Transkript
EDITORIAL
Kultgetränk der Nation
Erst als medizinisches Stärkungsmittel für die Schwachen, Kranken und Mangelernährten kam vor über 100 Jahren die Malzarznei Ovomaltine auf den Markt. 1922 wurde sie dann für den freien Verkauf zugelassen. Seither hat das wohl berühmteste Stärkungsmittel der Nation, das vermutlich auch Sie schon einmal in Ihrer Frühstückstasse umgerührt haben, einen beispiellosen Siegeszug hingelegt. Erfunden hatte es der Chemiker und Pharmazeut Albert Wander 1904 in Bern. Er hatte in seinem Laboratorium schon länger an verschiedenen Formen von Malzextrakten herumgetüftelt und mit der Eindampfung im Vakuum einen Weg gefunden, ein vitaminreiches und erst noch schmackhaftes Nährmittel herzustellen. Weil die Wander AG schon früh chemische und pharmazeutische Verfahren bei der Entwicklung von Lebensmitteln anwendete (neudeutsch functional food?), wurde die Geburtsstätte der Ovomaltine von der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz als historische Stätte der Chemie ausgezeichnet.
Neue Erfindung gefragt! Damals war der Ernährungszustand der Bevölkerung ein anderer, und die Ovomaltine als vitaminreiches und gut schmeckendes Nährmittel entsprach einer Notwendigkeit. Heute wäre Wanders Erfindungsgeist gefragt, um ein funktionierendes Schlankheitsmittel zu ertüfteln! Gemäss den neuen Zahlen der Schweizerischen Gesundheitsbefragung würden etwa die Hälfte der Männer und 40 Prozent der Frauen in der Schweiz von einer solchen Erfindung profitieren: 2017 waren 39 Prozent der Männer übergewichtig und 12 Prozent adipös, der Anteil der übergewichtigen Frauen lag bei 23 Prozent, als adipös galten 10 Prozent. Der Anteil der Bevölkerung mit Übergewicht oder Adipositas ist in den letzten 25 Jahren von 30 auf 42 Prozent angestiegen, darunter hat sich der Anteil der Adipösen von 5 auf 11 Prozent mehr als verdoppelt. Vor dem Hintergrund, dass Übergewicht und Adipositas bedeutende Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Brust- und Dickdarmkrebs sowie Erkrankungen des Bewegungsapparates sind, liessen sich mit so einer Erfindung nicht nur viel Leid, sondern auch Behandlungskosten einsparen. Nahezu drei Viertel der Patienten mit Diabetes sind übergewichtig oder adipös, bei den Hypertonikern sind es zwei Drittel. Bis zum Zeitpunkt dieser Erfindung heisst es jedoch «Gring ache» und weiter die Kunst des Motivierens zu mehr Bewegung und weniger Kalorien zu verfeinern.
Valérie Herzog
Quellen: Medienmitteilung Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT (naturwissenschaften.ch) Bundesamt für Statistik: Schweizerische Gesundheitsbefragung 2017. Neuchâtel 10.12.2018.
ARS MEDICI 5 | 2019
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