Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Diabetes und Adipositas
Neue Leitlinie empfiehlt raschere Indikation für bariatrische Chirurgie
Diabetikern mit einem BMI über 40 soll künftig rascher als früher zu einer chirurgischen Verkleinerung des Magens geraten werden. Primäres Ziel des Eingriffs ist hierbei weniger der Gewichtsverlust als die Normalisierung metabolischer Parameter. Die neue Empfehlung findet sich in der aktualisierten S3-Leitlinie «Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen», die unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinund Viszeralchirurgie in Zusammenarbeit mit mehreren anderen Fachgesellschaften, wie der Deutschen Diabetes Gesellschaft, erstellt wurde. Adipösen sollen weiterhin die konservativen Therapiemöglichkeiten grundsätzlich vor oder neben chirurgischen Behandlungsoptionen angeboten werden. Es sei jedoch aufgrund zahlreicher Studien mittlerweile klar, dass eine nachhaltige Gewichtsreduktion bei hochgradiger Adipositas durch eine Ernährungs-, Bewegungs-, Verhaltens- und Pharmakotherapie allein
oder in Kombination möglich, aber meist nicht erreichbar sei, während die Erfolgschancen bei der bariatrischen Chirurgie besser seien. Diabetiker mit einem BMI über 40 müssten demnach künftig nicht mehr nachweisen, dass alle anderen Möglichkeiten der Gewichtsreduktion ohne Erfolg versucht wurden. Auch bei einem BMI von 35 könnte man die Indikation für die bariatrische Chirurgie nun rascher stellen, nämlich dann, wenn diabetesrelevante Ziele nach Einschätzung des behandelnden Diabetologen durch Medikamente und Lebensstiländerungen nicht erreichbar seien. Bei einem BMI über 50 kann die Indikation für den bariatrischen Eingriff sofort gestellt werden, auch ohne Begleiterkrankungen wie Diabetes. Als Kontraindikationen werden instabile psychopathologische Zustände, aktive Substanzabhängigkeit und eine unbehandelte Bulimia nervosa genannt. Falls solche Patienten erfolgreich behandelt werden, sei jedoch eine erneute Beurtei-
lung angebracht, denn psychische Erkrankungen, Binge-Eating oder kindliche Missbrauchserfahrung seien keine generellen Kontraindikationen, schreiben die Leitlinienautoren. Die chirurgischen Standardverfahren sind die Magen-Bypass-Operation (der Magen wird entfernt und durch einen Teil des Dünndarms überbrückt) oder die Magenverkleinerung (Schlauchmagen). Unabhängig vom gewählten Verfahren betonen die Leitlinienautoren, dass nach dem Eingriff eine gute Nachsorge durch Spezialisten gewährleistet sein muss. Dazu gehört die Kontrolle von Gewicht, Laborwerten und Ernährungsverhalten ebenso wie die Empfehlung an die Betroffenen, Selbsthilfegruppen beizutreten und psychologische Unterstützung anzunehmen.
RBO L
Pressemitteilung der DGG und S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen. AWMF-Register Nr. 088-001 (2018); www.amwf.org
Kardiologie
Kein EKG-Screening bei asymptomatischen Personen
Die US Preventive Services Task Force (USPSTF) hält weiterhin nichts von einem EKG als Check-up-Routineuntersuchung, wenn es um asymptomatische Personen mit einem niedrigen KHK-Risiko geht (10Jahres-Risiko < 10%). Es sei sehr unwahrscheinlich, dass ein Ruhe- oder ein Belastungs-EKG etwas an der Risikoeinstufung dieser Personen ändern würde. Aber auch bei Personen mit mittlerem und hohem kardiovaskulärem Risiko rät die USPSTF vom EKG als Screeninginstrument ab. Zum einen sei unklar, ob diese Befunde tatsächlich nützlich für die Risikoeinschätzung seien, und zum anderen wisse man nicht, ob Änderungen im Risikomanagement aufgrund von EKG-Befunden tatsächlich das KHK-Risiko mindern und zu weniger Ereignissen führen würden. Klar sei aber, dass ein EKG-Screening durchaus negative Folgen haben könne, wie etwa weitere, invasive Abklärungen bei falsch positiven oder irrelevanten Befunden (1). So wurde in zwei Studien mit Diabetikern bei 6 bis 12 Prozent der Patienten nach dem EKG-Screening eine Angiografie durchgeführt und bei 3 bis 5 Prozent eine Revaskularisation, ohne dass dies einen nachweisbaren Nutzen für die Betroffenen hatte (1). Die US-amerikanischen Task-Force-Experten bestätigen, was für die Schweizer Praxis seit Jahren empfohlen wird (2). EKG-Untersuchungen eignen sich nicht zum KHK-Screening. So haben 30 bis 50 Prozent der asymptomatischen Patienten mit Q-Zacke, T-Inversion und ST-T-Verlagerung im Ruhe-EKG keine KHK, und ein normaler Befund schliesst eine KHK nicht aus (3). Auch das Belastungs-EKG sagt nichts über das KHKRisiko aus: Die meisten Patienten mit asymptomatischer KHK haben normale Befunde, und umgekehrt haben die meis- ten asymptomatischen Personen mit auffälligen EKG-Befunden meist keine KHK (3). Auch das Argument, ein Routine-EKG im mittleren Alter könne für spätere Vergleiche nützlich sein, wird von Schweizer Ärzten angezweifelt. Schliesslich könne man später trotzdem nie wissen, ob die aktuellen Beschwerden mit Veränderungen gegenüber einem früheren EKG tatsächlich etwas zu tun haben (3). RBO L 1. US Preventive Services Task Force: Screening for cardiovascular disease risk with electrocardiography US Preventive Services Task Force recommendation statement. JAMA. 2018; 319(22): 2308–2314. 2. Cornuz J et al.: Schweizer Empfehlungen für den Check-up in der Arztpraxis. Swiss Med Forum 2015; 15(43): 874–980. 3. Huber F, Beise U: Guideline Check-up. mediXGuideline, erstellt 12/2016, zuletzt geändert 6/2018. www.medix.ch 614 ARS MEDICI 14+15 | 2018 © LIGHTFIELD STUDIOS – Fotolia.com Gesundheitswesen Ärztinnen und Ärzte auch mit Tattoo und Piercing akzeptiert Tattoos und Piercings sind in Mode, auch Ärztinnen und Ärzte lassen sich mitunter damit verschönern. Kritisch kann dies werden, wenn Spitäler oder andere Arbeitgeber Vorschriften erlassen, wonach diese Körperkunst im beruflichen Alltag nicht zu sehen sein darf. Offenbar stört es zumindest Patienten in einer städtischen Notfallambulanz in Pennsylvania, USA, jedoch nicht, wenn sie von einem Mediziner mit Tattoo oder Piercing behandelt werden. In einer Studie veränderten vier Ärzte und drei Ärztinnen jeden Tag ihr Aussehen. Sie erschienen entweder konventionell gekleidet zum Notfalldienst oder mit abwaschbaren Tattoos am Arm, mit Nasenpiercing für die Damen beziehungsweise Ohrschmuck für die Herren oder mit Tattoos plus Piercings. Sie behandelten im Lauf der Studie rund 900 Patienten in der Notfallambulanz. Diese wurden befragt, ob sie sich während der Behandlung wohlgefühlt hätten und wie hoch sie die medizinische Kompetenz des Arztes oder der Ärztin einschätzten. Es fanden sich praktisch keine Unterschiede beim Anteil zufriedener Patienten: Egal ob es ein Arzt oder eine Ärztin war, ob konventionelles Aussehen oder mit Tattoo und/oder Piercing – in jeder Situation stellten mehr als 75 Prozent der Patienten ihren Ärztinnen und Ärzten ein gutes Zeugnis aus. Dieses Ergebnis widerspricht anderen Studien, wie der kürzlich an dieser Stelle vorgestellten Umfrage zur angemessenen ärztlichen Bekleidung (siehe ARS MEDICI 12/2018, Seite 510), in der Patienten an zehn akademischen Lehrkrankenhäusern in den USA die gleichen Parameter anhand von Fotos unterschiedlich gekleideter Ärztinnen und Ärzte bewerteten. Möglicherweise macht es eben doch einen Unterschied, ob man mit seinem Arzt von Angesicht zu Angesicht spricht und sich dabei gut aufgehoben fühlt oder ob man nur Fotos bewertet. Möglicherweise ist es Patienten im Notfall aber auch nur völlig egal, ob sie von einem Arzt mit oder ohne Tattoo behandelt werden – Hauptsache, sie werden gut versorgt. RBO L Cohen M et al.: An observational study of patients’ attitudes to tattoos and piercings on their physicians: the ART study. Emerg Med J 2018; published online first 2 July 2018. Medizingeschichte Galen-Papyrus in Basel entdeckt Der Basler Papyrus nach der Restaurierung (Foto: Universität Basel) Seit dem 16. Jahrhundert befindet sich ein mysteriöser Papyrus in Basel. Beidseitig in Spiegelschrift beschrieben, hat er Generationen von Forschern Rätsel aufgegeben. Ein Team der Universität Basel hat nun herausgefunden, dass es sich dabei um eine unbekannte medizinische Schrift aus der Spätantike handelt. Der Text stammt wahrscheinlich aus der Feder des berühmten römischen Arztes Galen. Erst durch UV- und Infrarotaufnahmen konnte kürzlich festgestellt werden, dass es sich bei diesem 2000 Jahre alten Dokument nicht um einen einzigen Papyrus handelt, sondern um mehrere ineinander verklebte Papyrusschichten. Sie wurden von einem eigens dafür engagierten Papyrusrestaurator voneinander gelöst, sodass man die Schrift entziffern konnte. «Wir können jetzt sagen, dass es sich um eine medizinische Schrift aus der Spätantike handelt, die das Phänomen des hysterischen Atemstillstands beschreibt», sagte Prof. Sabine Huebner, Universität Basel. Man gehe davon aus, dass es sich entweder um einen Text des römischen Arztes Galen handelt oder aber um einen unbekannten Kommentar zu dessen Werk, so Huebner. Universität Basel/red L Pressemitteilung der Universität Basel vom 12. Juli 2018. Rückspiegel Vor 10 Jahren Wer fühlt sich gut bezahlt? In einer Studie mit Profispielern im Fussund Basketballbusiness finden Schweizer Ökonomen beim Vergleich von Honorar und Leistung heraus, dass die Leistung eines Spielers nicht zwingend von seinem persönlichen (hohen) Gehalt abhängt, sondern in erster Linie davon, ob er mehr oder weniger verdient als seine Teamkollegen. Neid ist also auch dann eine Leistungsbremse, wenn das eigene Konto schon mehr als gut gefüllt ist. Vor 50 Jahren Wechseljahre? Hormone! Hormonpräparate werden für Frauen in den Wechseljahren als Wundermittel gegen alle Phänomene angepriesen, die sich in dieser Lebensphase einstellen können. Inserate zeigen beispielsweise eine ältere Frau in verschiedenen Situationen, etwa in einem Café oder an einer Tanzveranstaltung. Während sie offenbar einsam und allein ist, haben die ebenfalls zu sehenden jüngeren Menschen und Paare mehr Freude am Leben. «Trotzdem», so verspricht es die Werbung, müsse es dank des richtigen Hormonpräparats keine Krise im Klimakterium geben. Vor 100 Jahren Wechseljahre? Eierstockpräparate! Hormonpräparate werden auch bereits vor 100 Jahren gegen «Gemütsveränderungen, speziell Melancholie im Klimakterium» angepriesen. Derlei Symptome würden, wie auch sonstige Periodenstörungen, oft in einigen Tagen mit «Eierstockpräparaten» geheilt oder gebessert. Auch die sonstigen Beschwerden des Klimakteriums, wie Wallungen und so weiter, würden günstig beeinflusst. Die Wirkung sei «oft überraschend», schreibt Dr. Max Perlsee in ARS MEDICI. RBO L ARS MEDICI 14+15 | 2018