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NACHRUF
In memoriam Mario Vassalli – Generalsekretär der APA 1975–2000
The Spirit of Engelberg
Wie kann man nur auf einen so hochtrabenden Titel kommen? Es war ein ganz spontaner Einfall: Als ich Mario Vassalli im April dieses Jahres kurz nach seinem 89. Geburtstag leider zum letzten Mal besuchte, fuhr ich die kurvenreiche Strasse vom Talboden nach Engelberg hoch und stellte einmal mehr fest, wie wunderbar das Klosterdorf Engelberg im Gegensatz zur hässlichen alpinen Betonstadt Davos aussieht. Dann schweiften meine Gedanken ab zum WEF, wo die Mächtigen dieser Welt grossartige Tagungen und schwülstige Erklärungen produzieren. Wie schön waren doch die APA-Tagungen in unserer kleinen heilen Welt in Engelberg gewesen, die auf die Initiative von Mario zurückgingen. Und damit sind wir schon bei der Geschichte unseres Vereins.
Beginn als «Guerillatruppe» Anfang der Achtzigerjahre im Bahnhofs buffet Zürich, enttäuscht von der Ärzte gesellschaft des Kantons Zürich, die sich überhaupt nicht für die Selbstdispensation einsetzte, schloss ich mich der Gruppe um Mario Vassalli an. Als ich erstmals dort erschien, waren die ersten Worte an mich: «Häsch en Fax?» Der ganze Vorstand war mächtig stolz, dass nun die neue Zeit der Kommunikation angebrochen war und wir uns zwischen den vierteljährlichen Sitzungen austauschen konnten. Eifrig spuckten nun die ratternden Geräte lange Schlangen von Thermopapier aus, das ebenso rasch verblasste wie manche Ideen.
Die neue Technik allein verbesserte aber unsere Situation nicht. Wir kämpften gewissermassen als Guerillatruppe gegen die geballte Propagandawalze des Apothekerverbands. Eine kleine Gruppe engagierter Praktiker, zusammengebracht vom Juristen Mario Vassalli, hatte zwar erkannt, dass die direkte Abgabe von Medikamenten an die Patienten in der Zukunft wirtschaftlich ent-
scheidend für das Fortbestehen der Einzelpraxis sein könnte. Die Pharmazeuten waren aber schon längst organisiert und verteidigten ihre Privilegien, die historischen «Apothekerpreise», mit Klauen und Zähnen. Sie wollten sogar auf politischem Weg die Selbstdispensation eliminieren.
«So nicht, Herr Bundesrat» Unsere hitzigen Vorstandsdebatten, zwar ruhig und umsichtig mit der Erfahrung eines souveränen Gerichtspräsidenten von Mario moderiert, brachten wenig. Die Zeit reichte nie. Darum wurden erste Samstags-Klausuren eingeführt, die wesentlich effizienter waren und beispielsweise bei einer eidgenössischen Vernehmlassung zu Marios legendärem Brief führten, der mit den Worten «So nicht, Herr Bundesrat» begann.
Der grosse Durchbruch kam mit den Engelberger Tagungen. Mario Vassalli hatte diese grossartige Idee und organisierte die mehrtägigen Seminare. Seine guten Beziehungen zum Kloster erschlossen uns ein schönes Hotel. Bereits am Freitagabend trudelten, meist erst nach Sprechstundenende, bis spät in die Nacht alle Vorstandsmitglieder ein. Der ausged ehnte gemütliche Umtrunk am Kaminfeuer führte zusammen. Der ganze Samstag stand nun zur Verfügung für ausführliche Diskussionen ohne Zeitdruck.
So wurde endlich der Zungenbrecher «Vereinigung der selbstdispensierenden Ärzte der Schweiz» durch «Ärzte mit Patientenapotheke» als Vereinsnamen ersetzt, weil sich der Slogan «Frauen für den Frieden» damals gerade politisch als sehr zugkräftig erwiesen hatte. Dass das Akronym APA bereits international für die Österreichische Presseagentur stand, wusste keiner.
Die Umsicht von Mario bewahrte uns vor manchen Torheiten: Voller Enthusiasmus wurde die Einsparungsmöglichkeit durch Selbstdispensation fantasievoll auf 4–6 Mil-
Mario Vassalli
(Foto: APA)
lionen geschätzt, eine Zahl ohne jegliche statistische Absicherung, beruhend einfach auf unserem Bauchgefühl. Begeistert glaubten wir nun, dass die Presse am Montag diese superwichtige Mitteilung sofort publizieren sollte. Es war wieder einmal Mario, der uns auf den Boden der Realität zurückholte. Er stellte die Lächerlichkeit dieses Vorhabens freundlich, aber bestimmt fest. Die Pressemitteilung unterblieb, zum Glück!
Von Kompanie- zu Bataillonsgrösse Die richtige Knacknuss für unseren kleinen Verein war die Mitgliederzahl. Wie der damalige Präsident Sven Michelsen immer betonte, waren wir lediglich eine Kompanie. Und auf rund 150 Mann hörte niemand beim standespolitischen Hickhack. Die APA musste also unbedingt wachsen, mindestens auf Bataillonsstärke. Wir fanden in Engelberg die Lösung: Auch an der Selbstdispensation nicht direkt interessierte Spezialisten und Freunde sowie Bekannte sollten dank der neuen Kategorie Sympathisanten mit einem symbolischen, tiefen Jahresbeitrag Mitglieder werden können.
Das brachte natürlich eine Vervielfachung der administrativen Aufgaben mit sich. Mario meinte aber, das sei zu bewältigen. Mit seiner Frau Rita zusammen und bei grossem Postversand dank Hilfe durch Schüler der Stiftsschule Engelberg löste unser Sekretär das Problem ohne grossen und teuren Mitarbeiterstab. Die Kosten für
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das Backoffice und seine Entschädigung waren immer sehr moderat.
So wurde der Grundstein gelegt für die beachtliche Zahl von rund 1000 Mitgliedern, die uns heute bei FMH und Behörden endlich Mitspracherecht verschafft. Die APA wird gehört, dank Mario und Engelberg.
Enge Beziehungen zum Kloster Engelberg und zu Rom Mario war eng befreundet mit dem vormaligen Abt des Klosters Engelberg, Berchtold Müller. Dieser Beziehung verdanken wir auch kulturelle Höhenflüge wie einen Klosterbesuch mit grossartiger Führung in der Bibliothek durch den Abt persönlich mit Handkontakt zu jahrhundertealten Schriften.
Zeitlebens hatte Mario einen engen Bezug zur Kirche und auch zur Schweizer Garde in Rom. Bei einem Besuch, er war bereits im Altersheim, bestand er stolz darauf, mir die Medaille des Ordens von Sankt Silvester zu zeigen, die ihm zusammen mit dem Titel eines «Gentiluomo di Sua Santità»,
zu Deutsch «Edelmann seiner Heiligkeit», vom Papst persönlich überreicht worden war. Er sass bereits im Rollstuhl, aber als Rita die O rdensmedaille nicht finden konnte, rollte er selbst aufgeregt ins Schlafzimmer und wurde glücklich fündig.
Diese Anerkennung des Vatikans hat ihn zeit seines Lebens ausserordentlich gefreut. Freude hatte er auch an der Ehrenmitgliedschaft der APA, die er wie kein Zweiter verdient hat, die ihm aber erst spät zugekommen ist.
Mit Mario haben wir den ersten S ekretär der APA verloren. Souverän, kompetent und zuverlässig hat er unseren Verein begleitet. Wir danken ihm und auch seiner Frau Rita für die grosse Arbeit und werden Mario nie vergessen. Der Geist von Engelberg lebt weiter in unserer Erinnerung.
Peter H. Müller Ehren- und Altvorstandsmitglied der APA
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