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Rosenbergstrasse
Der Tod eines (nicht unbedeutenden) Menschen ist mir eine Lehre. Er war ein kluger Mann. Weitgereist. Beruflich erfolgreich, gebildet, belesen, mit anspruchsvollen Hobbys, einem breiten und tiefen Wissen. Er kannte seine privaten Interessensgebiete bis ins kleinste Detail, hatte alles gelesen, hielt mühelos an der Spitze der Wissenschaft mit. Sogar Fachleute holten bei ihm Rat. Bis vor Kurzem. Es ging nicht von einem Tag auf den andern. Das Sehen liess krankheitshalber fast völlig nach, das Gehör ebenso, und die letzten Jahre zählte vor allem, was körperlich noch funktionierte. Und das war nicht mehr viel. Und heute? All das viele Wissen – verschwunden in irgendeinem Orkus. Bestenfalls. Die tausend Bücher und Aufsätze – zu speziell fürs Brockenhaus. Die Fotos – unscharf und vergilbt. Seine Sammlungen – ehemals wertvoll, doch heute leider für kaum jemanden mehr interessant. Gegen neu und modisch hat antik wenig Chancen. Sic transit gloria mundi. (So vergeht der Ruhm der Welt.) Ja, ja, wenn’s «nur» die Welt wär’, aber es war mehr, es war ein einzelner Mensch. Also denn: Sic perit homo. Schön für die Römer: Sie hatten für alles träfe Sprüche. Ich hab’ jetzt auch einen erschaffen: Credo me remedium contra tristitiam egere. (Sehr, sehr frei übersetzt: Ich brauch’ jetzt einen Schnaps!) Und vielleicht noch dies: Omnia ipse facere volo. (Ich möchte Bücher, Bilder und ungefragt Gesammeltes lieber noch selber bei Schmid oder Remondis entsorgen, bevor’s andere tun müssen.)
Peter Ustinovs treffende Beobachtung: «Die Kirche sagt, du sollst deinen Nachbarn lieben. Ich bin überzeugt, dass sie meinen Nachbarn nicht kennt.»
«Ich habe so viele verborgene Talente!» – «Ach ja, welche denn?» – «Keine Ahnung. Sie sind ja verborgen.»
Dass wir Wahrheit und Lüge, Wirklichkeit und Fake schon heute und in Zukunft erst recht nicht mehr werden unterscheiden können, auf keine erdenkliche Weise, ist nur eines der kommenden Probleme, und vielleicht sogar das kleinste. Das grössere: Es gibt nur eine Wahrheit und nur eine Wirklichkeit, aber zu jeder Wahrheit tausende von Lügen und zu jeder Wirklichkeit abertausende Fakes. Das heisst: Wahrheit und Wirklichkeit werden zu Nadeln im Heuhaufen. Wir werden sie nicht mehr finden. Keiner von uns. Was das für die Gesellschaft und die Demokratien bedeutet? Keine Ahnung. Vielleicht kommt die Welt künftig ohne Wahrheit, Wirklichkeit und Demokratie aus.
Gut möglich, dass die Leute damit zufrieden(er) sind: Jeder lebt seine eigene Wahrheit und Wirklichkeit, jeder darf denken und glauben, sehen und sagen und für wahr halten, was er will. Die Befürchtung: dass es eine kleine Gruppe von Menschen gibt – vielleicht die Tech-Milliardäre und Medienmogule, die Trumps und Putins –, die bestimmt, nach welcher der tausendundein «Wahrheiten» und «Wirklichkeiten» gelebt und gearbeitet wird und die Ressourcen verteilt werden. Sieht so die Zukunft aus? Mit dem zeitlichen Rahmen «2084»?
Im Ernst, es gibt Leute, die meinen, wenn wir etwas netter wären zu Diktatoren und Terroristen, wären die auch netter zu uns.
Gute Journalisten berichten Neues. Schlechte Journalisten verzapfen Bekanntes. Gelesen: «Drei Empfehlungen für Patienten, um ihr Prostatakrebsrisiko zu senken und das Wohlbefinden zu steigern.» Und wie lauten sie, die drei neuen, revolutionären, vor höchstens 200 Jahren gewonnenen Erkenntnisse? Voilà: «Essen Sie mehr Obst und Gemüse, bevorzugen Sie Vollkornprodukte und essen Sie weniger Fleisch.» Wow! Fehlt nur noch der Hinweis: «Atmen Sie! Wer zu wenig atmet, stirbt früher.»
Nach den Indianern, den Zigeunern, den Eskimos, den Invaliden und den Mohrenköpfen jetzt die «Spielplätze». Die woke Kölner Stadtverwaltung ist in stundenlanger Hirnarbeit zum Schluss gekommen, «Spielplatz» sei ein ausgrenzender Begriff und müsse dringend ersetzt werden. Neu soll von «Spiel- und Aktionsflächen» die Rede sein. Vor allem aber sollen 2000 Schilder ausgetauscht werden, denn die neu gestalteten Tafeln sollen «die Diversität der Nutzer*innen mitsamt ihren kulturellen Eigenarten» berücksichtigen. Ein erster Entwurf zeigt Personen, deren Alter, Geschlecht, Hautfarbe, religiöse und sexuelle Identität nicht erkennbar ist (und auch nicht ihre Drogenpräferenzen – wichtig auf Spielplätzen!). Kosten? Egal, für Wichtiges hat man genug Geld.
Nicht alle Menschen haben das Glück, jünger zu wirken, als sie sind. Manche hoffen vielmehr, so alt zu werden, wie sie aussehen.
Und das meint Walti: Lieber etwas mehr, dafür etwas Gutes.
Richard Altorfer
ars medici 13 | 2025 421