Transkript
INTERVIEW
«Viele Paare haben einen langen Leidensweg hinter sich»
Rund 10 Prozent aller Paare bleiben ungewollt kinderlos. Entsprechend gross ist die Nachfrage nach Methoden zur künstlichen Befruchtung. Je älter eine Frau ist, desto geringer sind die Aussichten auf Erfolg. Der Reproduktionsmediziner Peter Fehr ist aber der Meinung, dass jedes Paar das Recht auf eine realistische Einschätzung seiner Chancen hat.
FOTO: ZVG
Sprechstunde: Welches sind die häufigsten Ursachen, wenn sich der Kinderwunsch nicht erfüllt? Dr. med. Peter Fehr: Ein Drittel der Ursachen liegt bei der Frau. Meist handelt es sich um Verklebungen oder Verwachsungen an den Eierstöcken oder aber um hormonelle Störungen. Ein weiteres Drittel betrifft den Mann, weil die Spermienqualität ungenügend ist. Im letzten Drittel der Fälle schliesslich sind beide mitbeteiligt. Bei den hormonellen Störungen spielt das Alter der Frau eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren stieg das Durchschnittsalter von Frauen, die sich behandeln lassen, massiv an, von 33 auf 36 Jahre.
Dr. med. Peter Fehr ist Facharzt FMH für Gynäkologie und Geburtshilfe. Er führt in Schaffhausen ein Zentrum für Reproduktionsmedizin.
Das bedeutet, viele Paare, die zu Ihnen in Behandlung kommen, hätten wahrscheinlich einige Jahre früher gar kein Problem gehabt? Das trifft zu, denn die Anzahl und Qualität der Eizellen nimmt mit den Jahren stetig ab. Jede Frau ist von Geburt an mit mehr als 100 000 Eizellen ausgestattet. Man sollte berücksichtigen, dass die Eizellen einer 40-jährigen Frau ebenfalls 40 Jahre alt sind. Anders ist es bei den Spermien, sie werden immer wieder frisch produziert.
In-vitro-Fertilisation
Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) entnimmt der Arzt einer Frau reife Eizellen. Diese werden im Labor mit den Spermien zusammengebracht und kultiviert, bis sich die befruchtete Eizelle zu teilen beginnt. Die Spermien können aber auch mit einer hauchdünnen Nadel direkt in die Eizelle injiziert werden. Dadurch ist es möglich, mehrere Eizellen zu befruchten. Etwa zwei Tage nach Entnahme der Eizellen setzt der Arzt den Embryo mit einem Katheter in die Gebärmutter ein, in der Hoffnung, dass dieser sich dort einnistet. Der Brite Robert Edwards erforschte bereits in den Fünfzigerjahren Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung. Mithilfe seiner Methode, der In-vitro-Fertilisation, wurde 1978 Louise Brown, das erste künstlich gezeugte Kind, geboren. Inzwischen sind es weltweit mehr als 4 Millionen Kinder. Dieses Jahr wurde der 85-jährige Robert Edwards mit dem Nobelpreis für seine Pionierleistung in der Reproduktionsmedizin ausgezeichnet.
Eine Frau mit 20 hat also grössere Chancen, schwanger zu werden, als im Alter von 30 Jahren? Nein, erst ab einem Alter von etwa 32 bis 34 Jahren sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft allmählich, ab 36 bis 38 Jahren aber deutlich.
Mit welchen Methoden wird dem Kinderwunsch nachgeholfen? Wir unterscheiden, ob die Behandlung im Körper der Frau oder ausserhalb statt-
findet. Der Gynäkologe kann Hormonstimulationen vornehmen, die manchmal bereits helfen können. Statistisch erfasst wird jedoch nur die Invitro-Fertilisation, abgekürzt IVF. Hier werden Eizelle und Spermien ausserhalb des Körpers zusammengebracht. Im Jahr 2008 wurden in der Schweiz 8500 solcher Behandlungen durchgeführt, und jede vierte führte zu einer Schwangerschaft.
Nehmen die künstlichen Befruchtungen zu? Ja, seit 1995 steigen die Zahlen stetig, und ich denke, dass die Bereitschaft für solche Behandlungen in Zukunft weiter zunimmt. Das liegt auch daran, dass der Erfolg immer sichtbarer wird, denn jeden Tag werden in der Schweiz fünf Kinder geboren, die durch In-VitroFertilisation entstanden sind.
Wie lange sollte ein Paar auf natürlichem Weg versuchen, ein Kind zu bekommen? Man geht davon aus, dass es nach einem Jahr ungeschütztem Geschlechtsverkehr geklappt haben sollte. Dies trifft auf eine 30-jährige Frau zu, für eine 36-Jährige aber gilt dies schon nicht mehr. Ich halte es deshalb nicht für sinnvoll, es in diesem Alter ein Jahr lang zu probieren, und rate, besser schon nach 6 Monaten eine Abklärung vorzunehmen.
Das bedeutet, aus Ihrer Sicht warten Paare zu lange ab, bis sie sich ärztlichen Rat holen? Viele Paare haben bereits einen langen Leidensweg hinter sich, wenn sie in die Praxis kommen. Oft hätte sich diese Erfahrung durch eine frühzeitige Abklärung vermeiden lassen.
Wie viele Behandlungen braucht es für eine erfolgreiche künstliche Befruchtung und mit welchen Kosten ist zu rechnen? Im Durchschnitt sind 2 bis 3 Behandlungen nötig, oft sind es aber auch 4 oder mehr. Eine In-vitro-Fertilisation
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SCHWANGERSCHAFT
kostet rund 8000 Franken. Diese Kosten werden von den Krankenkassen nicht übernommen.
Eine Garantie auf Erfolg aber gibt es nicht? Jedes Paar hat das Recht auf eine realistische Einschätzung seiner Chancen. Dazu gehört auch, eine 44-jährige Frau darauf aufmerksam zu machen, dass die Uhr eben irgendwann abgelaufen ist. In diesem Alter ist die Chance wirklich sehr gering, dass die Frau mit eigenen Eizellen noch schwanger wird. Diese Tatsache muss ich jede Woche mehreren Paaren erklären.
Es gibt Frauen, die sich nach langem Hoffen damit abfinden, kinderlos zu bleiben – und dann schwanger werden. Spielen hier psychische Faktoren eine Rolle? Man darf den Einfluss der Psyche nicht überbewerten. Doch bei 10 bis 15 Prozent findet sich keine Erklärung für die
Unfruchtbarkeit, das heisst, es liegen keine organischen Ursachen vor. In diesen Fällen stehen dann meist psychische Faktoren im Vordergrund. Alternative Methoden wie Hypnose oder Akupunktur zum Stressabbau können hier unterstützend wirken.
Wann ist für Sie eine Behandlung aus ethischen Gründen nicht vertretbar? Das Fortpflanzungsmedizingesetz schreibt vor, dass beide Eltern in der Lage sein müssen, das Kind bis zur Volljährigkeit zu begleiten. 60-Jährige oder gar ältere Männer mit deutlich jüngeren Frauen zum Beispiel sollten also nicht mehr behandelt werden.
Verzweifelte Paare, die unbedingt ein Kind möchten, greifen oft nach jedem Strohhalm. Vor welchen Angeboten würden Sie grundsätzlich warnen? Wenn reisserische Versprechungen ge-
macht werden in Bezug auf hohe Erfolgsquoten. Diese sind aufgrund der Statistik meist unhaltbar und sollten Paare hellhörig machen.
Herr Fehr, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Interview führte Sabine Schritt.
INFO
In den Kinderwunschzentren der Städte Baden, Basel, Bern, Biel, Luzern, Schaffhausen, St. Gallen, Winterthur und Zürich (www.kinderwunsch.ch – IVF-Zentren) können sich Paare über künstliche Befruchtung informieren und sich beraten lassen. Auch die Schweizerische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin SGRM (www.sgrm.org) steht für Auskünfte zur Verfügung.