Transkript
Fortbildung
Prävention kolorektaler Karzinome
Wie lassen sich Effizienz und Akzeptanz der Vorsorgeuntersuchungen steigern?
Obwohl das kolorektale Karzinom zu den drei häufigsten Karzinomen gehört, die in der Schweiz vorkommen, und auch heute noch etwa 40 Prozent der Patienten daran sterben, dürften weniger als 5 Prozent der Schweizer eine diesbezügliche effiziente Vorsorgeuntersuchung durchführen. In der vorliegenden Arbeit werden die Problematik des Screenings und allfällige Hemmnisse diskutiert und der Nutzen des Screenings sowie die Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden besprochen.
URS MARBET
Jeden Tag erkranken in der Schweiz 10 Personen an einem Kolonkarzinom, jährlich zirka 4000, und 1600 Menschen sterben jedes Jahr daran (1). Etwa 6 Prozent der Männer und 3,7 Prozent der Frauen werden in ihrem Leben mit diesem
Merksätze
❖ Das Kolonkarzinom gehört zu den drei häufigsten Karzinomen in der Schweiz. Auch heute sterben noch 40 Prozent der Patienten an diesem Tumor, weil er beim Auftreten von Symptomen oft schon in einem nicht mehr heilbaren Stadium ist.
❖ Obwohl es Risikofaktoren gibt, die das Auftreten des Kolonkarzinoms fördern, finden sich bei der Mehrheit der Kolonkarzinompatienten keine speziellen Risikofaktoren.
❖ Es ist heute bewiesen, dass wir mittels Vorsorgeuntersuchungen das Kolonkarzinom in einem früheren, eher heilbaren Stadium erkennen können.
❖ Endoskopische Vorsorgeuntersuchungen mit Abtragung der entdeckten Adenome vermindern zudem sogar das Auftreten von kolorektalen Karzinomen.
❖ Es zeigt sich immer mehr, dass die Untersuchungsqualität für die Effizienz des Screenings ganz entscheidend ist.
❖ Der wichtigste Ansprechpartner bei der Diskussion um allfällige Vorsorgeuntersuchungen ist der Hausarzt.
Schicksal konfrontiert werden, nur in wenigen europäischen Ländern ist die Prävalenz höher (2). Zahlreiche Daten belegen, dass das Kolonkarzinom nicht einfach Schicksal ist. Bei einem früh entdeckten Kolonkarzinom besteht eine exzellente Heilungschance (3) (Tabelle 1), und die heutigen Vorsorgeuntersuchungen ermöglichen es, das Karzinom früh zu entdecken, ja oft sogar zu verhindern.
Warum schützen wir uns nicht besser? Vor einigen Jahren boten wir während eines Jahres allen Personen zwischen 50 und 80 Jahren in den Kantonen Glarus und Uri und im Vallée de Joux an, sich gratis an einem der damals möglichen Screeningprogramme zu beteiligen (Kolonoskopie, Spiegelung des Rektosigmoids oder Stuhluntersuchung auf okkultes Blut) (4). Trotz umfangreicher Information in der Presse und mittels öffentlicher Vorträge ergriffen nur 12 Prozent der Personen diese Chance, wobei zu vermerken ist, dass zumindest in Uri eine gleich grosse Zahl bereits zuvor aus anderen Gründen eine Darmspiegelung hatte. Es blieb aber eine grosse Zahl von Personen, die sich nicht untersuchen lassen wollten. Bei jenen, die eine Vorsorgeuntersuchung wünschten, zeigte sich, dass Methoden mit hoher Sicherheit trotz höherer Unannehmlichkeit und höherem Untersuchungsrisiko bevorzugt wurden. Menschen, die bereits einen anderen Tumor überlebt hatten, meldeten sich begreiflicherweise ebenfalls vermehrt. Zudem meldeten sich auch Personen, in deren nahem Verwandtenkreis jemand an einem Darmkrebs erkrankt war, eher zu einer Vorsorgeuntersuchung (4). Neben der Angst vor der Untersuchung oder dem Untersuchungsresultat scheint ein wesentlicher Grund für die Ablehnung einer Vorsorgeuntersuchung zu sein, dass der Schweizer sich generell nicht bewusst ist, dass der Darmkrebs jedermann treffen kann und dass die Mehrheit der Befallenen keinerlei spezielle genetische Risikofaktoren aufweist (Tabelle 2). Trotz dieser recht harten Daten sind weiterhin recht wenige dazu bereit, bei einer Vorsorgeuntersuchung mitzumachen. Fehlende Bezahlung durch die Krankenkasse, Angst vor der Spiegelung, Scham vor den Untersuchungen und die vermeintlich unklare Datenlage mögen hierfür mitschuldig sein. Die meisten der Vorsorgeuntersuchungen haben das Ziel, entstehende Kolonkarzinome frühzeitig in einem noch heilbaren Stadium zu erfassen. Im Gegensatz zur Früherkennung haben wir beim Kolonkarzinom zusätzlich die Möglichkeit, das Auftreten des Karzinoms durch Abtragung der Vorstufen zu verhindern. Dies ist zurzeit allerdings nur mittels Endoskopie möglich.
ARS MEDICI 7 ■ 2011 289
Fortbildung
Tabelle 1:
Überlebenschance bei der Entdeckung eines kolorektalen Karzinoms je nach Tumorstadium
Stadium
Stadium I Stadium IIA Stadium IIB Stadium IIIA Stadium IIIB Stadium IIIC Stadium IV
T N M 5-JahresTumorausdehnung Lymphknotenbefall Metastasierung Überleben
T1, T2 N0 M0 80–95% T3 N0 M0 72–75% T4 N0 M0 65–66%
T1, T2 N1 M0 55–60% T3, T4 N1 M0 35–42%
Tx N2 M0 25–27% Tx Nx M1 0–7%
hin keine randomisierten kontrollierten Studien zur Kolonoskopie, was immer wieder Fragen bezüglich allfälliger Bias und Fehlinterpretationen aufwirft. Damit sich eine Krebsvorsorgeuntersuchung wirklich lohnen kann, muss der Tumor üblicherweise lange unbemerkt wachsen, bevor Beschwerden auf seine Existenz hinweisen. Zudem muss der Tumor häufig sein. Die Vorsorgeuntersuchung sollte möglichst einfach und akzeptabel, die Wirksamkeit der Methode wissenschaftlich gut dokumentiert und der Test billig und gefahrlos sein. Obwohl es auch beim Darmkrebs den idealen Test nicht gibt, erfüllen die heutigen Vorsorgemethoden doch viele der wünschenswerten Kriterien.
Tabelle 2:
Verteilung des Kolonkarzinoms auf die verschiedenen Risikogruppen
Durchschnittsbevölkerung
familiäre Tumorbelastung
chronisch entzündliche Darmerkrankungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa)
vererbte familiäre Tumorsyndrome (familiäre adenomatöse Polyposis [FAP], hereditäres Non-Polyposis-Kolonkarzinomsyndrom [HNPCC] u.a.)
Ist der Darmkrebs einfach Schicksal? Seit Langem ist bekannt, dass mittels regelmässiger Stuhluntersuchung auf okkultes Blut mittels Haemoccult die tumorbedingte Mortalität um 15 bis 25 Prozent gesenkt werden kann. Statt 1600 würden dann nur mehr 1300 Personen in der Schweiz jährlich am Darmkrebs sterben. Dies wurde in mehreren, riesigen randomisierten Bevölkerungsstudien bewiesen. Verschiedene Kohortenstudien zeigten zudem, dass mittels Kolonoskopie das Kolonkarzinom in einem früheren, oft heilbaren Stadium entdeckt werden kann (4, 5). Dies war eigentlich aufgrund der Pathogenese des Kolonkarzinoms auch zu erwarten (3). Bei der Mehrheit der Leute entwickelt sich das Kolonkarzinom sehr langsam über Bildung von Adenomen, bis es letzlich in die Lymphknoten und andere Organe metastasiert. Auch bei der Schweizer Studie (4) mit annähernd 2000 Teilnehmern zeigte sich, dass mittels Kolonoskopie bei beschwerdefreien Personen über 50 Jahre das Kolonkarzinom bei 72 Prozent (unter Einbezug der oberflächlichen T0-Karzinome sogar bei über 80%) in einem Frühstadium mit exzellenter Heilungschance gefunden wird. Bei Personen mit vergleichbarem Lebensstil, gleichen Berufen und Risikofaktoren, die wegen Beschwerden untersucht wurden, war das Kolonkarzinom nur noch bei 19 Prozent der Betroffenen in einem Frühstadium. Dank Abtragung der Vorstufen, der Adenome, konnte das spätere Auftreten des Darmkrebses zudem massiv vermindert werden (Publikation in Vorbereitung). Leider gibt es weiter-
Aussagekraft von Stuhluntersuchungen Unter den Vorsorgeuntersuchungen sind die oben erwähnten Stuhluntersuchungen auf okkultes Blut mittels Haemoccult am besten dokumentiert (6). Dieser weist unspezifisch die Pseudoperoxidaseaktivität des Hämoglobins nach. Leider fällt er deswegen auch bei 75% Vorliegen anderer Peroxidasen positiv aus, 20% wie sie beispielsweise in der Nahrung vor3% kommen. Ein zusätzliches Problem ist die beschränkte Sensitivität des Haemoccult-Tests. 2% Eine Früherfassung des Darmkrebses mit Verbesserung der Überlebenschance erreichen wir nur, wenn der Test regelmässig, wenn möglich jährlich, durchgeführt wird, was schwierig durchzusetzen ist. In unserer Studie war dies nach fünf Jahren gerade noch bei 50 Prozent der Teilnehmer der Fall. Leider werden aber auch dann noch viele Tumore verpasst. Die Sicherheit, die der Test vermittelt, kann deshalb trügerisch sein, und sie kann sogar die notwendige Abklärung bei Auftreten von Symptomen verzögern. Grosse Polypen werden meistens nicht erkannt. Hinzu kommt die beschränkte Spezifität, weshalb je nach Alter und entsprechend unterschiedlicher Tumorprävalenz die Mehrheit der Tests falsch positiv sind, was zu erheblicher Verunsicherung führt. Die neueren immunologischen Tests, die mittels Antikörpern spezifisch menschliches Hämoglobin nachweisen, scheinen besser und spezifischer zu sein (7), und sie sind vor allem zuverlässiger interpretierbar. Diätetische Einschränkungen sind nicht mehr nötig. Mittels immunochemischer Stuhltests werden etwa doppelt so viele Kolonkarzinome und grosse Polypen nachgewiesen. Falsch negative Resultate sind aber leider auch hier nicht selten, und auch die immunologischen Stuhltests sind zur Prävention von Kolonkarzinomen ungeeignet. Wenige sind sich zudem bewusst, dass die Qualität der immunologischen Tests massiv variiert. Gewisse Tests fallen bei jedem Zweiten positiv aus und haben eine katastrophale Spezifität. Nur wenige Tests haben eine Spezifität deutlich über 90 Prozent (8), was bei der Wahl des Tests beachtet werden muss. Die Hoffnung, dass wir sehr frühzeitig im Stuhl genetisch veränderte Tumorpartikel nachweisen können und dadurch einen idealen Test mit verbesserter Sensitivität und optimaler
290 ARS MEDICI 7 ■ 2011
Prävention kolorektaler Karzinome
Spezifität erhalten, hat sich bisher nicht erfüllt. Selbst bei grösserem DNS-Mapping sind die Tests bis heute nicht besser, wohl aber teurer als die guten immunologischen Stuhltests. In der Schweiz zudem eingeführt ist der Nachweis des Tumormarkers M2-Pyruvatkinase im Stuhl. Dieser Test ist jedoch ungenügend validiert und dürfte meines Erachtens bei der Darmkrebsvorsorge zurzeit keine relevante Bedeutung haben.
Bluttests – eine Alternative? Die Untersuchung des Stuhls oder gar die Spiegelung des Darms ist vielen sehr unangenehm. Ein gleichwertiger Test im Blut könnte möglicherweise besser akzeptiert werden. Ähnlich dem Prostatakarzinom wurden in den letzten Jahren auch beim Kolonkarzinom Biomarker gesucht, die im Blut das Vorliegen des Darmkrebses frühzeitig nachweisen könnten. Zu derartigen Markern gehört der Nachweis von alterierten Septinen, die unter anderem bei der Zytokinese und dem Aufbau des Zellskelettes eine Rolle spielen. Die Methylierung der DNS spielt in der frühen Tumorentstehung eine wichtige Rolle. Der Septin-9-Test weist methylierte DNS des Septin-9Gens nach, die von den Tumorzellen ins Blut abgegeben wird. Pilotstudien zeigten nun, dass mittels Septin-9-Tests der im Darm entstehende Krebs im Blut oft bereits vor dem Auftreten von Symptomen nachgewiesen werden kann (9). Gespannt warten wir auf die definitiven Resultate einer prospektiven Studie mit über 7000 Probanden. Gemäss vorläufigen als Abstract (10) vorliegenden Ergebnissen dürften die Daten mit dem immunologischen Stuhltest zumindest vergleichbar sein. Wahrscheinlich können zwischen 50 und 70 Prozent der Karzinome entdeckt werden, wobei wir die Aufschlüsselung bezüglich Tumorstadien noch nicht kennen. Der Test könnte zweifelsohne ein interessanter Screeningtest im Blut werden. Auch bei diesem Test gibt es jedoch falsch negative Resultate, die zu falscher Sicherheit führen können. Ob er auch zur Krebsverhütung beiträgt, ist eher weniger wahrscheinlich, da die Sensitivität selbst für grosse Adenome zu gering sein dürfte. Ein grosses, schwer lösbares Problem dürften die positiven Resultate sein, bei welchen bei der Koloskopie kein Karzinom oder Adenom gefunden wird. Da es sich bei diesem Marker um einen Tumormarker handelt, bleibt die Angst, dass möglicherweise irgendein anderes Karzinom an einem andern Ort übersehen wurde. Spannend, aber noch nicht genügend beurteilbar sind Beobachtungen bezüglich CD24-Expression auf peripheren Lymphozyten. Dies könnte vielleicht der erhoffte Test sein, mit dem sogar Adenome frühzeitig nachgewiesen werden können.
Kolonoskopie Wollen wir den Darmkrebs nicht nur früh erkennen, sondern sogar seine Entstehung verhüten, so müssen wir endoskopisch untersuchen. Seit Langem liess die US National Polyp Study hoffen, dass mittels Abtragung der Adenome als Vorstufen des Darmkrebses die Entstehung des Karzinoms verhütet werden könne. Spätere retrospektive Analysen aus den USA und Kanada liessen jedoch befürchten, dass die Effizienz der Kolonoskopie im proximalen Kolon vor allem bei Frauen schlechter sein könnte.
In unserer prospektiven Bevölkerungsstudie in Glarus und Uri konnte nun gezeigt werden, dass mittels Kolonoskopie die Entstehung des Kolonkarzinoms generell massiv reduziert werden kann (Publikation in Vorbereitung). Eine kürzlich publizierte prospektive Kohortenstudie zeigte den gleichen positiven Effekt im ganzen Darm (11). Das Risiko, an einem Kolonkarzinom zu erkranken, war bei Personen, die eine Kolonoskopie während der vorangegangenen 10 Jahre hatten, um 77 Prozent reduziert, wobei der positive Effekt auch das proximale Kolon betraf. Die Divergenz verschiedener Studienresultate dürfte teilweise durch die unterschiedliche Qualität der durchgeführten Kolonoskopien bedingt sein. Die gute Darmvorbereitung und die optimale Spiegelung sind entscheidend. Die Ausbildung der Endoskopiker und die Sorgfalt der Untersucher spielen gemäss neueren Untersuchungen eine entscheidende Rolle. In einer grossen polnischen Screeningstudie traten beispielsweise kaum mehr Karzinome auf, wenn der Untersucher bei mehr als 20 Prozent der Personen Adenome gefunden hatte (12). Dies heisst aber, dass der Untersucher sorgfältig alle Winkel im Darm untersucht haben muss und dass der Darm entsprechend sauber vorbereitet war. Leider gibt es keine randomisierten kontrollierten Studien zur Kolonoskopie, was zu fast fundamentalistischen Diskussionen über allfällige Bias führt. Derartige ideale Studien wären natürlich wünschenswert, ist die Kolonoskopie eben doch eine invasive Untersuchung mit einem zwar geringen, aber vorhandenen Risiko für Komplikationen, die man bei gesunden, beschwerdefreien Leuten ungern in Kauf nimmt.
Sigmoidoskopie Das endoskopische Screening mit Abtragung der allfällig vorhandenen Adenome kann aber definitiv die spätere Entstehung von Karzinomen vermindern. Dies belegen die kürzlich veröffentlichten Resultate der riesigen Sigmoidoskopiestudie bei über 40 000 Personen in England. Bereits nach einer einfachen Sigmoidoskopie nach einer Vorbereitung mit einem Einlauf war zehn Jahre später nicht nur die tumorbezogene Mortalität signifikant tiefer, sondern es traten im distalen Kolon um einen Drittel weniger Karzinome auf (13). Diese Studie war, wie schon so lange gewünscht, prospektiv und randomisiert! Ob sich die Sigmoidoskopie in der Schweiz als Screeningmethode etablieren kann, wird sich zeigen. Problematisch ist, dass das proximalere Kolon hiermit nicht untersucht wird. Zirka 40 Prozent der Tumoren treten jedoch proximal des Sigmas auf, und die Hälfte der Patienten mit proximalen Karzinomen haben keine hinweisende Polypen im Sigma. Diese verpassen wir also selbst dann, wenn wir alle kolonoskopieren, die im Sigma Polypen haben. Zudem ist die Vorbereitung des Sigmas einzig mittels eines Einlaufs meines Erachtens oft ungenügend. Reinigen wir jedoch den ganzen Darm, fragt sich, weshalb wir dann nicht auch den ganzen Darm untersuchen.
Virtuelle Kolonoskopie Der Respekt gegenüber einer endoskopischen Untersuchung des Kolons ist zum Teil noch recht hoch. Viele warteten deshalb mit grossem Interesse auf die Resultate der Untersuchung des Kolons mittels Computertomografie, der sogenannten virtuellen Kolonoskopie. Trotz ermutigender Resultate bleiben
ARS MEDICI 7 ■ 2011 291
Fortbildung
Tabelle 3:
Risikofaktoren für die Entwicklung eines Kolonkarzinoms
❖ Alter
zunehmendes Risiko ab 50. Altersjahr, resp. 10 Jahre früher bei familiärer Belastung
❖ Kolonkarzinom bei erstgradig Verwandten, vor allem wenn diese
vor dem 60. Altersjahr an einem Kolonkarzinom erkrankten
❖ Endometriumkarzinom bei einem erstgradig Verwandten,
wenn dies in jungen Jahren aufgetreten war
❖ Lebensstil
Nikotin Alkohol Übergewicht Inaktivität wenig Konsum von Früchten und Gemüse
❖ insulinpflichtiger Diabetes mellitus II
❖ frühere Bestrahlung eines Prostatakarzinoms
❖ Hochrisikosituation und spezielle Situationen
familiäre Polyposis (FAP) hereditäres Non-Polyposis-Kolonkarzinomsyndrom (HNPCC) Colitis ulcerosa, Morbus Crohn früheres Karzinom oder frühere Adenome im Kolon, früheres Endometriumkarzinom oder Karzinom im Urogenitaltrakt
viele Fragen offen. Das Kolonkarzinom und auch grosse Polypen scheinen effektiv mittels virtueller Kolonoskopie ähnlich gut entdeckt zu werden, wie dies endoskopisch möglich ist. Schlechter ist allerdings die Ausbeute bei kleineren Polypen und vor allem bei flachen Läsionen (14). Was dies bezüglich präventiver Wirkung der virtuellen Kolonoskopie bedeutet, wissen wir im Moment noch nicht. Wir wissen deshalb auch nicht, wie oft die Untersuchung wiederholt werden muss. Zudem ist die Qualität der vorliegenden Studien unsicher, war doch die Zahl der entdeckten grossen Adenome und Karzinome in diesen Studien jeweils deutlich tiefer, als es für eine qualitativ gute Kolonoskopie gefordert wird. Eine grosse Unbekannte ist zudem die Frage der Gefährdung durch die repetitive Strahlenbelastung. Provozieren wir hierdurch eventuell das Wachstum von Karzinomen bei gesunden Menschen? Zudem ist der finanzielle Nutzen dieser Vorsorgeuntersuchung unklar. Werden durch die virtuelle Kolonoskopie wirklich Endoskopien eingespart, oder steigen die Kosten ins nicht mehr Bezahlbare? Die Daten aus den USA lassen leider befürchten, dass mittels virtueller Kolonoskopie die Teilnahmerate an einem Screeningprogramm nicht gesteigert werden kann.
Wie könnten wir Effizienz und Akzeptanz steigern? Die Möglichkeit eines Tumorleidens wird aus unserem Denken gerne verdrängt. Erst wenn ein naher Freund oder gar jemand aus der eigenen Familie an Krebs erkrankt, wird einem bewusst, dass es effektiv jeden treffen kann. Da wir heute
verschiedene Möglichkeiten haben, den Tumor im heilbaren Stadium zu finden oder den Tumor sogar zu verhindern, ist es sinnvoll, die Menschen objektiv zu orientieren, ohne zu dramatisieren. Wir dürfen wissen, dass jeder – allerdings meistens erst nach dem 50. Altersjahr – eine gewisse Gefährdung hat, an einem Darmkrebs zu erkranken. Die Menschen sollten auch informiert werden, welche Patienten speziell gefährdet sind (Tabelle 3). Vor allem Personen mit erhöhtem Risiko sollten sich kolonoskopisch untersuchen lassen, da dann die Effizienz am grössten ist. Unklar ist, wie wir die breite Bevölkerung am besten erreichen können. Artikel in der Presse werden meist nur von einer ausgewählten Gruppe gelesen. Auch Internetauftritte dürften die betroffene Bevölkerung über 50 Jahre nur beschränkt erreichen. Wesentlich wirkungsvoller scheinen öffentliche Vorträge durch lokal anerkannte, ausgewiesene Opinionleader zu sein. Vor allem aber ist das Gespräch mit dem Hausarzt als Vertrauensperson für die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen entscheidend. Entsprechend ist es wichtig, dass die Hausärzte über den Nutzen und die Gefahren der Vorsorgeuntersuchungen Bescheid wissen. Die Wahl der Vorsorgemethoden in der Schweiz zeigt, dass die Sicherheit ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl ist. Zusätzlich sollte der Nutzen möglichst lange anhalten, da die Menschen nicht bei jedem Bauchgrimmen an die Gefahr des Karzinoms denken möchten. Viele schrecken aber vor der Darmspiegelung noch zurück, nicht zuletzt aus Angst vor Schmerzen, die heute nicht mehr sein müssten. Sie sollten heute wählen können, ob sie die Untersuchung mit einem Beruhigungsmittel schmerzlos durchführen lassen wollen. Obwohl in der Schweizer Studie nur ein Drittel für die Endoskopie prämediziert worden war, sprachen sich in einer anschliessenden anonymen Befragung 99 Prozent dafür aus, dass sie die Spiegelung wieder wählen würden. Es ist zu hoffen, dass auch die Mittel zur Darmvorbereitung bald bekömmlicher werden. Die Darmvorbereitung wird als weit schlimmer als die Endoskopie empfunden. Trotz allem werden nie alle Personen ab dem 50. Altersjahr eine Kolonoskopie durchführen lassen. Stuhltests, wahrscheinlich bald auch Bluttests dürften für diese eine gute Alternative bieten. Eine objektive Information über Vor- und Nachteile sowie die limitierte Aussagekraft der verschiedenen Tests ist hierbei zwingend. Alle Informationen sollten dabei so weit als möglich in verständlichen absoluten Zahlen erfolgen. Wünschenswert wären auch schweizerische Empfehlungen durch die Fachgesellschaften. Da die Bezahlung der Vorsorge durch die Krankenkassen jedoch noch nicht geregelt ist, bleibt dies schwierig. Die Kosten des Screenings nähern sich jedoch zunehmend den Kosten, die durch einen entdeckten Tumor verursacht werden – Leid und Schmerzen der Patienten und der Angehörigen nicht eingerechnet –, und es ist zu hoffen, dass die Bezahlung deshalb in naher Zukunft geregelt wird. Verschiedene Analysen zeigen, dass letzlich jede Screeningmethode ähnlich viel kostet. Welche Vorsorgestrategie auch immer in der Zukunft im Vordergrund stehen wird, der Entscheid zu einer Tumorvorsorge muss immer dem absolut freien Willen des orientierten Patienten entsprechen. Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass wir auch mit unserem Lebensstil dazu beitragen können, dass das Kolon-
292 ARS MEDICI 7 ■ 2011
Fortbildung
karzinom seltener wird. Regelmässiger Sport und Konsum
von Früchten und Gemüse, Nicht-Rauchen und kein über-
mässiger Alkoholkonsum vermindern das Risiko erheblich,
an Darmkrebs zu erkranken.
❖
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Urs Marbet Chefarzt Medizinische Klinik, Kantonsspital Uri Spitalstrasse 1, 6460 Altdorf UR E-Mail: urs.marbet@ksuri.ch
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur: 1. Bundesamt für Statistik: www.bsf.admin.ch (Krebsinzidenz, Krebsmortalität). 2. Ferlay J, Autier P, Boniol M, Heanue M, Colombet M, Boyle P: Estimates of the cancer
incidence and mortality in Europe 2006. Ann Oncol 2007; 18: 581–592. 3. Weitz J, Koch M, Debus J, Höhler Th, Galle P, Büchler M: Colorectal cancer. Lancet
2005; 365: 153–165. 4. Marbet UA, Bauerfeind P, Brunner J, Dorta G, Valloton JJ, Delco F: Colonoscopy is
the preferred colorectal cancer screening method in a population-based program. Endoscopy 2008; 40: 650–655.
5. Lieberman D: Progress and challenges in colorectal cancer screening and surveillance. Gastroenterology 2010; 138: 2115–2126.
6. Marbet U: Testmethoden für okkultes Blut im Stuhl. Schweiz Med Forum 2006; 6: 291–297.
7. Hol L, van Leerdam ME, van Ballegooijen M, van Vuuren AJ, van Dekken H, Reijerink JC et al: Screening for colorectal cancer: randomised controlled trial comparing guajakbased and immunochemical faecal occult blood testing and sigmoidoscopy. Gut 2010; 59: 62–68.
8. Hundt S, Haug U, Brenner H: Comparative evaluation of immunochemical fecal occult blood tests for colorectal adenoma detection. Ann Int Med 2009; 150: 162–169.
9. Grützmann R, Molnar B, Pilarsky C, Habermann JK, Schlag PM, Saeger HD et al.: Sensitive detection of colorectal cancer in peripheral blood by Septin 9 DNA methylation assay. PLoS One 2008; 3: e3759.
10. Rösch T, Beck J, Church T et al.: Prospective clinical validation of a biomarker, methylated SEPT 9 DANN, for colorectal cancer detection in plasma of average risk men and women over the age of 50. Abstract UEGW 2010.
11. Brenner H, Jenny CC, Seiler CM et al.: Protection from colorectal cancer after colonoscopy. A population based case-control study. Annals Int Med 2011; 154: 22–30.
12. Kaminski MF, Regula J, Krawszeska E et al: Quality indicators for colonoscopy and the risk of interval cancer. New Engl J Med 2010; 362: 1795–1803.
13. Atkin WS, Edwards R, Kralj-Hans I, Wooldrage K, Hart AR, Northover JM, Parkin DM, Wardle J, Duffy SW, Cuzick J: Once only flexible sigmoidoscopy screening in prevention of colorectal cancer: a multicentre randomised controlled trial. Lancet 2010, 375: 1624–1633.
14. Benson M, Dureja P, Gopal D, Reichelderfer M, Pfau P: A comparison of optical colonoscopy and CT colonography screening strategies in the detection and recovery of subcentimeter adenomas. Am J Gastroenterol 2010; 105: 2578–2585.
294 ARS MEDICI 7 ■ 2011