Transkript
Gastroenterologie
Funktionell oder organisch?
Bei chronischer Obstipation immer auf Alarmsignale achten
Obstipation im Kindesalter ist einer der häufigsten Gründe, den Kinderarzt aufzusuchen. Dr. med. Franziska Righini berichtete beim FOMF WebUp, worauf es bei der Abklärung und der Behandlung dieser Kinder ankommt.
Das Spektrum möglicher Ursachen für eine chronische Obstipation ist breit. In den bei Weitem häufigsten Fällen handelt es sich um eine funktionelle Obstipation. Eine chronische Obstipation kann aber auch auf organischen Fehlfunktionen beruhen. Dazu gehören beispielsweise anorektale Fehlbildungen, eine Störung des enterischen Nervensystems (M. Hirschsprung, Achalasie, Dysganglionosis), Spina bifida, Sacrumagenesie, inflammatorische Prozesse oder Stoffwechselprobleme. Keine Obstipation steckt hinter der infantilen Dyschezie, einem Phänomen, das bei Säuglingen im Alter bis zu 9 Monaten vorkommen kann. Die ansonsten gesunden Kinder strengen sich beim Stuhlgang extrem an und schreien. Es liegt aber keine Obstipation vor, denn der Stuhl ist weich. Die Dyschezie im Säuglingsalter verschwindet in der Regel von selbst.
Immer gründlich abklären
«Die Verstopften verstopfen die Sprechstunde!», diesen Stossseufzer hat wahrscheinlich schon so mancher Praktiker ausgestossen. An einem gewissen Zeitaufwand für die Abklärung komme man aber nicht vorbei, zumal es sich lohne, gerade am Anfang Zeit zu investieren, sagte Dr. med. Franziska Righini, stellvertrende Leiterin der Abteilung für pädiatrische Gastroenterologie am Luzerner Kantonsspital: «Wenn man sich Zeit zu Beginn nimmt, dann gewinnt man Zeit in der Zukunft.» Auf zwei Punkte ist besonders zu achten: ● Red Flags immer abfragen – auch wenn man sich
schon sicher zu sein glaubt, dass es eine funktionelle Obstipation ist. ● Immer eine sorgfältige klinische Untersuchung durchführen, dabei immer den Anus anschauen.
Definition der chronischen Obstipation im Kindesalter
Es müssen 2 oder mehr Kriterien mindestens 1-mal pro Woche erfüllt sein, und die Mindestdauer der Symptome muss 1 Monat betragen.
Säuglinge und Kleinkinder bis 4 Jahre
Kinder > 4 Jahre und Jugendliche
• 2 oder weniger Defäkationen pro Woche • exzessive Stuhlretention • schmerzhafter und/oder harter Stuhlgang • grosse fäkale Masse im Rektum
• 2 oder weniger Defäkationen pro Woche • mindestens 1 Episode mit Stuhlschmieren
oder Inkontinenz pro Woche • Retentionsmanöver • schmerzhafter und/oder harter Stuhlgang • grosse fäkale Masse im Rektum
Zu den Red Flags in der Anamnese gehören ein Beginn der Obstipation im 1. Lebensmonat, ein verzögerter Mekoniumabgang, Fälle von M. Hirschsprung in der Familie sowie eine vergrösserte Schilddrüse. Warnsymptome sind Gedeihstörungen, Fieber, Erbrechen, Blut im Stuhl (ohne Fissur oder Rhagade) sowie ein dünner Stuhlstrang (Bleistiftstuhl). Ein nicht normal wirkender Anus (Position, Fistel, Narben), das Fehlen von Kremaster- oder Analreflex, lumbosakrale Haarbüschel, eine asymmetrische Glutealfalte, ein auffälliges Gangbild sowie anormale Muskelreflexe der Beine (zu schwach oder zu stark) zählen zu den Red Flags bei der klinischen Untersuchung.
Langfristig behandeln
Zu Beginn der Langzeittherapie sollte das Kind häufiger
einbestellt werden. Prinizipiell soll möglichst immer mit-
hilfe oraler Substanzen abgeführt werden. Zäpfchen und
Einläufe sind zu vermeiden. Stuhlmassen im Rektum müs-
sen zu Beginn der Behandlung allerdings zuerst beseitigt
werden, wobei ein Einlauf als Notfallmassnahme zum
Einsatz kommen kann. Wichtig ist, das orale Laxans wäh-
rend der Langzeittherapie hoch genug dosiert und lang-
fristig zu geben. Man sollte es «so lange verabreichen
und in so hohen Dosen, wie es das Kind braucht», emp-
fahl die Referentin.
Für die Langzeittherapie kommen Lactulose (Duphalac®,
Gatinar®, Rudolac®) oder Macrogol (G 3350: Macrogol-
Mepha Junior, Movicol® Junior, Transipeg®; PEG 4000:
Laxipeg®) infrage. Für Kinder bis zu 2 Jahren ist Lactulose
die First-line-Option, für grössere Kinder müsste sie sehr
hoch dosiert werden. Ab diesem Alter ist Macrogol das
Laxans der ersten Wahl.
Manche Kinder wollen Macrogol wegen des Geschmacks
nicht (mehr) trinken. Pflaumen- oder Feigensaft werden
häufig als Alternativen genannt. Das Kind müsste davon
aber sehr viel trinken, um eine ähnliche Wirkung zu er-
reichen, und die Säfte allein würden bei schwerwiegen-
den Obstipationsproblemen und langjährigem Verlauf
definitiv nicht ausreichen, sagte Rhingini. Man könne es
allerdings durchaus einmal mit Kombinationen versu-
chen, wobei man immer an die potenziell schädliche Wir-
kung der süssen Säfte für die Zähne der Kinder denken
sollte.
Renate Bonifer
Dr. med. Franziska Righini: Obstipation und Darmmotilitätsstörung bei Kindern. FOMF WebUp Pädiatrie am 8. Februar 2022.
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Pädiatrie 2/22