Transkript
EDITORIAL
Papier lässt sich vieles gefallen. Für elektronische Kommunikationsmittel und -kanäle gilt
das noch viel mehr. Wir haben kürzlich berichtet über den unwidersprochen gebliebenen Pseudofaktenschrott, den einige Teilnehmer einer Arena-Sendung des Schweizer Fernsehens von sich gegeben haben (ARS MEDICI Nr. 13/12, S. 645). «Abgesondert» haben – eine beliebte Dis-Qualifikation von Aussagen unliebsamer politischer Gegner – würde hier ausnahmsweise besser passen.
Rechnung gestellten Frankenbeträge) auf Betrug basieren. Konsequenterweise fordert Stahl denn auch mehr Kontrollen und griffigere Strafbestimmungen. Diese Anschuldigung eines breit angelegten Betrugs in der Grössenordnung von 2,5 Milliarden blieb unwidersprochen – bis heute jedenfalls. Obschon sie weit über das übliche Ärzte-Bashing hinausgeht und eigentlich ziemlich an der Ehre rührt oder gar den Ruf mordet. Im Vergleich dazu ist das Editorial eines Apothekers in der seiner Gruppe eigenen Patientenzeitschrift geradezu harmlos: «Doch dann entstand in der Deutschschweiz (und europaweit nur dort!) bei Ärzten ein Gefühl, dass es nicht mehr
Von Gülle und beschütteter Würde
Politiker, die vor allem deshalb als Gesundheitspolitiker gelten, weil eine Krankenkasse sich ihr Lobbying durch die Vergabe eines Verwaltungsrats-, Stiftungsrats- oder Geschäftsleitungspöstchens gesichert hat, doppeln nach. Der «Sonntagsblick» vom 24. Juni zitiert SVP-Nationalrat Jürg Stahl, seines Zeichens Mitglied der Geschäftsleitung der Groupe Mutuel: «Zehn Prozent aller Leistungen werden durch falsche Rechnungen von Ärzten und Spitälern ertrogen. Das sind jährlich 2,5 Milliarden Franken.» Hier steht nicht, 10 Prozent aller Leistungen seien überflüssig, es habe eine Mengenausweitung stattgefunden, die Ärzte verschrieben mehr Medikamente als nötig oder nutzten die Unschärfen des Tarmed in kreativer Weise. Hier steht «ertrogen», und das bedeutet nicht weniger, als dass ein erheblicher Teil der Ärzte mit krimineller Energie ausgestattet ist und 10 Prozent aller Rechnungen (gemeint ist vermutlich: 10 Prozent der gesamten in
«genug» sei und dass man nun auch Medikamente verkaufen und daran verdienen wolle.» Das kann man so sehen, auch wenn die Behauptung, die ärztliche Medikamentenabgabe gebe es nur in der Schweiz, natürlich falsch ist. Es ist zu hoffen, dass unsere Standesvertreter sich Gedanken darüber gemacht haben, wie mit der Gülle und den politischen Güllenwagenführern umzugehen ist. Vielleicht sind sie ja zum Schluss gekommen, begossen und stumm auszuharren sei taktisch besser, als erfolglos gegen mediale Schütte zu kämpfen. Dann bleibt allenfalls die Frage nach der beruflichen (und persönlichen) Würde und ob man sich wirklich alles gefallen lassen kann, ohne sie zu verlieren.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 14 ■ 2012
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