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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Prävention
Senken E-Zigaretten den Konsum von konventionellen Zigaretten?
Was im Einzelfall durchaus funktionieren kann, wird auf Bevölkerungsebene nicht sichtbar: Offenbar sind es nur wenige Raucher, die ihren Zigarettenkonsum dank E-Zigaretten reduzieren oder ganz damit aufhören. Dies ist das Ergebnis einer englischen Statistik über einen Zeitraum von zehn Jahren. England hat seit 2007 restriktive Rauchergesetze, die das Rauchen an allen Arbeitsplätzen verbieten, auch in der Gastronomie, inklusive Pubs und Bars. Die Public-Health-Fachleute Prof. Robert West und Dr. Emma Beard, University
College London, wollten nun herausfinden, ob der Gebrauch von Nikotinersatzprodukten beziehungsweise E-Zigaretten einen auf Bevölkerungsebene messbaren Einfluss auf den Zigarettenkonsum hatte. Sie werteten dafür mit ihrem Team die Daten der «Smoking Toolkit Study» aus, einer repräsentativen Umfrage, die seit November 2006 monatlich in England durchgeführt wird. Für ihre Statistik bedachten West und Beard auch den Einfluss anderer Massnahmen auf Bevölkerungsebene, wie zum Beispiel Rauchstoppkampagnen, und rechneten deren potenzielle Effekte heraus. Im Durchschnitt aller Raucher sank der Zigarettenkonsum in England von 2006 bis 2016 von 13,6 auf 12,3 pro Tag. Der Gebrauch von Nikotinersatzprodukten, wie zum Beispiel Nikotinpflaster oder -kaugummi, sank im gleichen Zeitraum von 12,6 auf 6 Prozent. E-Zigaretten wurden hingegen beliebter: Der Anteil der Raucher, die ihren Tabakkonsum mithilfe von E-Zigaretten reduzieren wollten, stieg im
Lauf von zehn Jahren von 0 auf 17 Prozent. Statistisch zeige sich aber, dass der Einfluss der E-Zigaretten auf den erwähnten Rückgang des täglichen, durchschnittlichen Zigarettenkonsums nicht vorhanden sei oder unter der Nachweisbarkeitsschwelle liege, so die Studienautoren. Möglicherweise hatte man sich von E-Zigaretten mehr erhofft, denn diese stillen das Verlangen nach Nikotin erfahrungsgemäss besser, weil sie, im Gegensatz zu gängigen Nikotinersatzprodukten, ähnlich wie echte Zigaretten ein rasches Anfluten des Nikotinspiegels bewirken können. Man weiss aber bereits aus einschlägigen Studien, dass nur wenige Raucher ihren Tabakkonsum mittels E-Zigaretten auf Dauer reduzieren, sodass es letztlich nicht erstaunlich ist, keinen derartigen Effekt auf Bevölkerungsebene sehen zu können. RBO L
Beard E et al.: Is prevalence of e-cigarette and nicotine replacement therapy use among smokers associated with average cigarette consumption in England? A time-series analysis. BMJ Open 2018; 8: e016046.
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Digitale Lebensvermessung
Aktive Nutzung trotz Bedenken
Im Auftrag der Krankenkasse Sanitas hat die Forschungsstelle Sotomo 4269 Personen in der Umfrage «Digitale Lebensvermessung und Solidarität» über ihre digitale Lebensvermessung online befragt. Die in der Studie vorgestellten Ergebnisse beruhten auf den Antworten von 3055 Personen und seien repräsentativ für die ständige Schweizer Bevölkerung ab 18 Jahren, heisst es in einer Pressemitteilung der Sanitas.
Demnach zeichnet bereits heute rund die Hälfte der Erwachsenen in der Schweiz mit dem Smartphone oder einem anderen tragbaren Gerät Aktivitäten und Zustände ihres Lebens auf. Zwei Drittel der Befragten würden gerne weitergehende automatische Aufzeichnungen tätigen. Zugleich wird das Sammeln persönlicher Daten durch Dritte kritisch gesehen. So nutzen zwar über 70 Prozent der Befragten Gratis-E-Mail und Instant-Messaging-Dienste, nur 14 Prozent finden es jedoch in Ordnung, wenn ihre Datenspuren als Gegenleistung für die Nutzung von Gratisangeboten verwendet werden. Ein Teil der Befragten nutzt einzelne Dienste infolge von Sicherheitsbedenken bewusst selektiv, allerdings sind viele fatalistisch: Nur 22 Prozent der Befragten gehen davon aus, selbst steuern zu können, welche persönlichen Daten gesammelt werden. Trotz Offenheit für die digitale Datenerfassung
ist die Einschätzung der persönlichen Fol-
gen der Digitalisierung für die Bevölkerung
ambivalent. Eine Mehrheit der Befragten
(60%) geht davon aus, dass die fortschrei-
tende Akkumulation persönlicher digita-
ler Daten einen negativen oder sehr nega-
tiven Einfluss auf die Solidarität innerhalb
der Gesellschaft hat. Fast ebenso häufig
wie die Solidarität sehen die Befragten al-
lerdings auch die Eigenverantwortung
durch das Aufzeichnen persönlicher Daten
negativ beeinflusst, weil die Verantwor-
tung an eine digitale «Nanny» abgegeben
werden kann. Die Mehrheit der Befragten
sehen für eine Verbesserung der Situation
weder hauptsächlich den Staat noch die
Unternehmen in der Verantwortung. Die
Verantwortung liege vielmehr bei jedem
und jeder Einzelnen.
Sanitas/red L
Pressemitteilung der Sanitas-Krankenversicherung vom 8. Juni 2018.
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ARS MEDICI 13 | 2018
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Neurologie
Schlaflosigkeit – nur ein böser Traum?
Schlaflosigkeit sei häufig nur ein böser Traum. Das mache sie nicht weniger belastend, ermögliche aber neue Therapien, schreiben Forscher der Universität Freiburg im Breisgau. «Die meisten Patienten, die eine stark ausgeprägte Schlaflosigkeit schildern, schlafen im Schlaflabor rund 80 Prozent des normalen Pensums», so Dr. Bernd Feige, Forschungsgruppenleiter an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Nach dem Grund für diese Diskrepanz zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiv messbarer Schlafdauer suchen Wissenschaftler seit rund 20 Jahren. Erstmals liefern Feige und sein Team eine objektiv messbare Erklärung. Für ihre Studie baten die Freiburger Forscher 27 Probanden mit schweren Schlafstörungen und 27 gesunde Schläfer ins Schlaflabor. In den ersten beiden Nächten gewöhnten sich die Probanden an die Umgebung. In den beiden Folgenächten weckten die Forscher die Probanden
mit einem Signalton aus der REM-Phase, die
auch als Traumphase bezeichnet wird. Sobald
sie wach waren, wurden sie im abgedunkelten
Zimmer gefragt: Haben Sie gerade geschlafen,
oder waren Sie wach?
Das erstaunliche Resultat: Obwohl alle Proban-
den aus dem Traumschlaf geweckt wurden, war
sich jeder sechste Proband mit Schlafproble-
men sicher, wachgelegen zu haben. Gesunde
Probanden wähnten sich hingegen fast nie
wach. Befragt nach ihrer letzten Erinnerung vor
dem Signalton, also nach ihren Träumen, be-
richteten die vermeintlich wachen Probanden
von quälenden Gedanken darüber, nicht schla-
fen zu können. «Offensichtlich bauen manche
Menschen die Sorge vor einer Schlafstörung in
ihre Träume ein. Sie träumen also nur von einer
Schlafstörung», vermutet Feige. Für die Belas-
tung der Patienten mache das aber keinen
Unterschied, betont der Schlafforscher.
Die Studienresultate liefern Hinweise auf eine
mögliche Therapie. So könnten etablierte Traum-
therapien den Betroffenen helfen oder auch
Medikamente, die auf eine Stärkung der Traum-
phase abzielen.
idw/red L
Pressemitteilung der Universität Freiburg, 13. Juni 2018. Feige B et al.: Insomnia – per chance a dream? Results from a NREM/REM sleep awakening study in good sleepers and patients with insomnia. Sleep 2018; 41(5).
Risikobeurteilung
BMI reicht bei jungen Männern nicht
Der Body-Mass-Index (BMI) ist zwar ein gängiger Parameter zur Einschätzung von Körpergewicht und Gesundheitsrisiko, er hat aber bekanntermassen auch seine Schwächen. In einer neuen Studie mit gut 1500 Schweizer Rekruten hat man nun im Rahmen der Musterung die Klassifizierung des gewichtsbedingten Gesundheitsrisikos mithilfe von drei verschiedenen Parametern beurteilt und verglichen. In den Rekrutierungszentren Mels und Windisch wurden von Juli bis August 2016 insgesamt 1548 junge Männer untersucht. Von 1536 wurden alle drei Parameter erfasst: BMI, Taillenumfang und der Quotient Taillenumfang/Körpergrösse. Gemäss BMI war jeder vierte Rekrut übergewichtig oder adipös. Bezüglich der Einschätzung des Gesundheitsrisikos zeigten sich Unterschiede je nach verwendetem Paramater. Gemäss BMI hatten 18,3 Prozent der Rekruten ein gewichtsbedingtes erhöhtes Gesundheitsrisiko, während
es gemäss Taillenumfang in der gleichen BMI-
Klasse (> 25 bis < 30) nur 4,7 Prozent und gemäss Taillenumfang/Körpergrösse-Quotient 11,9 Pro- zent waren. Der Anteil junger Männer in der mit einem deutlich erhöhten Risiko behafteten Adipositasklasse (BMI ≥ 30) betrug 6,7 Prozent gemäss BMI, gemäss Taillenumfang waren es 4,5 Prozent und gemäss Taillenumfang/Körper- grösse-Quotient 2,9 Prozent. Ursache der zum Teil deutlichen Abweichungen in der Risikobeurteilung sei vermutlich die Tat- sache, dass der BMI nicht zwischen Fett- und Muskelmasse unterscheiden könne, was insbe- sondere bei jungen Männern im Rekrutenalter besonders relevant sein könne, so die Studien- autoren. RBO L Staub K: Associations between anthropometric indices, blood pressure and physical fitness performance in young Swiss men: a crosssectional study. BMJ Open 2018; 8:e 018664. Rückspiegel Vor 10 Jahren Herzrisiko für Fussballfans Münchner Wissenschaftler publizieren eine Studie, wonach das Risiko akuter kardiovaskulärer Ereignisse bei Fussballfans deutlich steigt, wenn sie ein spannendes Spiel ihrer Mannschaft verfolgen. Herausgefunden haben sie dies anhand der Daten der Fussballweltmeisterschaft in Deutschland. In den Tagen, an denen die deutsche Mannschaft spielte, stieg die Anzahl der kardialen Notfälle im Grossraum München um das 2,6-Fache gegenüber dem üblichen Durchschnitt an vergleichbaren Tagen ohne Spiel. Besonders stark gingen die Spiele den Männern ans Herz: Bei ihnen stieg die in Inzidenz um mehr als das Dreifache, während sie sich bei den Frauen nur 1,8-fach erhöhte. Vor 50 Jahren Interferon-Produktion Interferone sind zwar bereits seit mehr als zehn Jahren bekannt und beschrieben, ungelöst ist aber nach wie vor die Gewinnung grosser Mengen für die Forschung und therapeutische Versuche. Während man in der Presse bereits berichtet, dass Interferon schon bald in grossen Mengen zur Verfügung stehen wird, sieht die Realität im Labor noch anders aus. Interferone werden noch weitere 30 Jahre ein teures und rares Gut bleiben. Erst danach eröffnet die Gentechnik neue Wege zur Produktion biologischer Substanzen im grossen Massstab. Vor 100 Jahren Impfgegner In England lassen rund 25 Prozent der Eltern ihre Kinder nicht gegen Pocken impfen. Ein britischer Arzt schaut sich die Statistiken in- fektiöser Erkrankungen bei Tausenden von Kindern an und kommt zu dem Schluss, dass die Kuhpockenimpfung die Widerstands- kraft der geimpften Kinder auf keinen Fall mindert, sondern im Gegenteil eher noch er- höht – auch gegen andere Infektionen als diejenige mit dem Pockenvirus. RBO L ARS MEDICI 13 | 2018