Transkript
EDITORIAL
Schattenseiten einer Erfolgsstory
Die nachfolgenden Generationen erleben die massiven Schäden durch Infektionskrankheiten nicht selbst, wodurch der wahrgenommene Nutzen von Impfungen stark abgenommen hat. Die Folge ist die Wiederkehr von Infektionskrankheiten. Dabei könnte es in vielen Fällen anders sein.
Erfolgsbeispiel Pocken Die Pocken gelten als eine der schlimmsten Seuchen der Menschheit. Weltweit starben an dieser Viruserkrankung im 20. Jahrhundert immer noch 300 bis 500 Millionen Menschen. Durch ein global koordiniertes Impfprogramm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) konnte die Krankheit 1980 offiziell für ausgerottet erklärt werden.
Dieser Erfolg zeigt, wie effektiv konsequentes Impfen sein kann. Jedoch sind heutige Generationen mit solchen Erfolgsgeschichten häufig nicht vertraut. Ohne dieses historische Bewusstsein fällt es vielen schwer zu erkennen, dass jede Impflücke das Wiederauftreten ehemals besiegter Krankheiten ermöglichen kann.
Masern und die fehlende Erinnerung Ein aktuelles Beispiel sind die Masern, die oft als harmloser Kinderinfekt abgetan werden. Dabei liegt die Komplikationsrate bei 10–15 Prozent. Typische Folgen sind Lungenentzündungen, Mittelohrentzündungen und in seltenen Fällen die Masern-Enzephalitis, die mit einer Letalität von bis zu 30 Prozent einhergeht.
Insgesamt bewegt sich zwar das Impfniveau in der Schweiz auf hohem Niveau, aber in einzelnen Bereichen (z. B. MMR bei jungen und mittelalten Erwachsenen, Influenza bei Älteren) besteht noch Potenzial für Steigerungen. Dies hat auch der Masernausbruch im letzten Winter im Kanton Zürich gezeigt.
Lücken offenbaren sich auch bei der HPV-Impfung: Die HPV-Durchimpfungsrate bei 16-jährigen Jugendlichen lag im Zeitraum 2020–2022 bei 71 % für Mädchen und 49 % für Jungen (Daten aus dem BAG-Bulletin). Auf Seite 11 widmen wir uns den Argumenten, warum man diese Impfungen durchaus auch später nachholen sollte.
Angst vor Nebenwirkungen versus Angst vor Komplikationen Moderne Impfstoffe gelten als sehr sicher. Schwere Nebenwirkungen der Masernimpfung treten in der
Regel bei weniger als einem von 100 000 Geimpften auf. Gleichzeitig kann beispielsweise eine Maserninfektion bei jedem zehnten Kind schwerwiegende Verläufe und bleibende Schäden verursachen.
Trotzdem übersteigt die Angst vor Impfnebenwirkungen häufig die Angst vor der Krankheit selbst. Dieser Widerspruch entsteht durch selektive Wahrnehmung: Impfschäden sind direkte Resultate einer freiwilligen Handlung, Erkrankungen erscheinen als abstrakte Risiken. Aufklärung und transparente Kommunikation sind hier entscheidend, um richtige Risikobewertungen zu fördern.
Viele der Krankheiten, die in den letzten Jahren wieder zugenommen haben, könnten durch bestehende Impfempfehlungen nahezu eliminiert werden. Ein Absinken der Impfquote unter die Schwelle für Herdenimmunität öffnet Erregern Tür und Tor. Steigende Infektionszahlen bedeuten nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Lasten.
An den Fehleinschätzungen zu Nutzen und Risiken von Impfungen sind auch Social Media beteiligt. Sie bieten zwar einerseits niederschwelligen Zugang zu Wissen, bergen aber auch enorme Risiken durch falsche Informationen. Wir sollten dieses Feld auf keinen Fall den falschen Informanten überlassen! Dass auch Ärzte auf Social Media zu wichtigen «Influencern» werden können, macht unser Bericht zu diesem Thema deutlich (siehe Seite 19f).
Fazit Wir Ärzte sind heute Opfer unseres eigenen Erfolgs: Die jahrzehntelangen Errungenschaften durch Impfprogramme haben zu einer kollektiven Erinnerungslücke geführt. Die jüngeren Generationen sehen Impfungen als verzichtbar an, weil sie die verheerenden Auswirkungen der Krankheiten nicht mehr erlebt haben.
Es liegt nun an uns, durch gezielte Risikoaufklärung und transparente Kommunikation den Blick für die tatsächliche Bedrohung durch Infektionskrankheiten wieder zu schärfen!
Herzlichst, Ihre Adela Žatecky
dermatologie & ästhetische medizin 3 | 2025
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