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Primärprävention mit Statin nützt Älteren wahrscheinlich nichts
Untertitel
-
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Die Statingabe in ALLHAT-LLT sei bestenfalls nutzlos für die über 65-Jährigen gewesen, so die Autoren einer neuen Auswertung der Studiendaten: «Selbst geringe Nebenwirkungen können bei älteren Personen Schaden anrichten». Insofern sollte der Nutzen deutlich ausfallen, um eine primärpräventive Statingabe in dieser Altersgruppe zu rechtfertigen.
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MEDIEN - MODEN - MEDIZIN
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32482
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Forschung
Berner Biobank feiert Geburtstag

Die Liquid Biobank Bern (LBB) ist die erste automatisierte klinische Flüssigbiobank der Schweiz. Sie ist seit einem Jahr in Betrieb. Innerhalb dieses Jahres wurden 8500 neue
Transportsystem für die gefrorenen Proben: Der mit Flüssigstickstoff gekühlte Transportbehälter wird auf einem Schienensystem an den Zielort der Fracht gefahren, wo die Proben automatisch bei minus 150 Grad Celsius eingelagert werden. (Foto: © Insel Gruppe/Pascal Gugler)

Proben erfasst. Darunter befinden sich auch Proben von rund 700 Patientinnen und Patienten, die einer Blutspende für die Sammlung zugestimmt haben. In der Sammlung werden Körperflüssigkeiten (vor allem Blutproben) bei minus 80 bis minus 150 Grad Celsius gelagert. Sofern der Patient sein Einverständnis gegeben hat, stehen seine Bioproben für mehrere von der Ethikkommission bewilligte Forschungsprojekte zur Verfügung. Damit erhält ein grosser Kreis von Forschenden Zugang zu geeignetem Studienmaterial. Nun werden auch die Proben der Swiss-HIVCohort-Studie in die LBB aufgenommen. Die Schweizer HIV-Kohorte wird seit Ende der Achtzigerjahre begleitet. Die Studie umfasst mittlerweile die Daten von über 19 000 HIVPatienten. Alle Universitätsspitäler der Schweiz, die Kantonsspitäler und die meisten spezialisierten Ärztinnen und Ärzte sind an der Kohortenstudie beteiligt. Am Insel-

spital werden die Bioproben im Institut für

Infektionskrankheiten der Universität Bern

verarbeitet, mikrobiologisch analysiert, und

sie wurden bisher auch dort gelagert. Bis

heute wurden mehr als 150 000 biologische

Proben nach dem bisher höchsten Bioban-

kingstandard gesammelt, die künftig in der

LBB gelagert werden.

«Es ist entscheidend, dass Forschende die

Proben prospektiv sammeln, über Jahre und

Jahrzehnte. Die Fragestellungen ändern

sich. Im Moment lässt sich nicht sagen, wel-

che Proben wann essenziell sein werden.

Entscheidend ist, dass man jederzeit einen

Schritt zurückgehen und die Proben erneut

analysieren kann», so Prof. Dr. med. Andri

Rauch, stellvertretender Chefarzt Infektiolo-

gie des Inselspitals und Vorsitzender des

wissenschaftlichen Beirats der Swiss-HIV-

Cohort-Studie.

redO

Pressemitteilung der Inselgruppe vom 31. Mai 2017

Chirurgie
Wann ist der beste Zeitpunkt für die Antibiotikaprophylaxe vor einer Operation?

Das Risiko einer Wundinfektion reduziert sich, wenn vor dem Eingriff eine Einzeldosis Antibiotika i.v. gegeben wird. Dank einer Schweizer Studie ist nun auch klar, wann das Antibiotikum gegeben werden sollte. Die in Basel, Bern und Aarau durchgeführte Studie ergab, dass der gesamte Zeitraum von einer Stunde vor dem Hautschnitt dafür geeignet ist. Diese Erkenntnis ist sowohl für das Wohl der Patienten als auch für die Qualitätsbeurteilung der Spitäler wichtig. Die zeitlich korrekte Applikation der Antibiotikaprophylaxe gilt als international wichtiges Qualitätskriterium für gut durchgeführte Operationen. Bisher war allerdings unklar, wann genau der optimale Zeitpunkt für die Verabreichung der Prophylaxe eigentlich ist. In letzter Zeit begann sich die Ansicht durchzusetzen, dass die Prophylaxe spät, am besten unmittelbar vor dem Hautschnitt gegeben werden sollte. Allerdings hatte man in älteren Untersuchungen auch das Gegenteil beobachtet, nämlich dass die Prophylaxe eher früh verabreicht werden sollte, mindestens 30 Minuten vor dem Hautschnitt.

Randomisierte Studien gab es dazu nicht. Trotzdem wurde in einigen Richtlinien wurde bereits die Empfehlung zu einer späten Gabe, unmittelbar vor dem Hautschnitt, übernommen. Sie ist im klinischen Alltag jedoch schwierig umzusetzen, was zu schlechteren Beurteilungen der OP-Qualität führen kann. Die nun vorliegende, erste randomisierte Studie zur Klärung des optimalen Timings der präoperativen Antibiotikagabe wurde vom Schweizerischen Nationalfonds, dem Kantonsspital Aarau, der Universität Basel sowie drei Schweizer Stiftungen finanziert. In den Spitälern in Basel und Aarau nahmen insgesamt 5580 Patienten teil, ausgewertet wurden die Daten von 5175 operierten Personen (100% der stationären und 88,8% der ambulanten Patienten). Die Antibiotikaprophylaxe bestand aus einmalig 1,5 g Cefuroxim i.v. (plus 500 mg Metronidazol bei kolorektalen Operationen), einem für diese Zwecke üblicherweise verwendeten Cephalosporin mit kurzer Halbwertszeit. Die Gabe erfolgte entweder «früh» im Anästhesieraum oder «spät» im OP möglichst umittelbar vor dem

Eingriff. Die frühe Gabe erfolgte im Durch-

schnitt 42 Minuten vor dem Eingriff, die

späte 16 Minuten davor. Die Wundinfektions-

rate nach 30 Tagen lag im Durchschnitt bei

5,1 Prozent. Es gab keinen statistisch signi-

fikanten Unterschied der Infektionsrate zwi-

schen den Gruppen mit der frühen und der

späten Antibiotikagabe.

«Die Studie beendet eine jahrelange De-

batte, ob die Antibiotikaprophylaxe früh oder

spät vor dem Hautschnitt verabreicht wer-

den soll», so Studienleiter Prof. Walter

Weber, Chefarzt Brustchirurgie des Univer-

sitätsspitals Basel. Die definitive Klärung

dieser Kontroverse hat direkte Auswirkun-

gen auf den klinischen Alltag aller Spitäler

mit chirurgischen Abteilungen, weil nun auf

weitere Anstrengungen zur Einhaltung eines

engeren Zeitfensters verzichtet werden

kann.

redO

Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft zu: Skeide MA et al.: Learning to read alters cortico-subcortical cross-talk in the visual system of illiterates. Sci Adv 2017; 3:e1602612, 24 May 2017.

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ARS MEDICI 12 I 2017

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Kardiologie
Primärprävention mit Statin nützt Älteren wahrscheinlich nichts

Die vor 15 Jahren publizierten Resultate der ALLHAT-LLT-Studie dämpften vorerst die Hoffnung, mithilfe von Statinen Personen mit kardiovaskulären Risikofaktoren vor manifesten Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen zu können. Damals wurden 10 355 Teilnehmer der ALLHAT-Studie, in der es um die optimale Blutdruckeinstellung und nicht um Lipidsenker ging, zusätzlich in zwei Gruppen randomisiert: Eine Gruppe erhielt 40 mg Pravastatin täglich, die andere die damals übliche Behandlung. Man wollte herausfinden, ob die Primärprävention mit dem Statin diesen Personen mittleren Alters (Ͼ 55 Jahre) mit moderat erhöhten Cholesterinwerten und Bluthochdruck ein längeres Leben verschaffen könnte. Das war nicht der Fall; auch kardiovaskuläre Ereignisse waren in der Statingruppe nicht seltener (1).
In der Zwischenzeit wurden einige grosse Studien publiziert, wonach Statine der kardiovaskulären Morbidität bei Älteren vorbeugen könnten. Es gab aber auch Studien, die derlei nicht bestätigten, und in den meisten Studien fand sich kein Beweis dafür, dass die Primärprävention mit Statinen ein längeres Leben verspricht. Ein Beispiel ist die HOPE-3-Studie, bei der Männer und Frauen mit einem Durchschnittsalter von etwa Mitte 60 und mit kardiovaskulären Riskofaktoren Rosuvastatin erhielten. Nach rund 51/2 Jahren waren es zwar 1,1 Prozent weniger kardiovaskuläre Ereignisse mit Rosuvastatin im Vergleich zu Plazebo (3,7 vs. 4,8%), die Gesamtmortalität blieb jedoch unverändert (2). Nun hat man sich die ALLHAT-LLT-Studiendaten erneut angeschaut: Haben ältere Personen ab 65 Jahre hier doch von einer Primärprävention mit einem Statin profitieren können? Die Autoren der jetzt vorliegenden Auswertung (3) geben zu bedenken, dass ältere Personen viel empfindlicher auf die

potenziellen Nebenwirkungen der Statine reagieren: «Trotz des potenziellen Nutzens der Statine in der kardiovaskulären Primärprävention können selbst geringe Nebenwirkungen bei älteren Personen Schaden anrichten.» Insofern sollte der Nutzen deutlich ausfallen, um eine primärpräventive Statingabe in dieser Altersgruppe zu rechtfertigen. Nach dem Vergleich der 1467 Personen der Statingruppe mit den 1400 Personen mit üblicher Behandlung kommen die Autoren jedoch zu dem Ergebnis, dass die Primärprävention mit Statin nichts genützt hat. Hingegen fand man einen statistisch nicht signifikanten Trend zu einer leicht erhöhten Mortalität bei den über 75-Jährigen mit Pravastatin. Für die älteren Personen war die Statingabe in der ALLHAT-LLT-Studie demnach bestenfalls nutzlos. Die Studienautoren weisen darauf hin, dass ihre nachträgliche Auswertung der ALLHATLLT-Daten mit Vorsicht zu interpretieren sei. So könnte die Risiko-Nutzen-Bilanz eventuell anders ausfallen, wenn man bereits in jüngeren Jahren mit der Statingabe beginne (wer bereits ein Statin nahm, wurde in die ALLHATStudie nicht aufgenommen). Auch könne die Probandenzahl zu klein sein, um kleine Unterschiede für seltene Risiken sichtbar zu machen, zumal auch ein Teil der Personen in der Vergleichsgruppe Statine bekommen habe (als Teil der «üblichen Behandlung»). Trotzdem rät auch der Kommentator Gregory Curfman zur Zurückhaltung bei der Verordnung von Statinen an Ältere zum Zweck der Primärprävention, weil sie bei diesen Personen mit einer ganzen Reihe potenzieller Komplikationen assoziiert seien, von Muskelschmerzen bis kognitiver Beeinträchtigung, und nun noch der Trend zu einer möglicherweise erhöhten Mortalität hinzukomme (4).
RBOO
1. The ALLHAT Officers: Major outcomes in moderately hypercholesterolemic, hypertensive patients randomized to pravastatin vs usual care. The antihypertensive and lipid-lowering treatment to prevent heart attack trial (ALLHAT-LLT). JAMA 2002; 288: 2981–2997.
2. Yusuf S et al.: Cholesterol lowering in intermediate-risk persons without cardiovascular disease. N Engl J Med 2016; 26; 374(21): 2021–2031.
3. Han BH et al.: Effect of statin treatment vs usual care on primary cardiovascular prevention among older adults: the ALLHAT-LLT randomized clinical trial. JAMA Int Med 2017, online 22 May 2017.
4. Curfman G: Risks of statin therapy in older adults. JAMA Int Med 2017, online 22 Mai 2017.

Rückspiegel

Vor 10 Jahren
ASS zur Darmkrebsprävention
Enrico Flossmann und Peter M. Rothwell von der Universität Oxford publizieren in «The Lancet», dass man sein Darmkrebsrisiko senken könne, wenn man 5 Jahre lang täglich 300 mg ASS einnehme. Die Risikosenkung sei nach 10 bis 14 Jahren statistisch nachweisbar, schreiben die Studienautoren. In einem begleitenden Kommentar dämpft der Gastroenterologe Andrew T. Chan vom Massachusetts General Hospital Boston allzu grosse Hoffnungen: Die Studie sei kein Grund, dass jedermann nun ASS zur Darmkrebsprävention einnehmen solle. Seitdem zeigte sich in weiteren Studien und Metaanalysen, dass der potenzielle Krebsschutz nicht für jedermann gilt und obendrein geringer ist als das Nebenwirkungsrisiko gefährlicher intestinaler Blutungen. Darum wird bis heute davon abgeraten, ASS langfristig zur Darmkrebsvorsorge einzunehmen.

Vor 50 Jahren
Tuberkulose nicht besiegt
Der Optimismus, angesichts des beeindruckenden Siegeszugs der Antibiotika die Tuberkulose ausrotten zu können, wird gedämpft. Die Erkrankung ist in den entwickelten Ländern drastisch zurückgegangen, völlig verschwunden ist sie aber nicht. Der Autor János Kenéz warnt in ARS MEDICI davor, die Tuberkulose differenzialdiagnostisch zu vergessen: «Früher war man geneigt, jeden Schatten als Tb zu deuten; heutzutage ist man eher geneigt, die ausgefallensten Diagnosen zu stellen, bevor man sich der Tb-Diagnose zuwendet.»

Vor 100 Jahren

Herzleistung messen

Die Blutdruckmessung vor und nach zehn

tiefen Kniebeugen empfiehlt Max Oster-

mann, Chefredaktor von ARS MEDICI, als

zweckmässigste Methode der funktionellen

Herzleistungsmessung. Auch die unauffäl-

lige Beobachtung der Atmung nach den

Kniebeugen sei aufschlussreich: «Ist Pat.

imstande, im Laufe der nun anschliessen-

den Auskultation sämtlicher Ostien ohne

Mühe den Atem anzuhalten, so kann die

Leistungsfähigkeit des Herzens nicht sehr

reduziert sein.»

RBO

ARS MEDICI 12 I 2017