Transkript
Rosenbergstrasse 115
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Ferienzeit, Balkonienzeit, Terrassienzeit. Für jene also, die zuhause geblieben sind, Zeit für einen Blick in die nähere Umgebung. Zum Beispiel nach Schaffhausen.
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Die Schaffhauser sind stolz auf ihre Mundart(en). Anders als das am Schweizer Fernsehen arg übervertretene Wallisertiitsch oder das gehätschelte Skilehrerisch der Bündner ist das Schaffhauserische ausserhalb der Region allerdings nur wenigen bekannt. Vielleicht weil Schaffhausen als einer der wenigen Schweizer Kantone noch nie einen Bundesrat stellte.
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Wer irgendwo links des Rheins lebt oder als Zugezogener etwas über Schaffhauser Mundart weiss, kennt am ehesten noch das bekannte «Dar da da? Da dar da. Da da da dar!». Vielleicht weil er/sie im Klettgauer Dorf Schleitheim – beziehungsweise eben in «Schlaate» – mal den «Dar-da-daWeg» entlang spaziert ist (mehr dazu: www.schuleschleitheim.ch/Flyer.pdf). Oder weil eine Schulreise zum Rheinfall geführt und der Lehrer bei dieser Gelegenheit sein geografisch-kulturelles Wissen demonstriert hat.
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Dabei hat das Schaffhauserische für die Schamauche oder Tschamauche oder einfach nur Mauche – eine (die Männer und Frauen namens Mauch mögens verzeihen) vom Elsass bis in die Ostschweiz gängige, keineswegs nur freundlich gemeinte Bezeichnung für zugezogene Fremde, die man eher für Schmarotzer hielt als für eine Bereicherung – einen durchaus exotischen Klang.
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Exotisch kam es jedenfalls einem deutschen Touristen vor, der in einem Museum in Stein am Rhein ein Örtchen suchte. Dem bedrängten Besucher wies leider nur ein Schild den Weg, das nicht nur Ausländern Rätsel aufgeben und sie in ihrer Not verzweifeln lassen dürfte: «Saachi». Zum Glück übersetzt ein Männeken-Piktogramm den fremdsprachigen Wegweiser in ein Schaffhauser WC.
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Der Streit um den Lärm der vom Zürcher Airport startenden und dort landenden Flugis hat längst groteske Züge angenommen. Ein lieber Kollege, Ex-Pilot der Swissair, sagts gern drastisch: Zeige einem Südbadenser ein Foto eines landenden Airbus und er hält sich die Ohren zu. Zeige ihm einen gefalteten Papierflieger und er kriegt Schlafstörungen. Der Kollege mag übertreiben, das Prinzip der Neurose aber hat er jedenfalls erfasst.
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In Deutschland ist, nachdem ein Gericht entschieden hat, das Wohl des Kindes gehe religiösen Gesetzen vor und deshalb sei das Beschneiden von Knaben zu verbieten, eine heftige und – wie immer wenn es um religiöse Angelegenheiten geht – höchst emotionale und unter dem Aspekt der politischen Korrektheit äusserst delikate Diskussion entbrannt. Darf ein weltliches Gericht religiöse Rituale verbieten? Natürlich darf es das, die weltliche Justiz hat schliesslich auch die Beschneidung von Mädchen verboten. Medizinische Gründe für beide Verbote finden sich allemal, obschon die beiden Eingriffe selbstverständlich nicht zu vergleichen sind. Die Frage ist: Ist so ein Verbot kulturell geschickt? Eine andere
Frage: Müssen Verbote kulturell geschickt sein?
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Als Agnostiker ohne religiöse Sozialisation sollte man sich hüten, zu viele tendenziöse Fragen zu stellen. Wundern wird man sich aber wohl dürfen darüber, dass das Vorhandensein – oder eben das Fehlen – eines zwar überflüssigen, aber immerhin gottgegebenen Zipfelchens an heikler Stelle über die Qualität der Beziehung eines Individuums zu seinem wie auch immer benannten Gott entscheiden soll. Agnostiker, so das Fazit, haben es auch nicht einfach auf dieser Welt, aber immerhin ein Problem weniger.
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Noch weniger Probleme habe offenbar nur die Schweiz, meinte eine Australierin, aus beruflichen Gründen frisch in die Schweiz, genauer: in den Kanton Zürich, gezogen. Und lacht Tränen. Verständlich, schliesslich haben Australier ausgesprochen Sinn für skurrilen Humor. Der Grund: nach ihrem Umzug habe sie ihren Führerschein formlos umschreiben und ohne Verzug in der Schweiz Auto fahren können. Um mit ihrem Hund spazieren gehen zu dürfen, habe sie hingegen zuerst einen Sachkundenachweis in Form eines Erziehungskurses von 20 Lektionen erbringen müssen. Swissness, so die Bekannte aus Downunder, sei offensichtlich nicht nur die Fähigkeit, aus allem Geld, sondern auch aus nichts ein Problem zu machen.
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Und das meint Walti: Everything is OK in the end, and if it’s not OK, it’s not the end.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 14 ■ 2012
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