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Nr. 88: Nausea und Erbrechen in der Schwangerschaft
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EXPERTENBRIEF NR. 88
(siehe auch: https://www.sggg.ch/fachthemen/expertenbriefe) Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek

SGGG-EXPERTENBRIEF

Nausea und Erbrechen in der Schwangerschaft, Hyperemesis gravidarum

Der SGGG-Expertenbrief fasst die Prävalenz und das ärztliche Management bei Übelkeit und Erbrechen, einschliesslich bei schweren Formen, in der Schwangerschaft zusammen – als Empfehlung für die klinische Praxis.

B. Martinez de Tejada, L. Vonzun, D. U. Von Mandach, A. Burch, M. Yaron, M. Hodel, D Surbek und I. Hoesli (Von der Akademie für fetomaternale Medizin (AFMM) genehmigt).

Evidenzlevel* Ia
IIa

Begriffe und Epidemiologie Nausea mit oder ohne Erbrechen (NVP) ist sehr häufig in der Frühschwangerschaft (50–80%). Schweres Erbrechen, genannt Hyperemesis gravidarum (HG), kommt in 0,3–3% der Fälle vor (1). Die am häufigsten erwähnten Kriterien zur Definition von HG umfassen anhaltendes Erbrechen, akute Dehydrierung sowie Hungern (Ketonurie) und Gewichtsverlust > 5%. Es handelt sich dabei um eine klinische Ausschlussdiagnose, die sich auf ein typisches Krankheitsbild und das Fehlen anderer Ursachen stützt, die die Symptome erklären könnten (2).

ZUSAMMENFASSUNG UND EMPFEHLUNGEN
• Nausea und Erbrechen in der Schwangerschaft (NVP) ist sehr häufig (50–80%) in der Schwangerschaft. Schweres Erbrechen (HG) kommt in 0,3–3% der Fälle vor.
• Mütterliche und fetale Komplikationen sind bei HG höher.
• Frauen sollten in der Frühschwangerschaft bei jeder Arztvisite auf NVP untersucht werden. Der PUQE24-Score kann bei der Quantifizierung von NVP-Symptomen hilfreich sein.
• Die Behandlung sollte mit diätetischen Massnahmen, Komplementärtherapien und Vitamingabe beginnen.
• Bei Weiterbestehen der Symptome sollte eine pharmakologische Behandlung eingeleitet werden, wobei in erster Linie Antihistaminika eingesetzt werden sollten.
• Die Behandlung sollte sich auf die Symptomreduktion, die Verbesserung der Lebensqualität und die Vorbeugung schwerer Komplikationen fokussieren und fetale Auswirkungen der pharmakologischen Behandlung möglichst gering halten.
• Empfohlen wird ein frühzeitiges und schrittweises Vorgehen nach dem beiliegenden Algorithmus.

Die Symptome treten typischerweise vor der 9. Schwangerschaftswoche (SSW) auf und klingen bis zur 16. SSW ab, wobei sie in seltenen Fällen während der gesamten Schwangerschaft bestehen bleiben (10–20%) (3). Ein Wiederauftreten dieser Störungen in nachfolgenden Schwangerschaften ist wahrscheinlich (24–80%; OR = 26,4; 95%-KI) (4).

Evidenzlevel*
IIa IIa

Ätiologie und Risikofaktoren Die genaue Ätiologie bleibt weiterhin ungeklärt, allerdings wurden verschiedene Theorien vorgeschlagen: hormonale Faktoren (↑β-HCG, ↑Estradiol), mechanische Faktoren (Blähungen, Reflux), psychische Neigung, evolutionäre Anpassung (Vermeidung potenziell toxischer Lebensmittel), genetische Faktoren (↑GDF15-Plazenta-Gen, IGFBP7Hormon, RyR2-Gen) (5–8). Es handelt sich höchstwahrscheinlich um eine multifaktorielle Ursache. Weitere Risikofaktoren umfassen eine hohe Plazentamasse (z.B. bei Mehrlingsschwangerschaft oder Blasenmole) sowie die persönliche und familiäre Krankengeschichte (3).

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Differenzialdiagnose Dazu gehören: • Gastrointestinale Erkrankungen: Gastroenteritis, Gastroparese,
Gastritis/Magenulkus (H. pylori), Erkrankungen der Gallenwege, Hepatitis, Darmverschluss, Pankreatitis, Appendizitis, innere Hernie nach Magen-Bypass-Operation (9) • Urogenitalerkrankungen: Pyelonephritis, Urämie, Ovarialtorsion, Nephrolithiasis, Degeneration eines Uterusleiomyoms • Endokrine, metabolische, neurologische Erkrankungen: diabetische Ketoazidose, Porphyrie, Morbus Addison, Hyperthyreose, Hyperparathyreoidismus, Hyperkalzämie, Migräne, erhöhter intrakranieller Druck, Labyrinthitis • Sonstige Erkrankungen: Arzneimitteltoxizität oder -intoleranz, psychische Erkrankungen • Schwangerschaftsbedingte Erkrankungen: Präeklampsie nach der 20. SSW, HELLP-Syndrom, akute Fettleber in der Schwangerschaft.

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SGGG-EXPERTENBRIEF

Evidenzlevel*

Tabelle: PUQE-Score zur Beurteilung des Schweregrads der NVP

Wie lange war Ihnen in den vergangenen 24 Stunden übel? Nie (1) 1 Stunde oder weniger (2) 2–3 Stunden (3) 4–6 Stunden (4) > 6 Stunden (5)

Haben Sie in den letzten 24 Stunden erbrochen? Nein (1) 1–2 × (2) 3–4 × (3) 5–6 × (4) 7 × oder öfter (5)

leicht: < 6 Punkte, moderat: 7–12 Punkte, schwer (HG): 13–15 Punkte Ambulante Behandlung: PUQE-Score von 3 bis 12 Stationäre Behandlung empfohlen: PUQE-Score ≥ 13 Wie oft hatten Sie Brechreiz in den letzten 24 Stunden? Nie (1) 1–2 × (2) 3–4 × (3) 5–6 × (4) 7 × oder öfter (5) Evidenzlevel* Ib III/IIa Ib IIa IIb IIb Komplikationen Mütterliche Komplikationen wie Suizidgedanken (32%), Gewichtsverlust > 15% und erfüllte Diagnosekriterien einer mit posttraumatischem Stresssyndrom assoziierten Depression (18%) sind häufig. Obwohl selten, wurde auch über eine schwere mütterliche Morbidität/ Mortalität berichtet: Ernährungsdefizite wie Wernicke-Enzephalopa­ thie (verursacht durch Vitamin-B-Komplex-Mangel), Elektrolytstörungen, thromboembolische Ereignisse, Thyreotoxikose. Ferner wurden auch Fälle von Retinaablösung, Pneumothorax, Rippenfrakturen, Funktionsstörungen der Gallenblase, akute tubuläre Nekrose, Milzruptur, Leberinsuffizienz, Hämatemesis (Blutung aus Rissen kleiner Ösophagusgefässe, Mallory-Weiss-Syndrom) sowie Zunahme der Spitalaufnahmen mit HG in Verbindung gebracht (10–13).
Es wurde eine geringere Abortrate bei Frauen mit HG im Vergleich zu Kontrollfällen beschrieben (14).
Hinsichtlich fetaler Komplikationen ergab ein systematisches Review zu Frauen mit HG eine leichte, jedoch signifikant erhöhte Inzidenz von intrauteriner Wachstumsrestriktion/niedrigem Geburtsgewicht und Frühgeburtlichkeit (15). Diese Erscheinungen scheinen häufiger beobachtet zu werden, wenn die HG während der ganzen Schwangerschaft fortbesteht und mehrere Spitalaufenthalte nötig sind, ohne dass es zu einer Aufholgewichtszunahme kommt. Übersteigt der mütterliche Gewichtsverlust 15%, so werden ein kleinerer Kopfumfang, ein signifikant reduziertes kortikales Gesamtvolumen und ein höheres Risiko neurologischer Entwicklungsstörungen sowie Autismus beschrieben (16,17).

Komorbiditäten Die folgenden Komorbiditäten sind mit einem höheren HG-Risiko assoziiert: Funktionsstörung der Nebenschilddrüse (adjustierte OR IV [aOR] 3,83; 95%-KI: 2,28–6,44), Hypercholesterinämie (aOR 2,54; III 95%-KI: 1,82–3,44), Diabetes vom Typ 1 (aOR 1,95; 95%-KI: 1,82– 2,09) und Funktionsstörung der Schilddrüse (aOR 1,85; 95%-KI: IIa 1,74–1,96) (18).
Beurteilung und Einschätzung des Schweregrads Sämtliche Schwangeren sollten bei jeder Arztvisite nach Nausea und Erbrechen (NVP) gefragt werden. Falls vorhanden, muss der Schweregrad mittels validierter Skala, Gewichtsmessung und Hydratationszustand eingeschätzt werden. Die Anamnese muss andere Diagnosen ausschliessen und den Schweregrad beurteilen können. Es ist empfehlenswert, den Schweregrad der HG anhand eines Scores zu ermitteln. Aktuell haben die meisten Guidelines die Skala Pregnancy-Unique Quantification of Emesis (PUQE-24) (19) implementiert

(2,20). Eine kürzlich publizierte Studie weist darauf hin, dass der alternative HELP-Score eine höhere Sensitivität aufweist bei der Identifizierung von Patientinnen mit schwerer HG, welche Interventionen erfordert (kostenlose iOS HG Care App© (The HER Foundation) (21). (Tabelle).
Ausser der üblichen Schwangerschaftskontrolle (Vitalparameter, Gewichtskontrolle) umfasst die klinische Beurteilung eine Ultraschalluntersuchung (Ausschluss von Mehrlingsschwangerschaft oder Blasenmole), einen Urinstatus (Ketonurie und Ausschluss eines Harnwegsinfektes) und eine Blutuntersuchung (Blutbild, Elektrolyten, Nieren- und Leberfunktionstests, Schilddrüsenfunktionstest).
In schweren Fällen sollten weitere Blutanalysen (z.B. Blutgasanalyse, Vitamin B1) und eventuell weitere Untersuchungen zum Ausschluss einer zugrunde liegenden Pathologie in Betracht gezogen werden.

IV III IIa/III
IIa

Behandlung Das Management und die Behandlung der NVP müssen sich auf die Symptomreduktion, die Verbesserung der Lebensqualität und die Vorbeugung schwerwiegender Komplikationen fokussieren sowie die fetalen Auswirkungen der mütterlichen pharmakologischen Behandlung möglichst gering halten.
Ein frühzeitiges und schrittweises Vorgehen wird empfohlen (22) (Algorithmus).

Ia Ia

Empfehlungen bezüglich Diät und Lebensstil: • Ein leerer Magen sollte zu jeder Zeit vermieden werden, und es soll-
ten kleine und regelmässige Mahlzeiten, etwa jede 1–2 Stunden, eingenommen werden (2). • Ein zu voller Magen sollte vermieden werden (feste und flüssige Nahrung nicht mischen, grosse Mahlzeiten zu vermeiden) (23). • Empfohlen werden trockene Nahrungsmittel, Snacks mit hohem Proteingehalt und Knäckebrot morgens vor dem Aufstehen (24,25). • Geschmacksintensive und würzige Speisen sollten vermieden werden, auf Eisenpräparate ist zu verzichten (24).

IIa/Ia Ia

Komplementärtherapie Ingwer Die Anwendung von Ingwer (als Rhizoma zingiberis) in der Schwangerschaft zur Behandlung von NVP wurde in verschiedenen randomisierten klinischen Studien (RCTs) beschrieben (1): Es ergab sich keine Evidenz für eine Erhöhung des teratogenen Risikos, für Spontanabort oder Unterschiede im Schwangerschaftsverlauf zwischen den Behandlungsgruppen. Ingwer besitzt antiinflammatorische Eigenschaften und senkt bei Tieren die Thromboxan-B(2)- und PG-E(2)-Spiegel

IIb

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Evidenzlevel*

(26); deshalb sollte er nicht bei antikoagulierten Patientinnen verwendet werden. Ingwer hat positive Effekte auf die Verringerung von Übelkeitssymptomen gezeigt, hat das Erbrechen jedoch nicht reduziert (1,27).

Akupunktur Es ist nicht erwiesen, dass Akupunktur und Akupressur am P6- bzw. Neiguan-Punkt (befindet sich drei Fingerbreit proximal der Handgelenksbeugefalte auf der Innenseite, zwischen den beiden Sehnen) Übelkeit und Erbrechen signifikant reduzieren (27,28). Da dieses Vorgehen jedoch nicht schädlich und der Plazeboeffekt stark ist, könnten einige Patientinnen von einem Versuch mit einem Akupressurband profitieren.

Pharmakologische Behandlung Pyridoxin (Vitamin B6) Die Wirksamkeit von oralem Pyridoxin allein bei der Behandlung der morgendlichen Übelkeit (nicht aber des Erbrechens!) wurde in plazebokontrollierten Studien belegt (1). Per os in Kombination mit einem Antihistaminikum (siehe unten) bei Patientinnen mit NVP und intravenös in Kombination mit anderen Vitaminen bei hospitalisierten Frauen mit schwerer HG. Als wasserlösliche Substanz ist Vitamin B6 Ib toxikologisch unbedenklich.

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III Ia/III Ib/III

Antihistaminika (H1-Antagonisten) H1-Antagonisten sind bei der Behandlung von NVP unterschiedlichen Grades wirksam, die Studien sind jedoch hinsichtlich Substanz und Kombination mit beispielsweise Pyridoxin heterogen (29).
Meclozin (Synonym Meclizin): Gilt als sicher in der Schwangerschaft: Es wurden keine Hinweise auf eine signifikante Teratogenität festgestellt (30). Meclozin ist ausschliesslich in Kombination mit Pyridoxin und Koffein erhältlich, welches den sedierenden Effekt des Antihistaminikums aufgrund seiner zentralen, möglicherweise auch kreislaufstimulierenden Wirkung kompensiert. Ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Koffein in steigender Dosis und erhöhtem Risiko für Abort, Totgeburt, niedriges Körpergewicht (LBW und SGA) sowie für akute lymphatische Leukämie im Kindesalter wurde nachgewiesen (31). Eine Kapsel enthält 25 mg Koffein, ein Suppositorium 20 mg. Die Höchstdosis beträgt 4 Kapseln (100 mg) oder 2 Suppositorien (40 mg) pro Tag; dies entspricht einer Maximaldosis von 1 Kaffee (100 mg) pro Tag. Schwangeren Frauen sollte daher geraten werden, den sonstigen Koffeinkonsum einzustellen («Verzichten Sie auf Kaffee und andere koffeinhaltige Produkte!»).
Doxylamin wurde vor Kurzem von Swissmedic zur Behandlung von NVP in Kombination mit Pyridoxin zugelassen. Die Wirksamkeit wurde in Beobachtungsstudien untersucht, wobei sich kein teratogener Effekt zeigte (29,32,33). Eine neuere randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie an 256 Patientinnen mit NVP konnte die Wirksamkeit des Wirkstoffes belegen, während sich die Nebenwirkungen nicht vom Plazebo unterschieden, was wahrscheinlich auf die geringe Stichprobengrösse zurückzuführen ist (34). In einer aktuellen Studie wurde die Doxylamin-Pyridoxin- und Metoclopramid-Exposition im ersten Trimenon mit einem signifikant erhöhten Risiko für allgemeine und spezifische schwere kongenitale Fehlbildungen (MCM, major congenital malformations) wie Spina bifida assoziiert (35); allerdings beruht dieses Signal wahrscheinlich auf mehreren Verzer-

rungsfaktoren (36) und sollte in weiteren Studien eingehender untersucht werden.
Hinweis: Doxylamin ist aufgrund seiner sedierenden Wirkung (37), die durch seine Plasmahalbwertszeit von 10 Stunden aufrechterhalten wird, zur Schlafverbesserung wirksam. Die zugelassene Höchstdosis von 4 Kapseln/Tag birgt das Risiko von Tagesmüdigkeit. Wir empfehlen daher 2 Kapseln in der Nacht, eine höhere Dosierung dagegen nur in schweren Fällen und bei sorgfältiger Überwachung.

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Dopamin-Antagonisten Chlorpromazin wird erfolgreich bei schwerer Hyperemesis bzw. bei hospitalisierten Patientinnen eingesetzt. Es gibt jedoch nur wenige Daten, welche die Wirksamkeit und Sicherheit bei NVP belegen. Es handelt sich um ein Neuroleptikum mit sedierender Wirkung! Das Teratogenitätspotenzial wurde in Studien nicht nachgewiesen (30), langjährige Erfahrungen zeigen allerdings keine teratogenen Effekte (38– 43).
Domperidon wurde hinsichtlich seiner Wirksamkeit bei der Behandlung von NVP nicht untersucht. Die verfügbaren Daten zeigen kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen (44,45). Es sollte nicht zur Behandlung von NVP verwendet werden.
Metoclopramid reduziert Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft, seine Wirksamkeit bei der Behandlung von HG ist im Vergleich zu anderen Wirkstoffen jedoch geringer (46–48).
Cave unerwünschte Arzneimittelwirkungen (AUW): Mundtrockenheit, extrapyramidale Störungen, psychiatrische Störungen; kontraindiziert bei depressiven Schwangeren! Gilt als sicher in der Schwangerschaft (49–51). Neuere Daten zeigen jedoch ein erhöhtes Risiko für MCM (35).

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Serotonin-Antagonisten Ondansetron: Einige Jahre lang galt die Anwendung von Ondansetron in der Schwangerschaft als sicher hinsichtlich der Teratogenität. Ondansetron ist Metoclopramid bezüglich seiner Wirksamkeit gegen Nausea nicht unterlegen und bei der Behandlung von Erbrechen in der Schwangerschaft sogar überlegen (46). Seit 2018 gibt es zunehmend Evidenz, dass das teratogene Risiko bei Anwendung im ersten Trimenon ansteigt: Ein erhöhtes Risiko für Gaumenspalten wurde in der Studie National Birth Defects Prevention nachgewiesen, und ein erhöhtes Risiko für Nierenagenesie oder -dysgenesie wurde in der Studie Slone Birth Defects gezeigt (52). Darüber hinaus wird ein erhöhtes Risiko für Ventrikelseptumdefekt bei fetaler Exposition im ersten Trimenon diskutiert (53). Im Gegensatz zu diesen Ergebnissen zeigen Daten aus einer amerikanischen Kohortenstudie (2000–2014) mit über 1 Million Frauen zumindest kein allgemein erhöhtes Risiko für schwere Fehlbildungen (54), zudem kann eine Vermischung bei der Ätiologie der Diagnose nicht völlig ausgeschlossen werden (55).

IIb IV

Kortikosteroide (Hydrokortison, [Methyl-]Prednisolon) Die Wirksamkeit von Kortikosteroiden im Vergleich zu Plazebo, Promethazin oder Metoclopramid wurde bei Frauen mit schweren Symptomen in drei RCTs untersucht. Verbesserungen wurden in allen Kortikosteroidgruppen festgestellt, aber es wurde nur ein signifikanter Unterschied zwischen Kortikosteroiden vs. Metoclopramid berichtet (Reduktion von Erbrechen 40,9% vs. 16,5% an Tag 2; 71,6% vs. 51,2% an Tag 3; 95,8% vs. 76,6 % an Tag 7 [n = 40, p < 0,001]) (27). Für den gynäkologie 4 | 2025 25 SGGG-EXPERTENBRIEF Fetus/Embryo ist Methylprednisolon unproblematisch, da es durch das metabolisierende Plazentaenzym 11-beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ 2 (HSD2) inaktiviert wird. Dosierung • Pyridoxin (Vitamin B6): 10–25 mg 8-stündlich p.o. oder 200 mg/Tag i.v. • Ingwer: 4 × 250 mg/Tag p.o. • Meclozin/Pyridoxin/Koffein: maximal 4 × 25/25/25 mg/Tag p.o.; 2 × 50/50/20 mg Suppositorien intrarektal • Doxylamin/Pyridoxin: Max. 4 × 10/10 mg/Tag p. o. (1-1-2) oder 2 × 20/20 mg/Tag • Chlorpromazin: 2 × 13 mg/Tag p.o. oder i.v. • Metoclopramid: maximal 3 × 10 mg/Tag p.o. oder i.v. • Ondansetron: 2 × 4–8 mg/Tag p.o. oder i.v. • Methylprednisolon: 2 × 125–250 mg/Tag i.v. Vorbeugung Zwei Studien deuten darauf hin, dass bei einer nachfolgenden Schwangerschaft die Gabe von Multivitamin- und Mineralstoffpräparaten vor oder während der Frühschwangerschaft die Inzidenz von NVP reduzieren soll (56,57). Obwohl keine Studiendaten dazu vorliegen, kann die präkonzeptionelle Beratung einer Frau, die bereits von NVP und HG betroffen war, Informationen und Beruhigung bieten. Dies gestattet zudem, ein frühzeitiges und effektives Management zu planen, falls es zu Symptomen von NVP oder HG kommt (58). Ort/Datum des Expertenbriefs: Bern, 26.07.2024 Deklaration von Interessenkonflikten: BMT, IH und MH haben in Advisory Boards mitgewirkt und/oder von EFFIK gesponserte Vorträge gehalten. DS: Advisory Board und Vortrag für EFFIK (Honorare zugunsten des klinischen Forschungsfonds). * EVIDENZLEVEL UND EMPFEHLUNGSGRADE DER THERAPIEANGABEN Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasiexperimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute Empfehlungsgrad A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib). B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III). C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ gute, klinische Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind (Evidenzlevel IV). ✔ Good-Practice-Punkt Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline herausgibt. Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006) 26