statistische Power auf, um Aussagen zur Gesamtsterblichkeit
Krank durch Vorsorge
8 Prozent Mitte der Achtzigerjahre auf nunmehr 17 Prozent verdoppelt. Doch was sagt das schon? Ein Nutzen wäre erst dann gegeben, wenn dank Früherkennung tatsächlich weniger Männer an diesem Krebs sterben müssten. Genau diesen Nachweis hat eine grosse europäische Studie (ERSPC) nun erbracht, eine gleichzeitig publizierte amerikanische Studie (PLCO) verlief jedoch negativ (siehe S. 364). Eine alte Erkenntnis bestätigen beide Untersuchungen: Der mutmasslich geringe Nutzen wird durch eine beträchtliche Zahl an Überdiagnosen (und Übertherapien) erkauft – durch das Screening entdeckte Krebse, die ohne Früherkennung klinisch nie auffällig geworden wären. Wer will, mag dafür auch eine paradoxe Formulierung wählen: Vorsorge kann unter Umständen überhaupt erst Krankheit schaffen. Gerade beim Prostatakrebs gilt, dass viele Männer mit einem Prostatakrebs sterben, aber nicht an ihm. Auch ohne Screening beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen 50-jährigen Mann, irgendwann an einem Prostatakarzinom zu sterben, etwa 3 Prozent.
machen zu können. Jüngst in «Lancet Oncology» (2009; 10: 294–298) publizierte Berechnungen kommen zu dem Schluss, dass dafür eine Studie mit etwa 3,5 Millionen Teilnehmern nötig wäre. Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass eine solche Studie nie stattfinden wird. Was also tun? Die Entscheidung für oder wider ein PSA-Screening bleibt letztlich dem Patienten selbst überlassen – und zwar nach ausführlicher ärztlicher Aufklärung über Nutzen und Risiken! Der Patient hat ein Recht auf Wissen, aber auch eines auf Nichtwissen. Nach Lage der Dinge besteht keine Notwendigkeit, den Patienten ausdrücklich vom PSA-Test abzuraten, aber es gibt auch weiterhin keinen Grund, Männer «massenhaft mit PSA-Tests zu terrorisieren», wie der Berner Urologe Professor Urs Studer im vergangenen Jahr mahnte.
Uwe Beise
ARS MEDICI 9 ■ 2009 353