Transkript
Frühsommer-Meningoenzephalitis
Neue Zeckenarten im Visier
BERICHT
Anlässlich des 4. Süddeutschen Zeckenkongresses machten Wissenschaftler der Universität Hohenheim darauf aufmerksam, dass im letzten Jahr mehr FSME-Erkrankungen diagnostiziert wurden als in den Jahren zuvor. Gleichzeitig wiesen sie auf neue Zeckenarten und die potenzielle FSME-Übertragung durch infizierte Rohmilch hin. Informationen über Zeckenstiche in der Schweiz sammelt die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften mithilfe einer kostenlosen App. Darüber hinaus ruft das Nationale Referenzzentrum für zeckenübertragene Krankheiten der Schweiz dazu auf, Zecken einzusenden, damit diese auf Krankheitserreger untersucht werden können.
Abbildung 1: Auch die zunehmend verbreitete Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) kann FSME übertragen. (Foto: Accipiter, Wikimedia)
Abbildung 2: Ixodes inopinatus ist mittlerweile auch ausserhalb des Mittelmeerraums zu finden. (© DZIF/Dobler)
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr fast 500 FSMEErkrankungen diagnostiziert, die zweithöchste Zahl je registrierter Erkrankungsfälle, wie PD Dr. Gerhard Dobler sagte, Dozent an der Universität Hohenheim und Leiter der Abteilung für Virologie und Rickettsiologie am Institut für Mikro-
2017 Erkrankungsrekord auch in der Schweiz
Nicht nur in Deutschland wurde im letzten Jahr ein neuer Rekord an FSMEFällen verzeichnet. 2017 erkrankten auch in der Schweiz mit 272 Fällen (Stand November 2017) mehr Menschen an FSME als in den Jahren seit 2000 (Abbildung 3). Die aus Osteuropa stammenden Auwaldzecken verbreiten sich seit einigen Jahren auch in der Schweiz, sind aber gemäss Rahel Ackermann vom Nationalen Referenzzentrum für zeckenübertragene Erkrankungen hier bisher als Überträger von FSME-Erregern noch nicht in Erscheinung getreten. Nicht nur in Deutschland wurde beobachtet, dass diese Art das FSME-Virus übertragen kann. Auch in Osteuropa gibt es dazu Studien, jedoch sei Dermacentor reticulatus entsprechend Aussage der Autoren dieser Studien weniger effizient im Übertragen des Erregers als die üblichen VektorZeckenarten Ixodes ricinus/persulcatus und gelte daher nur als gelegentlicher Überträger. Zu einer weiteren Zeckenart, Ixodes inopinatus, seien ihr noch keine Studien mit Informationen aus der Schweiz bekannt.
biologie der Bundeswehr in München sowie des Nationalen Konsiliarlabors für FSME in Deutschland. Den deutlichsten Anstieg der Erkrankungen verzeichneten die Wissenschaftler entlang des Alpenkamms. Gesamthaft sei aber eine Verschiebung und eine zunehmende Ausbreitung gegen Norden zu sehen: «Die Statistik zeigt uns ganz neue Hotspots in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Zum allerersten Mal erhalten wir sogar Erkrankungsberichte aus den Niederlanden», berichtete die Zeckenexpertin Prof. Dr. Ute Mackenstedt, Parasitologin an der Universität Hohenheim.
Neu eingewanderte Zeckenarten
Die hohen Erkrankungszahlen des letzten Jahres führen die Forscher unter anderem auf das Wetter zurück. Die warme Zeit nach der Kältewelle im Sommer 2017 lockte wahrscheinlich viele genau dann nach draussen, als auch die höchste Aktivität von Ixodes ricinus zu verzeichnen war. Welche Rolle dabei neue Zeckenarten für das erhöhte FSMERisiko spielen, können die Wissenschaftler noch nicht abschliessend beurteilen. 2016 fanden Parasitologen der Universität Hohenheim sowie Virologen des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr und der Universität Leipzig das FSME-Virus erstmals in der zunehmend einwandernden Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) (Abbildung 1). Ebenso wurde mit Ixodes inopinatus (Abbildung 2) eine weitere in Deutschland neue Art verzeichnet, die aus dem Mittelmeerraum stammt. «Noch ist nicht klar, wie lange diese Art schon in Deutschland heimisch ist und ob sie als FSME-Überträgerin infrage kommt. Wichtig wäre auch abzuklären, ob mit ihr nicht auch neue Krankheiten nach Deutschland gelangten, wie etwa das Mittelmeerfieber», so Mackenstedt. In verschiedenen Projekten wollen die Wissenschaftler nun versuchen, Lebensräume und Verhaltensweisen der Zecken zu erforschen, um wirkungsvolle Bekämpfungsstrategien entwickeln zu können. Darüber hinaus geht es um die Frage, ob und wie FSME-Viren das Verhalten von Zecken verändern, denn eine osteuropäische Studie lieferte Anhaltspunkte dafür, dass die Wirtssuche der Zecken durch den FSMEErreger verlängert werde.
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BERICHT
Abbildung 3: FSME-Fallzahlen pro Monat im Verlauf der Saison, Vergleich 2015 bis 2017 (2017: Stand Ende Monat November), www.bag.admin.ch
FSME-Schutz durch Impfung
Zuverlässig könne nach wie vor nur eine Impfung vor einer FSME-Infektion schützen, so die Experten. Man dürfe die Infektion nicht unterschätzen, gab Dobler zu bedenken. Von schweren Krankheitsverläufen mit Lähmungen, Koma, Krampfanfällen, Defektheilungen und vereinzelten Todesfällen seien Kinder und Erwachsene gleichermassen betroffen. Die Impfstoffe weisen hingegen eine fast 100-prozentige Wirksamkeit und eine geringe Komplikationsrate (1,5 Fälle auf 1 Million Impfungen) auf. Die Impfung schütze darüber hinaus auch vor einer FSMEInfektion durch infizierte Rohmilchprodukte. Via Infektion von Weidetieren können infizierte Zecken den Erreger auch ohne direkten Kontakt mit dem Menschen weitergeben. Das sei zwar seit der Pasteurisierung von Milch eher eine Randerscheinung (in Deutschland 1 Infektion 2016 und 8 Fälle 2017), aber das Erkrankungsrisiko sei nach dem Genuss infizierter Rohmilchprodukte um das Dreifache höher als nach dem Biss einer infizierten Zecke. Insofern rieten die Experten auch denjenigen zu einer Impfung, die in einem Endemiegebiet Rohmilchprodukte zu sich nehmen – beziehungsweise aus Gründen der Lebensmittelsicherheit generell zu Produkten aus pasteurisierter Milch.
ZHAW-App «Zecke» als Präventionstool
Mit der kostenlosen interaktiven App «Zecke» der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) können die Nutzer freiwillig und anonym Angaben übermitteln, wann und wo sie von einer Zecke gestochen wurden. Im
Gegenzug erinnert die App nach 5, 10 und 28 Tagen an die Kontrolle des Zeckenstichs auf mögliche Krankheitssymptome. Mithilfe der App will man am ZHAW mehr über die Verbreitung von Zecken und das damit verbundene Infektionsrisiko in der Schweiz erfahren. Über alle Altersstufen gesehen ist bei 56 Prozent aller Zeckenstiche der Unterkörper betroffen. Die Auswertung nach Alter der Betroffenen zeigt, wie sich Unterschiede im Freizeitverhalten zwischen Kindern und Erwachsenen auf die Verteilung der Zeckenstiche am Körper auswirken. 40 Prozent aller per App gemeldeten Zeckenstiche finden sich bei Kindern bis 12 Jahre an Kopf und Hals. Bei Erwachsenen zwischen 26 und 80 Jahren ist vor allem der Unterkörper betroffen (72%). Der Grund: Beim Spielen im Grünen steigen Kinder kopfvoran ins Gebüsch und lieben es, durchs hohe Gras zu rennen. Darum sind bei ihnen vor allem Kopf und Hals betroffen. Entgegen der landläufigen Meinung lassen sich Zecken nicht von Bäumen fallen, sondern klettern maximal einen Meter hoch, etwa an Grashalmen oder Gebüschen, und werden dort im Vorübergehen abgestreift. Kinder sollten nach der Aktivität im Freien vor allem am Haaransatz, hinter den Ohren, am Kopfhaar und danach am ganzen Körper auf Zecken untersucht werden. Bei den Erwachsenen muss man besonders auf Ober- und Unterschenkel, Kniekehle, Leiste sowie Achselhöhle und Genitalbereich achten. Bei den Aktivitäten im Freien stechen die Zecken in der Hälfte der Fälle beim Sport und Spazieren, in 24 Prozent im Garten und rund ums Haus. 6 Prozent der Betroffenen werden beim Grillen und 6 Prozent beim Picknick und der «Pinkelpause» unter freiem Himmel gestochen, 4 Prozent im Beruf (zum Beispiel Land- und Forstwirtschaft) und 11 Prozent bei anderen Tätigkeiten.
Zecken an das Nationale Referenzzentrum schicken
Zusätzlich zur Stichmeldung gibt es die Möglichkeit, auf
Menschen gefundene Zecken nach einem Stich ins Nationale Referenzzentrum für zeckenübertragene Krankheiten (NRZK)
zu senden. Dort werden die Tiere auf rund zehn Krankheitserreger untersucht. Damit lassen sich künftig bessere Aussagen über den Verbreitungsgrad von Infektionskrankheiten
machen, die von Zecken übertragen werden können. Einzel-
heiten zum Versand sind in der App zu finden. Bis jetzt sind 86 Zecken beim NRZK eingetroffen. Für aussagekräftige Er-
gebnisse sollten es aber mindestens 1000 sein. Die Absender
erhalten keine Analyseresultate des Labors, weil ein positiver Erregerbefund nichts darüber aussagt, ob eine Übertragung
des Erregers auf den Menschen tatsächlich stattgefunden hat.
Ein negativer Befund könnte auch falsche Sicherheit vortäu-
schen, und eine Infektion durch einen anderen, unbemerkten
Zeckenstich ist zudem möglich.
s
Christine Mücke
Weitere Informationen zur Zecken-App: www.zhaw.ch/iunr/zecken
Quellen: Pressemitteilung der Universität Hohenheim anlässlich des 4. Süddeutschen Zeckenkongresses Zeckenübertragene Krankheiten – Lagebericht Schweiz, ww.bag.admin.ch Pressemitteilung der ZHAW vom 21. März 2018
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