Transkript
Studie referiert
Vergleichende Sicherheit von Opioiden, NSAR und Coxiben
Kohortenstudien bei alten Patienten mit nichtmalignen Schmerzen, Arthrose oder rheumatoider Arthritis
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Über die letzte Dekade betrachtet hatten Behandlungsempfehlungen zu Opioiden eine wechselvolle Geschichte. Einerseits betonten Schmerzspezialisten und auch die WHO, dass Schmerzen nicht genug therapeutische Aufmerksamkeit erfahren und zu oft eine Scheu vor Opioiden herrsche, andererseits warnte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA vor möglichen Gefahren. Insgesamt hat aber die Verschreibung von Opioiden in den USA ebenso wie in Europa deutlich zugenommen.
Unterschiede in den Sicherheitsprofilen verschiedener Opioide? Viel ist über die Unterschiede in den Nebenwirkungen zwischen selektiven und nichtselektiven nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) geschrieben worden. Zur vergleichenden Sicherheit der verschiedenen Opioide gibt es hin-
Merksätze 1
❖ In einer Beobachtungsstudie anhand der Daten der US-amerikanischen Gesundheitsversicherung für alte Bürger (Medicare) ergaben sich für verschiedene Opioide unterschiedliche Nebenwirkungsrisiken.
❖ Das kardiovaskuläre Risiko war nach 30 Tagen für die verschiedenen Wirkstoffe ähnlich, aber nach 180 Tagen für Codein erhöht.
❖ Im Vergleich zu Hydrocodon war das Frakturrisiko für Tramadol geringer.
❖ Die gastrointestinale Sicherheit zeigt keine Unterschiede.
❖ Die Gesamtmortalität war im Vergleich zu Hydrocodon nach 30 Tagen für Oxycodon und Codein erhöht.
gegen nur wenig Evidenz, vorhandene Studien waren meist von kurzer Dauer, und saubere Vergleichsstudien über längere Zeiträume dürften Wunsch bleiben. Eine Beobachtungsstudie wollte daher einen genaueren Blick auf ernste Therapiekomplikationen wie Frakturen, Herz-Kreislauf-Ereignisse, hospitalisationsbedürftige Magen-Darm-Nebenwirkungen oder Mortalität bei in den USA besonders gebräuchlichen Opioiden werfen (1). Die Kohorte bestand aus Medicare-Begünstigten, die mindestens ein Rezept für ein Opioid, aber keine Krebsdiagnose oder vorangegangene Analgetikaverschreibung hatten. Zur Korrektur für Selektionsverzerrungen wurden die Vergleichsgruppen mittels Propensity Scores gebildet. Entsprechend den verschriebenen Opioiden (Hydrocodon, Codein, Oxycodon, Propoxyphen, Tramadol) ergaben sich 5 Gruppen mit jeweils 6725 Patienten. Die Gruppen zeigten gut vergleichbare Basisdaten, die mittleren Alter lagen bei 78 bis 79 Jahren, Frauen überwogen mit 80 Prozent deutlich. 30 Tage nach Beginn der Opioidbehandlung war das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse in allen Gruppen ähnlich, aber nach 180 Tagen für Codein im Vergleich zur Referenzsubstanz Hydrocodon erhöht (relatives Risiko [RR] 1,62, 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,27–2,06). Das Risiko für Frakturen war nach 30 Tagen für Tramadol, wieder im Vergleich zu Hydrocodon, deutlich reduziert (RR 0,21, 95%-KI 0,16–0,28), ebenso für das in der Schweiz nicht mehr im Handel befindliche Propoxyphen. Das Risiko für gastrointestinale Komplikationen zeigte zwischen den Opioidgruppen keine Unterschiede. Die Gesamtmortalität war nach 30 Tagen im Vergleich zu Hydrocodon für Oxycodon (RR 2,43, 95%-KI 1,47 – 4,00) ebenso wie für Codein (RR 2,05, 95%-KI 1,22–3,45) erhöht.
«Nicht alle Opioide sind gleich» «Diese Studienergebnisse stimmen nicht mit der verbreiteten Überzeugung überein, dass alle Opioide mit ähnlichen Risiken assoziiert sind», schreiben die Autoren. Sie fügen aber gleich die Vorbehalte an, die der Beobachtungsstudie gegenüber gelten müssen: keine Randomisierung, Daten aus Datenbanken ohne weitere individuelle Informationen, nur ältere Menschen aus unteren Einkommensschichten, teilweise geringe Ereigniszahlen mit entsprechend weiten Konfidenzintervallen. Die Erhöhung des kardiovaskulären Risikos unter Codein- und Propoxyphenbenützern ebenso wie die geringere Sturzgefahr unter Tramadolbenützern bedürfen weiterer Abklärung. Die höhere Gesamtmortalität bei Codein- und Oxycodonbenützern könnte auf kardiovaskuläre Ereignisse oder nicht gemessene Störfaktoren zurückgehen. Interessant, aber weiterer Forschung bedürftig ist auch die Beobachtung, dass die Unterschiede zwischen den Opioiden sich in den hohen Dosisbereichen ausglichen.
Ein Vergleich zwischen nichtselektiven NSAR, Coxiben und Opioiden Im Alter sind Schmerzen des Bewegungsapparats, insbesondere der Gelenke, eine häufige Indikation für eine oft auch langfristige medikamentöse Analgesie. Therapeutisch kommen hier neben Paracetamol nichtselektive und selektive nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR bzw. Coxibe) oder Opioide infrage. Dieselben Autoren versuchten, die vergleichende Sicherheit für diese 3 Substanzgruppen mit derselben Methodik anhand der Daten von Medicare-Patienten zu charakterisieren, die zwischen 1999 und 2005 wegen rheumatoider Arthritis oder Arthrose eine analgetische Therapie begonnen hatten (2). Sie berücksichtigten folgende Medikamentengruppen: ❖ nichtselektive NSAR (nsNSAR): Diclo-
fenac, Etodolac, Flurbiprofen, Ketorolac, Ibuprofen, Indometacin, Meloxicam, Naproxen, Piroxicam, Sulindac ❖ selektive COX-2-Hemmer: Celecoxib, Rofecoxib, Valdecoxib ❖ Opioide: Codein, Fentanyl, Hydrocodon, Hydromorphon, Meperidin, Morphin, Oxycodon, Propoxyphen. Als sicherheitsrelevante Outcomes interessierten kardiovaskuläre Ereignisse (Myokardinfarkt, Stroke, Herzinsuffi-
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Vergleichende Sicherheit von Opioiden, NSAR und Coxiben
zienz, Revaskularisation, kardialer Tod), gastrointestinale Komplikationen (Blutungen, Darmobstruktion), Leberschädigungen, Frakturen sowie Unfalldiagnosen, die mit einem Sturz zu tun haben könnten, und schliesslich harte Daten wie die nebenwirkungsbedingte und die Gesamtmortalität. Die Autoren bildeten 3 Gruppen mit je 4280 Teilnehmern. Das mittlere Alter betrug hier 80 Jahre, Frauen überwogen mit fast 85 Prozent, über 80 Prozent litten an Arthrosen, an rheumatoider Arthritis litten in der Coxibgruppe 13,4 Prozent und in der Opioidgruppe 9,0 Prozent. Im Vergleich zu nichtselektiven NSAR (nsNSAR) zeigten Coxibe ein erhöhtes
Merksätze 2
❖ In einer Beobachtungsstudie hatten Opioide eher mehr Nebenwirkungen als nichtselektive NSAR (nsNSAR) und Coxibe.
❖ Im Vergleich zu nsNSAR zeigten Coxibe (ausser Celecoxib) und Opioide ein erhöhtes relatives Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse.
❖ Im Vergleich zu nsNSAR war das gastrointestinale Blutungsrisiko für Coxibbenützer geringer, für Opioidbenützer aber ähnlich.
❖ Opioidbenützer hatten ein deutlich erhöhtes Frakturrisiko.
❖ Opioide, aber nicht Coxibe, erhöhten das Gesamtsterblichkeitsrisiko im Vergleich zu nsNSAR.
relatives Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (Hazard Ratio [HR] 1,28, 95%-KI 1,01 – 1,62), ebenso Opioide (HR 1,77, 95%-KI 1,39 – 2,24). Nach Ausschluss der aus dem Markt verschwundenen Rofecoxib und Valdecoxib war dieses Risiko unter Celecoxib im Vergleich zu nsNSAR nicht mehr erhöht. Im Vergleich zu nsNSAR war das gastrointestinale Blutungsrisiko für Coxibbenützer geringer (HR 0,60, 95%-KI 0,35–1,00), für Opioidbenützer aber ähnlich. Die Einnahme von Coxiben und nsNSAR führte zu einem ähnlichen Risiko für Frakturen, bei Opioidbenützern war das Frakturrisiko jedoch deutlich erhöht (HR 4,47, 95%KI 3,12–6,41). Immer im Vergleich zu nsNSAR ging die Einnahme von Opioiden, nicht aber von Coxiben, mit einem erhöhten Risiko für nebenwirkungsbedingte Hospitalisationen einher. Schliesslich erhöhten Opioide, aber nicht Coxibe, das Gesamtsterblichkeitsrisiko im Vergleich zu nsNSAR (HR 1,87, 95%-KI 1,39–2,53). Die Autoren versuchen ihre Ergebnisse auch mit einigen «numbers needed to harm» (NNH) anschaulich zu machen. Dabei zeigen sich nach 30 Behandlungstagen die Opioide hinsichtlich des zusammengesetzten Frakturrisikos gegenüber nsNSAR als risikoreicher (NNH 47). Nach 365 Behandlungstagen ändert sich das Bild mit nun noch deutlich tieferen NNH für kardiovaskuläre Ereignisse sowohl für Coxibe (NNH 27) als auch für Opioide (NNH 17). Ebenfalls tiefe NNH, also erhöhte Risiken, ergeben sich unter Opioiden
im Vergleich zu nsNSAR für Frakturen (NNH 26), Hospitalisationen wegen Nebenwirkungen (NNH 19) und für die Gesamtmortalität (NNH 27).
Schlussfolgerungen Nach Diskussion der notwendigen Einschränkungen ihrer Analyse von Behandlungsdaten ziehen die Autoren folgende Schlüsse: ❖ Inzidenzraten und Hazard-Ratio-
Kalkulationen zeigten, dass nichtselektive NSAR «in vieler Hinsicht» sicherer waren als Opioide. ❖ Opioidbenützer hatten in der frühen Behandlungsphase nur ein mässiges Risiko. ❖ Nach einem Jahr wurden die «numbers needed to harm» tief, also klinisch relevant. ❖ Obwohl nichtselektive NSAR «gewisse Risiken» bergen, unterstützt diese Analyse die Sicherheit dieser Substanzen im Vergleich zu anderen Analgetika. ❖ Die in letzter Zeit wieder geäusserten Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Opioiden bei nichtmalignen Schmerzsyndromen erscheinen auf Basis dieser Daten gerechtfertigt. ❖
Halid Bas
1. Daniel H. Solomon et al.: The comparative safety of opioids for nonmalignant pain in older adults. Arch Inter Med 2010; 170(22): 1979–1986.
2. Daniel H. Solomon et al.: The comparative safety of analgesics in older adults with arthritis. Arch Inter Med 2010; 170(22): 1968–1978.
Interessenlage: Die Studie wurde vom US-amerikanischen Gesundheitsministerium finanziert.
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