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Titel
Kinderspitex: «Ein Fels in der Brandung»
Untertitel
Fragen und Antworten zur Rolle der Kinderspitex in der pädiatrischen Palliative Care
Lead
Die meisten Kinder, die der ambulanten pädiatischen Palliative Care (PPC) bedürfen, werden von der Kinderspitex betreut. Wir fragten Kinderspitex in verschiedenen Regionen der Schweiz, wie Wunsch und Wirklichkeit in der ambulanten PPC im Alltag der Kinderspitex aussehen.
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-
Rubrik
Schwerpunkt: Pädiatrische Palliativmedizin
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44599
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«Ein Fels in der Brandung»
Fragen und Antworten zur Rolle der Kinderspitex in der PPC

Schwerpunkt

Die meisten Kinder, die der ambulanten pädiatischen Palliative Care (PPC) bedürfen, werden von der Kinderspitex betreut. Wir fragten Kinderspitex in verschiedenen Regionen der Schweiz, wie Wunsch und Wirklichkeit in der ambulanten PPC im Alltag der Kinderspitex aussehen.

Wie viele Kinder mit lebenslimitierenden Erkrankungen betreuen Sie im Durchschnitt pro Monat? Kinderspitex Zentralschweiz: Wir betreuen monatlich zirka 35 Kinder mit lebenslimitierenden Erkrankungen. Kinderspitex Biel-Bienne Regio: Zurzeit betreuen wir 26 Kinder mit lebenslimitierenden Erkrankungen. Es dürften in den letzten Monaten ungefähr gleich viele gewesen sein, mit gewissen Schwankungen.
Welches Alter oder welche Erkrankungen stehen dabei im Vordergrund? Kinderspitex Zentralschweiz: Wir pflegen Patienten in allen pädiatrischen Altersstufen, vom Neugeborenen bis zum Jugendlichen. Den weitaus grössten Anteil stellen Kinder mit kardiologischen, neurologischen, onkologischen und Stoffwechselerkrankungen. Kinderspitex Biel-Bienne Regio: Das Alter der genannten Kinder und Jugendlichen reicht von 4 Monaten bis zu 17 Jahren. Im Alter von 0 bis 1 Jahr sind es zurzeit 5, von 1 bis 6 Jahren 8, von 7 bis 12 Jahren 5 und von 13 bis 17 Jahren 8 Patienten mit folgenden Erkrankungen: hämatologisch-onkologische Erkrankungen (7), Stoffwechselerkrankungen (5), Syndrome (5), kardiologische Erkrankungen (3), Muskelerkrankheiten (1) und weitere Erkrankungen (5), wie beispielsweise Zerebralparese oder Epilepsie.
Welche positiven Erfahrungen machen Sie im Betreuungsalltag? Kinderspitex Zentralschweiz: Die Familien schätzen die Pflege und Unterstützung durch die Kinderspitex sehr, besonders in der Phase am Lebensende des Kindes wird das explizit mitgeteilt. Ein gezielter Beziehungsaufbau bereits vor dieser Phase erleichtert es den Familien, die Unterstützung dann auch annehmen zu können. Kinderspitex Biel-Bienne Regio: Die Kinder und deren Familien schätzen die Betreuung, Pflege und Unterstützung durch die Kinderspitex sehr. In den allermeisten Fällen kann eine auf Vertrauen und Wertschätzung basierende Beziehung hergestellt werden, die für beide Seiten sehr bereichernd ist. Die Unterstützung seitens der Kinderspitäler ist im Grossen und Ganzen sehr gut, insbesondere seitens der pädiatrischen Onkologie. Bei den niedergelassenen Pädiatern

gibt es grosse Unterschiede bezüglich der Unterstützung, was aber eher an den begrenzten Ressourcen der Pädiater liegt als an einer mangelnden Bereitschaft. In den Spitälern ist der Betreuungsplan des PPCN (Paediatric Palliative Care Network) nun weitgehend Standard. Er ist ein sehr wertvolles Arbeits- und Dokumentationsinstrument für alle Beteiligten.
Wo sehen Sie im Kontext der Palliative Care ihre konkrete Rolle? Kinderspitex Zentralschweiz: Wir bieten an, zuhause die nötigen medizinischen Massnahmen zu übernehmen, die Bezugspersonen und Geschwister zu unterstützen, zu beraten und zu befähigen, mit der Situation umzugehen. Oft ist die Kinderspitex Drehscheibe beziehungsweise Schnittstelle der interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen den Palliative-Care-Teams in Luzern und Zürich, den Ärzten von Kinderspitälern und den Kinder- und Hausärzten. Kinderspitex Biel-Bienne Regio: Wir sehen unsere Rolle in der Unterstützung und Begleitung der Kinder und ihrer Familien zuhause angesichts der Herausforderungen des Alltags mit einer lebenslimitierenden Erkrankung. Dazu gehören die (Behandlungs-)Pflege, die Beratung und Koordination sowie, je nach Bedarf, auch das Case-Management. Wir arbeiten nach den Prinzipien des SENS-Modells (strukturierte Vorgehensweise anhand der Aspekte Symptommanagement, Entscheidungsfindung, Netzwerk und Support) und bieten Entlastung oder sorgen dafür, dass die Familie entlastet wird. Wichtig ist auch das Advanced Care Planning und Abklärungen mit den Versicherungen. Wir ermöglichen, je nach Wunsch des Kindes/der Familie das Leben und auch das Sterben Zuhause, und versuchen
Weitere Antworten finden Sie demnächst online!
Wegen der Coronaviruspandemie war es nicht allen angefragten Kinderspitex möglich, ihre Antworten noch vor Redaktionsschluss einzusenden. Wir werden diese darum nach und nach online ergänzen unter: https://www.rosenfluh.ch/paediatrie-2020-02  Redaktion PÄDIATRIE

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gerade auch das Sterben möglichst angstfrei und geborgen zu gestalten. Es geht aber in allen Situationen um das individuelle Eingehen auf die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes und der Familie. Wir möchten sozusagen ein Fels in der Brandung sein, ein ruhiger Hafen im Sturm.
Wo sehen Sie Probleme und zukünftige Herausforderungen? Kinderspitex Zentralschweiz: Die interprofessionelle Zusammenarbeit muss noch weiter ausgebaut und verstärkt werden. Dazu müssen der Beziehungs- und Vertrauensaufbau weitergeführt werden, es braucht Struktur und verlässliche Prozesse. Ausreichend bestens qualifizierte Mitarbeitende zur Verfügung zu haben, ist eine grosse Herausforderung für unseren Betrieb. All das braucht mehr finanzielle und personelle Ressourcen. Kinderspitex Biel-Bienne Regio: Bei Kindern mit komplexen Erkrankungen, die seitens des Spitals von verschiedenen Disziplinen betreut werden (z. B. Gastroenterologen, Neurologen, Chirurgen usw.) fehlt häufig eine zentrale ärztliche Ansprechperson beziehungsweise eine ärztliche Fallführung. Oft erschwert das den Alltag, wie zum Beispiel bei der Frage nach Verantwortlichkeiten, dem Betreuungsplan, der Organisation von runden Tischen und so weiter. Ein immer wieder auftretendes Problem ist, dass keine Hausbesuche durch die betreuenden Spitalärzte möglich sind und meistens auch nicht durch die betreuenden niedergelassenen Pädiater. Auch das relativ neu gegründete Palliativteam im Kinderspital Bern hat leider noch keine Kapazitäten für Hausbesuche. Das wäre jedoch sehr wünschenswert. Die meisten Familien haben keine Case-Managerin, die sich um all die vielen verschiedenen Belange kümmert oder die Familie dabei unterstützt, diese zu managen. So übernehmen wir seitens der Kinderspitex häufig auch Koordinationsaufgaben, die nicht immer verrechnet werden können. Viele Eltern sind überfordert, neben der aufwendigen Pflege die vielen administrativen Aufgaben zu bewältigen, wie seitenlange Formulare auszufüllen, Anträge zu schreiben und sich um alle Finanzierungen zu kümmern.

Hinzu kommt, dass meistens auch sämtliche Offerten selber eingeholt werden müssen (z. B. für Umbauten). Viele Familien erhalten nicht alle ihnen zustehenden Leistungen oder Hilfsmittel, weil ihnen schlicht die Energie für den grossen Aufwand fehlt, den es dafür benötigt. Fremdsprachige Eltern haben es dabei noch schwerer, weil sie die Formulare gar nicht erst verstehen.
Was sollte sich aus Ihrer Sicht ändern, um diese Probleme zu lösen? Kinderspitex Zentralschweiz: Das Bewusstsein für die Notwendigkeit und den Stellenwert der pädiatrischen Palliative Care muss gestärkt werden, indem der Bedarf aufgezeigt wird. Politische und interprofessionelle Massnahmen sind gefordert. Kinderspitex Biel-Bienne Regio: Notwendig sind aus unserer Sicht ● eine bessere Finanzierung von pädiatrischen Palliativ-
leistungen durch die Versicherer (dazu gehören auch das Case-Management, die Koordinationsleistungen und ärztliche Hausbesuche) ● die Definition eines fallführenden Arztes/einer fallführenden Ärztin, falls mehrere medizinische Fachgebiete zuständig sind ● mehr niedergelassene Pädiater, damit die bestehenden niedergelassenen Pädiater nicht so überlastet sind ● Aufstockung der Stellenprozente für das Palliativ-Team des Kinderspitals Bern, damit auch externe Besuche möglich sind ● Case-Manager seitens der Versicherer für die Familien, um diese in all den administrativen Belangen zu unterstützen und zu koordinieren ● mehr Unterstützung zum Beispiel seitens SHAB/IV-Hilfsmittelstelle beim Einholen von Offerten, dem Vermitteln von Handwerkern usw. Aufgrund der kurzen Abgabefrist sind die Angaben zu den Fragen nicht als vollständig oder abschliessend zu betrachten.
Die Fragen wurden beantwortet von Vreni Truttmann (Stv. Geschäftsleiterin, Kinderspitex Zentralschweiz) und Tabea Mantsch (Stv. Teamleiterin Kinderspitex Biel-Bienne Regio).

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