Transkript
21. Schweizerische Tagung für Phytotherapie, Baden, 23. November 2006
Phytotherapeutische Behandlung von Auswirkungen des Tumorleidens und der Tumortherapie auf den Magen-Darm-Trakt
Reinhard Saller
Die Funktionen des Magen-DarmTraktes sind bei tumorkranken Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen beeinträchtigt, zum Beispiel durch Tumoren oder Metastasen im Magen-Darm-Trakt, durch therapeutische Interventionen (Operationen, Bestrahlung, Chemotherapie, adjuvante und/oder palliative Pharmakotherapien), durch individuelle Unverträglichkeiten (zum Beispiel von Lebensmitteln, einschliesslich Änderungen von Geruchs- und Geschmacksempfindlichkeit), durch Allgemeinwirkungen des Tumorleidens, durch körperliche Inaktivität oder auch schwindende Lebenskräfte, einschliesslich einer sich entwickelnden Tumorkachexie. Selbstverständlich können auch vorbeste-
hende Störungen und Erkrankungen während einer Tumorerkrankung aktiv sein (zum Beispiel Symptome einer Dyspepsie oder eines Colon irritabile). Nicht selten ist auch die gastrointestinale Sensibilität gesteigert (zum Beispiel auf Dehnungsreize), sodass bereits scheinbar geringfügige Reize erhebliche Schmerzen und Beschwerden verursachen können. In der Tabelle 1 sind häufige Symptome zusammengefasst.
Phytotherapeutika werden bei tumorkranken Menschen derzeit offensichtlich nicht in dem Masse angewendet, wie einerseits Patienten wünschen und wie es andererseits Wirksamkeit und Verträglichkeit einer gesichteten Phytotherapie nahelegen. Solche Phytotherapeutika sind zwar Teil der modernen Arzneimitteltherapie, eine Reihe von Zubereitungen (Tinkturen,
Tabelle 1a:
Gastrointestinale Symptome bei tumorkranken Menschen
● Obstipation ● Diarrhö ● Übelkeit ● Erbrechen ● Völlegefühl ● Bauchschmerzen ● Schmerzen im Mundbereich ● Mundtrockenheit ● Geschmacksänderungen ● Zahnprobleme ● Probleme beim Kauen
Tees, ätherische Öle zur topischen Anwendung) bieten aber mit den unmittelbar wahrnehmbaren geruchlichen und/oder geschmacklichen Qualitäten
phytotherapie Nr. 1 • 2007
7
21. Schweizerische Tagung für Phytotherapie, Baden, 23. November 2006
Tabelle 1b:
Häufigkeit gastrointestinaler Symptome bei tumorkranken Menschen
Völlegefühl Geschmacksänderungen (Dysgeusie) Obstipation Mundtrockenheit Übelkeit Erbrechen
61% 46%
41% 40% 39% 27%
Tabelle 2:
Erfahrungsbasis: Phytotherapie in der Palliativ- u. Supportivmedizin
● Standardisierte Erhebungen ● Qualitative Interviews (Tumorpa-
tienten) ● Selbsthilfegruppen (Tumorpatienten) ● Expertenrunden (Tumortherapeuten) ● Persönliche Erfahrungen (Patienten,
Therapeuten) ● Kontrollierte klinische Untersuchun-
gen ● Unkontrollierte klinische Untersu-
chungen ● Anwendungsbeobachtungen
(Phase IV) ● Systematische Reviews
Tabelle 3:
Phytotherapeutische Behandlungsversuche bei Halitosis (Auswahl)
Zubereitungen (beziehungsweise Spülungen) aus: ● Pfefferminzblätter ● Pfefferminzöl ● Kümmelfrüchte ● Salbeiblätter ● Salbeiöl ● australisches Teebaumöl ● Eucalyptusöl ● Thymiankraut ● Thymianöl ● Myrrhe ● kanadische Blutwurzel
zusätzliche Wirk- und Anwendungsmöglichkeiten, die situativ und/oder individuell patientenbezogen zusätzliche Vorteile aufweisen (zum Beispiel Bitter- und Scharfstoffcharakter, ange-
nehme, anregende oder beruhigende Gerüche).
Bislang liegen nur sehr wenige Studien mit Phytotherapeutika vor, die direkt mit tumorkranken Menschen durchgeführt wurden, die an gastrointestinalen Beschwerden leiden. Wie derzeit insgesamt noch häufig in der Palliativ- und Supportivmedizin, müssen Studienergebnisse und nachvollziehbare Erfahrungen aus einer vergleichbaren Behandlung von Patienten herangezogen werden, deren Beschwerden nicht im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung behandelt wurden. Ein grosser Teil der quantitativ und systematisch erhobenen Empirie stammt aus Behandlungssituationen ausserhalb der Behandlung tumorkranker Menschen und wird in Analogie auf vergleichbare Situationen in der Palliativtherapie übertragen. Tabelle 2 fasst die entsprechende Erfahrungsbasis zusammen.
Halitose
Greift man die Beschwerden entsprechend der Anatomie auf, so steht zuerst die Halitose im Vordergrund. Eine Auswahl empirischer Behandlungsansätze, die zum Teil in anderen Bereichen der Stomatologie untersucht sind, zeigt die Tabelle 3. Vor allem bei ätherischen Ölen ist darauf zu achten, dass sie nur verdünnt angewendet werden dürfen (meist unter 1–2%). Individuelle Geruchs- und Geschmackspräferenzen müssen berücksichtigt werden.
Bitterstoffe
Eine grosse, meist jedoch unterschätzte Rolle kann die individuell angemessene Verwendung von Bitterstoffen spielen, zum Beispiel als Teezubereitungen, Tinkturen beziehungsweise Urtinkturen. Sie können, wenngleich mit beschränkter Wirksamkeit, Appetit und Nahrungsaufnahme günstig beeinflussen. Ein Hauptanwendungsgebiet stellen jedoch die verschiedenen dyspeptischen Beschwerden bei tumorkranken Menschen dar (zum Beispiel Übelkeit, Völlegefühl, Flatulenz). Die einzelnen phytotherapeutischen Bittermittel werden nach ihren weiteren Inhaltsstoffen (Phytotherapeutika als Vielstoffgemische) beziehungsweise sensorischen Qualitäten in verschiedene Gruppen von Amara eingereiht (Amara pura – Amara simplicia: nur beziehungsweise vorwiegend Bitterstoffe; Amara aromatica:
Tabelle 4:
Tinkturen (Bittermittel; Auswahl; Reihung nach «Wärme»)
● Tinctura Absinthii (Wermutkrauttinktur) Aromatisches Bittermittel, Stomachikum, Gallemittel, Magentonikum, allgemeines Tonikum
● Tinctura Gentianae (Enziantinktur) Amarum, Stomachikum, Gallemittel, Magentonikum, allgemeines Tonikum
● Tinctura Cynarae (Artischockentinktur) Amarum, Lebermittel, Gallemittel
● Tinctura Taraxaci (Löwenzahntinktur) Amarum, Magentonikum, Gallemittel, Aquaretikum, Stoffwechselmittel
● Tinctura millefolii (Schafgarbentinktur) Karminativum, Spasmolytikum, Gallemittel, Stoffwechselmittel, Frauenmittel
Bitterstoffe und ätherisches Öl; Amara adstringentia: Bitterstoffe und Gerbstoffe; Amara mucilaginosa: Bitterstoffe und bedeutsame Mengen von Schleimstoffen; Amara acria: Bitterstoffe und bedeutsame Mengen von Scharfstoffen). Gerade auch die komplex zusammengesetzten Amara besitzen neben den Bitterstoffen noch zusätzliche Wirkungen, die in der Behandlung dyspeptischer Störungen nützlich sein können (zum Beispiel spasmolytische und antibakterielle Effekte von ätherischen Ölen in Amara aromatica). Phytotherapeutische Bitterstoffe lassen sich auch als eine Art «energetisierende» Behandlung charakterisieren. In der Tabelle 4 sind ausgewählte Tinkturen entsprechend ihrer «Bitterkeit» und damit zusammenhängend auch ihrer «Energetisierung» gereiht (Wermutkrauttinktur als bitterste Tinktur und Schafgarbetinktur als am wenigsten bittere Tinktur).
Für die antidyspeptischen, aber auch verschiedene andere Bitterstoffeffekte scheint die unmittelbare Geschmackswahrnehmung in der Mundhöhle und im oberen Gastrointestinaltrakt vorteilhaft zu sein. Aus empirischen Gründen werden zumeist flüssige und damit unmittelbar geschmacklich wahrnehmbare Zubereitungen empfohlen (Tink-
8 phytotherapie Nr. 1 • 2007
21. Schweizerische Tagung für Phytotherapie, Baden, 23. November 2006
Tabelle 5a:
Phytotherapeutische Laxanzien (Monopräparate)
Arzneidroge
Rhabarberwurzel Rheum palmatum
rel. Wirkstärke +
Verträglichkeit ++++++
Faulbaumrinde
++
Rhamnus purshiana
Rhamnus frangula
Sennesfrüchte
+++
Cassia senna
Cassia angustifolia
(niedrigerer
Anthranoidgeh.)
Sennesblätter
++++
Cassia senna
Cassia angustifolia
(niedrigerer Anthranoidgeh.)
Aloe
++++++
Aloe barbadensis
Aloe capensis
+++++ ++++
+++ +
Leinsamen Linum usitatissimum
Flohsamen Plantago ovata (u.a.)
Flohsamenschalen Plantago ovata (u.a.)
+ + + – ++
++++++ ++++++ ++++++
Wirkungs- Dosierung
Eintritt (h) (Tag)
6–10
20–30 mg
Hydroxyanthracen-
Derivate (HA)
(Droge:
1200–4800 mg)
8 20–30 mg HA
(Droge:
500–3000 mg)
8–10
20–30 mg HA
(Droge:
500–2000 mg)
8–10
20–30 mg HA (Droge: 500–2000 mg)
8–10 (12–24)
20–30 mg HA (Pulver: 50–200 mg Extrakt: 80–100 mg) 20–30–45 g
12–24 10–30 g
12–24 10–20 g
Tabelle 5b:
Laxanzien (Kombinationspräparate)
Faulbaumrinde
+ Sennesblätter
Rhabarberwurzel
+ Sennesblätter
Sennesblätter
+ Flohsamenschalen
Sennesblätter
+ Pfefferminzöl
Manna
+ Feigen (Sirup)
Leinsamen
+ Feigen (Sirup)
Faulbaumrinde
+ Rhabarberwurzel
Leinsamen
+ Sennesblätter
Kreuzdorn
+ Faulbaumrinde
Flohsamen
+ Flohsamenschalen
Padmed Laxan (tibetisches Multikomponentenpräparat)
+
+ +
Kümmelöl
Faulbaumrinde Sennesfrüchte
turen, Teespezies, Säfte), jedoch liessen sich auch für feste Zubereitungen (zum Beispiel Fertigarzneimittel) ein Teil dieser Wirkungen dokumentieren. Solche Zubereitungen eignen sich vor allem für Patienten, denen phytotherapeutische Bitterstoffe nützen könnten,
die aber die unmittelbare Bitterwahrnehmung nicht vertragen.
Lokal eignen sich verdünnte phytotherapeutische Bitterstoffe auch zur Prävention und Behandlung von Schleimhautläsionen. Auch bei Bitterstoffen ist aufgrund der sensorischen
Wahrnehmung neben Wirkungen und Qualität der Bitterstoffe auf individuelle Präferenzen und Abneigungen zu achten.
Scharfstoffe
Auch scharfstoffhaltige Drogen, beziehungsweise Fertigarzneimittel können bei ausgewählten Patienten mit dyspepsieartigen Symptomen nützlich sein. Scharfstoffe können zum Beispiel mukokutane, beziehungsweise kutane Thermo- oder Schmerzrezeptoren beeinflussen (und damit auch die Sensibilität im Gastrointestinaltrakt), die Sekretion von Verdauungssäften anregen oder die glatte Muskulatur tonisieren (zum Beispiel Förderung der Peristaltik).
Übelkeit und Erbrechen
Soweit Übelkeit und Erbrechen hauptsächlich auf gastrointestinalen Beeinträchtigungen beruhen, können sich Zubereitungen aus, beziehungsweise mit Bitterstoffen und vor allem geprüfte antidyspeptische Fertigarzneimittel als günstig erweisen (siehe unten). Auch Zubereitungen aus Ingwerwurzel und Pfefferminzblättern sowie Pfefferminzöl können nützlich sein. Allerdings reichen die antiemetischen Wirkungen der Phytotherapeutika nicht aus, um alleine eine angemessen wirksame Therapie oder auch Prävention eines ausgeprägten Zytostatikainduzierten Erbrechens beziehungsweise der damit einhergehenden Übelkeit zu gewährleisten. Sie können jedoch im Anschluss an die ersten Tage einer emetogenen Chemotherapie eine angemessene Behandlung sein. Übelkeit und Erbrechen können auch durch Obstipation oder Durchfälle bedingt beziehungsweise mitbedingt sein.
Symptome von Dyspepsie
und Reizdarm
Dyspepsie- und Reizdarmsymptome treten in der Palliativ- und Supportivsituation oft vergleichbar wie bei Patienten ohne ein Tumorleiden auf. Auch hier sind am häufigsten: Bauchschmerzen, Stuhlunregelmässigkeiten, Blähungen, Schmerzen unterschiedlicher Art an verschiedenen, oft mehreren Stellen, Wechsel von Obstipation und Diarrhö, bei der Defäkation Gefühl der unvollständigen Entleerung, Konsistenzwechsel des Stuhls (Schafskot,
phytotherapie Nr. 1 • 2007
9
21. Schweizerische Tagung für Phytotherapie, Baden, 23. November 2006
Tabelle 6a:
Phytotherapeutische Antidiarrhoika
Gerbstoffdrogen
Quellstoffe
Antiphlogistika
Peristaltikhemmende Drogen
sekretionshemmend antimikrobiell
Brombeerblätter Frauenmantelkraut Gänsefingerkraut Heidelbeerfrüchte Odermenningkraut Syzygiumrinde Tormentillwurzelstock Uzarawurzel
adstringierend
++ ++ ++ ++ ++ ++ +++ +++
absorbierend, Beeinflussung der Transitzeit
antiphlogistisch
Flohsamen Flohsamenschalen
Eichenrinde Tormentillwurzelstock
Ratanhiawurzel
motilitätsvermindernd sekretionshemmend antimikrobiell Uzarawurzel
Drogen (antimikrobiell, antisekretorisch, enzymatisch, immunmodulierend)
Saccharomyces (cerevisiae, syn. Boulardii)
Tabelle 6b:
Diarrhö – Weitere antidiarrhoisch wirkende Phytotherapeutika
● Pektine ● Rohe geriebene Äpfel (1–1,5
kg/Tag) ● Karotten, Bananen (Brei), Citrus-
pektine ● Grüner – schwarzer Tee (Dosie-
rung: 3–10 g Droge) ● Tinctura Opii (Dosierung [je nach
Konzentration]: 0,1–0,2 g [1% Morphin] als ED)
Schleimbeimengungen), Blähungen mit krampfartigen Schmerzen und/oder Gefühl des aufgetriebenen Leibes. Sie können auch hier mit extraintestinalen Schmerzen und Symptomen einhergehen (zum Beispiel Kopfschmerzen, Herzschmerzen, Pulsunregelmässigkeiten, rheumatische Schmerzen, Miktionsstörungen, Schlafstörungen). Für eine Reihe von Fertigarzneimitteln (Monopräparate, Kombinationspräprate) liegen vergleichende klinische Studien zur Behandlung von Dyspepsie und Colon irritabile vor, deren Ergebnisse auch für Patienten mit vergleichbaren Beschwerden im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung und deren Behandlung bedeutsam sind (zum Beispiel Zubereitungen aus Artischockenblättern, Pfefferminzöl, Ingwerrhizom, Marien-
distelfrüchten oder Kombinationspräparate wie Iberogast®).
Therapiebedingt (zum Beispiel durch bestimmte Zytostatika) kann die Funktion des gesamten Magen-Darm-Traktes beeinträchtigt sein (zum Beispiel drastisch herabgesetzte Motilität beziehungsweise Hypermotilität oder erheblich verminderte, beziehungsweise übersteigerte Sekretion). Bitterstoffzubereitungen, beziehungsweise Kombinationspräparate mit Bitter- und Scharfstoffdrogen können eine herabgesetzte Motorik des Magen-Darm-Traktes (bis hin zur Gastrostase) günstig beeinflussen. Entsprechende Behandlungsversuche können daher bei einer verminderten Motorik, mitunter auch bei einer unkoordinierten Motorik sinnvoll sein. Demgegenüber können Zubereitungen mit Ingwerrhizom, Tannin- und Gerbstoff-haltige Drogen, ätherische Öle oder Drogen mit antiinflammatorischen Eigenschaften eine übermässig gesteigerte motorische Aktivität beziehungsweise Sekretion herabsetzen.
Obstipation
Phytotherapeutika beziehungsweise phytotherapeutische Massnahmen können in Prävention und Behandlung einer medikamentös behandelbaren Obstipation (einschliesslich einer opioidinduzierten Obstipation) eine wesentliche Rolle spielen. Für senneshaltige Zubereitungen wurde in klinischen
Studien bei Tumorpatienten eine mindestens vergleichbare Wirksamkeit wie für Lactulose gefunden. Eine Übersicht über laxierende Drogen, deren Wirkstärke und Verträglichkeit ist in Tabelle 5a zusammengefasst. Ausserdem sind ausgewählte Drogenkombinationen zusammengestellt (Tabelle 5b).
Durchfälle
Die Phytotherapie bietet eine Reihe von Drogen mit antidiarrhöischen Eigenschaften an. Sie werden zum Teil als Teedrogen verwendet, zum Teil als Tinkturen, manche auch als Fertigarzneimittel (siehe Tabelle 6a). Ihre Anwendung beruht, mit Ausnahme von Flohsamensamenschalen und Saccharomyces, grösstenteils auf therapeutischer Empirie. Sie lassen sich durchaus mit chemisch-synthetischen Antidiarrhöika kombinieren. Gerade bei leichteren Durchfällen lassen sich auch sogenannte phytotherapeutische Hausmittel sinnvoll einsetzen (beispiele in Tabelle 6b).
Praxisapotheke und
Zusammenfassung
Für eine überschaubare phytotherapeutische Behandlung von Auswirkungen des Tumorleidens und der Tumortherapie auf den Magen-Darm-Trakt ist es sinnvoll, sich je nach Praxisgegebenheiten, eigenen Erfahrungen und den Bedürfnissen der Patienten eine
10 phytotherapie Nr. 1 • 2007
21. Schweizerische Tagung für Phytotherapie, Baden, 23. November 2006
Tabelle 7:
Beschwerden im Bereich des Magen-Darm-Traktes: Subjektive Auswahl von Phytotherapeutika
3–4 ätherische Mittel (z.T. Fertig-AM) 3–5 Tinkturen beziehungsweise Urtinkturen: vorzugsweise Bittermittel 3–5 Teemischungen: 1–2 Scharfstoffmittel: 4–6 Einzelmittel (Fertig-AM):
2–3 Kombinationspräparate:
zum Beispiel Pfefferminzöl, Kamille, Salbei, Kümmelöl zum Beispiel Wermut, Enzian, Artischocke, Löwenzahn
zum Beispiel Bittermittel, Gerbstoffe zum Beispiel Ingwer zum Beispiel Ingwer, Artischocke, Ipsagula (Flohsamenschalen), Leinsamen, Mariendistel zum Beispiel Iberogast, Padma Lax, Padma Verdauungstonikum, Relaxane, Leinsamen beziehungsweise Flohsamenschalen in Kombination mit anderen Laxanzien
Art Praxisapotheke zusammenzustel-
len. Eine solche begrenzte Auswahl
erlaubt es zudem, sich notwendige, ei-
gene therapeutische Erfahrungen für
diese schwierigen und wichtigen Be-
handlungssituationen zu erarbeiten.
Tabelle 7 zeigt beispielhaft, wie eine sol-
che Praxisapotheke zusammengesetzt
sein könnte.
Längerfristig ist entsprechend den
unterschiedlichen und variablen Pa-
tientenbedürfnissen eine vielfältigere
Auswahl aus dem modernen und tradi-
tionellen sowie aussereuropäischen
phytotherapeutischen Angebot sinn-
voll und wünschenswert.
Bei der Behandlung von Auswirkun-
gen des Tumorleidens und der Tumor-
therapie auf den Magen-Darm-Trakt
sollte bedacht werden, dass solche Be-
schwerden nicht nur die Lebensqua-
lität drastisch beeinträchtigen können.
Sie können auch erhebliche seelische
Auswirkungen besitzen. Gerade auch
die moderne Forschung zeigt, dass vom
Bauchraum (enterales Nervensystem)
wesentlich mehr Informationen zum
Gehirn (ZNS) fliessen als umgekehrt.
Dementsprechend spielt eine wirksame
und individuell wie subjektiv angemes-
sene Behandlung eine wesentliche
Rolle auch für seelisches Wohlbefinden
und Lebensqualität.
■
Anschrift des Referenten: Prof. Dr. Reinhard Saller Institut für Naturheilkunde Departement für Innere Medizin UniversitätsSpital Rämistrasse 100 8091 Zürich reinhard.saller@usz.ch
Literaturreferenzen:
Agra Y, Sacristan A, Gonzalez M, Ferrari M, Portugues A, Calvo MJ: Efficacy of senna versus lactulose in terminal cancer patients treated with opioids. J Pain Symptom Manage. 1998; 15: 1–7.
Betz O, Kranke P, Geldner G, Wulf H, Eberhart LH: Ist Ingwer ein klinisch relevantes Antiemetikum? Eine systematische Übersicht randomisierter kontrollierter Studien. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd. 2005; 12: 14–23.
Braun L, Cohen M: Herbs and natural supplements. An evidence-based guide. Churchill Livingstone. Sydney Edinburgh London New York 2005.
Doyle D, Hanks G, Cherny NI, Calman K: Oxford Textbook of palliative medicine. 3. edition. Oxford University Press, Oxford 2004.
Gaby AR, Wright JV, Batz F, Chester R, Constantine G, Thompson LD (eds): The natural pharmacy. Revised and updated 3. edition. Three river press New York (2006).
Grigoleit HG, Grigoleit P: Peppermint oil in irritable bowel syndrome. Phytomedicine. 2005: 601–606.
Holtmann G, Adam B, Haag S, Collet W, Gruenwald E, Windeck T: Efficacy of artichoke leaf extract in the treatment of patients with functional dyspepsia: a six-week placebo-controlled, doubleblind, multicentre trial. Aliment Pharmacol Ther 2003; 18: 1099–1105.
Iten F, Brignoli R, Meier R, Reichling J, Saller R: Silymarin bei der Behandlung von Lebererkrankungen. Eine alte Arzneipflanze in der modernen Medizin. Phytotherapie 3(1), 18–24. 2003.
Iten F, Meier B, Saller R: Wirksamkeit von Teemischungen bei dyspeptischen Beschwerden. Phytotherapie 3 (4), 25–29. 2003.
Iten F, Meier B, Saller R: Wirksamkeit von Teemischungen bei dyspeptischen Beschwerden – Eine Anwendungsbeobachtung. Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 9 (5), 277–282. 2002.
Iten F, Saller R: Phytotherapie bei funktionellen Störungen des Magen-Darm-Traktes. Geriatrie Praxis 5, 19–22. 2002.
Meier R, Brignoli R: Artischockenblätterextrakt bei Funktioneller Dyspepsie. Schweiz. Zschr. GanzheitsMedizin 17, 216–221 (2005).
Melzer Jörg, Rösch W, Reichling J, Brignoli R, Saller Reinhard: Meta-analysis: phytotherapy of functional dyspepsia with the herbal drug preparation STW 5 (Iberogast). Aliment Pharmacol Ther 2004; 20 (11–12): 1279–1287.
Passmore AP, Wilson-Davies K, Stoker C, Scott ME: Chronic constipation in long stay elderly patients: a comparison of lactulose and a senna-fibre combination. BMJ 1993; 307: 769– 771.
Reichling J, Saller R. Iberis. In: Blaschek W, Ebel S, Hackenthal E, Holzgrabe U, Keller K, Reichling J (Hrsg): Hagers Handbuch der Drogen und Arzneistoffe. 2006. Hager ROM 2006; Springer electronic media (http: //www.Hagerrom.de).
Saller R, Iten F, Reichling J: Dyspeptische Beschwerden und Phytotherapie – eine Übersicht über traditionelle und moderne Phytotherapeutika. Forsch Komplementarmed Klass Naturheilkd. 2001: 263–273.
Saller R, Kristof O, Reichling J: Phytotherapeutika aus Artischockenzubereitungen (Cynara scolymus). Arzneim.-Therapie-Kritik 30, 155–160 (1998).
Saller R, Kristof O, Reichling J: Flohsamen und Flohsamenschalen als Ausgangsstoffe für Phytotherapeutika. Internist. prax. 38, 747–755 (1998).
Saller R, Meier R, Brignoli R: The Use of Silymarin in the Treatment of Liver Diseases. Drugs 61: 2035–2063 (2001).
Saller R, Pfister-Hotz G, Iten F, Melzer J, Reichling J: Iberogast: Eine moderne phytotherapeutische Arzneimittelkombination zur Behandlung funktioneller Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts (Dyspepsie, Colon irritabile) – von der Pflanzenheilkunde zur «Evidence Based Phytotherapy»: Eine systematische Übersicht. Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 9 (suppl. 1), 1–20. 2002.
Saller R, Reichling J, Hellenbrecht D: Phytotherapie (1995). Klinische, pharmakologische und pharmazeutische Grundlagen. Haug Verlag, Heidelberg.
Saller R, Reichling J: Phytotherapie (2002). In: Melchart D, Brenke R, Dobos G, Gaisbauer M, Saller R: Naturheilverfahren. Leitfaden für die ärztliche Aus-, Fort- u. Weiterbildung. Schattauer Stuttgart New York. S 180–230.
Saller R: Pfefferminze (Mentha piperita), Arzneipflanze des Jahres 2004. Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2004; 11: 6–7.
phytotherapie Nr. 1 • 2007
11