Transkript
ERNÄHRUNG UND STOFFWECHSELERKRANKUNGEN BEI KINDERN
Ernährungsberatung bei angeborenen Stoffwechselstörungen
FRAUKE LANG
Die Betreuung von Betroffenen mit diätetisch behandelbaren erblichen Stoffwechselstörungen durch eine Ernährungsfachkraft* bringt einen umfassenden Katalog von Tätigkeiten und zu vermittelnden Inhalten für den stationären wie auch den zeitlich intensiveren ambulanten Bereich mit sich. Eine intensive Zusammenarbeit zwischen Arzt, Ernährungsfachkraft und weiteren beteiligten Berufsgruppen ist bei angeborenen Stoffwechselstörungen unerlässlich.
Bei der Phenylketonurie (PKU) und weiteren erblich bedingten Enzymdefekten kommt es ohne diätetische Intervention zu einer schweren geistigen und körperlichen Beeinträchtigung. Horst Bickel leitete 1953 eine neue Ära der Diättherapie ein, als er die PKU erfolgreich mit einer phenylalaninreduzierten Diät behandelte (1). Denn die Diät, das heisst die Reduktion eines Nährstoffes in der Ernährung bei gleichzeitig adäquater Zufuhr aller anderen essenziellen Nährstoffe, ist die Therapie der Wahl.
Qualitätsstandards in der Ernährungstherapie
In der Ernährungsberatung bei angeborenen Stoffwechselstörungen geht es um den Erhalt oder die Verbesserung des Gesundheitszustandes, damit das betroffene Kind eine altersentsprechende körperliche und geistige Entwicklung erreichen kann. Des Weiteren stehen die Förderung der Lebensqualität und die Selbstständigkeit der Betroffenen in persönlichen, sozialen und beruflichen Belangen im Fokus der Beratungstätigkeit.
*Berufsbezeichnung in der Schweiz: Ernährungsberater/in; in Deutschland: Diätassistent/in Ökotrophologe/in; in Österreich: Diätologe/in.
Bis heute gibt es nur wenige medizinische Leitlinien im Bereich der angeborenen Stoffwechselstörungen, die ausschliesslich oder ergänzend mit einer Ernährungstherapie behandelt werden. AWMFLeitlinien für Phenylketonurie sind in der Entwicklung, während es beispielsweise für die Glutarazidurie-Typ-I- oder Harnstoffzyklusstörungen evidenzbasierte S-3Leitlinien gibt. Standardisierte und strukturierte Vorgaben zur Durchführung einer qualifizierten Ernährungsberatung und -therapie sind in Deutschland zum Beispiel in den Beratungsstandards der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) (2) oder in den VDD-Qualitätsstandards (VDD, Verband der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband) und dem zugehörigen Leistungskatalog beschrieben, darunter auch angeborene Stoffwechselstörungen (3). In der Schweiz kann seit 2007 ein 4-jähriges Fachhochschulstudium mit Abschluss Bachelor of Science in Nutrition an der Berner Fachhochschule absolviert werden. Aufnahmekriterium ist eine gymnasiale, Fach- oder Berufsmatura. Für Weiterbildungen im Stoffwechselbereich gibt es sonst nur den Z-Kurs.
Leistungen der Ernährungsfach-
kraft bei angeborenen Stoffwech-
selstörungen
Im Allgemeinen ist das Ziel einer Ernährungs- oder Diätberatung, ein Ernährungsverhalten zu erreichen, welches ernährungsbedingte Risiken reduziert oder Krankheiten beseitigt. Die Ernährungsfachkraft hat durch die Notwendigkeit der Ernährungstherapie bei vielen angeborenen Stoffwechselstörungen als einzige Behandlungsmöglichkeit eine besondere Bedeutung. Eine hohe Kompetenz der Beraterin hinsichtlich Kommunikation und Empathie besitzt bei dieser Zielgruppe einen besonderen Stellenwert, da in der Regel eine lebensbegleitende Diäteinhaltung erforderlich ist. Die eigentliche Diätberatung macht aber nur einen kleinen Teil des Aufgabengebietes der Ernährungsfachkraft aus. Zu den vielfältigen Tätigkeiten gehören auch Teambesprechungen, administrative Arbeiten wie die Erfassung von Daten und die Dokumentation der Beratungen und des Verlaufs ebenso wie die Zusammenstellung oder Erarbeitung von individuell für den Patienten und die Familie geeignetes Informations- und Beratungsmaterial.
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ERNÄHRUNG UND STOFFWECHSELERKRANKUNGEN BEI KINDERN
In der Tabelle sind die Leistungen der Ernährungsfachkraft nach Diagnose einer angeborenen Stoffwechselstörung aufgeführt, die üblicherweise während des stationären Aufenthaltes stattfinden. Im weiteren Verlauf werden Säuglinge mit angeborenen Stoffwechselstörungen ambulant durch ein spezialisiertes Stoffwechselzentrum betreut. Die Häufigkeit der ambulanten Vorstellungen richtet sich nach der Art der Stoffwechselstörung, dem Alter und dem Verlauf des jeweiligen Patienten. Im ersten Lebensjahr finden zum Beispiel bei der PKU häufige Kontrollen statt (mindestens alle 3 Monate), wobei die Laboruntersuchungen einbis zweiwöchentlich erfolgen sollten. Die ambulanten Klinikbesuche bieten eine regelmässige Möglichkeit, die Diätberatung der Eltern zu vertiefen und eine altersentsprechende Anpassung der Diät zu ermöglichen. Zu den weiteren Angeboten einer intensiven ernährungstherapeutischen Beratung von Patienten mit angeborenen Stoffwechselkontrollen sollte eine telefonische Diät-Hotline an Werktagen gehören, auch eine Ferienvertretung ist notwendig. Sonstige Angebote wie Kochkurse, Gruppenschulungen, Hausbesuche bei problematischen Verläufen oder Schulungen von Institutionen wie Kindertagesstätten oder Schulen können für die Familien hilfreich sein und die Compliance verbessern. Bei einigen sehr seltenen Stoffwechselstörungen besteht häufig eine Fütte-
rungs- oder Essstörung, sodass eine ergänzende oder auch vollständige Ernährung per Magensonde notwendig ist. Da für diese Diätformen keine vorgefertigten Sondennahrungen zur Verfügung stehen, müssen spezielle «Sondenpläne» von der Ernährungsfachkraft berechnet werden.
Zeitaufwand für die Diätberatungen
Der Zeitaufwand für die Diätberatung von Kindern mit angeborenen Stoffwechselstörungen und den damit zusammenhängenden Tätigkeiten wurde 1997 veröffentlicht (4). Der jährliche Zeitaufwand wurde im Mittel mit 61/2 Stunden pro Patient mit PKU angegeben, wobei im Säuglingsalter und bei Erstdiagnose häufigere Beratungen erforderlich sind. Im Beikostalter ist eine engmaschige Betreuung für viele Familien erforderlich, da sich im zweiten Lebenshalbjahr die Mahlzeitengestaltung im Rahmen der Diät von der Säuglingsnahrung bis hin zum Familienessen verändert hat. Im weiteren Verlauf sind ernährungstherapeutische Beratungen weniger häufig notwendig. Einzige Ausnahme bildet eine geplante oder bestehende Schwangerschaft von Frauen, die von einer diätpflichtigen angeborenen Stoffwechselstörung betroffen sind. Bei der maternalen PKU beispielsweise ist eine intensive Diätberatung erforderlich, da Frauen mit PKU eine sehr strenge Diäteinstellung benötigen, sonst kann es zu schweren Schädigungen des ungeborenen Kindes kommen.
Besonderheiten
der Ernährungstherapie
Betroffenen mit sehr seltenen angeborenen Stoffwechselstörungen, wie zum Beispiel Ahornsirupkrankheit (MSUD), Harnstoffzyklusstörungen, Organoazidurien oder Glykogenose Typ I drohen bei banalen Infekten lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisungen. Stationäre Aufenthalte mit entsprechender Notfallbehandlung erfordern zusätzliche, manchmal täglich vorzunehmende Diätanpassungen, welche von der Ernährungsfachkraft nach ärztlicher Anordnung vorgenommen werden. Zunehmend wird nicht nur die Ernährungsfachkraft in der Pädiatrie mit diesen Diätformen zu tun haben. Da die Spezialdiät auch im Erwachsenenalter und ganz besonders während einer Schwangerschaft eingehalten werden muss, wird die Bedeutung der Beratung auch im Erwachsenenalter zunehmen.
Korrespondenzadresse: Frauke Lang Königsberger Str. 13 D-55268 Nieder-Olm E-Mail: lang@wexl.de
Frauke Lang betreute über zehn Jahre als Diätassistentin an der Universitäts-Kinderklinik Düsseldorf im Stoffwechselzentrum Kinder und deren Familien mit angeborenen Stoffwechselstörungen (z.B. PKU) sowie Erkrankungen, die eine Ernährungs- oder Diättherapie notwendig machten. Während dieser Zeit bildete sie sich zur Ernährungsmedizinischen Beraterin (DGE) fort. Als Mutter von drei Kindern arbeitet sie seit acht Jahren freiberuflich, unter anderem an der Universitäts-Kinderklinik Mainz, und berät dort Familien mit angeborenen Stoffwechselstörungen.
Tabelle: Leistungen der Ernährungsfachkraft nach Diagnose
• Besprechungen im Stoffwechselteam und der entsprechenden ärztlich angeordneten Diätform, Teilnahme bei Visiten
• Erfassung von Patientendaten • Einführungsgespräch, Ernährungsanamnese • Erstellung eines individuellen Diätplanes (mit Austauschmöglichkeiten) • Ernährungstherapeutische Beratungen (Nährstoffe, Physiologie/Pathophysiologie, Erläuterung
des Diätprinzips, Lebensmittelauswahl, Produktinformationen bei besonderen Situationen, wie zum Beispiel Nahrungsverweigerung oder drohender Stoffwechselentgleisung) • Schulung zur Berechnung von einzelnen Nährstoffen • Praktische Anleitung (Koch- und Küchentechnik) • Erstellung und Zusammenstellung von Informationsunterlagen • Auswertung von Ernährungsprotokollen • Schulung und Anleitung des Pflegepersonals und ggf. Milchküchenpersonals • Dokumentation, Evaluation
Referenzen: 1. Muntau AC, Beblo S, Koletzko B. Phenylketonurie und Hyperphenylalaninämie. MonatsschrKinderheilkd. 2000; 148: 179–193. 2. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (Hrg.): DGE-Beratungs-Standards. 10. Auflage, Bonn 2009 inkl. Ergänzungslieferungen 2011 und 2013. 3. Verband der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband e. V. (VDD): VDD-Qualitätsstandards und Leistungskatalog. 1998/2002 (in Überarbeitung). 4. Müller E, van Teeffelen-Heithoff A. Leistungskatalog der Diätassistenten/innen an Kinderkliniken für die diätetische Behandlung von Kindern mit angeborenen Stoffwechselstörungen am Beispiel der Phenylketonurie sowie weiterer vergleichbarer Krankheiten. MonatsschrKinderheilkd. 1997; 5: 542–544.
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