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Lymphom, Kolorektalkarzinom, Rektalkarzinom, Nierenzellkarzinom
Aktualisierte ESMO-Guidelines 2025 im Überblick
Die Europäische Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) hat in den vergangenen Monaten eine Reihe wichtiger klinischer Praxisleitlinien (Clinical Practice Guidelines, CPGs) aktualisiert. Diese Leitlinien bieten eine evidenzbasierte Orientierung für Diagnostik, Therapie und Nachsorge bei zentralen Tumorentitäten. Neben der Abbildung etablierter Standards spiegeln sie auch die rasche Dynamik der onkologischen Forschung wider: Neue molekulare Marker, innovative Substanzen sowie individualisierte Therapieansätze finden Eingang in konkrete Behandlungspfade und Entscheidungsalgorithmen.
Lymphom: Neue Leitlinien reflektieren deutlich erweiterte Therapieoptionen Die vorliegende klinische Praxisleitlinie (‚clinical practice guideline‘, CPG) der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) bietet einen aktuellen Überblick über das Management der sieben häufigsten systemischen Lymphomerkrankungen: diffus grosszelliges B-Zell-Lymphom (DLBCL), primäres ZNS-Lymphom (PCNSL), follikuläres Lymphom (FL), Mantelzell-Lymphom (MCL), Marginalzonen- Lymphom (MZL), Hodgkin-Lymphom (HL; ohne noduläres lymphozytenprädominantes HL) sowie nodale periphere TZell-Lymphome (PTCL).
Für jede Entität werden evidenzbasierte Empfehlungen für zentrale Bereiche wie Stadieneinteilung und Risikobewertung ausgesprochen. Die Diagnose sollte – wann immer möglich – auf einer chirurgischen Biopsie basieren (gewährleistet adäquate histopathologische Beurteilung und erlaubt ausreichend Gewebe für immunhistochemische und molekulare Untersuchungen). Ist eine chirurgische Biopsie nicht möglich, kann eine Stanzbiopsie (Core-Needle-Biopsy), idealerweise in Kombination mit einer Feinnadelbiopsie (FNAB), für das initiale Vorgehen ausreichend sein.
Das Autorenteam stellt zudem klar strukturierte Therapiealgorithmen bereit, von der Erstlinientherapie bis hin zu Refraktärität oder Rezidiv. Damit soll auch der Anspruch der Leitlinie reflektiert werden, eine möglichst praktische Hilfe für klinische Entscheidungspfade anzubieten.
Denn die jüngsten Zulassungen innovativer, nicht-chemotherapiebasierter Ansätze haben die therapeutische Landschaft bei Lymphomen mittlerweile deutlich erweitert. Die neuen Leitlinien enthalten dementsprechend Empfehlungen nicht nur für Therapien mit Biologika (zum Beispiel Rituximab, Obinutuzumab, Tafasitamab) und BTK-Inhibitoren (Ibrutinib), sondern auch für den Einsatz der als vielversprechend eingestuften neuen bispezifischen Antikörper wie Odronextamab (CD20/CD3) beziehungsweise Epcoritamab (CD3/CD20)
oder für das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Polatuzumab Vedotin (Mitosehemmstoff + CD79b-Antikörper).
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Referenz: Eyre T et al.: Lymphomas: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol. Published online August 5, 2025. doi:10.1016/j.annonc.2025.07.014
Living-Guideline zum metastasierten kolorektalen Karzinom Ein Fokus dieser ESMO-Leitlinie liegt auf der Diagnose: Betont wird hierbei die Bedeutung des Testens aller Patienten auf dMMR/MSI-H, KRAS- und NRAS-Mutationen sowie BRAF-V600E, da diese Marker prognostisch relevant sind und zudem die Therapieentscheidung beeinflussen, insbesondere für den Einsatz von Anti-EGFR- oder Immuncheckpoint-Inhibitoren. Bei RAS-wildtyp(wt)-Patienten sollte zusätzlichdie HER2-Überexpression/-Amplifikation bestimmt werden. Multigene-Next-Generation-Sequenzierung (NGS) kann darüber hinaus KRAS-G12C- oder POLE-Mutationen aufdecken; vor 5-FU-basierter Chemotherapie wiederum ist die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase-Testung obligatorisch, um toxische Nebenwirkungen zu vermeiden.
Beim Staging kann neben einer kontrastmittelunterstützten Computertomographie (CT) eine FDG–PET-Untersuchung insbesondere dann sinnvoll sein, wenn Tumormarker erhöht sind, ohne dass sich bereits metastatische Herde nachweisen lassen, oder um das Ausmass der metastatischen Erkrankung bei potenziell resezierbaren Metastasen zu bestimmen.
In der Behandlung einer potenziell resektablen Erkrankung gilt: Bei resektablen Metastasen kann eine perioperative Systemtherapie oft entfallen, insbesondere bei guter Prognose und operativer Machbarkeit.
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Eine Resektion oder Ablation kann laut Leitlinien auch nach unzureichender Erstlinienchemotherapie sinnvoll sein, wobei eine intraarterielle Chemotherapie die Resektabilität erhöhen kann. Bei isolierten Peritonealmetastasen wird eine komplette zytoreduktive Operation empfohlen, hingegen bleibt die HIPEC (Hypertherme Intraperitoneale Chemotherapie) experimentell. Die Empfehlungen für oligometastatische oder metastasierte Erkrankung werden als Algorithmen je nach Mutation dargestellt.
Cave Tumorseite: Anti-EGFR-Antikörper sind bei linksseitigen RAS-wt-Tumoren indiziert (mit dem Ziel der kompletten Resektion), hingegen sind bei rechtsseitigen und/oder RAS-mutierten Tumoren FOLFOXIRI–Bevacizumab oder gegebenenfalls eine zytotoxische Doppeltherapie plus Bevacizumab zu bevorzugen.
Patienten, die aktiv behandelt werden, sollten alle acht bis zwölf Wochen radiologisch kontrolliert werden (meist mittels CT oder Magnetresonanztomografie). Bei Patienten mit radikal resezierter metastatischer Erkrankung und kurativem Potenzial ist in den ersten zwei Jahren eine Überwachung alle drei Monate sinnvoll, danach alle sechs Monate.
Die Leitlinie ist als «Living Guideline» konzipiert, sie wird also fortlaufend aktualisiert, um zeitnah neue Studiendaten, Zulassungen und Therapieoptionen abbilden zu können.
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Referenz: Cervantes A et al.: ESMO Metastatic Colorectal Cancer Living Guidelines, v1.3 July 2025. basierend auf: Metastatic colorectal cancer: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol. 2023;34(1):10-32. ESMO Metastatic Colorectal Cancer Living Guidelines, v1.3 July 2025
Aktualisierte Guideline zum lokalisierten Rektalkarzinom Fast ein Drittel aller kolorektalen Karzinome (CRC) gehen auf Rektumkarzinome zurück, im Alter von 50 bis 64 Jahren sind es sogar 40 Prozent der CRC-Fälle. Diese können symptomatisch sein, werden jedoch zunehmend durch bevölkerungsbasierte Screeningprogramme erkannt.
Die aktualisierte ESMO-Leitlinie zum lokalisierten Rektumkarzinom behandelt Bildgebung und Diagnostik, Stadieneinteilung und Risikobewertung sowie Therapie und Nachsorge. Für die Behandlung von lokalisiertem und lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom werden konkrete Management-Algorithmen bereitgestellt. Einige Empfehlungen: • Bei der Diagnosestellung sollte der MSI- und/oder MMR-
Status bei allen Patienten anhand von Biopsiematerial bestimmt werden; Analysen von RAS-, BRAF-V600E-, NTRK- und HER2-Status haben derzeit keinen Einfluss auf die Therapie lokal begrenzter Tumoren und werden daher nicht empfohlen. • Die Lokalisation spielt auch bei dieser Tumorentität eine Rolle: Rektumkarzinome in den unteren und mittleren Dritteln sind besonders anfällig für chirurgische Kompli-
kationen und lokale Rezidive, sodass die Rezidivprophylaxe in diesen Fällen ein zentrales Therapieziel darstellt. Bei Karzinomen im oberen Drittel wiederum ist der Nutzen einer Strahlentherapie (RT) sehr begrenzt, sodass ein Vorgehen analog zum Kolonkarzinom bevorzugt werden kann. • Qualitätsgesicherte bildgebende Verfahren können Patienten mit sehr niedrigem Risiko für lokale Rezidive identifizieren, bei denen eine neoadjuvante RT oder Chemoradiotherapie (CRT) unter bestimmten Voraussetzungen weggelassen werden kann. • Eine Standardtherapie für das klinische Stadium II–III existiert nicht mehr, vielmehr spielen therapeutische Intentionen wie Organerhalt oder Minimierung von Toxizitäten eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der Behandlung.
Die neoadjuvante CRT oder Kurzzeit-RT (SCRT) kann bei Hochrisiko-Tumoren oder bei angestrebtem Organerhalt durch eine neoadjuvante Chemotherapie ergänzt werden – das sogenannte Total Neoadjuvant Therapy (TNT)-Konzept. Die Leitlinie beschreibt die Radiotherapie in diesen Settings getrennt für konventionelle CRT, SCRT und TNT sowie für die neoadjuvante und Organerhaltssituation. Zudem enthält sie Empfehlungen für chirurgische Eingriffe, den «watch and wait» Ansatz (mit zunehmender Evidenz bei klinisch komplettem Ansprechen) und die adjuvante Therapie, mit Hinweis auf die späten Komorbiditäten dieser Therapien (erektile Dysfunktion, Dyspareunie, Harninkontinenz), die im Followup zu berücksichtigen sind.
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Referenz: Hofheinz R-D et al.: ESMO Living Guideline: Localised Rectal Cancer, v1.0 July 2025, basierend auf Localised rectal cancer: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol. 2025;36(9):1007-1024.
Guidelines zum Nierenzellkarzinom: von Zufallsbefund bis Systemtherapie Die Inzidenz von Nierenzellkarzinomen (RCC) steigt kontinuierlich, was sich teilweise durch die zunehmende Anzahl zufällig entdeckter Tumoren bei bildgebenden Untersuchungen zurückführen lässt (die klassische Trias aus Flankenschmerz, makroskopischer Hämaturie und tastbarem abdominellem Tumor ist heutzutage selten). Aufgrund verbesserter therapeutischer Optionen sind die Mortalitätsraten leicht rückläufig.
Für ein präzises Staging von Nierenzellkarzinomen aller Stadien ist eine kontrastverstärkte Computertomographie (CT) von Thorax, Abdomen und Becken erforderlich. Bei fortgeschrittener Erkrankung sind zusätzlich Magnetresonanztomographie (MRT) und Knochenszintigraphie vor Beginn einer systemischen Therapie wünschenswert; eine PositronenEmissionstomographie (PET) wird für das Routine-Staging
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oder die Beurteilung von RCC hingegen nicht empfohlen. Die Histopathologie dient der Bestimmung des Tumor-
subtyps und sollte vor Beginn einer systemischen Behandlung vorliegen. Die aktuelle WHO-Klassifikation ist nicht zwingend erforderlich, entscheidend ist vielmehr die Zuordnung zu etablierten Subtypen mit klaren Therapiealgorithmen wie klarzelligem (ccRCC) oder papillärem RCC (pRCC).
Eine genetische Abklärung wird empfohlen bei jungen Patienten, multiplen oder bilateralen Tumoren, positiver Familienanamnese, bekannten prädisponierenden Erkrankungen oder ausgeschöpften Standardtherapien. • Für lokalisierte RCC bleibt die chirurgische Resektion der
Behandlungsstandard. Bei kleinen Tumoren (T1 ≤4 cm) sind mehrere nephronsparende Strategien empfohlen, von aktiver Überwachung bis partieller Nephrektomie. • Bei Patienten mit Keimbahn-VHL-Mutationen kann das Antineoplastikum Belzutifan (ein neuartiger Inhibitor des Hypoxie-induzierbaren Faktors-2α, HIF-2α) eine Operation zu vermeiden helfen. • Die adjuvante Pembrolizumab-Therapie sollte bei Patienten mit intermediär-hohem oder hohem Risiko nach klarzelligem RCC erwogen werden, während adjuvante VEGFR-Inhibitoren hier nicht empfohlen werden.
Beim fortgeschrittenem / metastasiertem RCC werden als Erstlinientherapie Kombinationen aus PD-1-Inhibitor + VEGFR-TKI empfohlen, aber auch Alternativen bei günstigem Risiko oder Kontraindikationen gegen ImmuncheckpointInhibitoren (ICI) genannt. Dabei gilt: ICIs können nach zwei Jahren pausiert werden, während VEGFR-TKI-Therapiepausen die Wirksamkeit nicht beeinträchtigen.
Empfehlungen zur Zweitlinientherapie, Strahlentherapie und Bisphosphonaten sowie zum Follow-up und Überleben vervollständigen die Leitlinien.
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Referenz: Powles T et al.: ESMO Renal Cell Carcinoma Living Guideline, v1.1 June 2025, basierend auf Renal cell carcinoma: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol. 2024;35(8):692-706.
Lydia Unger-Hunt
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