Transkript
EDITORIAL
Schön wäre es ja schon, wenn es eine Pille zum Schutz vor Altersdemenz gäbe. Leider hat sich
diese Hoffnung bis anhin nicht erfüllt. Gerade kürzlich bestätigte eine neue Metaanalyse (1), dass gängige Alzheimer-Medikamente auch in einem sehr frühen Stadium einer sich entwickelnden Demenz offenbar nichts bringen ausser Nebenwirkungen. Getestet hatte man die Substanzen an Personen mit ersten Gedächtnisstörungen, dem sogenannten «mild cognitive impairment», einem Indiz für ein gewisses Demenz-
hersehbar tauchen auf dem Bildschirm dann und wann Schilder auf, die bestimmte Zusatzaktivitäten fordern. Mit der Zeit wurden die Probanden beim Multitasking besser, das heisst, sie erledigten beide Aufgaben gleichzeitig zwar immer noch schlechter als jede Aufgabe für sich, aber das Multitasking klappte wesentlich besser als vor dem Training. Und: Auch unabhängig vom Videospiel schien das Gedächtnis besser zu funktionieren, und die Probanden konnten sich länger konzentrieren. Abgesehen davon, dass das nur eine Pilotstudie mit knapp 50 Probanden war, von denen 16 das Videospiel spielten und der Rest als nicht spielende Kontrollgruppe fungierte: Dass Multitasking das
Das Gehirn ist kein Muskel, aber ...
risiko: Man schätzt, dass bei etwa jedem zehnten Betroffenen mit dem Auftreten einer klinisch manifesten Demenz zu rechnen ist. Was also verspricht tatsächlich Erfolg, um geistig fit zu bleiben? Gehirnjogging? Dieser ebenso weitverbreitete wie irreführende Begriff suggeriert, dass das Gehirn ein Muskel ist und wie ein solcher mehr oder minder mechanisch trainierbar. Sicher, wer jeden Tag Kreuzworträtsel löst, wird darin immer besser – ein gutes Gefühl, denn zeigt das etwa nicht, dass man geistig fitter wird? Nun ja, beim Kreuzworträtsellösen schon, bei anderen kognitiven Fähigkeiten aber wohl kaum. Jedenfalls zeigte sich das schon in unzähligen Studien, unter anderem mit Videospielen zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit: Die Probanden wurden zwar im jeweiligen Spiel immer besser, nicht aber bei anderen kognitiven Aufgaben. Ganz anders soll das bei einem neuen Videospiel namens NeuroRacer sein, das zurzeit in Kalifornien entwickelt wird (2). Es fördert bei alten Menschen anscheinend das Multitasking: Man fährt mit einem Auto eine kurvenreiche Strasse entlang, und unvor-
Gehirn auf Trab bringt, ist eigentlich ein alter Hut.
So weiss man schon seit Jahren, dass sportliche
Bewegung plus gleichzeitiges (!) kognitives Training
bei gesunden älteren Menschen die geistige Leis-
tungsfähigkeit steigert. In einer kürzlich an einer
Tagung vorgestellten Studie (3) konnten Neurologen
nun auch bei Personen mit «mild cognitive impair-
ment» zeigen, dass ein spezielles Kombinations-
training von Körper und Geist einmal in der Woche
für 90 Minuten nach drei Monaten zu einem besse-
ren Abschneiden der Teilnehmer bei Gedächtnis-
tests führte als bei den nicht trainierten.
«Sportliche Bewegung plus gleichzeitiges kogni-
tives Training» kann man übrigens auch kurz und
bündig mit «Tanzen» übersetzen – na dann, darf ich
bitten?
Renate Bonifer
1. Tricco AC et al.: Efficacy and safety of cognitive enhancers for patients with mild cognitive impairment: A systematic review and meta-analysis. CMAJ 2013; DOI:10:1503/cmaj.130451.
2. Anguera JA et al.: Video game training enhances cognitive control in older adults. Nature, published online 5 September 2013, doi:10.1038/nature12486 und Nature News vom 4. September 2013: Abbott A: Gaming improves multitasking skills. Study reveals plasticity in age-related cognitive decline.
3. Müller T: Tanzen gegen die Demenz. Bericht vom 86. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie 2013, publiziert auf www.springermedizin.de am 24. September 2013.
ARS MEDICI 20 I 2013
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