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Malignomrisiko bei rheumatologischen Autoimmunerkrankungen
Differenzierte Screeningstrategien für die Praxis
Menschen mit Autoimmunerkrankungen weisen ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko für bestimmte Tumoren auf. Dieses Risiko variiert je nach Erkrankung, Antikörperprofil und Organbeteiligung deutlich. Der Workshop von PD Dr. Muriel Danièle Elhai, Zürich, gab einen differenzierten Überblick über die aktuelle Datenlage und praktische Screeningempfehlungen für die rheumatologische Praxis.
Bei Menschen mit immunvermittelten Erkrankungen, insbesondere auch rheumatologischen Autoimmunerkrankungen, fanden Studien ein erhöhtes Tumorrisiko (1). Wie PD Dr. med. Dr. sc. nat. Muriel Danièle Elhai vom Universitätsspital, Zürich, in einem Workshop erklärte, gebe es dafür zwei mögliche Erklärungen. Einerseits könnte das häufige Auftreten von Autoimmunerkrankungen kurz nach einer Krebsdiagnose darauf hinweisen, dass Tumorantigene eine Immunreaktion auslösen (2). Andererseits kann durch die chronische Immunaktivierung im Rahmen einer Autoimmunerkrankung und das damit einhergehende entzündliche Milieu die Entstehung von Tumoren gefördert werden. Zusätzlich beeinflussen die zur Therapie der Autoimmunerkrankung eingesetzten Medikamente das Tumorrisiko. Auch Faktoren wie Rauchen, Alkohol, westliche Ernährung, Infektionen (z. B. HPV, HBV, EBV, Helicobacter pylori), berufliche Expositionen (z. B. Asbest) und genetische Prädispositionen erhöhen sowohl das Risiko für Autoimmunerkrankungen als auch für Tumore (3).
Tumorrisiko bei rheumatoider Arthritis Dr. Elhai ging im Workshop auf die spezifischen Tumorrisiken verschiedener rheumatologischer Erkrankungen ein. Den Anfang machte die rheumatoide Arthritis (RA): Metaanalysen zeigen für Personen mit RA ein etwa 1,2-fach erhöhtes
KURZ UND BÜNDIG
• Patienten mit Autoimmunerkrankungen haben ein erhöhtes Gesamtrisiko für Tumoren.
• Bei bestimmten Organmanifestationen und Antikörperprofilen ist das Risiko für einzelne Tumorarten deutlich erhöht.
• Nationale Screeningempfehlungen bilden die Grundlage; zusätzliche Untersuchungen erfolgen individuell nach Risikoprofil.
• Wichtig sind regelmässige klinische Kontrollen, eine sorgfältige Anamnese sowie niederschwellige Abklärungen bei Symptomen.
Gesamtrisiko für Malignome (4). Besonders relevant sind dabei Lungenkarzinome. Je nach Studie liegt das Risiko hier zwischen 1,4 und 1,76 (4,5). Erhöht wird es weiter, wenn die Betroffenen Rheumafaktor- oder Anti-CCP-positiv sind (2bis 6-fach) sowie bei Tabakkonsum (7-fach) (5). Zudem wurde bei an RA erkrankten Personen ein höheres Risiko für Blasen- und Zervixkarzinome (insbesondere unter immunsuppressiver Therapie) sowie Melanome festgestellt (4).
Unter den hämatologischen Malignomen treten bei RA insbesondere diffus grosszellige B-Zell-Lymphome, Multiple Myelome und Hodgkin-Lymphome häufiger auf (4). Das Risiko korreliert dabei mit der Krankheitsaktivität (6, 7). «Studien zeigen, dass bei guter Krankheitskontrolle das Lymphomrisiko geringer ist», erklärte die Referentin.
Zum Einfluss der bei RA eingesetzten Therapien auf das Tumorrisiko ist Folgendes bekannt: Die Behandlung mit einem Januskinase-Hemmer (JAKi) über einen Zeitraum von mehr als 16 Monaten ist im Vergleich zu einer Therapie mit biologischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (bDMARD) mit einem leicht erhöhten Risiko für Malignome assoziiert, vor allem bei älteren Personen (> 60 Jahre) und bei einer hohen Krankheitsaktivität (8).
Hinsichtlich eines Tumorscreenings bei Personen mit RA empfahl Dr. Elhai die Standarduntersuchungen gemäss den nationalen Empfehlungen, mit erhöhter klinischer Wachsamkeit gegenüber RA-spezifischen Tumorentitäten (Lunge, Lymphome) (9).
Systemischer Lupus erythematodes Das Tumorrisiko bei Personen mit einem systemischen Lupus erythematodes (SLE) ist um den Faktor 1,2 bis 1,6 erhöht (10, 11). Besonders relevant sind hier hämatologische Neoplasien (v.a. Non-Hodgkin-Lymphome), Blasenkarzinome, Zervix- und Vaginalkarzinome, Lungentumore, Larynxund Oropharynxkarzinome sowie gastrointestinale Tumore. «Lupus-Patientinnen und -Patienten weisen dagegen ein reduziertes Risiko für hormonabhängige Tumore wie Mamma-, Endometrium- und Prostatakarzinome auf», ergänzte Dr. Elhai. Zu den Faktoren, die mit einem erhöhten Malignomrisiko assoziiert werden, gehören eine höhere Krankheits-
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Tab.: Tumorrisiko bei systemischer Sklerose – organspezifische Risikofaktoren (18).
Tumorentität Lungenkarzinom
Mammakarzinom
Blasenkarzinom Ösophaguskarzinom Hämatologische Neoplasien Zungen-, orale oder pharyngeale Karzinome
Assoziierte Risikofaktoren bei systemischer Sklerose (SSc) • lang bestehende pulmonale Beteiligung (interstitielle Lungenerkrankung bei SSc) • klassische Risikofaktoren wie Rauchen • längere Dauer der SSc
niedrigeres Alter bei SSc-Diagnose • Anti-Topoisomerase-I-Antikörper • Zustand nach Sklerodermie-Nierenkrise • männliches Geschlecht • Anti-Topoisomerase-I-Antikörper, Anti-RNA-Polymerase-III-Antikörper • Zustand nach Sklerodermie-Nierenkrise • kurze SSc-Krankheitsdauer • höheres Alter bei SSc-Beginn • Cyclophosphamid-Exposition • Beteiligung ober GI-Trakt mit Motilitätsstörungen und gastroösophagealem Reflux • kurze SSc-Krankheitsdauer • höheres Alter, weibliches Geschlecht und diffuser kutaner Subtyp (v.a. für Non-Hodgkin-Lymphom) • diffuser Subtyp (Zunge) • klassische Risikofaktoren (z.B. Alkoholexposition, familiäre Belastung)
aktivität, Antiphospholipid-Antikörper (erhöhen v. a. das Risiko für hämatologische Neoplasien), Virusinfekte (EBV, HPV, Hepatitis) sowie Rauchen und eine Behandlung mit Cyclophosphamid (v.a. Blasentumorrisiko erhöht) (10,12).
Auch bei Personen mit SLE sollte das bei der Allgemeinbevölkerung übliche Screening durchgeführt werden (9). Besonders empfohlen wird zudem ein jährliches Zervixkarzinom-Screening sowie ein gezieltes Screening in besonderen Fällen (z.B. Urinzytologie bei Cyclophosphamid-Exposition, Lungenkrebs-Screening bei starken Rauchern) (13).
Sjögren-Syndrom Bei Personen mit Sjögren-Syndrom (SJ) ist ein deutlich erhöhtes Risiko für B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphome beschrieben (14). «Das Risiko ist bis zu 14-fach erhöht», erklärte Dr. Elhai. Etwa 5–10% der Patienten entwickeln im Krankheitsverlauf ein Lymphom, meist ein Marginalzonen- oder MALTLymphom. «Betroffen sind insbesondere Speicheldrüsen, Lunge und Magen», so die Referentin. Als Risikofaktoren für ein Non-Hodgkin-Lymphom wurden bisher identifiziert: rezidivierende Parotisschwellungen, Lymphadenopathie und/oder Splenomegalie, Purpura, Kryoglobulinämie, positive Rheumafaktoren, niedrige C4-Werte und eine monoklonale Gammopathie (erhöhtes Risiko für diffus-grosszelliges B-Zell-Lymphom) (15).
Wie Dr. Elhai erklärte, empfiehlt es sich – neben einer regelmässigen klinischen Untersuchung (inkl. Lymphknotenstatus, Leber- und Milzgrösse) und der Frage nach B-Symptomen – im Rahmen des Tumorscreenings bei SJ alle 6 bis 12 Monate verschiedene Laborparameter zu kontrollieren (Kryoglobuline, CRP, Komplementfaktoren C3 und
C4, Beta-2-Mikroglobulin, LDH). Bei entsprechenden Befunden (rezidivierende oder persistierende Speicheldrüsenschwellung, Splenomegalie, Lymphadenopathie, Purpura, unerklärter Gewichtsverlust, Fieber oder Nachtschweiss) sollte mittels Bildgebung (z.B. Ultraschall, HRCT, PET-CT, Gastroskopie) gezielt nach einem Malignom gesucht werden.
Systemische Sklerose Das Gesamtrisiko für Malignome ist bei einer systemischen Sklerose (SSc) etwa 1,2-fach erhöht (16,17). Insbesondere Lungen-, Mamma- und Ösophaguskarzinome sowie hämatologische Neoplasien sind beschrieben. Die Risikofaktoren variieren je nach Tumorentität (Tab.). In Bezug auf das Screening werden auch hier ein altersspezifisches Standardscreening sowie eine intensivierte Tumorsuche bei RNA-Polymerase-III-positiven Personen (PET-CT) empfohlen (19,20).
Therese Schwender
Quelle: «Tumorscreening bei Autoimmunerkrankungen: Indikation und Abklärung», Workshop von PD Dr. Muriel Danièle Elhai, Universitätsspital Zürich, im Rahmen des Rheuma Top am 21. August 2025 in Pfäffikon.
Referenzen:
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id arthritis and in relation to autoantibody positivity and smoking. RMD Open. 2022;8:e002465.
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