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Arthrose – relevante Neuigkeiten für den klinischen Alltag
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Arthrose: relevante Neuigkeiten für den klinischen Alltag
Bald gezielte Therapien?

Die Behandlungsoptionen bei Arthrosen bleiben vorderhand unbefriedigend. Umso wichtiger sind vorbeugende Massnahmen, die bei Übergewicht, Bewegungsarmut oder Sportverletzungen ansetzen. Etliche Forschungsprojekte lassen zudem hoffen, dass auch bei Arthrose bald gezielte Therapien zur Verfügung stehen werden, welche der Erkrankung mit besserer Wirksamkeit und geringeren Nebenwirkungen entgegentreten.

Francis Berenbaum

Zunehmend wird zur Kenntnis genommen, dass Arthrosen ernsthafte Krankheiten sind, die über die Behinderung der Mobilität auch die Gesamt- und die Herzkreislaufmortalität negativ beeinflussen, stellte Prof. Francis Berenbaum aus Paris (F) einleitend fest. Mit der Generation der Babyboomer ist auch der Bedarf an künstlichen Kniegelenken rasant gestiegen, und diese Entwicklung dürfte weiter anhalten. Eine neue Untersuchung konnte belegen, dass die Notwendigkeit einer operativen Revision nach Totalprothesenimplantation am Knie deutlich altersabhängig ist (1). Während dieser Revisionsbedarf auf die restliche Lebenszeit gesehen bei 50- bis 54-jährigen Frauen 20 Prozent und bei gleich alten Männern 35 Prozent beträgt, nimmt er mit zunehmendem Alter bei der Erstoperation deutlich ab und beträgt zum Beispiel in der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen noch rund 15 Prozent, später noch weniger. Nach einer Nachbeobachtungszeit von bis zu 20 Jahren betrug die Überlebensrate der Totalprothesen adjustiert für die Gesamtmortalität 89,7 Prozent.
Viele Risikofaktoren sind Präventionsansätze
Für die Kniegelenkarthrose sind Risikofaktoren bekannt. Dazu gehören Alter und Übergewicht, die jedoch die deutliche Zunahme der Erkrankung in den letzten Jahr-

«Das Metabolische Syndrom erhöht durch Beeinträchti un zahlreicher metabolischer und inflammatorischer Si nalwe e das Arthroserisiko.»

Medien und soziokulturellen Normen (3). Bei der Entstehung von Übergewicht und metabolischem Syndrom erscheint die Balance zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch entscheidend, aber auch hier spielen zusätzliche Faktoren wie soziale und familiäre Umgebung, Institutionen und Kampagnen hinein (4). Bei der Energieaufnahme haben unter anderem Hormonhaushalt, Mikrobiom, Stress und emotionale Faktoren einen Einfluss. Für den Energieverbrauch spielen neben der körperlichen Aktivität auch kontrollierte Umgebungstemperatur, Schlafmangel und Schichtarbeit eine Rolle. Für das metabolische Syndrom lässt sich zeigen, dass es durch Beeinträchtigung zahlreicher metabolischer und inflammatorischer Signalwege das Arthroserisiko erhöht (5), wie Berenbaum unter Verweis auf eigene Arbeiten anmerkte.
Traumaprävention bei jungen Menschen zahlt sich später aus
Ein weiterer gewichtiger Risikofaktor für Arthrosen sind durchgemachte Traumen. Bei 65-Jährigen lag in 13,9 Prozent eine Arthrose von Knie oder Hüfte vor, wenn sie in der Adoleszenz ein Trauma erlitten hatten, aber nur in 6,0 Prozent ohne Trauma in der Anamnese (6). Dass eine Prävention von Sporttraumata möglich ist, zeigt das «11+»-Übungsprogramm der FIFA für Fussballer (siehe Kasten). Durch ein 15- bis 20-minütiges Aufwärmprogramm mit verschiedenen Lauf-, Kraft- und Balanceübungen liess sich die Häufigkeit von vorderen Kreuzbandläsionen praktisch halbieren (relatives Risiko 0,54, Konfidenzintervall 0,29–0,61) (7).

zehnten nicht gänzlich erklären können. Wie eine Studie kürzlich nachgewiesen hat, nahm die Prävalenz der Kniegelenkarthrose in der postindustriellen Ära im Vergleich zu prähistorischen und frühindustriellen Zeiträumen deutlich rascher zu (2). Die sitzende Lebensweise und der generelle Mangel an Bewegung sind weitere Risikofaktoren – und potenzielle Präventionsansätze. Die Faktoren, welche einen Einfluss auf die körperliche Aktivität haben, sind äusserst vielfältig und komplex. Sie reichen von individuellen biologischen und psychologischen Eigenschaften über soziales Umfeld, die Umwelt und Gesundheitspolitik bis zu globalen Faktoren wie Marketing,

Heutige Therapien befriedigen nicht
Die Bedeutung von vorbeugenden Massnahmen bei Arthrosen kann kaum genug betont werden, da die Behandlungsmöglichkeiten bei etablierter Arthrose immer noch sehr unbefriedigend sind, betonte Berenbaum. So sind sowohl Allgemeinmediziner (in 73%) wie Patienten (in 63%) mit den heutigen Therapien unzufrieden. Oft sind mehrere Therapieversuche mit verschiedenen Medikamenten notwendig. Rund die Hälfte der Arthrosepatienten hat nach zwei Monaten von einem nicht steroidalen Antirheumatikum (NSAR) zu einem anderen gewechselt. Häufigste Ursachen dafür sind fehlende Wirksamkeit

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(33%) und Nebenwirkungen (13%). «Die unbefriedigende Situation ist angesichts der fehlenden oder schwachen klinischen Wirksamkeit aller symptomatischen Pharmaka bei Arthrose nicht erstaunlich», sagte Berenbaum und zitierte die Effektstärken für Paracetamol (0,18), orale NSAR (0,33–0,52), intraartikuläre Hyaluronsäure (0,63) und intraartikuläres Plazebo (0,29), nach drei Monaten jeweils im Vergleich zu oralem Plazebo bestimmt (8).
«Rund die Hälfte der Arthrosepatienten hat nach zwei Monaten von einem NSAR zu einem anderen ewechselt.»

Kasten:
AUFWÄRMPROGRAMM 11+:
FIFA 11+ ist ein komplettes Programm zum Aufwärmen und zur Verletzungsprophylaxe für Fussballer. Es bietet eine Kombination von Übungen, mit denen man sich vor typischen Fussballverletzungen schützen kann. Allen Fussballern über 14 wird empfohlen, dieses Aufwärmprogramm vor jedem Training durchzuführen. Auf der Homepage des Deutschen Fussballbundes DFB stehen dazu als unterstützende Materialien ein Handbuch sowie ein Plakat zum freien Download zur Verfügung:
https://www.dfb.de/trainer/artikel/fifa-11-310/?no_cache=1

Bringt die Zukunft bessere Therapien?
Die Behandlungsoptionen bei Arthrose bleiben beschränkt. Dennoch werden mit der Entwicklung empfindlicher Tests zur frühen Erfassung einer Krankheitsprogression und mit der besseren Erkennung von verschiedenen Arthrosephänotypen krankheitsmodifizierende Therapien mit höherem Nutzen und geringeren Risiken verfügbar werden (9), gab sich Berenbaum überzeugt. Gezielte Therapien, die in Erforschung stehen, sind auf die Verlangsamung des Knorpelabbaus und die Regulation des Knorpelstoffwechsels gerichtet. Auch bei der Schmerzbekämpfung stehen verschiedene neue Wirkprinzipien in Untersuchung. Daneben werden Möglichkeiten zur Eindämmung der entzündlichen Vorgänge bei Arthrose erforscht. Ein weiterer Forschungsansatz gilt dem subchondralen Knochen, wo bei Osteoporose eingesetzte Wirkstoffe in Prüfung stehen. Viel Aufmerksamkeit haben Versuche zur Behandlung der Kniegelenkarthrose mit mesenchymalen Stammzellen erregt. Mesenchymale Stammzellen haben die Fähigkeit, sich in Adipozyten, Chondroblasten und Osteoblasten zu differenzieren. Mit der Gewinnung und Injektion autologer mesenchymaler Stammzellen können geschädigte Zellen ersetzt sowie eine Immunmodulation und Entzündungshemmung bewirkt werden. Eine Metaanalyse von elf Studien bei 582 Patienten hat eine gute Wirksamkeit (gemessen an verschiedenen funktionellen und Schmerzscores) sowie Sicherheit der Stammzelltransplantation ergeben und ist zum Schluss gekommen, dass sie ein grosses Potenzial als klinisch wirksame Therapie bei Kniegelenkarthrose besitzt (10).
Halid Bas/AZA

Auf weiteren Seiten gibt es auch mehrere Videos, in denen die einzelnen Übungen veranschaulicht werden: https://www.dfb.de/spieler/seniorin-ue-35/artikel/fifa-11-teil1-laufuebungen-8-minuten-951/
https://www.dfb.de/trainer/c-juniorin/artikel/fifa-11-teil-2level-1-kraft-plyometrie-gleichgewicht-10-minuten-952/
https://www.dfb.de/trainer/c-juniorin/artikel/fifa-11-teil-3laufuebungen-8-minuten-957/

Referenzen: 1. Bayliss LE et al.: The effect of patient age at intervention on risk of implant revision after total replacement of the hip or knee: a population-based cohort study. Lancet 2017; 389(10077): 1424– 1430. 2. Wallace IJ et al.: Knee osteoarthritis has doubled in prevalence since the mid-20th century. Proc Natl Acad Sci U S A 2017; 114(35): 9332–9336. 3. Bauman AE et al.: Correlates of physical activity: why are some people physically active and others not? Lancet 2012; 380(9838): 258–271. 4. González-Muniesa P et al.: Obesity. Nat Rev Dis Primers 2017; 3: 17034. 5. Berenbaum F et al.: Review: Metabolic regulation of inflammation in osteoarthritis. Arthritis Rheumatol 2017; 69(1): 9–21. 6. Gelber AC et al.: Joint injury in young adults and risk for subsequent knee and hip osteoarthritis. Ann Intern Med 2000; 133(5): 321–328.

7. Silvers-Granelli HJ et al.: Does the FIFA 11+ Injury Prevention Program Reduce the Incidence of ACL Injury in Male Soccer Players? Clin Orthop Relat Res 2017. doi: 10.1007/s11999-017-5342-5. [Epub ahead of print]. 8. Bannuru RR et al.: Comparative effectiveness of pharmacologic interventions for knee osteoarthritis: a systematic review and network meta-analysis. Ann Intern Med 2015; 162(1): 46–54. 9. Wang K et al.: Investigational drugs for the treatment of osteoarthritis. Expert Opin Investig Drugs 2015; 24(12): 1539–1556. 10. Yubo M et al.: Clinical efficacy and safety of mesenchymal stem cell transplantation for osteoarthritis treatment: A meta-analysis. PLoS One 2017; 12(4): e0175449.
Quelle: Session I – State of the art lecture: «Arthrose: actualités importantes pour la pratique clinique». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie, 7. September 2017 in Interlaken.

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