Transkript
SCHWERPUNKT
Etablierte und neue Indikationen für die intraoperative Teilbrustbestrahlung
Heutige Konzepte und Bewertungen
Zur Therapie des Mammakarzinoms ist die Bestrahlung nach brusterhaltender Operation seit Jahrzehnten etabliert und wird in allen Leitlinien empfohlen. Sie senkt das Lokalrezidivrisiko um die Hälfte (1). Frühe Lokalrezidive haben eine schlechte Prognose und eine erhöhte Morbidität (1, 2). Die intraoperative Teilbrustbestrahlung könnte bei einer selektiven Patientengruppe die postoperative Bestrahlung der gesamten Brust ersetzen oder bei Risikopatientinnen als vorgezogene Boosttherapie die Rezidivrate zusätzlich senken.
HEIKE HEUER, DANIEL FINK, CORNELIA LINSENMEIER
Das Konzept der intraoperativen Teilbrustbestrahlung (IORT) wird in ersten Pilotstudien seit 1997 als vorgezogener Boost des Tumorbetts mit anschliessender fraktionierter Bestrahlung der gesamten Brust (EBRT) beschrieben. Da 85% der Lokalrezidive im selben Quadranten des ursprünglichen Tumors entstehen, stellte sich die Frage, ob das Rezidivrisiko auch durch eine IORT allein – in vergleichbarem Masse wie die bisherigen Therapien mit ERBT und Boost – gesenkt werden könnte. Erste Ergebnisse kleinerer Studien zeigten ermutigende Ergebnisse mit guter lokaler Tumorkontrolle, vergleichbaren Haut- und Gewebetoxizitäten und geringerer Toxizität für die Nachbarorgane (Lunge, Herz, Rippen) (3).
Technische Aspekte der IORT
Zwei Systeme werden bei der IORT vor allem verwendet: I Das INTRABEAM®-Bestrahlungsgerät erzeugt nied-
rig-energetische Röntgenstrahlen (50 kV), welche über einen sphärischen Applikator das Tumorbett
Merkpunkte
I Die intraoperative Teilbrustbestrahlung (IORT) kann die postoperative
Ganzbrustbestrahlung nur bei einem sehr kleinen und selektiven Niedrig-
risikokollektiv der Brustkrebspatientinnen ersetzen.
I Die IORT als Ersatz für die postoperative Boostbestrahlung des Tumor-
betts zeigt nach 5 Jahren Nachbeobachtungszeit gleichwertige Rezidiv-
raten.
I Für eine abschliessende Bewertung der Lokalrezidivraten muss mindes-
tens ein Nachbeobachtungszeitraum von 10 Jahren erreicht werden.
nach Lumpektomie bestrahlen. Die Dosis beträgt 20 Gy an der Oberfläche und fällt auf 5 bis 7 Gy in 1 cm Gewebetiefe ab. Zur Auswahl stehen verschiedene Applikatorgrössen von 2 bis 5 cm je nach Grösse des Tumorbetts; die Bestrahlungsdauer beträgt zwischen 20 und 40 Minuten. Das Gerät ist mobil und kann somit in die verschiedenen Operationssäle transportiert werden. Nach Entfernung des Tumors wird das Gewebe mit einer Tabaksbeutelnaht um die Kugel fixiert und die Haut nach aussen evertiert. Der Anästhesist und die MTRA sind während der Bestrahlung durch eine mobile Bleiwand und Bleischürzen geschützt, das Operationsteam verlässt den Raum (4, 5). Anschliessend wird der Applikator entfernt und die Operation mit der kosmetischen Rekonstruktion beendet (Abbildung 1). I Das ELIOT-Gerät (Novac 7® oder Linac®) ist ein mobiler linearer Teilchenbeschleuniger. Die Bestrahlung mit Elektronen (3MeV-9MeV) erfolgt über einen zylinderförmigen Applikator, welcher mit unterschiedlichen Durchmessern (4–10 cm) gewählt werden kann. Die applizierte Gesamtdosis beträgt 21 Gy. Nach Quadrantektomie (entsprechend der Studienprotokolle) wird das umgebende Gewebe mobilisiert und über eine Aluminium-Blei-Scheibe, welche zwischen den Pektoralismuskel und das Drüsengewebe eingelegt wird, adaptiert. Die Bestrahlung erfolgt in zwei Schritten, in denen jeweils die Hälfte der Dosis appliziert wird, um gegebenenfalls die Dosis im zweiten Schritt korrigieren zu können. Die Dauer beträgt 2 bis 4 Minuten (6) (Abbildung 2).
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SCHWERPUNKT
Abbildung 1: TARGIT: INTRABEAM©, intraoperative und schematische Darstellung (adaptiert nach [4,5])
Studien und Resultate
In den letzten Jahren wurden die vorläufigen Ergebnisse der beiden grössten Studien zur IORT mit den 5-Jahres-Ergebnissen zu lokaler Kontrolle veröffentlicht. Die Resultate des wichtigen längeren Follow-up stehen noch aus. Die TARGIT-A-Studie ist eine prospektive, randomisierte, multizentrische Phase-III-Studie, welche die risikoadaptierte IORT mittels INTRABEAM® mit der postoperativen EBRT vergleicht. Sie war als Noninferiority-Studie angelegt (Nichtunterlegenheitsstudie). Eingeschlossen werden konnten alle Frauen > 45 Jahre mit invasiv-duktalen, unifokalen Mammakarzinomen < 3,5 cm Durchmesser. Bei Patientinnen im IORT-Arm mit postoperativ diagnostizierten Risiken (z.B. bei: pN1, L1 oder G3) wurde zusätzlich perkutan die ganze Brust bestrahlt. Die IORT konnte in derselben Sitzung mit der Lumpektomie (präpathologischer Arm) oder in einer zweiten Sitzung nach Lumpektomie (postpathologischer Arm) erfolgen. Die Randomisierungsphase lief in den Jahren 2000 bis 2012. Insgesamt über 3400 Patientinnen wurden
in die Studie eingeschlossen (7, 9). 15% der Patientinnen erhielten nach IORT aufgrund von Risikofaktoren eine Ganzbrustbestrahlung. Die ELIOT-Studie ist eine prospektive, randomisierte, unizentrische Non-inferiority-Studie, welche die IORT mittels ELIOT-Linearbeschleuniger mit der EBRT vergleicht. Das Studienkollektiv umfasste 1305 Patientinnen im Alter von 48 bis 75 Jahren mit Mammakarzinomen bis 2,5 cm Durchmesser, welche sich für eine brusterhaltende Therapie qualifizierten. Die Studie begann 2000 und lief bis 2007 (6, 9).
Vorteile der IORT Folgende Vorteile wurden für die IORT postuliert: I Es ist eine präzisere Bestrahlung des Tumorbetts
möglich, da noch keine Verschiebung des Gewebes erfolgt ist, welche die exakte Lokalisation des Tumorbetts bei der postoperativen Bestrahlung erschwert. Durch die plastische Rekonstruktion der Brust im Anschluss an die Tumorentfernung findet sich das peritumorale Drüsengewebe häufig nicht mehr an derselben Lokalisation wie der ursprüngliche Tumor (5, 6, 9, 10).
Abbildung 2: ELIOT: LINAC®, intraoperativer und schematischer Situs (adaptiert nach [6])
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SCHWERPUNKT
I Für die Patientinnen bedeutet das zeitliche und örtliche Zusammenlegen mehrerer Therapieschritte eine geringere Belastung (9). Sowohl geografische Gegebenheiten (d.h. Distanz zwischen Wohnort und Bestrahlungsklinik) (10) als auch begrenzte Therapiekapazitäten (11) führen selbst in Industrienationen wie den USA und Grossbritannien zu Verzögerungen des Therapiebeginns oder sogar zum Verzicht auf die postoperative Radiatio. Das geht mit einer verschlechterten Prognose für das krankheitsfreie und das Gesamtüberleben einher (11).
I Durch den geringeren Zeitaufwand für die Bestrahlungen (einmal Radiotherapie vs. mehrere Wochen RT) sind die Therapiekosten niedriger.
I Die Gewebetoxizitäten für die Nachbarorgane (Lunge, Herz, Haut, Knochen) sind durch die niedrigere Gesamtdosis und die lokalisierte Bestrahlung reduziert (9).
I Das umgebende gesunde Gewebe produziert nach IORT weniger Wachstumsfaktoren, welche das Wachstum von Tumorzellen fördert oder zirkulierende Tumorzellen animiert, erneut in dieser Region anzusiedeln (12).
Studienresultate Erste Ergebnisse der TARGIT-Studie wurden nach einem medianen Follow-up von 25 Monaten veröffentlicht: Es zeigten sich vergleichbare Lokalrezidivraten (5 Lokalrezidive in der EBRT-Gruppe, 6 Lokalrezidive in der IORT-Gruppe). Unter der Annahme, dass das höchste Lokalrezidivrisiko innerhalb der ersten 2 bis 3 Jahre auftrete, erfolgte eine statistische Hochrechnung der Daten auf 5 und 10 Jahre. Da sich auch hier in beiden Gruppen (IORT und EBRT) ähnliche Rezidivraten errechnen liessen, folgte der Schluss, dass die IORT in naher Zukunft zur Standardtherapie für das frühe Mammakarzinom werden könnte (7). Die Erwartungen wurden durch die 4-Jahres-Daten allerdings nicht bestätigt: Es zeigte sich eine Zunahme der Lokalrezidive in der EBRT-Gruppe um das Doppelte (11 Fälle) und in der IORT-Gruppe um das Vierfache (23 Fälle) (13). Die Subgruppenanalyse zeigte zwar, dass die Gruppe der Patientinnen, welche unmittelbar bei der Lumpektomie bestrahlt wurde (präpathologischer Arm), im Vergleich zu den Patientinnen, die in einer zweiten Sitzung bestrahlt wurden (postpathologischer Arm), niedrigere Rezidivraten aufwiesen. Aber erst im weiteren Follow-up wird sich zeigen, ob dieser Trend weiterhin sichtbar sein wird, zumal ein grosser Teil dieser Patientinnen (im präpathologischen Arm) hormonrezeptorpositive Tumore aufweist und eine endokrine Therapie erhält, womit ein erhöhtes Lokalrezidivrisiko erst Jahre nach der Primärtherapie besteht. Weitere Diskussionspunkte sind die statistische Auswertung (das in der Studie benutzte Konfidenzintervall) sowie die Heterogenität der Daten durch die Anzahl der Zentren und die in
den Zentren definierten unterschiedlichen Studienprotokolle (14). 2013 wurden die 5-Jahres-Resultate der ELIOT-Studie ausgewertet: Es zeigte sich eine deutlich höhere Rezidivrate von 4,4% (IORT) versus 0,4% (EBRT). Das Gesamtüberleben unterschied sich in beiden Gruppen nicht (8). Dennoch lassen sich aus den Daten zwei Risikogruppen basierend auf Tumorgrösse, Rezeptorstatus, Nodalstatus und Tumorgrading identifizieren. Die Niedrigrisikogruppe hatte ein Lokalrezidivrisiko von lediglich 1,5 %, verglichen mit 11,3 % (bei 1 Risikofaktor) und 30,6 % (bei > 1 Risikofaktor) (15).
Folgerungen
Die Resultate deuten auf die Notwendigkeit hin, die
Gruppe der Patientinnen, die für eine IORT qualifizie-
ren, eng einzugrenzen. In der ELIOT-Studie konnte die
Niedrigrisikogruppe mithilfe der GEC-ESTRO-Emp-
fehlungen für die partielle Brustbestrahlung (APBI)
mit einem Lokalrezidivrisiko von 1,9% nach 5 Jahren
identifiziert werden. Als Niedrigrisikogruppe und
gute Kandidatinnen für IORT gelten Patientinnen
mit folgenden Merkmalen: Alter > 50 Jahre, Tumor-
grösse < 3 cm, negative Resektionsränder, niedriges Grading, L0, positiver Hormonrezeptorstatus, Mono- zentrizität, duktale Histologie und negativer Lymph- knotenstatus (16). Ein weiterer Aspekt, der diskutiert werden muss, ist die Abnahme der kompletten Axilladissektionen bei geringem axillärem Befall (pN < 3 Lymphknoten) auf- grund der in den letzten Jahren veröffentlichten Sen- tinelstudien. Dieser Verzicht auf die komplette Axilla- dissektion wurde bis anhin nur in Studien bei Patientinnen mit postoperativer Ganzbrustbestrah- lung untersucht. Hier müssen die Risiken der kom- pletten Axilladissektion mit den Risiken der EBRT ab- gewogen werden (17, 18). Aktuell gibt es von der TARGIT-Studiengruppe zwei weitere Studien, die in Zukunft weitere Informationen zur Indikation und Anwendung der IORT erbringen werden: Die TARGIT-E(lderly-)Studie schliesst Patien- tinnen mit Niedrigrisiko > 70 Jahre mit invasiv dukta-
lem Mammakarzinom < 3,5 cm Durchmesser und cN0-Status ein. Diese Patientinnen werden mit IORT behandelt und erhalten nur eine Ganzbrustbestrah- lung, wenn in der histologischen Untersuchung zu- sätzliche Risikofaktoren diagnostiziert werden. Die TARGIT-B-Studie hingegen untersucht die IORT mit anschliessender EBRT im Vergleich zur postoperati- ven EBRT mit anschliessendem Boost. I Dr. med. Heike Heuer (Korrespondenzadresse) Klinik für Gynäkologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich E-Mail: heike.heuer@usz.ch 14 GYNÄKOLOGIE 4/2015 SCHWERPUNKT Prof. Dr. med. Daniel Fink Klinik für Gynäkologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich Dr. med. Cornelia Linsenmeier Klinik für Radio-Onkologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich Quellen: 1. Darby S et al. (Early Breast Cancer Trialists’ Collaboration Group; EBCTCG): Effect of radiotherapy after breast-conserving surgery on 10-year recurrence and 15year breast cancer death for 10 801 women in 17 randomized trials. Lancet 2011; 378(9804): 1707–1716. 2. Fisher ER et al.: Ipsilateral breast tumor recurrence and survival following lumpectomy and irradiation: pathological findings from NASABP protocol B-06. Semin Search Oncol 1992; 8: 161–166. 3. Veronesi U et al.: A preliminary report of intraoperative radiotherapy (IORT) in limited-stage breast cancers that are conservatively treated. Euro J Cancer 2001; 37(17): 2178–2183. 4. Vaidya JS et al.: The novel technique of delivering targeted intraoperative radiotherapy (Targit) for early breast cancer. EJSO 2002; 28: 447–454. 5. Vaidya JS et al.: Intraoperative radiotherapy for breast cancer. Lancet 2004; 5: 165–173. 6. Intra M et al.: Surgical technique of intraoperative radiation therapy with electrons (ELIOT) in breast cancer: A lesson learned by over 1000 procedures. Surg 2006; 3: 467–471. 7. Vaidya JS et al.: Targeted intraoperative radiotherapy versus whole breast radiotherapy for breast cancer (TARGIT-A Trial): an international, prospective, randomized, non-inferiority phase 3 trial. Lancet 2010; 376: 91–102. 8. Veronesi U et al.: Intraoperative radiotherapy versus external radiotherapy for early breast cancer (ELIOT): a randomized controlled equivalence trial. Lancet Oncol 2013; 14: 1269–1277. 9. Holmes DR et al.: The TARGIT trial: targeted intraoperative radiation therapy versus conventional postoperative whole-breast radiotherapy after breast-conserving surgery for the management of early-stage invasive breast cancer (a trial update). Am J Surg 2007; 194: 507–510. 10. Athas WF et al.: Travel distance to radiation therapy and receipt of radiotherapy following breast-conserving surgery. J Natl Cancer Inst 2000; 92: 296–271. 11. Mikeljevic JS et al.: Trends in postoperative radiotherapy delay and the effect on survival in breast cancer patients treated with conservation surgery. Br J Cancer 2004; 90: 1343–1348. 12. Vaidya JS et al.: Long-term results of targeted intraoperative radiotherapy (TARGIT) boost during breast-conserving surgery. Int J Rad Oncol Biol Phys 2011; 81(4): 1091–1097. 13. Vaidya JS et al.: Risk-adapted targeted intraoperative radiotherapy versus whole-breast radiotherapy for breast cancer: 5-year results for local control and overall survival from the TARGIT-A randomised trial. Lancet 2014; 383: 603–613. 14. Silverstein MJ et al.: Intraoperative radiation therapy: A critical analysis of the ELIOT and TARGIT trials. Part 2-TARGIT. Ann Surg Oncol 2014; 21: 3793–3799. 15. Silverstein MJ et al.: Intraoperative radiation therapy: A critical analysis of the ELIOT and TARGIT trials. Part 1-ELIOT. Ann Surg Oncol 2014; 21: 3787–3792. 16. Leonardi MC et al.: Accelerated partial breast irradiation with intraoperative electrons: Using GEC – ESTRO recommendations as guidance for patient selection. Radiother Oncol 2013; 106: 21–27. 17. Galimbert V et al.: Axillary dissection versus non axillary dissection in patients with sentinel-node micrometastases (IBCSG 23-01): a phase 3 randomised controlled trial. Lancet Oncol 2013; 14: 297–305. 18. Giuliano AE et al.: Axillary Dissection vs no axillary dissection in Women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis. JAMA 2011; 305(6): 569–575. GYNÄKOLOGIE 4/2015 15