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BERICHT
Gestresste Frauen
Adaptogene Pflanzen mindern den Stress
Aussergewöhnliche Lebenssituationen zusätzlich zu einem fordernden Umfeld können zu einer Stresssituation führen. Der Körper reagiert. Zieht sich die Stresseinwirkung länger hin, «funktioniert» der Körper bis zu einem gewissen Punkt. Um einem Zusammenbruch vorzubeugen, bieten sich in der Phytotherapie einige Strategien an, wie Dr. Marion Ombelli-Meisser, Gynäkologin in Neuchâtel, an der 32. Jahrestagung für Phytotherapie erklärte.
Heutzutage gehört es zum guten Ton, gestresst zu sein. Wer nicht gestresst ist, gilt als Langweiler. Das hat aber wenig zu tun mit echtem Stress, der als physische, psychische und biochemische Reaktion des Körpers auf Stressoren definiert ist, die als störend für die Homöostase des Körpers wahrgenommen werden. Stress kann in verschiedenen Lebenssituationen auftreten und reguliert das sympathische Nervensystem sowie die Hypothalamus-Hypophyse-Nebennieren-(HPA)Achse hoch. Dies führt als Stressantwort zu neuronalen, immunogenen, entzündlichen und endokrinen Adaptationen. Die Stressantwort verläuft in drei Phasen: Alarmphase, Resistenzphase und Erschöpfungsphase mit Zusammenbruch. Die Alarmphase zeichnet sich aufgrund vermehrter Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol vor allem durch Schlafstörungen, nächtliches Schwitzen, Herzrasen, Muskeltremor, Ängstlichkeit, Kopfschmerzen oder Hitzewallungen aus. In der Resistenzphase stabilisiert sich die Hormonausschüttung auf erhöhtem Niveau. Bei länger dauernder Stresseinwirkung werden Reserven, über die der Körper nicht unbegrenzt verfügen kann, zusehends verbraucht. Gemäss Ombelli-Meisser kann es im Stadium von zu viel Kortisol zu erhöhtem Blutzucker kommen, vermehrter Fetteinlagerung, erhöhtem Blutdruck, Knochenabbau, Suppression des Immunsystems, Gedächtnisverlust, Depression sowie Schildddrüsen- und Zyklusstörungen. Es können Symptome wie Reizbarkeit, Angst, Fatigue, Schlappheit, nächtliches Schwitzen, Tremor, Schlafstörungen oder Infektanfälligkeit auftreten. Unbehandelt kann dies zu Melancholie, Depression, Angstund Schlafstörungen sowie zu verstärktem prämenstruellem Syndrom führen. Hört der Stress nicht auf, führt dies zwangsläufig zur Erschöpfungsphase, weil physiologische Reserven aufgebraucht sind. Das Immunsystem ist kompromittiert, Krankheitszeichen bis hin zu irreversiblen Schädigungen können auftreten. Fatigue, Konzentrationsverlust, vermehrtes Schlafen ohne Erholung, erhöhte Allergieanfälligkeit und Depression können Anzeichen dafür sein.
Behandlungsstrategien bei Stress
Stress lässt sich messen. Fragebögen wie zum Beispiel das Maslach Burnout Inventory oder die Live-Change-Units-Scale stehen dafür zur Verfügung. Ebenso können die Bestimmung des Hormonspiegels in Speichel und Blut sowie die Herzfrequenzvarabilität und der Blutdruck Indizien liefern.
Der erste Schritt der Stressbewältigung besteht darin, auf das autonome Nervensystem und die Kortisolproduktion einzuwirken. Nicht pharmakologische Methoden sind beispielsweise Biofeedback-Übungen mit dem Ziel, die Herzfrequenzvariabilität zu stabilisieren, oder aktives Yoga zur Regulierung des Stresssystems und der Kortisolsekretion über die Faszien (1, 2), so Ombelli-Meisser. Auch die Phytotherapie bietet einige Möglichkeiten. Bei der Auswahl der Pflanze ist es gemäss Ombelli-Meisser wichtig zu wissen, ob sich die Patientin in der Phase chronisch erhöhter Kortisolausschüttung oder in der «Adrenal Fatigue» im Zusammenbruch befindet. Johanniskraut kann bei Stress eingesetzt werden. Es reduziert depressive Symptome und Ängstlichkeit und senkt ACTH und Kortisol (3). Zum Einsatz kommen jedoch auch «adaptogene» Pflanzen. Dieser Begriff geht auf den russischen Arzt Dr. Nicolai Lazarev zurück, der damit Pflanzen bezeichnete, deren Inhaltsstoffe die Resistenz des Körpers gegenüber Stress erhöhen. Laut der Definition des Commitee on Herbal Medicinal Products der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) sollen Adaptogene die Resistenz gegenüber widrigen biologischen, chemischen und physikalischen Faktoren steigern. Im Gegensatz zu Tonika und Stimulanzien soll die durch Adaptogene gesteigerte Arbeitskapazität nach Absetzen nicht wieder abfallen. Sie sollen gut verträglich und ohne Nebenwirkungen sein (4). Diesen Anforderungen genügen nur ein paar wenige Arzneipflanzen.
Adaptogene bei erhöhtem Kortisol
Das Adaptogen Rosenwurz (Rhodiola rosea) ist eine ausdauernde sukkulente Pflanze mit charakteristischem Duft und kommt in der Arktis, Eurasien und Nordamerika bis zu einer Höhe von 4000 Metern über dem Meeresspiegel vor. Zur Therapie dient die Wurzel. Rosenwurz senkt den Kortisolspiegel, wirkt der Müdigkeit entgegen und verbessert die Denkleistung (5, 6). Es vermindert Depression, Schlafstörungen, Angst und emotionale Instabilität (7). Die Dosis beträgt 2-mal täglich 200 mg. Auch die Taigawurzel (Syn. sibirischer Ginseng, Eleutherococcus senticosus) ist ein Adaptogen und ist in Sibirien, Japan und im nördlichen China heimisch. Bei der Pflanze handelt es sich um einen stacheligen Strauch, der bis zu 7 Meter hoch werden kann. Für die Therapie werden Wurzelrinde und Wurzelstock verwendet. Die Taigawurzel senkt den durch Stress erhöhten Kortisolspiegel, inhibiert die stressinduzierte
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Rosenwurz (Rhodiola rosea)
Sibirischer Ginseng (Elentherococcus senticosus)
Süssholz (Glycyrrhiza glabra)
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Koreanischer Ginseng (Panax ginseng)
Johanniskraut (Hypericum perforatum)
Immunsuppression und fördert Ausdauer und Konzentration (8), wie Ombelli-Meisser ausführt.
Adaptogene bei niedrigem Kortisol
Befindet sich der Patient bereits in der Erschöpfungsphase mit verminderter Kortisolproduktion, sind Adaptogene wie der asiatische Ginseng und Süssholz eine Hilfe. Der asiatische Ginseng (Panax ginseng) verbessert die Kortisol/Dehydroepiandrosteron-(DHEA-)Ratio, stimuliert das Immunsystem und verbessert die Aktivität der natürlichen Killerzellen des Immunsystems (9, 10). Darüber hinaus soll es neuro- sowie kardioprotektiv wirken, die Wundheilung verbessern, allergische Reaktionen vermindern und die Insulinsensitivität verbessern (11), so Ombelli-Meisser. Der asiatische Ginseng kann demnach zur Regulation der HPA-Achse, zur Verbesserung des Energiemetabolismus während körperlichen Trainings und bei unter chronischem Stress stehenden
Nebennieren eingesetzt werden. Die Behandlungsdauer be-
trägt 1 bis 2 Monate (12).
Eine weitere phytotherapeutische Option ist Süssholz (Gly-
cyrrhiza glabra). Süssholz ist die am häufigsten verwendete
Pflanze in der chinesischen Medizin. Glycyrrhizin senkt Kor-
tisol-, Aldosteron- und Prostaglandinspiegel (13), kann aber je
nach genetischer Prädisposition zu Hypertonie führen (14).
Die Blätter der schwarzen Johannisbeere finden bei dieser In-
dikation ebenfalls ihren Einsatz. Ihnen wird eine Stärkung
des Immunsystems wie auch die Reduktion von oxidativem
Stress zugeschrieben.
L
Valérie Herzog
Quelle: Phytotherapie für die gestresste Frau. 32. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie, 23.11.2017 in Brugg.
Literatur unter www.arsmedici.ch
Tabelle:
Adaptogene Pflanzen zur Therapie bei Stress
Pflanze Rhodiola rosea (Rosenwurz) Hypericum perforatum (Johanniskraut) Eleutherococcus senticosus (Taigawurzel, sibirischer Ginseng) Asiatischer Ginseng (Panax ginseng) Süssholz (Glycyrrhiza glabra) Schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum)
Handelsname Vitango® Hyperiplant®, Jarsin®, Hyperimed®, Rebalance®, Remotiv® Vigor®
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Referenzen: 1. Clark B: Your Body, Your Yoga. Wild Strawberry Productions, Edinburgh;
1. Auflage 2016. 2. Corey SM et al.: Effect of restorative yoga vs. stretching on diurnal cor-
tisol dynamics and psychosocial outcomes in individuals with the metabolic syndrome: the PRYSMS randomized controlled trial. Psychoneuroendocrinology 2014; 49: 260–271. 3. Butterweck V et al.: Flavonoids of St. John’s Wort reduce HPA axis function in the rat. Planta Med 2004; 70: 1008–1011. 4. Committee on herbal medicinal products: Reflection paper on the adaptogenic concept. European Medicines Agency 2008. EMEA/HPMC/ 102665/2007. 5. Olsson EM et al.: A randomised, double-blind, placebo-controlled, parallel-group study of the standardised extract shr-5 of the roots of Rhodiola rosea in the treatment of subjects with stress-related fatigue. Planta Med 2009; 75: 105–112. 6. Spasov AA et al.: A double-blind, placebo-controlled pilot study of the stimulating and adaptogenic effect of Rhodiola rosea SHR-5 extract on the fatigue of students caused by stress during an examination period with a repeated low-dose regimen. Phytomedicine 2000; 7: 85–89. 7. Darbinyan V et al.: Rhodiola rosea in stress induced fatigue – a double blind cross-over study of a standardized extract SHR-5 with a repeated low-dose regimen on the mental performance of healthy physicians during night duty. Phytomedicine 2000; 7: 365–371. 8. Upton R: Analytica, quality control, and therapeutic monograph. Santa Cruss, CA. American Herbal Pharmacopeia 1999; 1–25. 9. Hiai S et al.: Stimulation of pituitary-adrenocortical system by ginseng saponin. Endocrinol Jpn 1979; 26: 661–665. 10. Liou CJ et al.: Short-term oral administration of ginseng extract induces type-1 cytokine production. Immunopharmacol Immunotoxicol 2006; 28: 227–240. 11. Radad K et al.: Use of ginseng in medicine with emphasis on neurodegenerative disorders. J Pharmacol Sci 2006; 100: 175–186. 12. Avakian EV et al.: Effect of Panax ginseng extract on energy metabolism during exercise in rats. Planta Med 1984; 50: 151–154. 13. Baker ME et al.: Licorice, computer-based analyses of dehydrogenase sequences, and the regulation of steroid and prostaglandin action. Mol Cell Endocrinol 1991; 78: C99-102. 14. Harahap IS et al.: Herbal Medicine Containing Licorice May Be Contraindicated for a Patient with an HSD11B2 Mutation. Evid Based Complement Alternat Med 2011; 2011: 646540.
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