Transkript
Impfen
Persistierende Hautveränderungen an allen früheren Impflokalisationen
Lang andauernde, juckende Hauterscheinungen nach den üblichen Grundimmunisierungen sind häufiger als gemeinhin angenommen. Sie sind zwar harmlos, aber lästig. In der Regel besteht bei diesen Kindern eine Kontaktallergie gegen Aluminium.
Von Stephan Heinrich Nolte
E in vierjähriges, völlig gesundes Mädchen mit gänzlich unauffälliger Vorgeschichte, erstes und einziges Kind gesunder Eltern, wurde im September 2009 zur dritten FSME-Impfung vorgestellt. Die komplette Grundimmunisierung war planmässig im Säuglingsalter vorgenommen worden, nach der zweiten Sechsfachimpfung bestand eine längere Induration. Die beiden ersten FSME-Impfungen erfolgten beim Hausarzt im Februar und im März 2009. Nebenbefundlich fanden sich umschriebene juckende, papulöse, an Insektenstiche erinnernde Hauterscheinungen im Deltoideusbereich beider Oberarme. Es wurde eine Lokalbehandlung mit einer Zink-Schüttelmixtur verordnet und die dritte FSME-Impfung durchgeführt. Zwei Jahre später sollte vor der Einschulung erneut eine Impfung vorgenommen werden. Jetzt wurde, wiederum nebenbei, berichtet, dass das Mädchen seit längerer Zeit wegen der immer noch bestehenden Hauterscheinungen an beiden Oberarmen sowie an der Aussenseite des linken Oberschenkels bei verschiedenen Ärzten und Hautärzten in Behandlung gewesen sei, es seien verschiedene kortisonhaltige und andere Cremes verordnet worden, aber es habe sich nicht viel verändert. Es wurde die DTaP-IPV-Impfung vorgenommen.
Abbildung: Impfgranulome (Foto: Nolte)
Erst weitere zwei Jahre danach, im September 2013, kam das Mädchen wieder in die Praxis. Die Granulome waren zwischenzeitlich unverändert, es bestanden Kratzeffloreszenzen, der Juckreiz war zu «90 Prozent psychisch», wie der Vater berichtete In der Folgezeit war von den umschriebenen Hautveränderungen nicht mehr die Rede, bis das Mädchen im Juni 2016 anlässlich der anstehenden HPV-Impfung wieder in die Praxis kam. Jetzt fand sich der gegenüber 2011 über die Jahre lediglich durch Depigmentierungen und Vernarbungen veränderte, im Wesentlichen aber gleiche Befund.
Impfgranulom durch Kontaktallergie gegen Aluminium
Unter dem Verdacht auf eine Typ-IV-Allergie gegen Aluminium wurde an der Universitätshautklinik Marburg eine Testung mit Aluminium (leere Finn Chamber®) und Aluminium(III)-Chloridhexahydrat vorgenommen, bei der sich der Verdacht bestätigte. Aluminium (Al) ist ein seit über 80 Jahren gebräuchliches und weit verbreitetes Adjuvans in den pädiatrischen, inaktivierten Totimpfstoffen. Die Impfantigene werden dabei an schwerlösliches Aluminiumhydroxid oder -phosphat adsorbiert (Adsorbatimpfstoffe). Obwohl der Wirkmechanismus weitgehend unbekannt ist (1), ist eine Adjuvantierung für den Impferfolg unentbehrlich, sodass man auch vom «dirty little secret» der Totimpfungen spricht (2). Neben den seit Langem bekannten und traditionell auf eine falsche Injektionstechnik zurückgeführten Impfgranulomen und Fremdkörperreaktionen wird auch die makrophagische Myofasziitis mit aluminiumhaltigen Impfungen in Zusammenhang gebracht (3). Hierbei persistieren aluminiumhaltige Makrophagen am Injektionsort; inwieweit dies mit spezifischen klinischen Symptomen korreliert, wird kontrovers diskutiert. Die Sicherheit von Aluminium wird immer wieder betont, zuletzt in Deutschland durch das Paul-Ehrlich-Institut im September 2015 (4). Es seien keine wissenschaftlichen Analysen bekannt, die eine Gefährdung von Kindern oder Erwachsenen durch Impfungen mit aluminiumhaltigen Adjuvanzien zeigten. Gleiches gelte für Therapieantigene (5).
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Wie häufig ist das?
Im Jahre 2003 wurden bei systematischen Nachuntersuchungen persistierende juckende Knötchen bei 745 von 76 000 Kindern (0,98%) gefunden, die in klinischen Studien eines dänischen DTaP-Impfstoffs und mit handelsüblichen DTaP-IPV-HIB-Kombinationen in Schweden geimpft worden waren. Bei 77 bis 95 Prozent dieser Kinder wurde eine Kontaktallergie gegen Aluminium diagnostiziert. Die typischen Befunde waren eine Latenzzeit von im Mittel drei Monaten zwischen Impfung und Symptomen, ein intensiver Juckreiz an der Impfstelle mit Knötchen, Ekzemen, Depigmentierungen und Hypertrichose sowie eine Exazerbation bei interkurrenten Infekten oder Lebendimpfungen (wie etwa MMR). Der Verlauf war langwierig, im Mittel drei bis vier Jahre, und das Risiko stieg mit jeder erneuten Dosis eines aluminiumhaltigen Impfstoffs (6). In einer folgenden prospektiven Kohortenstudie, die in Östergötland, Schweden, durchgeführt wurde (7), wurden 4758 Kinder mit einem TDaP-IPV-HIB-Impfstoff (Infanrix® oder Pentavac®) einzeln oder gleichzeitig mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff (Prevenar®) geimpft. 38 Kinder (0,83%) entwickelten juckende Knötchen. Sie wurden epikutan auf eine Aluminiumsensibilisierung getestet und jährlich nachuntersucht. Eine Kontaktallergie fand sich bei 85 Prozent der Kinder, die mittlere Dauer der Symptome war 22 Monate. Das Risiko stieg von 0,63 auf 1,18 Prozent, wenn ein zweiter aluminiumadjuvantierter Impfstoff hinzugefügt wurde.
Prognose
Zur Prognose der Impfgranulome und zu einer bestätigten Aluminiumallergie gibt es nur wenige Daten. Bei einer Nachtestung war bei 186 der 241 getesteten Kinder (77%) keine Allergie mehr nachweisbar (8).
Wesentliches für die Praxis
G Lang andauernde, juckende Hauterscheinungen und Impfgranulome nach den üblichen Grundimmunisierungen sind häufiger, als gemeinhin angenommen wird.
G Mit der Anzahl der Impfungen steigt die Reagibilität.
G Diese Hauterscheinungen sind harmlos, aber lästig.
G Bei den betroffenen Kindern liegt in der Regel eine Kontaktallergie gegen Aluminium vor.
G Weitere Impfungen, aber auch Immunotherapien mit aluminiumadjuvantierten Allergenen können die Symptome wieder verstärken.
G Mit der Zeit scheinen die meisten dieser Kontaktallergien aber wieder zu verschwinden.
G Aluminiumhaltige Kosmetika und Dermatologika, etwa in Deosprays, können bei einer Sensibilisierung eindrucksvolle Hautreaktionen verursachen.
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Impfen
Ein negativer Test korrelierte mit Nachlassen des Juckreizes an den Impfstellen, mit dem Alter des Kindes, mit dem Zeitabstand von der ersten Impfung und dem Ausmass der Erstreaktion, sodass geschlossen werden kann, dass die Reagibilität gegenüber Aluminium mit der Zeit nachlässt.
Diskussion
Weil «nicht schwerwiegende» unerwünschte Reaktionen vom Zulassungsinhaber nicht als Einzelfallbericht an das Paul-Ehrlich-Institut zu melden sind, ist davon auszugehen, dass Impfgranulome in Deutschland nicht gemeldet werden, zumal sie nicht einem einzelnen bestimmten Impfstoff, sondern dem Adjuvans zuzuordnen sind. Im ähnlich gelagerten Fall der Therapieantigene wurden dem Paul-Ehrlich-Institut von 1986 bis 2013 im Rahmen der Spontanerfassung nur «wenige Fälle von Lokalreaktionen, darunter wenige Einzelfälle mit Granulomen oder Knötchen», gemeldet, was vor dem Hintergrund der grossen Zahl von Behandlungen sehr gering ist. Angesichts der skandinavischen Zahlen von fast 1 Prozent aller geimpften Kinder ist von einer Untererfassung auszugehen. Der vorgestellte Fall unterstreicht den langwierigen, mit jeder Impfung erneut exazerbierten Verlauf.
Korrespondenzadresse: Dr. Stephan Heinrich Nolte Kinder- und Jugendarzt Alter Kirchhainer Weg 5 D-35039 Marburg/Lahn E-Mail: shnol@t-online.de www.nolte-marburg.de
Interessenlage: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Beitrag besteht.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift «Kinderärztliche Praxis» 3/2018. Der Nachdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Autoren und Verlag; kleine, formale Anpassungen erfolgten durch die Redaktion der PÄDIATRIE.
Literatur: 1. Ghimire TR: The mechanisms of action of vaccines containing aluminum adjuvants: an in vitro vs in vivo paradigm. SpringerPlus 2015; 4: 181. 2. Woodland DL, Blackman MA: Vaccine development: baring the ‘dirty little secret’. Nature Medicine 2005; 11: 715–716. 3. Israeli E, Agmon-Levin N, Blank M: Macrophagic myofasciitis, a vaccine (alum) autoimmune-related disease. Clinical Rev Allerg Immunol 2011; 41: 163–168. 4. Weisser K, Heymans L, Keller-Stanislawski B: Sicherheitsbewertung von Aluminium in Impfstoffen. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 2015; 3: 7–11. 5. http://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit-vigilanz/archivsicherheitsinformationen/2014/ablage2014/2014-01-21-sicherheitsbewertung-von-aluminium-in-therapieallergenen.html, abgerufen am 19.1.2017. 6. Bergfors E, Trollfors B, Inerot A: Unexpectedly high incidence of persistent itching nodules and delayed hypersensitivity to aluminium in children after the use of adsorbed vaccines from a single manufacturer. Vaccine 2003; 22: 64–69. 7. Bergfors E et al.: How common are long-lasting, intensely itching vaccination granulomas and contact allergy to aluminium induced by currently used pediatric vaccines? A prospective cohort study. Eur J Pediatr 2014; 173: 1297–1307. 8. Lidholm AG et al.: Unexpected loss of contact allergy to aluminium induced by vaccine. Contact Dermatitis 2013; 68: 286–292.
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Statt sofort zum Kinderarzt zu gehen, wäre es für viele Kinder oft gesünder und stressfreier, den Verlauf einer Erkrankung mit Ruhe und Zuwendung zu beobachten, rät der Kinder- und Jugendarzt Dr. med. Stephan H. Nolte. In seinem neuen Ratgeber schildert er, bei welchen Symptomen und Krankheiten diese Strategie möglich ist und wann man unbedingt rasch einen Arzt aufsuchen sollte. Er erinnert daran, dass Krankheitssymptome ihren Sinn haben und nicht immer mit Arzneimitteln bekämpft werden müssen. Kranke Kinder wussten zudem oft selbst, was ihnen gut tut. Man sollte ihnen nicht einreden, dass sie nur mit Pillen, Tropfen, Kügelchen oder Zäpfchen wieder gesund werden könnten.
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