Transkript
BERICHTE ZUM SCHWERPUNKT
Sexuell übertragbare Erkrankungen
Wie kann der Gonorrhoe-Welle Einhalt geboten werden?
Die Inzidenz von Geschlechtskrankheiten befindet sich im Aufwind. Vor allem bei Gonorrhoe (GO) steigen die Erkrankungszahlen, aber auch die Resistenzraten gegen bewährte Antibiotika. Welche Ursachen dahinterstecken und welche Chancen bei Prävention und Therapie bestehen, beleuchtete Prof. Dr. Norbert Brockmeyer aus Bochum (D) bei der Jahrestagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) in Berlin.
Wenn in den letzten Jahren von sexuell übertragbaren Erkrankungen berichtet wurde, drehte es sich meist um die viralen Infektionen, allen voran das Humane Immundefizienz-Virus (HIV). Dabei sind die bakteriellen Geschlechtskrankheiten aus dem Blickfeld gerückt – vor allem, weil die Patienten bisher dank der Antibiotika unkompliziert kurativ behandelt werden konnten und auch die Erkrankungszahlen entsprechend niedrig waren. Doch das hat sich nun erheblich geändert: Die sexuell übertragbaren Infektionen (STI) haben in Europa drastisch zugenommen. Nach Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) stieg von 2021 auf 2022 die Zahl der Chlamydien-Nachweise um 16%, die der Syphilis-Infektionen um 34% und die Gonorrhoe-Fälle um 48% (1). Im Jahr 2018 war die Gonorrhoe (GO) mit über 100 000 Infektionen aus 28 Ländern die zweithäufigste gemeldete STI in der Europäischen Union, berichtete Prof. Brockmeyer.
Auch in der Schweiz hat die Zahl der jährlich gemeldeten Gonorrhoe-Infektionen kontinuierlich zugenommen: 2022 wurden in der Schweiz 5112 bestätigte Gonorrhoe-Fälle gemeldet, etwa 25% mehr als im Jahr zuvor. Im Jahr 2023 lag die Inzidenz bei 68,9 pro 100 000 Einwohnern und damit 19,1% höher als im Vorjahr (2).
Tripper-Risiko bei Tinder, Sex ohne Kondom, Doxy-PrEP Die Gründe für den Anstieg und die Verbreitung von STI bei jungen, sexuell sehr aktiven Menschen und bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), sind vielfältig: «Sex ohne Kondom» gehört dazu. Auch die einfache Verfügbarkeit für schnellen, unverbindlichen Sex durch Dating-Plattformen wie Tinder könnte zur STI-Verbreitung beitragen, meint Prof. Brockmeyer, der auch der Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG) ist.
Die Praktik der Postexpositionsprophylaxe mit Doxycyclin (Doxy-PrEP), die besonders unter MSM verbreitet ist, könnte ebenfalls eine Teilursache sein. Denn wer schon ein Anti biotikum einnimmt, wiegt sich mitunter in der trügerischen Sicherheit, dass er auch keine Infektion verbreiten könne.
Doxycyclin wirkt kaum noch gegen Gonokokken Was die meisten nicht wissen: Auch bei Doxycyclin sind die Resistenzraten drastisch gestiegen. Doxy-PrEP kann zum Schutz vor HIV- und Syphilis-Infektion durchaus sinnvoll sein, doch in Deutschland sind aktuell nur noch unter 10% der Gonokokken empfindlich gegenüber Doxycyclin. Entsprechend sei auch keine Schutzwirkung gegen Gonorrhoe zu erwarten, so Prof. Brockmayer.
Insgesamt ist die Resistenzentwicklung besorgniserregend: Momentan stehen nur wenige alternative Antibiotika gegen Neisseria gonorrhoeae zur Verfügung. Das letzte Antibiotikum, das gegen GO zugelassen wurde, war 1993 Cefixim, was mittlerweile auch nicht mehr ausreichend wirkt. Als Standardantibiotikum bei unkomplizierter Gonorrhoe gilt derzeit Ceftriaxon 1– 2 g als Einmaldosis i.v. oder i.m., eventuell in Kombination mit 1,5 g Azithromycin einmalig oral, berichtete Dr. Susanne Buder aus Berlin (D). In Deutschland liegt der Resistenzanteil für Ceftriaxon derzeit mit unter 1% relativ niedrig. Anders sieht es in Südostasien aus: hier liegen beispielsweise in einigen Regionen von China die Resistenzraten schon bei 25%. Azithromycin wurde vor einigen Jahren noch als First-Line-Antibiotikum eingestuft; hier stieg die Resistenz von 3,5% im Jahr 2018 auf 24,6% im Jahr 2023, so Brockmeyer. Leider lassen neue Antibiotika auf sich warten. Möglicherweise könnten Gepotidazin und Zoliflodacin da eine Lücke schliessen (siehe Artikel auf Seite 9).
GO im Praxisalltag Buder gab auch Hinweise für den Umgang bei Verdacht auf GO im Praxisalltag: • Um Patienten mit einer wahrscheinlichen Infektion mit
N. gonorrhoeae erfolgreich zu behandeln, sollte mit der allgemeinen Anamnese auch die Reiseanamnese erhoben werden, da dies schon Hinweise zur Resistenzlage geben kann. Beispielsweise sind in Südostasien die Resistenzen gegen Ceftriaxon weitaus höher als in Mitteleuropa. • Des Weiteren sind die Partner bzw. Partnerinnen (soweit zu ermitteln) zu informieren und mitzubehandeln.
dermatologie & ästhetische medizin 3 | 2025
7
BERICHTE ZUM SCHWERPUNKT
• Die Diagnostik sollte an allen relevanten anatomischen Regionen vorgenommen werden, d.h. auch rektal und pharyngeal.
• Zudem sollte die Empfindlichkeitstestung nicht vernachlässigt werden.
• In jedem Fall sollte der Therapieerfolg kontrolliert werden.
STI-Aufklärung schon bei Jugendlichen Angesichts der steigenden Resistenzraten und dem Mangel an neuen Antibiotika kommt der Prävention von STI immer mehr Bedeutung zu. Leider gibt es in Bezug auf Impfung – der ultimativen Vorbeugung – gegen Gonorrhoe nur Teilerfolge: zwar funktioniert eine direkte Vakzinierung nicht, jedoch lässt sich mit bestimmten Meningokokken-Stämmen eine Teilimmunisierung erzeugen (siehe Artikel auf Seite 10).
Insgesamt halten sowohl Prof. Brockmayer als auch die bisherige Präsidentin der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG), Professor Dr. Julia Welzel aus Augsburg (D) es für dringend erforderlich, vermehrt über STI aufzuklären. Schliesslich sei eine STI immer eine Systemerkrankung – mit lebenslangen Folgen, betonte Brockmayer. Beispielsweise sind
STI auch heutzutage eine häufige Ursache für Infertilität. Diese breite Aufklärung zu STI sollte bereits im Kindes- und Jugendalter beginnen. Informationen zu STI und dem Schutz vor Infektionen, z. B. durch den Gebrauch von Kondomen, die zumindest bis zu 60% vor sexuell übertragbaren Infektionen schützen, gehören nach Ansicht von Welzel auf den Lehrplan. Aber auch die Dermatologen, Kinderärzte und Gynäkologen seien gefordert: »Sprechen Sie alle Patientinnen und Patienten aktiv auf das Thema STI an und informieren Sie über Präventionsmöglichkeiten«, appelliert die DDG-Past-Präsidentin.
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Vorab-Pressekonferenz und Vorträge bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Dermatologie (DDG) 2025, am 29.April und 1. Mai 2025 in Berlin.
Referenzen: 1. ECDC’s Annual Epidemiological Report is available as a series of
individual epidemiological disease reports. https://www.ecdc.europa. eu/en/publications-data/monitoring/all-annual-epidemiological- reports 2. Schweizer Bundesamt für Gesundheit BAG-Bulletin 48 vom 25. November 2024.
8 dermatologie & ästhetische medizin 3 | 2025