Transkript
FORTBILDUNG
Serie: Der Arzt als Unternehmer
Das Arzt-Patienten-Verhältnis im Zeitalter der Digitalisierung
Vertrauen von entscheidender Bedeutung
Die Digitalisierung und der damit verbundene technologische Wandel machen auch vor der Medizin nicht halt. Dieser Wandel bietet sowohl Chancen als auch Herausforderungen für den Arzt als Unternehmer, da der Arbeitsalltag des Arztes dadurch deutlich verändert wird.
Mateja Andric, Miriam Bird
Vor dem Hintergrund der sich stetig wandelnden Rahmenbedingungen und des Aufkommens neuer Technologien ist es auch für Ärzte mit eigener Praxis wichtig, sich mit den Auswirkungen solcher Veränderungen auseinanderzusetzen. Dabei reicht ein alleiniger Fokus auf medizinische Innovationen nicht aus – neuartige Trends in den Bereichen Internet, Kommunikation und Datenmanagement greifen auch auf das Arzt-Patienten-Verhältnis über und können dieses grundlegend verändern. Ärzte müssen sich deshalb frühzeitig im Rahmen ihrer Funktion mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen und evaluieren, wie sich die Digitalisierung auf das Verhältnis zum Patienten auswirkt und wie man Herausforderungen der Digitalisierung bewältigen kann. Der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zum Patienten spielt hier eine besonders wichtige Rolle.
Onlinebewertungsportale: Möglicher Stolperstein für Arztpraxen?
Eine für Arztpraxen besonders relevante Entwicklung im Rahmen der Digitalisierung ist das Entstehen neuer Kommunikationsplattformen, wie zum Beispiel die Einführung von Bewertungsportalen (in Deutschland beispielsweise Jameda, Weisse Liste, Sanego, Arzt-Auskunft; in Österreich Docfinder; in der Schweiz medicosearch, okdoc, docapp und deindoktor). Diese Portale weisen eine gewisse Ähnlichkeit zu Hotelbewertungsplattformen auf, da Patienten die Möglichkeit erhalten, Ärzte und Praxen anhand unterschiedlicher Kriterien und oftmals anonym zu bewerten. Obwohl diese Portale sicherlich bei positiven Bewertungen einen Marketingeffekt für die Arztpraxis mit sich bringen können, bergen sie auch Gefahren. So können negative Bewertungen auf diesen Plattformen zu Reputationsschäden führen, da diese im Vergleich zu positiven Kommentaren oftmals deutlich stärker hervorspringen. Deshalb wird nun zunehmend der Ruf danach laut, dass Bewerter auch belegen können, dass sie tatsächlich beim bewerteten Arzt in Behandlung waren.
Bewertungen können Anhaltspunkte liefern
Doch welche Kriterien können die Patienten überhaupt gut selbst beurteilen – und was nicht? Gut einschätzen können
sie, wie viel Zeit sich der Arzt genommen hat, wie freundlich er war und wie lange sie warten mussten. Die fachliche Kompetenz des Arztes können die wenigsten mit Gewissheit bewerten, äussern sich aber ausgerechnet zur Kompetenz des Arztes besonders häufig. Trotz dieses Dilemmas ist es für Ärzte und Arztpraxen lohnend, die Bewertungen auf gängigen Portalen genau zu verfolgen und die dort enthaltenen Kommentare als Feedback zu nutzen. Insbesondere die Bewertungen zu Freundlichkeit, Ausstattung, Empathie und Kommunikation können Ärzten wertvolle Informationen liefern und ihnen helfen, den Arztbesuch der Patienten zukünftig angenehmer zu gestalten. Schliesslich bietet sich auch ein aktives Beschwerdemanagement an, indem auf der Plattform eine Antwort auf negative Bewertungen gegeben wird. Dadurch können Ärzte, insbesondere bei negativen Bewertungen, signalisieren, dass das Feedback ernst genommen wird und Massnahmen zur Verbesserung eingeführt werden.
Zunehmende Distanz zwischen Arzt und Patient
Die Veränderungen im Kommunikationsverhalten von Patienten verschieben nicht nur den Feedbackprozess aus der Praxis in die Welt des Internets – auch in anderen Bereichen bildet sich zunehmend eine räumliche Distanz zwischen dem Arzt und dem Patienten. Die Verfügbarkeit von Onlineratgebern sowie die steigende Beliebtheit von Gesundheits-Apps verlegen den Ort der Erstdiagnose von der Praxis zunehmend in die eigenen vier Wände des Patienten. Dies birgt Gefahren und kann Ärzte vor Herausforderungen stellen, nicht zuletzt, wenn Patienten ihre Lage falsch einschätzen und nach Onlinerecherchen mit bestimmten Erwartungen in die Praxis kommen. Diese Entwicklung kann das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient strapazieren und erfordert deshalb eine frühzeitige Sensibilisierung seitens des Arztes. Auch die Ausbreitung von Telemedizin widerspiegelt die Entkopplung zwischen Ärzten und ihren Patienten. Das steigende Bedürfnis nach Mobilität und die begrenzte Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Arztbesuchen im Rahmen eingeschränkter Öffnungszeiten führen zu einer steigenden Akzeptanz von Telmed-Modellen seitens der Patienten. Das Prinzip der ortsunabhängigen 24-Stunden-Beratung hat weitreichende
618
ARS MEDICI 14+15 | 2018
FORTBILDUNG
Folgen für die Praxislandschaft der Schweiz, nicht zuletzt da der Aufbau von langfristigen Arzt-Patienten-Beziehungen erschwert wird. Patienten sind zunehmend in der Lage, situativ den Arzt zu wechseln und beispielsweise je nach aktuellem Aufenthaltsort eine andere Praxis aufzusuchen. Arztpraxen müssen somit mit einer höheren Patientenfluktuation rechnen und können sich nicht mehr auf das traditionelle Bild des Patienten als «Langzeitkunden» verlassen.
Digitale Patientendossiers
Mit der Einführung des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPD) im April 2017 wurden wichtige Weichen für die Digitalisierung von Patientendaten gestellt. Die Verfügbarkeit des EPD soll dabei ab 2020 schweizweit gewährleistet sein, sodass es allen Patienten möglich sein wird, ein EPD zu eröffnen und dieses eigenständig zu verwalten. Das steigende gesellschaftliche Bedürfnis nach umfassendem Datenschutz und direkter Kontrolle über die Verwendung persönlicher Daten beschränkt sich längst nicht mehr nur auf den Bereich Social Media. Insbesondere aufgrund der hohen Sensibilität von Gesundheitsdaten sind Patienten zunehmend daran interessiert, dass ihre persönlichen medizinischen Dokumente mit Sorgfalt behandelt werden und nicht in die Hände von unbefugten Dritten gelangen. Das EPD stellt für Patienten deshalb eine attraktive Lösung dar, insbesondere da sie Zugriffsrechte selbst bestimmen und ihre Gesundheitsdaten aktiv verwalten können. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem EPD-System und die rechtzeitige Anpassung betrieblicher Abläufe und der Infrastrukturen stellen dabei sicher, dass Arztpraxen auf die sich ändernden Bedürfnisse ihrer Patienten eingehen können.
Die Rolle von Vertrauen im digitalen Zeitalter
Die beschriebenen Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung können das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient vor grosse Herausforderungen stellen. Dabei wird Vertrauen aber auch in Zukunft eine Schlüsselrolle im Geflecht zwischen Patient und Arzt einnehmen. Insbesondere im Zeitalter der Digitalisierung und der räumlichen Entkopplung von Arzt und Patient kommt dem Aufbau eines langfristigen wechselseitigen Vertrauensverhältnisses eine hohe Bedeutung zu. Unter Vertrauen versteht man im Allgemeinen den Willen, sich verletzlich zu zeigen. In Bezug auf die Problematik von Onlinebewertungen impliziert dies, dass die Qualität der Beziehung zwischen Patient und Arzt massgeblich beeinflusst, wie sehr der Patient dem Arzt vertraut und auch gewillt ist, Informationen und Feedback direkt zu kommunizieren. Vertrauen äussert sich dabei oftmals in der positiven Erwartung, dass der Vertrauensnehmer (in dem Fall der Arzt) das entgegengebrachte Vertrauen nicht widersächlich nutzt. Der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zum Patienten ist wichtig, weil auf diese Art und Weise der Informationsaustausch zwischen beiden Parteien verbessert wird. Dies trägt dazu bei, dass zum einen die Behandlung deutlich verbessert werden kann, da Ärzte die Therapie besser auf den Patienten abstimmen können, und zum anderen auch möglichen negativen Bewertungen auf Bewertungsportalen entgegengewirkt wird. Feedback sollte direkt vom Patienten eingeholt werden, um so möglicher Kritik proaktiv entgegenzuwirken.
LINKTIPP
Infobox: E-Health-Trends im Überblick
L Mobile Health: Gesundheits-Apps inkl. mobiler Datenerfassung, z.B. Messung der Herzfrequenz via App
L Datentransparenz und -schutz: elektronisches Patientendossier (EPD)
L Virtuelle Beratung: Telemedizin, Videosprechstunden, Zusendung von Fotos
L Vernetzung: Digitale Schnittstellen zwischen Patienten, Gesundheitsinstitutionen, Apps, Social Media etc.
L Data Analytics, Big Data, künstliche Intelligenz: Nutzung grosser Mengen von Gesundheitsdaten zur Generierung neuer Erkenntnisse
Quellen: siehe Linktipp
Auch in Hinblick auf die Zunahme von Selbstdiagnosen durch Internetrecherchen kommt dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eine besondere Bedeutung zu. Informationen aus dem Internet können eine Basis für Misstrauen darstellen und dazu führen, dass die vom Arzt vorgeschlagene Therapieform infrage gestellt wird. Auch deshalb ist es wichtig, dass der Patient darauf vertrauen kann, dass der Arzt die bestmögliche Therapie vorschlägt. Dem Arzt sollte es deshalb ein Anliegen sein, möglichst individuell auf den einzelnen Patienten einzugehen, um sowohl mögliche Bedenken als auch Kritik aus dem Weg zu räumen. Glaubwürdigkeit durch Fachkompetenz und Einfühlungsvermögen ist eine wesentliche Voraussetzung, um mit dem Patienten ein auf Vertrauen basierendes Verhältnis aufbauen und langfristig erhalten zu können. Nicht zuletzt ist Vertrauen auch im Zusammenhang mit dem Datenmanagement von hoher Relevanz. Patienten ist es ein
Linktipps zum Weiterlesen
1. eHealth Suisse (2017). eHealth-Themen für Gesundheitsfachpersonen (2. Auflage). Online unter www.rosenfluh.ch/qr/ehealth-suisse oder direkt via QR-Code
2. Gigerenzer G et al.: Digitale Welt und Gesundheit. eHealth und mHealth – Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitsbereich. SVRV, Sachverständigenrat für Verbraucherfragen, 2016. Online unter www.rosenfluh.ch/qr/svrv oder direkt via QR-Code
ARS MEDICI 14+15 | 2018
619
FORTBILDUNG
Anliegen, dass Informationen zu ihrer Krankheitsgeschichte vertraulich behandelt werden und die entsprechenden Dokumentationen professionell und sauber verwaltet werden. Ein Verlust oder die Weitergabe dieser sensitiven Daten an unbefugte Dritte kann dabei zu einem substanziellen Vertrauensbruch führen und in einem Patientenabgang resultieren. Der vertrauensvolle Umgang mit dem Patienten betrifft also nicht nur die direkten Interaktionen, sondern auch die Art und Weise, wie im Hintergrund mit Patienteninformationen umgegangen wird.
Handlungsempfehlungen
Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird auch in Zukunft Dreh- und Angelpunkt der Arzt-PatientenBeziehung sein. Ärzte und Praxen müssen sich dabei Strategien überlegen, wie die durch die Digitalisierung hervorgebrachten Herausforderungen bewältigt werden können und der Auflösung des Vertrauensverhältnisses entgegengewirkt werden kann. Die Digitalisierung bietet dabei aber auch Chancen und eröffnet neuartige Möglichkeiten, ein vertrauensbasiertes Arzt-Patienten-Verhältnis aufzubauen und langfristig zu halten: L Verfolgen Sie die Bewertungen auf Onlineportalen, um
Verbesserungspotenziale zu erkennen und konkrete Massnahmen einzuleiten. L Gehen Sie auf die Mobilitätsbedürfnisse Ihrer Patienten ein, indem Sie beispielsweise Telefonkonsultationen, Sprechstunden via Videoübertragung oder Vorabklärungen anhand zugesendeter Fotos von Beschwerden und Verletzungen anbieten. L Ermöglichen Sie die Onlineterminvereinbarung – dies vereinfacht es nicht nur Ihren Patienten, einen Termin zu finden, sondern spart auch Ihnen Zeit.
L Vernetzen Sie sich digital: Stellen Sie sicher, dass Sie auf gän-
gigen Onlineportalen vertreten sind und die Verlinkungen
und Kontaktdetails aktuell sind.
L Verlieren Sie nicht den Anschluss: Informieren Sie sich re-
gelmässig über neue Entwicklungen wie beispielsweise neue
Bewertungsportale oder Applikationen, und nutzen Sie
diese zu Ihrem Vorteil (z.B. Nutzung von Apps zur Messung
bestimmter Gesundheitswerte).
L Befassen Sie sich frühzeitig mit dem EPD und stellen Sie ein
sauberes Datenmanagement und einen ausreichenden
Schutz sensitiver Daten sicher.
Eine vollumfängliche digitale Aufrüstung ist dabei nicht für
jede Praxis sinnvoll – stattdessen sollten die jeweiligen Mass-
nahmen auf die Bedürfnisse der eigenen Patienten ausgerich-
tet sein. Eine zunehmende Nutzung von digitalen Hilfs-
mitteln soll dabei nicht zulasten der Behandlungsqualität
gehen – vielmehr stellt sie eine Chance dar, die direkte, per-
sönliche Interaktion mit dem Patienten in sinnvoller Weise
zu ergänzen.
L
Mateja Andric, MA HSG Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Prof. Dr. Miriam Bird Assistenzprofessorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung der Familienunternehmen CFB-HSG E-Mail: miriam.bird@unisg.ch
Universität St. Gallen Dufourstrasse 40a, 9000 St. Gallen Internet: www.unisg.ch
Interessenlage: Es liegt kein Interessenkonflikt vor.
620
ARS MEDICI 14+15 | 2018