Transkript
Im Fokus: Gastrointestinale Malignome
Immuncheckpoint-Blockade bei gastrointestinalen Tumoren
Indikationen und Nebenwirkungspotenzial – frühe klinische Studien
Das Immunsystem ist bei der Behandlung von malignen Tumoren zu einem wichtigen Partner geworden. In den letzten Monaten gab es erste klinische Daten, die darauf hinweisen, dass das Immunsystem auch zur Behandlung von Tumoren des Gastrointestinaltraktes aktiviert werden kann.
THOMAS WINDER1,2, DANIEL HELBLING3,4, ULF PETRAUSCH3,5
SZO 2017; 4: 11–14.
Thomas Winder Daniel Helbling Ulf Petrausch
Das Immunsystem kann man sich als Waage vorstellen, bei der auf der einen Waagschale stimulierende und auf der anderen blockierende Mechanismen liegen. Diese Mechanismen sind fein aufeinander abgestimmt, bieten somit einen Schutz vor krankheitserregenden Strukturen (Viren, Bakterien und Fremdsubstanzen) und ermöglichen gleichzeitig die Vermeidung von Autoimmunität. Seit den Jahren ab 2000 sind immer mehr dieser Mechanismen auf beiden Seiten der Waage identifiziert worden. Die sogenannten «immune regulatory checkpoints» sind Moleküle, die das Immunsystem blockieren können. Ein klinisch genutzter Immuncheckpoint ist PD-L1. Dieser wird auch von gastrointestinalen Tumoren exprimiert, ohne dass hier die biologische Rolle und der Stellenwert als Biomarker gänzlich geklärt sind. Die Immuncheckpoints wie PD-1/PD-L1 kontrollieren CD8+-Killer-T-Zellen. Diese Zellen erkennen mit ihren T-Zell-Rezeptoren (TZR) verschiedene Zielstrukturen, darunter gesunde, körpereigene Zellen, aber auch maligne, veränderte Zellen. Nach Aktivierung der TZR werden intrazelluläre Signalkaskaden ausgelöst, die dazu führen, dass die T-Zelle eine andere Zelle abtöten kann. Die immunologische Bremse –
ABSTRACT
Checkpoint inhibition in malignancies of gastro-intestinal tract
Checkpoint inhibition is now tested also as monotherapy for patients with malignancies of gastro-intestinal tract. The newest results indicating that there is a subpopulation of patients which will clinically benefit from checkpoint inhibition. However there are – like in other malignant diseases – no clear biomarkers to predict clinical benefit. Only microsatellite instability can be used with some success. Checkpoint inhibition is well tolerated even in the presence of hepatitis. No new safety signals were found in patients with malignancies of gastro-intestinal tract. We believe that the checkpoint inhibition as monotherapy will become an important therapeutic measure and we describe herein the most recent clinical results.
Keywords: Checkpoint inhibition, Immunsystem, Mikrosateliteninstabilität.
der Immuncheckpoint – kann therapeutisch durch monoklonale Antikörper gegen PD-1 oder PD-L1 blockiert werden.
Checkpoint-Blockade bei Kolorektalkarzinomen
Bis vor Kurzem waren die klinischen Daten mit Immuncheckpoint-Inhibitoren beim metastasierten Kolorektalkarzinom (mKRK) enttäuschend und zeigten kein Ansprechen auf die Behandlung. Auf dem European Cancer Congress in Wien (ECC 2015) wurden vorläufige Ergebnisse der Studie KEYNOTE-028 präsentiert. Im Rahmen dieser Phase-Ib-Studie werden PD-L1-positive fortgeschrittene Adenokarzinome des Kolons mit Pembrolizumab behandelt. Von den bisher 23 eingeschlossenen Patienten zeigte jedoch lediglich 1 Patient ein Therapieansprechen. Dieser eine Patient zeigte aber etwas Richtungsweisendes: Bei ihm konnte eine Mikrosatelliteninstabilität festgestellt werden. Rund 3 bis 5% der mKRK besitzen einen mikrosatellisteninstabilen Tumor. Eine Studie von Xiao und Kollegen konnte diese Beobachtung in einer grösseren Patientengruppe wiederholt zeigen. Tumoren von Patienten mit einem mKRK und einem defekten DNA-Reparatursystem (mikrosatelliteninstabile Tumoren; MSI-H) haben multiple Mutationen, die wiederum als Neoantigene dem Immunsystem präsentiert werden (Abbildung). Im Rahmen einer klinischen Phase-II-Studie wurde diese Hypothese getestet. Dabei konnte gezeigt werden, dass Patienten mit mikosatelliteninstabilem mKRK ein signifikant besseres progressionsfreies (PFS) und Gesamtüberleben (OS) hatten. Das mediane PFS und OS wurden in der Gruppe der MSI-H-mKRK noch nicht erreicht, und in der Gruppe der mikrosatellitenstabilen (MSS) Patienten lag es bei 2,2 respektive 5,0 Monaten.
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ten mit MSS-mKRK ebenfalls von einer Immuntherapie profitieren könnten. Im Rahmen einer präklinischen Studie konnte gezeigt werden, dass MEK-Inhibitoren zu einer intratumoralen T-Zell-Akkumulation und MHC-I-Hochregulation führen und damit den Tumor immunogen machen. Dies wirkt synergistisch mit einer anti-PD-L1-Behandlung und kann zu einem anhaltenden Ansprechen führen. Diese präklinischen Daten wurden in einer klinischen Phase-Ib-Studie bestätigt, bei der 3 von 4 Patienten mit MSS-mKRK von einer Kombinationsbehandlung aus MEK-Inhibitor und Checkpoint-Inhibitor profitierten. Dies sind jedoch noch sehr frühe klinische Ergebnisse, die derzeit in grösseren Studien validiert werden und deshalb noch keinen Einfluss auf den klinischen Alltag haben.
Abbildung: Tumoren von mKRK-Patienten mit einem defekten DNA-Reparatursystem (mikrosatelliteninstabile Tumoren; MSI-H) haben multiple Mutationen, die wiederum als Neoantigene dem Immunsystem präsentiert werden. Rund 3 bis 5% der mKRK besitzen einen mikrosatelliteninstabilen Tumor (adapt. nach Xiao Y et al.; 2015).
Indikationserweiterungen für Pembrolizumab und Nivolumab durch die FDA Basierend auf diesen und weiteren Daten kam es in den USA zu einer sehr interessanten Indikationserweiterung für Pembrolizumab (anti-PD-1). So hat die US Food and Drug Administration (FDA) Pembrolizumab unabhängig von der Entität bei allen Tumoren mit einer Mikrosatelliteninstabilität nach Versagen einer Standardtherapie zugelassen. Somit hat die Immuntherapie bei der Subgruppe der MSI-H-mKRK und den nicht kolorektalen Tumoren einen festen Stellenwert. In Zukunft werden bei dieser Population Kombinationstherapien getestet werden. Erste Ergebnisse liegen bereits für die Kombination von Ipilimumab (anti-CTLA4) und Nivolumab (anti-PD-1) vor. Diese Kombination führt zu einem numerisch gesteigerten Ansprechen im nicht randomisierten Vergleich zu einer alleinigen Nivolumab-Therapie. Im klinischen Alltag stellt sich immer wieder die Frage, ob wir das Therapiespektrum der Patienten mit MSI-H-mKRK erweitern und damit einen per se nicht immunogenen Tumor zu einem immunogenen verändern können. Es gibt diesbezüglich erste Hinweise, dass durch eine Kombinationstherapie Patien-
Checkpoint-Blockade bei Leberzellkarzinomen
Das Leberzellkarzinom ist aufgrund seiner Assoziation zur Hepatitisinfektion immunologisch ein sehr spannendes Feld. Die Hepatitisinfektion führt zu einer chronischen antiviralen Immunantwort. Als Konsequenz sind Immuncheckpoints hochreguliert. Bei der Entwicklung der Immuncheckpoint-Blockade gab es die Befürchtung, dass die Blockade zu einer Reaktion gegen das Hepatitisvirus führen und als Folge in eine fulminante Hepatitis münden könnte. Daher wurde eine Dosiseskalation bei Patienten mit Leberzellkarzinomen mit und ohne Hepatitis B oder C durchgeführt (Checkmate 040 Study, ASCO-GI 2017) (Tabelle). Hierbei zeigten sich in Bezug auf die Toxizität keine dramatischen Unterschiede. Das mediane Überleben unter der Immuntherapie betrug bei mit Sorafenib nicht vorbehandelten Patienten 14,1 Monate und bei vorbehandelten 15 Monate. Die Ansprechrate lag bei 19%, und es kam auch zu Fällen mit komplettem Ansprechen. In Anbetracht der unerwartet nicht erhöhten Toxizität sind dies sehr ermutigende Ergebnisse, die die Weiterentwicklung der PD-1/PD-L1-Blockade beim Leberzellkarzinom sicher rechtfertigen und beflügeln werden.
Checkpoint-Blockade bei Magenkarzinomen
Nivolumab wurde bei Patienten mit metastasierten Magenkarzinomen oder distalen Ösophaguskarzinomen in einer klinischen Studie der Phase III getestet (ONO-4538/BMS-936558). Hierbei konnte gegenüber Plazebo das 12-Monate-Überleben von 10,9 auf 24,6% gesteigert werden. Das mediane Überleben verbesserte sich signifikant von 4,1 auf 5,3 Monate. Da asiatische Patienten deutlich häufiger an diesem Tumortyp erkranken, wurde diese Studie mit solchen Patienten durchgeführt. Am ASCO-Jahreskongress 2017 wurden diese Daten aber auch bei europäischen Patienten mit Pembrolizumab zumindest in einer
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Sicherheit in der Dosis-Eskalations-Phase mit Nivolumab bei HCC-Patienten
(gemäss Checkmate-040-Studie; Melero, 2017)
Tabelle: Toxizitätsprofil der Checkmate-040-Studie bei Patienten mit Leberzellkarzinomen (HCC). Eine Dosiseskalation von Nivolumab wurde bei HCC-Patienten mit und ohne Hepatitis B oder C durchgeführt. Hierbei zeigten sich in Bezug auf die Toxizität keine dramatischen Unterschiede. Abkürzungen: HCV: infiziert mit Hepatis-C-Virus; HBC: infiziert mit Hepatitis-B-Virus.
grösseren Phase-II-Studie mit 259 Patienten im Wesentlichen bestätigt (KEYNOTE-059; Kohorte 1). Auch bei metastasierten Magenkarzinomen respektive distalen Ösophaguskarzinomen wurde der Versuch durchgeführt, das Ansprechen durch die Kombination von Nivolumab mit Ipilimumab zu steigern (Studie Checkmate 032). Es scheint, dass von dieser Kombination vor allem Patienten mit PD-L1-positiven Tumoren profitieren.
Immuntherapien bei Pankreaskarzinomen
Beim metastasierten Pankreaskarzinom wurde eine komplexe Immuntherapie im Rahmen einer multizentrischen, randomisierten Phase-II-Studie bei vorbehandelten Patienten untersucht. Diese Studie bestand aus 3 immunmodulierenden Substanzen: GVAX® – eine allogene Zelllinie, die den Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktor (GM-CSF) herstellt – wurde als Tumorimpfstoff benutzt. Um zusätzlich eine antigenspezifische Immunantwort (gegen Mesothelin) zu stimulieren, wurde als Adjuvans ein bakterieller Wirkstoff (Listerien) benutzt. Darüber hinaus wurde niedrig dosiertes Cyclophosphamid zur Blockade von immunsupprimierenden regulatorischen T-Zellen benutzt. In dieser Studie konnte erstmals ein signifikanter Überlebensvorteil von median 6,1 versus 3,9 Monaten (p = 0,02) zugunsten der Immuntherapie gezeigt werden. Die hier beschriebene Immuntherapie führte zu einer Hochregulation von immunsuppressiven Signaltransduktionswegen (PD-1/PD-L1) und bietet somit eine starke Rationale zum Einsatz von Immuncheckpoint-Inhibitoren, die die PD-1/PD-L1-Achse blockieren. Dies wird nun in prospektiven klinischen Studien getestet.
Nebenwirkungen von Immuncheckpoint-Inhibitoren
Das Nebenwirkungsprofil von Immuncheckpoint-Inhibitoren unterscheidet sich wesentlich von herkömmlichen Chemotherapien oder zielgerichteten Therapien, die bis jetzt bei gastrointestinalen Tumoren eingesetzt wurden. Der Wirkmechanismus führt hier als Nebenwirkung zu einem Autoimmungeschehen. So kann eine Immunantwort gegen gesundes Gewebe entstehen. Das Immunsystem ist im ganzen Körper verteilt, aber an den Oberflächen spielt es eine ganz besonders wichtige Rolle. Daher verwundert es nicht, dass die häufigsten Autoimmunphänomene hier entstehen: Es kommt hier vor allem zu Hautausschlag, Diarrhöen und Pneumonitiden. Ausserdem können endokrine Organe wie die Schilddrüse, die Inselzellen im Pankreas oder die Hypophyse angegriffen werden.
Zügige Abklärung und immunsuppressive Therapie Nur bei 5% der Patienten treten diese Nebenwirkungen aber als schwere Komplikation auf. Die Erkennung und die Behandlung der Nebenwirkungen haben die gastrointestinale Onkologie vor neue Herausforderungen gestellt und werden das auch weiterhin tun. Patienten werden sich beim Hausarzt oder bei anderen Fachspezialisten mit Symptomen vorstellen, die bis jetzt nicht primär als Nebenwirkung einer Krebstherapie wahrgenommen werden. So kann die Abklärung einer chronischen Diarrhö (bzgl. entzündlicher Darmerkrankung) oder eines trockenen Hustens (bzgl. Pneumonitis) mehrere Tage dauern, ohne dass an den Checkpoint-Inhibitor gedacht wird. In den letzten Jahren hat man aber gelernt, dass gerade diese Zeitverzögerung einen sehr negativen
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Einfluss auf die Behandlung der Nebenwirkung hat. Es ist wichtig, rasch mit einer Immunsuppression durch Steroide zu beginnen und diese bei schweren Fällen noch mit TNF-a-Blockern auszubauen. Auch muss die Immunsuppression lang genug sein und dann langsam abgebaut werden. Um dieses optimale Management zu gewährleisten, ist die Kommunikation des Patienten mit den involvierten Ärzten sowie im Behandlungsteam von grosser Wichtigkeit, damit die Differenzialdiagnose eines CheckpointInhibitor-induzierten Autoimmunphänomens rasch in Betracht gezogen werden kann.
Ausblick
Wir werden in den nächsten Monaten vor allem beobachten, wie sich der kombinierte Einsatz von Chemotherapie und Checkpoint-Blockade beim metastasierten Magen- und Ösophaguskarzinom darstellt. Spannende Resultate wird auch die Kombination von Strahlentherapie und Checkpoint-Blockade beim lokal fortgeschrittenen Ösophaguskarzinom liefern. Kombinationstherapien bei MSS-Tumoren
1 Swiss Tumor Molecular Institute (SwissTMI), Seestrasse 259, 8038 Zürich 2 Akademisches Lehrkrankenhaus Feldkirch, Carinagasse 47, A-6807 Feldkirch 3 OnkoZentrum Zürich, Seestrasse 259, 8038 Zürich 4 Gastrointestinales Tumorzentrum Zürich (GITZ), Seestrasse 259, 8038 Zürich 5 Swiss Tumor Immunology Institute (SwissTII), Seestrasse 259, 8028 Zürich
stehen ebenfalls im Fokus der Wissenschaft, um
möglichst vielen Patienten eine Immuntherapie an-
bieten zu können. Zusätzlich werden in der präklini-
schen Forschung beim metastasierten Kolorektalkar-
zinom immer mehr die Zusammenhänge zwischen
dem Mikrobiom des Darms und den Immunantwor-
ten gegen maligne Zellen im Darm bekannt. Somit
entstehen in Zukunft interessante immunologische
Interventionen aus Checkpoint-Blockade und Beein-
flussung des Mikrobioms. Beim Leberzellkarzinom
werden die modernen antiviralen Therapien zur
Eradikation des Hepatitisvirus führen, damit das im-
munologische Milieu verändern und somit auch die
immunologischen Interventionen wie eine Check-
point-Blockade besser zum Zuge kommen lassen.
Zusammengefasst kann davon ausgegangen wer-
den, dass auch in der gastrointestionalen Onkologie
die Immuntherapie zu einer tragenden Säule werden
wird.
L
PD Dr. med. Thomas Winder1,2
Dr. med. Daniel Helbling3,4
PD Dr. med. Ulf Petrausch3,5 (Korrespondenzadresse) E-Mail: ulf.petrausch@ozh.ch
Interessenkonflikte: keine. Literatur bei den Verfassern.
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