Transkript
EDITORIAL
Medizinische Beratung im Café Med
Die Fortschritte der modernen Medizin eröffnen immer mehr Möglichkeiten. Aber im Einzelfall kann die wachsende Zahl an Optionen eine Entscheidung schwer machen. Nicht alle Therapien sind für alle gleichermassen sinnvoll, zudem kann die Reaktion auf ein und dieselbe Therapie individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Auch Wünsche und Bedürfnisse variieren: Abhängig von der persönlichen Situation, Komorbiditäten, Alter und so weiter können bei ähnlicher Diagnose ganz unterschiedliche Therapieentscheidungen richtig sein. Manchmal gibt es vielleicht aufseiten der Patienten auch Unsicherheiten über die Motivation einer ärztlichen Empfehlung – ist diese tatsächlich allein medizinisch begründet? Stehen grössere Entscheidungen an, sind angesichts einer immer komplexeren Medizin unter wachsendem Kostendruck Verunsicherungen der Patienten nachvollziehbar. Und diese können in zeitlich limitierten Gesprächen nicht immer vollständig ausgeräumt werden. Vor diesem Hintergrund ist die Idee zum Café Med entstanden. Es soll Ratsuchenden in persönlichem Rahmen und entspannter Atmosphäre eine ergän-
zende, kostenlose medizinische Beratung ermöglichen. Hinter dem durch Spendengelder und Mitgliedsbeiträge finanzierten Projekt der Akademie Menschenmedizin stehen die Psychotherapeutin Annina Hess-Cabalzar, der Internist Christian Hess und die Gynäkologin Brida von Castelberg. Das Angebot kommt an: Im August hat das Café Med in Zürich sein einjähriges Bestehen feiern können, seit Oktober gibt es auch in Luzern ein Café Med. Erfahrene Fachärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und andere Fachpersonen stellen jeden zweiten und vierten Montag im «Chez Marion» in Zürich und jeden ersten Montag des Monats in «Melissa’s Kitchen» in Luzern ihr Wissen und ihre Zeit zur Verfügung, um Patienten und Angehörige frei von finanziellen Interessen professionell zu beraten. Statt Diagnosen und Medikamenten gibt es Zeit zum Zuhören und Nachfragen. Im Übrigen besteht auch für Gesundheitsfachleute die Möglichkeit, sich mit erfahrenen Kollegen über Sorgen und Herausforderungen am Arbeitsplatz auszutauschen. Das Projekt ist eines von vielen der Akademie Menschenmedizin, welche für ein Gesundheitssystem eintritt, das den Menschen und den Versorgungsauftrag in den Mittelpunkt stellt. Weniger profitorientiert, mit weniger Druck durch Kosten und Zeitkorsett – und dabei trotzdem bezahlbar. Dafür beschreiten sie auch neue Wege. Die gute Resonanz auf diese Beratungsangebote erinnert einmal mehr daran, wie wichtig die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist und wie wichtig es wäre, die dafür erforderliche Zeit bei der Vergütung besser zu berücksichtigen.
Christine Mücke
Mehr über die Akademie Menschenmedizin finden Sie online unter www.menschenmedizin.ch.
ARS MEDICI 20 | 2018
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