Transkript
EDITORIAL
Auch Frauenherzen bleiben stehen
Seit dem Frauenstreiktag 1991 hat sich auf vielen Ebenen einiges bewegt, aber in Sachen Gleichstellung gibt es immer noch Verbesserungsbedarf – auch jenseits der zentralen Anliegen des diesjährigen Frauenstreiktages. Im Folgenden ist die Rede von einem medizinischen Problem, und es geht im wahrsten Sinne des Wortes ums Überleben. Eine gerade im «European Heart Journal» publizierte Studie zeigt, dass Frauen eine viel geringere Chance haben als Männer, einen Herzstillstand ausserhalb eines Spitals zu überleben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es beginnt damit, dass man einen solchen bei Frauen seltener vermutet. In der öffentlichen Wahrnehmung gelten immer noch Männer als kardial viel stärker gefährdet. Aber auch das weibliche Herz kann stehen bleiben, vor allem wenn Rettungsmassnahmen verzögert eingeleitet werden. Im Rahmen der Studie wurden in einer niederländischen Provinz alle notärztlichen Wiederbelebungsversuche von 2006 bis 2012 analysiert. Spitalextern wurden in diesem Zeitraum mehr als 5700 Herzstillstände verzeichnet, etwas mehr als ein Viertel davon
bei Frauen. Und deren Überlebenschancen waren gleich auf mehreren Ebenen schlechter als bei der männlichen Vergleichsgruppe: Schon die Chance auf einen Wiederbelebungsversuch durch Ersthelfer war geringer (68 vs. 73%), selbst dann, wenn es unmittelbare Zeugen gab (69 vs. 74%). Aber auch in der weiteren Rettungskette waren die Frauen schlechter dran. Nur 34 Prozent wurden lebend im Spital eingeliefert, im Vergleich zu 37 Prozent der Männer. Und nur gut ein Drittel dieser Frauen konnte lebend entlassen werden, im Vergleich dazu gelang das bei gut der Hälfte der Männer. Bei Frauen war die Wahrscheinlichkeit, dass ein akuter Myokardinfarkt diagnostiziert wurde, geringer — genauso wie die Wahrscheinlichkeit, dass eine Koronarangiografie oder eine perkutane Koronarintervention durchgeführt wurde. Alles in allem überlebten ein Achtel der Frauen und ein Fünftel der Männer ein solches Ereignis.
Damit sich das ändert, muss die Öffentlichkeit stärker dafür sensibilisiert werden, dass auch Frauen einen Herzstillstand erleiden können. Wichtig ist dabei auch zu wissen, dass sich ihre Symptome von denen der Männer unterscheiden: Während Männer oft von den typischen Brustschmerzen berichten, sind es bei Frauen eher unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Ohnmacht, Erbrechen und Nacken- oder Kieferbeschwerden, wie Studienleiter Dr. Hanno Tan, Universität Amsterdam, anmerkte. Angesichts des kurzen Zeitfensters für erfolgreiche Rettungsmassnahmen zählt jede Minute, und wenn nur ein Notruf getätigt wird. Dass Herz-Kreislauf-Krankheiten nicht nur bei Männern ein ernst zu nehmendes Thema sind, muss aber auch den Frauen selbst bewusster werden – ebenso wie den behandelnden Ärzten.
Christine Mücke
ARS MEDICI 13 | 2019
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