Transkript
Auch mit dickem Bauch bleiben
Die meisten Schwangerschaften verlaufen glücklicherweise ohne Komplikation. Doch gibt es Faktoren, die Probleme begünstigen. Einige dieser Risikofaktoren können werdende Mütter beeinflussen – in erster Linie durch genügend Bewegung.
von Marion Eberhard*
S chwanger zu sein ist ein ganz besonderes Erlebnis: Im Körper tut sich Wundersames, der Bauch wächst, und die Entstehung des neuen Menschleins wird immer deutlicher. Die Mehrheit der Frauen erlebt die Schwangerschaft als sorgenfreie Zeit ohne grössere Schwierigkeiten. Dies ist nicht selbstverständlich, denn unter bestimmten Voraussetzungen besteht ein erhöhtes Risiko, dass Komplikationen auftreten. Einige der Risikofaktoren können Frauen selbst beeinflussen, doch manchmal treten Komplikationen auch unverhofft auf. Wichtig ist, dass Schwangere diese Faktoren kennen und ihren Körper gut beobachten. «Die grössten allgemeinen Risikofaktoren sind Rauchen vor und während der Schwangerschaft, Übergewicht und das Alter der Mutter», erklärt Eva Kruschitz, Gynäkologin mit Praxis in Winterthur. Als Hochrisikogruppe gelten Frauen mit Bluthochdruck und Diabetikerinnen, die schwanger werden. Regelmässige Voruntersuchungen helfen mit, den Gesundheitszustand von
Mutter und Kind zu überwachen und den Verlauf der Schwangerschaft zu beurteilen. Üblich sind bis zur 30. Schwangerschaftswoche eine Untersuchung alle sechs Wochen, danach alle vier Wochen. So können viele Komplikationen frühzeitig erkannt und entsprechend behandelt werden.
Nicht zu stark schonen In der Schwangerschaft, so heisst es immer wieder, soll sich die Frau verwöhnen. Das ist richtig, wird aber manchmal falsch verstanden. «Vorsicht mit dem Essich-gut-gehen-lassen», warnt Eva Kru-
SPRECHSTUNDE 4/10
8
FOTOS: ISTOCKPHOTO
SCHWANGERSCHAFT
in Bewegung
schitz. «Viele Frauen verwechseln das mit zu viel Essen und zu wenig Bewegung oder glauben, vorzeitig mit Arbeiten aufhören zu müssen. Zu viel Schonung hat oft schwerwiegende Folgen: Übergewicht und Inaktivität schaden der Mutter mehr als man meint, und können sich auch nachteilig auf die Entwicklung des Ungeborenen auswirken. So haben übergewichtige Frauen ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftsdiabetes. Diese Erkrankung gefährdet auch die Gesundheit des Kindes, denn sie führt zu hohem Kindsgewicht mit Geburtskomplikationen. Die Gefahr solcher Komplikationen besteht aber auch bei übergewichtigen Müttern ohne Diabetes. «Deshalb ist es wichtig, dass die Frauen darauf achten, nicht mehr als 12 bis 15 Kilo zuzunehmen, und sich ausreichend bewegen», sagt die Gynäkologin. Ein weiteres Risiko bei Übergewicht und Bluthochdruck ist die Schwangerschaftsvergiftung, eine lebensbedrohliche Erkrankung für Mutter und Kind (siehe Kasten Seite 11).
Späte Mütter Auch wenn die Fortschritte in der Fortpflanzungstechnologie es heute möglich machen, dass 60-Jährige noch ein Kind bekommen: Eine Frau, die Mitte 30 zum ersten Mal schwanger wird, gilt bereits als Spätgebärende, und das Risiko, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen oder eine Fehlgeburt zu erleiden, steigt drastisch. Ab 40 Jahren, so die Statistik, erhöhen sich zusätzlich die gesundheitlichen Risiken für die Mutter. Zudem schnellt die Fehlgeburtsrate noch einmal in die Höhe wie auch die Gefahr von Schwangerschaftsdiabetes, Schwangerschaftsvergiftung und Plazenta-Ablösung. Ist Letzteres der Fall, wird das Kind von der mütterlichen Versorgung mit Nährstoffen abgeschnitten, und es muss –
unabhängig davon, ob es bereits lebensfähig ist – entbunden werden. Auch starker Eisenmangel kann dazu führen, dass das Ungeborene nicht genügend versorgt wird und vorzeitige Wehen auftreten. Für die meisten Fehl- und Frühgeburten ist jedoch das Rauchen verantwortlich. Zudem haben Babys von Raucherinnen häufig ein niedriges Geburtsgewicht, weil die Plazenta etwa ab der 34. Schwangerschafts-
Fortsetzung auf Seite 11
9 SPRECHSTUNDE 4/10
SCHWANGERSCHAFT
Fortsetzung von Seite 9
Schwangerschaftsvergiftung (Präeklampsie und Eklampsie)
Dies ist eine sehr ernstzunehmende Notfallsituation, die im letzten Drittel der Schwangerschaft, während oder kurz nach der Geburt eintreten kann. Die Frau erleidet einen Krampfanfall, der für sie, und je nach Zeitpunkt auch für das Kind, lebensbedrohlich ist. Eine Eklampsie ist nur durch eine rasche und frühzeitige Entbindung, wenn nötig durch Kaiserschnitt, zu stoppen. Mutter und Kind müssen intensivmedizinisch betreut werden. Die Eklampsie ist eine Folge der sogenannten Präeklampsie, die bei 3 bis 5 Prozent der Schwangeren nach der 20. Woche auftritt. Die Symptome sind stark erhöhter Blutdruck, Eiweiss im Urin und ausgeprägte Schwellungen an Armen und Beinen (Ödeme). Bei einer schweren Präeklampsie kommen starke Kopfschmerzen, Augenflimmern, Erbrechen, Bauchschmerzen und Reizempfindlichkeit hinzu. Bei diesen Beschwerden ist eine sofortige ärztliche Abklärung nötig. Eine Komplikation der Schwangerschaftsvergiftung ist das HELLP-Syndrom, bei dem die Blutgerinnung gestört ist und die Leber versagt. Symptome sind starke Schmerzen im rechten Oberbauch. Dank den heute üblichen regelmässigen Voruntersuchungen wird meist bereits die Vorstufe einer Schwangerschaftsvergiftung erkannt, weshalb Eklampsie und HELLP-Syndrom selten geworden sind.
Weitere Notfallsituationen Auch bei folgenden Beschwerden ist eine rasche ärztliche Abklärung notwendig: • gehäufte Bauchkrämpfe vor der 37. Schwangerschaftswoche: Hinweis auf eine drohende Frühgeburt • Blutungen und anhaltend harter Bauch (10 Minuten und länger): dies können Anzeichen für eine Ablösung der Plazenta sein • fehlende Kindsbewegungen ab der 24. Schwangerschaftswoche während zwölf Stunden trotz Weckversuchen.
woche verkalkt und dadurch das Ungeborene in seiner weiteren Entwicklung beeinträchtigt wird. Schlechte Startbedingungen also für das Kind, das während und nach der Geburt stark gefordert ist und deshalb viel Kraft und Reserven benötigt.
Frühzeitig abklären Alter, Rauchen und Übergewicht sind Faktoren, welche Frauen selbst beeinflussen können. Vorbeugen können sie auch durch frühzeitiges Abklären von bestimmten Infektionskrankheiten: «Wer Röteln, Masern und wilde Blattern noch nicht durchgemacht hat und nicht dagegen geimpft ist, startet mit einem Risiko in die Schwangerschaft», so Eva Kruschitz. Auch Infekte wie Blasenentzündung, Toxoplasmose oder Scheidenpilz sind für das Kind nicht ungefährlich. Die Folge können Lungenentzündungen, schwerwiegende Augenentzündungen oder sogar Missbildungen sein. Deshalb werden Schwangere routinemässig auf solche Infektionen untersucht. Es gibt Komplikationen, die auch bei guten Voraussetzungen auftreten können. Dazu gehört beispielsweise die Thrombose, ein Blutgerinnsel, meist in den Bei-
nen, das die Venen verstopft und den Blutabfluss behindert. Die Gynäkologin weist darauf hin, dass während der Schwangerschaft die Thromboseneigung sechsfach erhöht ist. 100-prozentig kann man Thrombosen nicht vorbeugen, es lohnt sich aber, Langstreckenflüge sowie langes Stehen und Sitzen zu vermeiden. Ausserdem empfiehlt Eva Kruschitz, bei Krampfadern oder Stauungen (Wassereinlagerungen in den Beinen) vorbeugend Kompressionsstrümpfe zu tragen und die Beine hochzulagern.
Gut investierte Zeit Zwar kann man nicht allen Schwangerschaftskomplikationen vorbeugen, doch ist schon viel getan, wenn die Frau aktiv bleibt und sich genügend bewegt, denn so beugt sie gleichzeitig Übergewicht vor. Geeignet sind Schwimmen, (Schwangerschafts-)Yoga, Bauchtanz, Rückengymnastik, Velofahren sowie regelmässige, ausgedehnte Spaziergänge. Eine Frau kann bis in den achten Schwangerschaftsmonat ihre gewohnten Tätigkeiten ausüben – verzichten sollte sie lediglich auf Sportarten mit Sturzgefahr oder Risikosportarten. Auch wenn der Bauch gross und grösser und die werdende Mutter
schwerfällig wird: Bewegung ist während der Schwangerschaft die am besten investierte Zeit.
*Marion Eberhard ist freischaffende Journalistin und lebt in Winterthur.
INFO
Literatur
Ratgeber für werdende Eltern, mit Themen zur Vorbeugung beziehungsweise Behandlung von Schwangerschaftsbeschwerden: Die Hebammensprechstunde, Ingeborg Stadelmann. Stadelmann Verlag 7. Auflage 2007, 479 Seiten, Fr. 40.90
Nachschlagewerk für Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit: 1000 Fragen an die Hebamme, Birgit Laue, Gräfe & Unzer 2008, 560 Seiten, Fr. 34.50
11 SPRECHSTUNDE 4/10