Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Leuchtende Herzzellen
Für die Erforschung von Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen spielen Zellmodelle aus Stammzellen eine zunehmend wichtige Rolle. Forschern der Technischen Universität München (TUM) ist es gelungen, Zellen herzustellen, die neuen Einblick in die Eigenschaften des Herzens bieten. Sie haben einen molekularen Sensor in die Zellen eingebaut, der Licht aussendet und dadurch nicht nur das elektrische Potenzial der Zellen sichtbar, sondern es erstmals auch möglich macht, Zelltypen schnell zu identifizieren. Seit etwa zehn Jahren lassen sich aus sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen im Labor Herzzellen herstellen. Diese Stammzellen werden etwa aus Leukozyten gewonnen und können unbegrenzt vermehrt und zu allen möglichen Körperzellen weitergezüchtet werden. Mit ihnen lassen sich zum Beispiel Herzrhythmusstörungen intensiver untersuchen, als es bislang möglich war. Tierversuche sind für diese Aufgabe nur sehr bedingt geeignet, und Gewebeproben kann man aus den Herzen von Patienten auch nicht ohne Weiteres entnehmen. In den gezüchteten Herzzellen dagegen lassen sich Erkrankungen sozusagen im Miniaturformat untersuchen. «Unsere Entwicklung löst gleich mehrere Probleme, die die Arbeit mit solchen Zellmodellen bislang erschwert haben», sagt Dr. Daniel Sinnecker, Kardio-
loge am Klinikum rechts der Isar der TUM. Auch bei den Laborzellen stellt sich die Frage, wie man ihre elektrische Aktivität am besten messen kann. Bis anhin wurden für diese Aufgabe meist Mikroelektroden genutzt, mit denen elektrische Signale direkt von den Zellen abgeleitet werden. Das Problem: Diese Prozedur ist sehr aufwendig und erlaubt es daher nur, eine sehr kleine Zahl von Herzzellen zu untersuchen. Hinzu kommt, dass Herzzelle nicht gleich Herzzelle ist. Grundsätzlich sind alle Herzzellen in der Lage, sich im Takt selbstständig zusammenzuziehen und elektrische Signale an benachbarte Zellen weiterzuleiten. Die Zellen, die die verschiedenen Strukturen des Herzens bilden – etwa die Vorhöfe, die Herzkammern oder den Sinusknoten, den «Taktgeber» –, unterscheiden sich zum Beispiel deutlich hinsichtlich ihrer Aktionspotenziale, welche als elektrisches Signal den Erregungsablauf im Herzen steuern. Dieser Unterschied macht sich bei der Untersuchung von Rhythmusstörungen bemerkbar, die auf Fehlfunktionen bestimmter Areale des Herzmuskels beruhen: Züchtet man Herzzellen aus Stammzellen, lässt sich bis anhin nur unzureichend beeinflussen, ob Herzkammerzellen, Herzvorhofoder Sinusknotenzellen entstehen. Um welche Sorte es sich handelt, muss man erst mühsam bei jeder einzelnen Zelle fest-
stellen, um eine bestimmte Störung sinnvoll zu untersuchen. Sinnecker und sein Team beschreiben im «European Heart Journal» eine mögliche Lösung für diese Probleme. Anstatt den Zellen mit Mikroelektroden zu Leibe zu rücken, versehen die Wissenschaftler sie mit biologischen Sensoren, die aus fluoreszierenden Proteinen aus Tiefseequallen aufgebaut sind. Die DNA dieser Sensorproteine wird in die Herzzellen eingeschleust, woraufhin diese selbst die Sensorproteine herstellen. Werden die so veränderten Herzzellen mit Licht einer bestimmten Wellenlänge angeregt, leuchten sie in einer anderen Wellenlänge zurück. Die genaue Farbe des zurückgestrahlten Lichts hängt dabei von der Spannungsdifferenz zwischen Zellinnerem und Zelläusserem ab. Mit einer speziellen Kamera lässt sich so das Aktionspotenzial der einzelnen Zellen aufzeichnen und messen. Die Besonderheit der neuen Methode liegt darin, dass die eingeschleuste DNA mit bestimmten Erkennungssequenzen, sogenannten Promotoren, versehen werden kann. Diese sorgen dafür, dass das Sensorprotein nur in bestimmten Typen von Herzmuskelzellen hergestellt wird. So kann man je nach Bedarf gezielt nur die elektrischen Signale aus Vorhofzellen, aus Herzkammeroder aus Sinusknotenzellen erfassen. Im Gegensatz zu der umständlichen Mikroelektrodentechnik ist diese Methode deutlich leistungsfähiger. «Schon jetzt können wir Hunderte Zellen an einem Tag untersuchen statt nur eine Handvoll. Dieser Prozess liesse sich prinzipiell automatisieren und hochskalieren, sodass Tausende Zellen zugleich untersucht werden könnten», sagt Zhifen Chen, Erstautorin der Studie. Künftig müsse das Verfahren nicht nur auf die Modellierung von Erkrankungen im Labor beschränkt bleiben, ergänzt Sinnecker. «Dadurch, dass wir Zellen in grosser Zahl untersuchen können, liesse sich die Methode auch für gross angelegte Medikamententests nutzen, in denen zum Beispiel geprüft wird, ob ein Produkt negative Auswirkungen auf den Herzmuskel hat.» Eine Herausforderung für solche neuartigen Verfahren liegt darin, die Zellen in der dafür benötigten Menge zu züchten. Sinnecker und sein Team arbeiten derzeit daran, die Empfindlichkeit ihrer Methode zu steigern.
Pressemeldung TUM/RABEO
Abbildung: Fluoreszenzaufnahme einer aus induzierten pluripotenten Stammzellen hergestellten Herzmuskelzelle. In Grün und Rot sind zwei herzmuskelspezifische Proteine gefärbt, die Bestandteil der kontraktilen Fasern sind. Die blau gefärbte Struktur ist der Zellkern (Foto: Alessandra Moretti, TUM).
Chen Z et al.: Subtype-specific promoter-driven action potential imaging for precise disease modelling and drug testing in hiPSCderived cardiomyocytes. Eur Heart J (2016), DOI: http://dx.doi.org/ 10.1093/eurheartj/ehw189.
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ARS MEDICI 19 I 2016
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Blutdrucksenkung: Vorsicht bei KHK!
Nach wie vor gehen die Meinungen in der medizinischen Fachwelt auseinander, was die optimalen Zielwerte eine antihypertensiven Therapie betrifft. Dies gilt insbesondere bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (KHK), für die bei zu niedrigen diastolischen Blutdrücken die Gefahr einer myokardialen Minderperfusion besteht. Eine aktuelle internationale Kohortenstudie hat nun anhand von Daten von 22 672 wegen Hypertonie behandelten KHK-Patienten des CLARIFY-Registers untersucht, inwieweit bei ihnen die erreichten Zielblutdruckwerte mit dem Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen und mit der Mortalität in Beziehung stehen. Primärer Endpunkt der Untersuchung war eine Kombination aus kardiovaskulär bedingtem Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall. Nach Ablauf einer fünfjährigen Nachbeobachtungsperiode zeigte sich erwartungsgemäss, dass zu hohe Blutdruckwerte (Ͼ140 mmHg syst., Ͼ80 mmHg diast.) jeweils mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Myokardinfarkte oder Herzinsuffizienz vergesellschaftet waren. Überraschenderweise ergab sich ein ähnlicher Zusammenhang jedoch auch bei Patien-
ten, welche sehr niedrige Blutdruckwerte erzielt hatten (adjustierte Hazard-Ratio [HR]: 1,56/1,41/2,01; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,36–1,81/1,24–1,61/1,50–2,70 für Blutdrücke Ͻ120 mmHg syst./60–69 mmHg diast./ Ͻ60 mmHg diast. respektive), mit Ausnahme des Auftretens von Schlaganfällen, deren Häufigkeit sich nicht von derjenigen bei höheren Blutdrücken beobachteten unterschied. Für die Beziehung zwischen Blutdruckwerten und dem Risiko kardiovaskulärer Ereignisse einschliesslich solcher mit Todesfolge scheint demnach ein J-Kurven-Phänomen zu existieren – eine Beobachtung, die sich mit Erkenntnissen deckt, die vorab bereits im Rahmen von Post-hoc-Analysen verschiedener anderer Studien gewonnen worden waren. Die Ergebnisse dieser Studien legen nahe, dass eine blutdrucksenkende Therapie bei KHK-Patienten mit Bedacht durchzuführen ist. RABEO
Vidal-Petiot E et al., for the CLARIFY Investigators: Cardiovascular event rates and mortality according to achieved systolic and diastolic blood pressure in patients with stable coronary artery disease: an international cohort study. Lancet 2016; Published Online August 30, http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(16)31326-5.
Neurologie
Dement durch Kalziumsupplemente?
Im Rahmen einer populationsbasierten Längsschnittstudie hat ein schwedisch-britisches Forscherteam an einer insgesamt 700 Patientinnen umfassenden, der Prospective Population Study of Women und der H70 Birth Cohort Study in Göteborg entstammenden Stichprobe untersucht, inwieweit die Einnahme von Kalziumsupplementen das Risiko von Frauen erhöht, eine Demenz zu entwickeln. Und die Ergebnisse dieser sich über einen Nachbeobachtungszeitraum von fünf Jahren erstreckenden Untersuchung sind durchaus beunruhigend: Bei denjenigen der zum Zeitpunkt des Einschlusses 70 bis 92 Jahre alten Patientinnen, welche Kalziumsupplemente erhalten hatten (n = 98), war das Risiko, an Demenz (Odds Ratio [OR]: 2,10; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,01–4,37; p = 0,046) beziehungsweise an schlaganfallassoziierter Demenz (vaskuläre Demenz und gemischte Demenz; OR: 4,40; 95%-KI: 1,54–12,61; p = 0,006) zu erkranken, höher als bei den Frauen, die keine Kalziumsupplemente eingenommen hatten (n = 602).
Eine entsprechende Assoziation ergab sich in stratifizierten Analysen für Gruppen von Patientinnen mit entweder Schlaganfall in der Vorgeschichte (OR: 6,77; 95%-KI: 1,36–33,75; p = 0,020) oder mit Vorliegen von Läsionen in der weissen Hirnsubstanz (OR: 2,99; 95%-KI: 1,28–6,96, p = 0,011), nicht jedoch bei Frauen ohne diese Leiden. Obwohl die Ergebnisse ihrer Studie somit nahelegen, dass bei älteren Frauen mit zerebrovaskulärer Erkrankung die Einnahme von Kalziumsupplementen das Risiko für eine Demenzentwicklung erhöhen kann, räumen die Autoren ein, dass es sich bei ihrer Untersuchung um eine Observationsstudie mit noch dazu relativ kleiner Stichprobe handelte. Ihre besorgniserregenden Ergebnisse sollten daher unbedingt in grösser angelegten Studien überprüft werden.
RABEO
Kern J et al.: Calcium supplementation and risk of dementia in women with cerebrovascular disease. Neurology 2016, Aug 17. pii: 10.1212 /WNL. 0000000000003111.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Streit um Insulinanaloga
Kurz wirksame Insulinanaloga sind bei Typ-2-Diabetes in Deutschland keine Kassenleistung mehr, weil sie gegenüber den herkömmlichen und billigeren Normalinsulinen keinen Vorteil bieten. So entscheidet das Gremium mit Vertretern aus Ärzteschaft, Krankenkassen und Spitälern, und die zuständige Regierungsbehörde schliesst sich dieser Meinung an. Diabetologen und Patientenverbände protestieren. Nach langem Hin und Her einigen sich Krankenkassen und Hersteller auf Rabattverträge, sodass diese Insulinanaloga unter bestimmten Bedingungen bei Typ-2-Diabetes doch wieder erstattungsfähig werden.
Vor 50 Jahren
Heisses gegen Juckreiz
Ein interessanter Tipp findet sich in der Septemberausgabe von ARS MEDICI: «Hartnäckiger lokaler Pruritus kann durch Applikation von möglichst heissem Wasser bis zur Erträglichkeit behoben werden. Weniger heisses Wasser ist eher schädlich.»
Vor 100 Jahren
Malaria im Schützengraben
Im «British Medical Journal» berichtet der Arzt G.J. King Martyn vom Mineral Water Hospital and War Hospital in Bath über Malaria bei Kriegsheimkehrern aus Frankreich. Ihm seien 15 Fälle bekannt, entweder aus eigener Erfahrung oder durch Berichte ärztlicher Kollegen. Bei Verwundeten mit Fieberschüben müsse man auch an diese Möglichkeit denken. Doch auch in England sei eine Malariainfektion möglich, da er zwei Patienten kenne, die das Land nie verlassen hätten.
RBO
ARS MEDICI 19 I 2016