Transkript
BERICHT
Doping
Problematischer Anabolikakonsum
Die Nutzung leistungssteigernder Substanzen im Freizeit- und Profisport hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Trotz ihrer weitverbreiteten Verwendung findet der Konsum dieser Substanzen häufig ausserhalb medizinischer und regulierter Kontexte statt, was zu erheblichen gesundheitlichen Risiken führt. Dr. Raphael Magnolini von Arud Zentrum für Suchtmedizin, Zürich, beleuchtete das Phänomen interdisziplinär am Ärztekongress Davos – aus epidemiologischer, medizinischer, rechtlicher und suchtmedizinischer Perspektive.
Anabolika umfassen eine Gruppe von Substanzen, die primär eine muskelaufbauende (anabole) Wirkung entfalten, insbesondere durch Förderung der Protein-
synthese. Im Alltag versteht man darunter meist
anabole Steroide. Daneben zählen aber auch
selektive Androgenrezeptor-Modulatoren
(SARMs), β-Sympathomimetika, Insulin
oder Wachstumshormone (hGH) zu den
leistungssteigernden Substanzen. Ziel
der Einnahme ist meist eine Steigerung
des Muskelvolumens, der Leistungs-
fähigkeit oder der körperlichen Attrak-
tivität. Besonders der Gebrauch ana-
Raphael Magnolini
(Foto: Ethan Oelman)
bol-androgener Steroide (AAS) sowie weiterer sogenannter «image and per-
formance enhancing drugs» (IPED) stellt ein wachsendes gesundheitliches, gesellschaftliches und medizinethisches Problem dar.
Epidemiologie und Konsummuster Die globale Lebenszeitprävalenz des Anabolikakonsums liegt Schätzungen zufolge zwischen 1 und 5%, wobei Männer mit 6,4% deutlich häufiger betroffen sind als Frauen (1,6%); besonders auffällig ist der hohe Anteil an Konsumenten im Freizeitsportbereich (18,4%) gegenüber Athleten im organisierten Sport (13,4%) (1). Auch der frühe Konsumbeginn – ein Drittel beginnt vor dem 21. Lebensjahr – sei aus entwicklungspsychologischer Sicht bedenklich, da sich die Einnahme negativ auf Körperreifung und psychisches Wohlbefinden auswirken könne, so Dr. Magnolini.
KURZ UND BÜNDIG
• Weit verbreiteter Konsum: Anabolika und andere leistungssteigernde Substanzen (IPED) werden nicht nur im Profisport, sondern überwiegend im Freizeitsport konsumiert, oft ausserhalb ärztlicher Kontrolle.
• Der Konsum kann schwerwiegende körperliche und psychische Komplikationen verursachen – inklusive Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Leber- und Nierenschäden sowie affektiven Störungen.
• Viele beginnen bereits im Jugend- oder jungen Erwachsenenalter mit langfristigen Folgen für Gesundheit und Entwicklung.
• Viele Betroffene meiden ärztliche Hilfe aus Angst vor Stigmatisierung oder rechtlichen Konsequenzen, besonders Jugendliche sind unterversorgt.
• Produkte vom Schwarzmarkt sind oft gefälscht oder verunreinigt; Wissen stammt meist aus inoffiziellen Quellen wie Internet-Foren.
• Interdisziplinäre Versorgung (Medizin, Suchtmedizin, Psychiatrie) ist essenziell, um Risiken zu minimieren und Vertrauen aufzubauen.
Gesundheitsrisiken und Komplikationen Der Konsum anaboler Steroide ist mit einer Vielzahl potenziell schwerwiegender Nebenwirkungen verbunden. «Dazu zählen unter anderem kardiovaskuläre Komplikationen wie Kardiomyopathien, Leber- und Nierenschäden, endokrine Störungen (z.B. Hypogonadismus, Gynäkomastie) sowie psychische Symptome wie Depressionen, Aggressivität oder affektive Störungen», führte Dr. Magnolini aus. Injektionsbedingte Risiken wie bakterielle Infektionen, HIV oder Hepatitis B/C sind besonders in nicht medizinischen Settings häufig. Der Konsum kann zudem zu einer Abhängigkeit führen: Über 30% der Konsumenten erfüllen Kriterien einer Androgenabhängigkeit.
Substanzqualität Ein Grossteil der Konsumenten bezieht IPED aus inoffiziellen oder illegalen Quellen. Studien belegen, dass 36% der Produkte auf dem Schwarzmarkt fehldeklariert und rund 37% von minderer Qualität sind. Das Wissen der Konsumenten stammt primär aus Online-Foren, von Fitness-Influencern oder Gleichgesinnten im Studio. Medizinische Fachpersonen werden nur selten konsultiert, was die Gefahr von Fehlinformationen und riskantem Selbstmanagement erhöht.
ars medici 11+12 | 2025 381
BERICHT
Stigmatisierung Obwohl ein erheblicher Teil der Konsumenten gesundheitliche Beschwerden entwickelt, sucht nur eine Minderheit professionelle Hilfe auf. Gründe hierfür sind u.a. die Angst vor Stigmatisierung, rechtliche Konsequenzen oder die Dokumentation in Krankenakten. Besonders Jugendliche sind von dieser Versorgungslücke betroffen, so Dr. Magnolini. Das mangelnde Vertrauen in das Gesundheitssystem zeigt die Notwendigkeit einer niedrigschwelligen, nicht stigmatisierenden Versorgung.
Rechtliche Grauzonen und Herausforderungen Die medizinische Betreuung von Menschen mit Anabolikakonsum stellt Fachpersonen vor erhebliche rechtliche Unsicherheiten. Einerseits gilt die ärztliche Aufklärungspflicht, andererseits bestehen Bedenken hinsichtlich Doping-Gesetzgebung und Strafrecht, besonders ausserhalb des Wettkampfsports. Die Betreuung bewegt sich daher in einem Spannungsfeld zwischen Suchtmedizin, Schadensminderung und Sportethik. «Projekte wie jene des Arud Zentrum für Suchtmedizin in Kooperation mit dem Institut für Hausarztmedizin Zürich sowie dem Drogeninformationszentrum Zürich zeigen, wie interdisziplinäre Ansätze erfolgreich greifen können», führte Dr. Magnolini aus. Ziel ist es, Menschen mit problematischem Anabolikakonsum nicht zu stigmatisieren, sondern ihnen Zugang zu objektiver Information und evidenzbasierter medizinischer Versorgung zu bieten. Pilotprojekte zeigen, dass sich solche Strukturen in den Regelbetrieb überführen lassen.
Leonie Dolder
LINKTIPPS
Arud: Anabolika-Sprechstunde Die Arud engagiert sich für Menschen, deren Gesundheit durch Substanzgebrauchsstörungen und/oder Verhaltenssüchte beeinträchtigt ist. Sie bietet u.a. eine interdisziplinär – Medizin, Psychia-
trie, Suchtmedizin, Sozialarbeit – betreute Anabolika-Sprechstunde für Betroffene ausserhalb des Wettkampfsports.
PZM AG: Sprechstunde «Medikamente im Fitness-Sport» Die Sprechstunde gehört zum Behandlungsangebot der Klinik für Psychose und Abhängigkeit der PZM Psychiatriezentrum Münsingen AG und bietet eine sportspezifische psychiatrisch-psychotherapeutische Betreuung bei psychischer Belastung
durch form- und leistungsfördernde Medikamente, die im Rahmen des Freizeitsports – z.B. Fitness, Bodybuilding – konsumiert werden.
Quelle: «Leistungssteigernde Substanzen im Sport – eine unterschätzte Epidemie». Ärztekongress Davos, 6.–8. Februar 2025, Davos
1. Sagoe et al.: The global epidemiology of anabolic-androgenic steroid use: a meta-analysis and meta-regression analysis. Ann Epidemiol. 2014 May;24(5):383-98. doi:10.1016/j.annepidem.2014.01.009
382 ars medici 11+12 | 2025