Transkript
INTERVIEW
Heute «erleben» mehr Patienten eine chronische Nierenerkrankung
Interview mit PD Dr. med. Andreas Kistler, Kantonsspital Frauenfeld
Chronische Nierenerkrankungen nehmen weltweit zu – wirksame Therapien, um deren Progression aufzuhalten, sind deshalb gefragt. Während man bei Erkrankungen wie verschiedenen Glomerulonephritiden in den letzten zwei Jahrzehnten grosse Fortschritte gemacht hat, tritt man in anderen Bereichen auf der Stelle. In einem ausführlichen Interview gibt PD Dr. med. Andreas Kistler, Chefarzt der Medizinischen Klinik am Kantonsspital Frauenfeld, Auskunft über «Steps and Stops» in der Nephrologie.
ARS MEDICI: Die Häufigkeit chronischer Nierenerkrankungen (CKD) nimmt weltweit zu. Ist das allein auf demografische Faktoren zurückzuführen? PD Dr. med. Andreas Kistler: Global geht man tatsächlich von einer zunehmenden Häufigkeit der CKD aus. Die Inzidenz und die Prävalenz sowie deren zeitlicher Trend variieren aber regional sehr stark, und die Datenqualität zu ihrer Abschätzung ist sehr variabel. Eine CKD-Zunahme über die letzten 25 Jahre fand sich vor allem in den einkommensstarken Ländern, allen voran in den USA. Hierfür muss wohl die Epidemie an Übergewicht und konsekutiv Diabetes mellitus und Hypertonie verantwortlich gemacht werden. Wenn man
Zur Person
PD Dr. med. Andreas Kistler, FMH Innere Medizin und Nephrologie, ist seit 1.4.2018 Chefarzt der Medizinischen Klinik am Kantonsspital Frauenfeld. Davor hat er seit Anfang 2015 dort die Nephrologie geleitet.
Zunächst einmal ist wichtig, spezifisch behandelbare Nierenerkrankungen rechtzeitig zu erkennen und einer Therapie zuzuführen.
die absolute Häufigkeit von Nierenerkrankungen ohne Korrektur auf das Alter betrachtet, dann spielt sicher auch die steigende Lebenserwartung eine Rolle, denn die CKD tritt im Alter häufiger auf. Und schliesslich führen die Erfolge in der Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen dazu, dass mehr Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen eine Niereninsuffizienz «erleben». Letztlich sind aber alle diese Überlegungen sehr spekulativ und schwer durch gute Daten zu untermauern. Erfreulicherweise stagnierten die Inzidenzzahlen der CKD in den USA in den letzten zirka drei Jahren erstmals beziehungsweise waren leicht rückläufig, was ein Zeichen dafür sein könnte, dass die therapeutischen Anstrengungen bei der Behandlung von Hypertonie, Diabetes et cetera fruchten.
Welches sind die wichtigen Massnahmen, um das Fortschreiten einer CKD zu verzögern oder zu verhindern?
Kistler: Hier gilt es zu unterscheiden zwischen spezifischen Massnahmen, die sich gegen verschiedene Ursachen einer Niereninsuffizienz richten, und unspezifischen Massnahmen, die auf Progressionsfaktoren beziehungsweise maladaptive Mechanismen abzielen, welche allen Formen chronischer Nierenerkrankungen gemein sind. Zunächst einmal ist wichtig, spezifisch behandelbare Nierenerkrankungen rechtzeitig zu erkennen und einer Therapie zuzuführen, beispielsweise gewisse rasch fortschreitende Glomerulonephritiden einer Behandlung mit Immunsuppressiva. Die wichtigste unspezifische Massnahme bei proteinurischen Nierenerkrankungen ist die möglichst hoch dosierte Behandlung mit ACE-Inhibitoren oder Angiotensinrezeptor-Blockern – dies gilt vor allem bei gleichzeitigem Vorliegen einer arteriellen Hypertonie. Die Evidenz für die Wirksamkeit einer antihypertensiven Therapie mit anderen Substanzen und bei Nierenerkrankungen ohne Proteinurie ist weniger gut und der optimale Zielblutdruck unklar. Ein weiterer Angriffspunkt ist die Behandlung der oft bei einer Niereninsuffizienz auftretenden Azidose. Eine wachsende Datenlage spricht dafür, dass die metabolische Säure-
ARS MEDICI 13 | 2018
563
INTERVIEW
belastung für vorgeschädigte Nieren ungünstig ist und die Substitution von Bikarbonat oder eine basenreiche Ernährung mit viel Gemüse und Früchten die Progression einer CKD verzögern kann. Die Hoffnungen, die in verschiedene weitere therapeutische Ansätze, beispielsweise antifibrotische Therapien, gesteckt wurden, haben sich leider nicht bewahrheitet, sodass die Optionen zur Progressionshemmung insgesamt begrenzt sind. Unbedingt vermieden werden sollten «second hits» bei vorgeschädigten Nieren, beispielsweise durch die Gabe von nicht steroidalen Antirheumatika oder auch durch Rauchen.
Die CKD ist mit einem erhöhten Atheroskleroserisiko assoziiert. Halten Sie es für sinnvoll, alle Patienten mit einer CKD auf kardiovaskuläre Erkrankungen zu screenen? Kistler: Nein, das halte ich nicht für sinnvoll. Es ist sicherlich sehr wichtig, sich des erhöhten kardiovaskulären Risikos bei CKD-Patienten bewusst zu sein. Dieses beruht aber nur zum Teil auf traditionellen Risikofaktoren und einer klassischen Atherosklerose. Ein wichtiger, nicht traditioneller Risikofaktor bei CKD, der zur vaskulären Kalzifikation führt, ist ein erhöhter Phosphatspiegel. Aus diesem Grund ist die optimale Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen bei CKD-Patienten nicht ganz klar. Insbesondere gibt es keinerlei Evidenz, die die Wirksamkeit und die Kosteneffizienz eines gerellen Screenings auf eine koronare Herzkrankheit oder periphere arterielle Verschlusskrankheit bei CKD-Patienten stützt. Mögliche Symptome einer kardiovaskulären Erkrankung bei CKD-Patienten müssen aber selbstverständlich ernst genommen und abgeklärt werden.
Grundsätzlich finde ich es sehr problematisch, wenn eine Erkrankung derart weit definiert wird, dass die Hälfte der Bevölkerung davon betroffen ist.
Die Hyperphosphatämie ist also ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Wo liegen die Grenzen der täglichen Phosphataufnahme, und mit welchen Massnahmen kann eine Hyperphosphatämie vermieden werden? Kistler: Viele Beobachtungsstudien belegen eine starke Korrelation des kardiovaskulären Risikos mit steigendem Serumphosphatspiegel – schon ab einem hochnormalen Bereich und sogar bei Personen ohne CKD. Diese Daten legen nahe, dass eine Hyperphosphatämie möglichst vermieden beziehungsweise behandelt werden sollte. Die Evidenz aus randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien hierfür fehlt aber, entsprechend kann auch keine genaue Grenze für die tägliche Phosphataufnahme definiert werden. Ein weiteres Problem ist, dass der Phosphatgehalt vieler Lebensmittel nicht genau angegeben wird. Zurzeit existieren zwei Massnahmen, um den Phosphatspiegel zu beeinflussen: eine Reduktion der Phosphatzufuhr in der Nahrung und die Verwendung von Phosphatbindern. Bei der nutritiven Phosphatzufuhr ist es sehr wichtig, zwischen
dem natürlichen Phosphatgehalt von Lebensmitteln in Form von organischen Estern und freiem Phosphat als Nahrungsmittelzusatzstoff zu unterscheiden. Organisches Phosphat kommt in allen proteinhaltigen Nahrungsmitteln vor, und die Zufuhr darf nicht zu stark eingeschränkt werden, da ansonsten die Gefahr besteht, einen Eiweissmangel zu erleiden. Die Bioverfügbarkeit des Phosphats aus pflanzlichen Quellen ist jedoch deutlich tiefer als jene aus tierischen Quellen, entsprechend günstiger sind pflanzliche Eiweisse. Phosphat aus Nahrungsmittelzusätzen wird vollständig resorbiert und hat überdies keinerlei nutritive Wertigkeit. Besonders Convenience Food, also Fertignahrung, und Wurstwaren wie Aufschnitt und Schinken, enthält als Konservierungsmittel Phosphat. Die Phosphataufnahme und gleichzeitig auch die Salzzufuhr lassen sich begrenzen, wenn das Essen selbst aus frischen Zutaten gekocht wird. Wenn diese Massnahmen nicht ausreichen, ist die nächste Option der Einsatz von Phosphatbindern.
Über die optimalen Blutdruckzielwerte wurde in letzter Zeit viel diskutiert. Das American College of Cardiology definiert in den kürzlich publizierten Praxis-Guidelines zur Hypertoniebehandlung Blutdruckwerte von systolisch 130 bis 139 mmHg oder diastolisch 80 bis 89 mmHg bereits als Grad-1-Hypertonie (1). Was halten Sie als Spezialist für Nierenerkrankungen davon? Kistler: Grundsätzlich finde ich es sehr problematisch, wenn eine Erkrankung derart weit definiert wird, dass die Hälfte der Bevölkerung davon betroffen ist. Jedoch empfehlen die Guidelines ja nicht, alle Personen mit einem systolischen Blutdruck >130 mmHg medikamentös zu behandeln. Primär werden Lifestylemassnahmen empfohlen, und insofern kann eine erhöhte Wachsamkeit auf eine beginnende Hypertonie durchaus sinnvoll sein. Was den Effekt einer intensiven Blutdruckkontrolle auf die Progression einer Nierenerkrankung betrifft, so gibt es hierfür ausser bei proteinurischen Erkrankungen keine klare Evidenz. Auch dass eine intensive Blutdruckkontrolle die Inzidenz der hypertensiven Nierenerkrankung senken könnte, ist nicht erwiesen. Bei einzelnen Nierenerkrankungen könnte eine aggressivere Blutdruckkontrolle aber von Vorteil sein. Die Ergebnisse der SPRINT-Studie haben ausserdem gezeigt, dass die Subgruppe mit CKD-Patienten ebenfalls von dem positiven Effekt der intensiven Blutdruckkontrolle auf die kardiovaskulären Endpunkte und die Mortalität profitierte. Einschränkend muss gesagt werden, dass die SPRINT-Resultate aufgrund der etwas unüblichen Blutdruckmesstechnik kontrovers diskutiert werden. Bezüglich der Blutdruckzielwerte bin ich der Ansicht, dass die Behandlungsziele im Rahmen eines «shared decision making» mit dem Patienten besprochen werden sollten, dies unter Einbezug der jeweiligen Erwartungen, beispielsweise der Bereitschaft, Medikamente einzunehmen oder Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen.
In den letzten Jahren sind sehr viele Medikamente für die Behandlung des Diabetes zugelassen worden. Was weiss man über den nephroprotektiven Effekt der neuen Antidiabetika? Kistler: Für die SGLT2-Inhibitoren konnte zum ersten Mal überzeugend für orale Antidiabetika gezeigt werden, dass
564
ARS MEDICI 13 | 2018
INTERVIEW
diese die Entwicklung wie auch die Progression einer diabetischen Nephropathie signifikant und klinisch relevant reduzieren können. Aktuell sind die SGLT2-Inhibitoren nur bei einer noch relativ gut erhaltenen Nierenfunktion zugelassen, die Indikation wird sich aber wahrscheinlich bald ausweiten. Auch für das GLP1-Analogon Liraglutid konnte – in etwas geringerem Masse – ein nephroprotektiver Effekt nachgewiesen werden. Diese Entwicklung werte ich als echten Durchbruch.
Aktuell sind die SGLT2-Inhibitoren nur bei einer noch relativ gut erhaltenen Nierenfunktion zugelassen, die Indikation wird sich aber wahrscheinlich bald ausweiten.
Patienten mit Glomerulonephritiden wurden über viele Jahre mit antiinflammatorischen und immunsuppressiven Medikamenten behandelt. Doch nicht alle Patienten profitieren davon, wie die Ergebnisse der STOP-IgAN-Studie bei Patienten mit IgA-Nephritis zeigten (2). Wie stratifiziert man die Patienten? Kistler: Das pathogenetische Verständnis verschiedener Glomerulonephritiden und das Armamentarium an erprobten Immunsuppressiva ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark gewachsen und erlaubt uns eine differenziertere Behandlung. Um krankheitsspezifische Behandlungsprotokolle anwenden zu können, ist eine präzise histologische Diagnostik unter Einbezug weiterführender unter anderem serologischer Abklärungen essenziell. Wichtig ist zudem, das Risiko einer Krankheitsprogression gegen die potenziellen Risiken einer Therapie abzuwägen. Die membranöse Nephropathie ist ein Beispiel für eine Erkrankung, die oft langsam voranschreitet und bei der in der Regel zunächst ein konservativer Therapieversuch mit ACE-Hemmern oder Angiotensinrezeptorblockern angezeigt ist.
Wir legen grossen Wert darauf, Patienten frühzeitig über die verschiedenen Nierenersatzverfahren aufzuklären und in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.
Bei anderen Glomerulonephritiden wie der ANCA-Vaskulitis oder der proliferativen Lupusnephritis muss aufgrund des aggressiven Verlaufes rasch eine intensive Therapie eingeleitet werden. Die IgA-Nephropathie ist ein Spezialfall und wahrscheinlich einer immunsuppressiven Therapie wenig zugänglich; meines Erachtens ist trotz der negativen Resultate der STOP-IgAN-Studie das Kapitel «Steroide» aber noch nicht vollständig geschlossen. Zusammenfassend verfügen wir heute über wesentlich mehr therapeutische Optionen und gute Methoden der Risikostratifizierung. Letztere helfen vor allem, Patienten vor einer unwirksamen und nebenwirkungsreichen Therapie zu bewahren.
Zunehmend werden auch Biologika in der Nephrologie eingesetzt. Bei welchen Erkrankungen kommen die Substanzen bevorzugt zur Anwendung? Kistler: Zur Behandlung verschiedener Glomerulonephritiden wird schon seit etwa 10 bis 15 Jahren Rituximab (Mabthera®) eingesetzt: Gute Daten gibt es vor allem für die Behandlung der ANCA-Vaskulitis und der membranösen Nephropathie. Bei der Nierentransplantation kommen seit vielen Jahren lymphozytendepletierende Antikörper zum Einsatz, um das Transplantatüberleben zu verbessern und das Risiko akuter Abstossungen zu reduzieren. Ein neuer Wirkstoff, der in der Transplantationsmedizin als alternatives Immunsuppressivum eingesetzt wird, ist der Kostimulationshemmer Belatacept (Nulojix®). Der Komplementinhibitor Eculizumab (Soliris®) wird zur Behandlung des atypischen urämischen Syndroms und bei gewissen Fällen von schwerer C3-Glomerulonephritis eingesetzt, zwei ganz seltenen Erkrankungen, über deren Pathophysiologie man in den letzten Jahren ein besseres Verständnis gewonnen hat.
Welche Neuigkeiten gibt es in der Behandlung von hereditären Nierenerkrankungen? Kistler: Die Hauptneuigkeit ist die Zulassung des Vasopressin-V2-Rezeptor-Antagonisten Tolvaptan (Jinarc®) zur Behandlung der autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung (ADPKD), der häufigsten hereditären Nierenerkrankung. Die Verfügbarkeit dieser Therapie hat das Management der Erkrankung verändert, weil man die Patienten früher und gezielt im Hinblick auf eine mögliche Behandlung screent. Einschränkend muss gesagt werden, dass die Progression der ADPKD durch die Therapie zwar verzögert, die Erkrankung aber nicht geheilt wird und dass der Effekt nicht sehr gross ist. Eine gute Patientenselektion ist auch aufgrund der möglichen Nebenwirkungen und Kosten der Therapie nötig. Ebenfalls zu den Neuigkeiten im Bereich der hereditären Nierenerkrankungen gehört das oben bereits erwähnte Eculizumab zur Behandlung des atypischen urämischen Syndroms. Eculizumab ist für diese Indikation seit 2010 in der Schweiz zugelassen. Aufgrund des extrem hohen Preises wurde das Medikament aber erst jetzt in die Spezialitätenliste aufgenommen.
Die Möglichkeiten an Nierenersatztherapien haben sich in den letzten Jahren vergrössert. Welche Faktoren sollten bei der Auswahl des Verfahrens berücksichtigt werden? Kistler: Was die grundsätzlichen Nierenersatzverfahren betrifft, so haben sich diese im Prinzip seit rund 60 Jahren nicht verändert, als nahezu zeitgleich die beiden Dialyseverfahren Hämodialyse und Peritonealdialyse und die Nierentransplantation möglich wurden. Aber natürlich haben sich alle drei Verfahren technisch stark weiterentwickelt. Die beste Lebensqualität und Lebenserwartung bietet die Nierentransplantation. Deshalb ist sie das Nierenersatzverfahren der Wahl für alle Patienten, die nicht betagt sind oder an schweren Komorbiditäten leiden. Die Hämodialyse und die Peritonealdialyse sind wahrscheinlich bezüglich Lebenserwartung äquivalent, hinsichtlich der Lebensqualität ist die Präferenz des Patienten entscheidend, der Wunsch nach Eigenverantwortung, Heimbehandlung, Zeitplan und so weiter.
566
ARS MEDICI 13 | 2018
INTERVIEW
Wir legen grossen Wert darauf, Patienten frühzeitig über die verschiedenen Nierenersatzverfahren aufzuklären und in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, um die optimale Dialysetherapie zu finden respektive um frühzeitig mit der Suche nach einem möglichen Lebendnierenspender und der Abklärung für eine Transplantation zu beginnen.
zial, das heisst die potenzielle Bindung und Resorptionshemmung anderer Medikamente, weshalb bei der Einnahme anderer Medikamente auf einen zeitlichen Abstand von drei Stunden geachtet werden muss. Bei einer bestehenden Morgen- und Abendmedikation bietet sich beispielsweise die Einnahme von Patiromer am Mittag an.
Seit einiger Zeit ist in der Schweiz der Kaliumbinder Patiromer zur Behandlung der Hyperkaliämie zugelassen. Bei welchen Patienten ist eine solche Behandlung indiziert, und worauf muss man dabei achten? Kistler: Der Kaliumbinder Patiromer (Veltassa®) ist zugelassen, die Aufnahme in die Spezialitätenlisten aber noch pendent, sodass wir den Preis noch nicht kennen. Dieser wird ein wichtiger Faktor sein, wenn es um die Frage geht, wie grosszügig das Medikament verschrieben wird. Patiromer wurde spezifisch für die Langzeitbehandlung von Patienten mit einer chronischen Hyperkaliämie entwickelt. Verglichen mit Polystyrolsulfonat (Resonium A®), das zur Behandlung der akuten Hyperkaliämie zugelassen ist, dauert es länger, bis die Wirkung von Patiromer eintritt, weshalb die Akuttherapie der Hyperkaliämie keine Indikation darstellt.
Aus meiner Sicht wäre es die sinnvollste Lösung, wenn jede Person die Pflicht hätte, sich in Bezug auf ihre Organspendenbereitschaft zu äussern.
Patiromer wird vermutlich vor allem bei Patienten eingesetzt werden, die aufgrund einer ausgeprägten Proteinurie mit ACEHemmern oder Angiotensinrezeptorblockern behandelt werden und darunter eine Hyperkaliämie entwickeln, die mit anderen Massnahmen nicht ausreichend behandelt werden kann. Eine potenzielle Behandlungsgruppe könnten auch Dialysepatienten darstellen, die trotz Ernährungsberatung und anderen Massnahmen immer wieder sehr hohe Kaliumwerte aufweisen. Die Therapie mit Patiromer ist gut verträglich und nebenwirkungsarm. Zu beachten ist das Interaktionspoten-
Welche Rolle spielen Biologika bei den ABO-inkompatiblen Nierentransplantationen, und welchen Einfluss hat das auf die Verteilung der Organspenden? Kistler: Die präoperative Desensibilisierung des Empfängers mit Rituximab und Immunadsorption der Blutgruppenantikörper ist Voraussetzung, um überhaupt eine blutgruppeninkompatible Lebendtransplantation durchführen zu können. Die Möglichkeit der ABO-inkompatiblen Nierentransplantation bei Patienten, bei denen ein medizinisch geeigneter und gewillter, aber inkompatibler Spender vorhanden ist, stellt angesichts des Organmangels eine wichtige Entwicklung dar, ist aber diesbezüglich nicht viel mehr als ein Tropfen auf einen heissen Stein.
Was halten Sie davon, die Organspende in der Schweiz mit der Widerspruchslösung zu regeln? Kistler: Dies ist ethisch ein schwieriges Thema. Aus meiner Sicht wäre es die sinnvollste Lösung, wenn jede Person die Pflicht hätte, sich in Bezug auf ihre Organspendenbereitschaft zu äussern, und diese Entscheidung, zum Beispiel auf der Krankenversicherungskarte, schriftlich vermerkt wäre – natürlich ebenfalls mit der Option, dass die Angehörigen die Entscheidung treffen sollen. Allein die Notwendigkeit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, würde vermutlich dazu führen, dass die Zahl der potenziellen Organspender zunähme.
Herr Kistler, wir danken Ihnen für das Gespräch.
L
Das Interview führte Regina Scharf.
Referenzen: 1. Whelton PK, Carey RM: The 2017 clinical practice guideline for high blood
pressure. JAMA 2017; 318(21): 2073–2074. 2. Rauen T et al.: Intensive supportive care plus immunosuppression in IgA
nephropathy. N Engl J Med 2015; 373(23): 2225–2236.
ARS MEDICI 13 | 2018
567