Transkript
FORTBILDUNG
Vorgehen bei akuter Nierenkolik
Erste Hilfe bei starken Schmerzen
Patienten mit einer akuten Nierenkolik geben häufig an, die schlimmsten Schmerzen in ihrem ganzen Leben zu haben. Eine schnelle und effektive Schmerzlinderung steht also bei der Behandlung im Mittelpunkt.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Ein 34-jähriger Mann konsultiert notfallmässig seinen Hausarzt. Der Grund: Er hat starke, wellenartig zu- und abnehmende Schmerzen im Bereich der rechten Lendenregion. Des Weiteren klagt er über einen unangenehmen Brechreiz. Bei ihm wird keine erhöhte Körpertemperatur gemessen, jedoch wird beim Urintest eine Mikrohämaturie nachgewiesen. Aufgrund dieses Beschwerdebilds wird eine Nieren- beziehungsweise Harnleiterkolik in Betracht gezogen. Verantwortliche Auslöser sind Steine, die sich in der Niere oder den ableitenden Harnwegen bilden. In der Regel verspüren betroffene Menschen zunächst keine Beschwerden. Doch ein Stein kann plötzlich auf Wanderschaft gehen und sich an einer Engstelle festsetzen. Dann staut sich der Harn zurück, und der Druck steigt an. Die Folge sind krampfartige, heftige Schmerzen. Die meisten Fälle treten bei Personen im Alter von 20 bis 50 Jahren auf. Das Verhältnis von Männern zu Frauen
Merksätze
O In den Sommermonaten wird die Steinbildung aufgrund einer vermehrten Dehydratation gefördert.
O Typische Beschwerden einer akuten Nierenkolik sind sehr starke, wehenartige Schmerzen im Bereich der Lenden- und Leistengegend.
O Zur Schmerzlinderung sind nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Diclofenac das Mittel der ersten Wahl.
O Alternativ können im Akutfall Opioide verabreicht werden.
O Ist keine sofortige Einlieferung ins Spital notwendig, kann der Patient in der Regel ambulant weiterbehandelt werden.
O Die Computertomografie ohne Kontrastmittel ist eine gute Untersuchungsmethode, um Harnsteine sicher nachzuweisen.
beträgt dabei 3 zu 1. Vorrangig Kaukasier und Asiaten sind anfällig für die Bildung von Nierensteinen, wobei 20 Prozent eine positive Familiengeschichte vorweisen. Unser westlicher Lebensstil, warme Temperaturen und geringe Trinkmengen fördern die Entstehung von Steinen. Eine tägliche Urinausscheidung von weniger als einem Liter erhöht dieses Risiko wesentlich. So werden in unseren Breitengraden vor allem in den Sommermonaten mehr Vorfälle beobachtet. Bei der Beurteilung von Patienten ist daher auch auf Anzeichen einer Dehydratation zu achten.
Erstuntersuchung Bei einer Nierenkolik setzt der Schmerz vielfach plötzlich ein und kann länger andauern. Dabei sind schwerpunktmässig die Lenden- und die Leistengegend betroffen. Typische Begleiterscheinungen sind ein gestörtes Harnverhalten, Übelkeit, Erbrechen, Fieber und Krämpfe. Das betroffene Nierenlager kann zudem klopfempfindlich sein. Mit Urinteststäbchen wird eine Mikrohämaturie bei rund 80 bis 85 Prozent der Patienten mit Harnwegssteinen nachgewiesen. Die Anwesenheit von Nitrit oder Leukozyten ist ein Hinweis auf eine vorliegende Harnwegsinfektion. Insbesondere wiederkehrende Harnwegsentzündungen, Gicht, entzündliche Darmerkrankungen, hyperkalzämische Störungen und anatomische Abweichungen der Harnwege sind Zustände, bei denen ein erhöhtes Risiko für eine Steinbildung vorliegt. Das klinische Bild einer Nierenkolik ist zwar recht eindeutig, doch müssen andere Erkrankungen differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden. An oberster Stelle stehen Gallenblasenentzündungen und Blinddarmreizungen. Ähnliche Symptome zeigt ein Bauchaortenaneurysma, das vor allem bei älteren Personen und im Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen auftritt. Bei der Palpation des Abdomens ist hier möglicherweise ein pulsierender Tumor tastbar. Bei Frauen können auch gynäkologische Ursachen verantwortlich sein. Ein gutes Beispiel ist eine bestehende Eileiterschwangerschaft. Und bei Männern wird eine Untersuchung der Hoden empfohlen, da eine dortige Torsion oder Entzündung ebenfalls möglich ist. Ausserdem dürfen muskuloskeletale Schmerzen nicht vergessen werden.
Schmerzbehandlung An erster Stelle steht bei betroffenen Patienten die Schmerzlinderung. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind hier Mittel der ersten Wahl. Dabei wird am häufigsten Diclofenac (Voltaren® und Generika) verwendet; es kann oral (50–75 mg), intramuskulär (75 mg) oder rektal (100 mg) als Sofortdosis
92 ARS MEDICI 2 I 2014
FORTBILDUNG
Tabelle:
Gründe für eine sofortige Einweisung ins Spital
O Der Patient hat hohes Fieber.
O Die Schmerzen nehmen nicht ab oder treten nach der Gabe von Analgetika wieder auf. Normalerweise sollten die Medikamente innerhalb von 30 bis 60 Minuten anfangen zu wirken.
O Der Patient klagt über ständige Übelkeit und Erbrechen. Vor allem eine Dehydratation ist problematisch.
O Nur eine Niere arbeitet, oder in der Vergangenheit wurde eine Nierentransplantation durchgeführt.
O Es wird eine beidseitige Obstruktion durch Steine vermutet.
O Es bestehen diagnostische Unsicherheiten (z.B. ein älterer Patient mit Verdacht auf ein Bauchaortenaneurysma).
O Die Serumanalyse liefert Hinweise auf eine Nierenschädigung. Normale Kreatininkonzentrationen im Serum liegen im Bereich von 0,6–1,2 mg/dl, weshalb abweichende Werte eine Einweisung ins Spital erfordern.
O Es liegt ein Verdacht auf eine Hydronephrosis vor.
gegeben werden. Daneben wird in der Literatur auch Metamizol (Novalgin®) empfohlen, da es ebenfalls einen krampflösenden Effekt hat. Die Datenlage lässt darauf schliessen, dass zusätzliche Analgetika weniger benötigt werden, wenn eingangs NSAR eingesetzt werden. Zu den Kontraindikationen zählen jedoch O Störungen im Blutgerinnungssystem O Magengeschwür O Überempfindlichkeit gegenüber Aspirin oder anderen NSAR O starke Herzinsuffizienz O Schwangerschaft und Stillzeit.
In solchen Fällen ist die parenterale Verabreichung von Opioiden eine mögliche Alternative. Ein Beispiel: Morphin (Morphin HCl Amino® Injektionslösung u.a.) kann in einer Dosis von 5–10 mg subkutan oder intramuskulär gespritzt werden. Bei starken Opioiden ist allerdings Vorsicht geboten, da ein höheres Risiko für unerwünschte Wirkungen wie Atemdepressionen besteht. Das trifft insbesondere auf Pethidin (Pethidin HCl Amino® Injektionslösung u.a.) zu, das zudem häufiger Erbrechen auslösen kann, weshalb es nicht empfohlen wird. Ansonsten kann die Gabe von Schmerzmitteln bei Bedarf mit Antiemetika ergänzt werden. In der Fachliteratur wird unter anderem Cyclizin in oraler oder parenteraler Form empfohlen. In der Schweiz ist dieser Wirkstoff allerdings seit 2008 nicht mehr im Handel. Zur gleichen Wirkstoffgruppe gehört Meclozin (Itinerol®), das in Form von Dragees, Kapseln und Suppositorien zur Verfügung steht. Generell gibt es keine Hinweise, dass ein bestimmtes Antiemetikum besser wirksam ist als andere.
ambulant weiterbehandelt werden. Generell wird empfohlen, die Beschwerden innerhalb von 7 bis 14 Tagen durch einen Urologen abklären zu lassen. Die Dringlichkeit hängt stark davon ab, ob obstruktive Steine in den ableitenden Harnwegen vorliegen. Als beste Untersuchungsmethode wird die Computertomografie (CT) ohne Kontrastmittel eingestuft, da sich Steine in den Harnwegen gut nachweisen lassen. Damit wird das höchste Mass an Genauigkeit erzielt – die Empfindlichkeit und die Spezifität liegen bei 92 bis 100 Prozent. Daneben kann auch eine intravenöse Urografie (IVU) durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um eine röntgenologische Darstellung der Nieren und der ableitenden Harnwege, wobei intravenös gespritztes Kontrastmittel zum Einsatz kommt. Liegt eine Schwangerschaft vor oder sind diese Verfahren aus anderen Gründen nicht möglich, kann eine Ultraschalluntersuchung mehr Aufschluss verschaffen. Ergänzend liefern Blutuntersuchungen Hinweise auf eine verminderte Nierentätigkeit, Infektionen und andere Ursachen für Unterleibsschmerzen. Zu den empfohlenen Testparametern gehören O grosses Blutbild O Serumkreatinin O Kalzium O Harnsäure O C-reaktives Protein O Leberwerte O Amylase.
Oftmals wird einfach abgewartet, bis der Stein von allein abgeht. Ist das nicht der Fall oder liegt eine klinische Dringlichkeit vor, kann er beispielsweise endoskopisch entfernt oder durch eine extrakorporale Stosswellenlithotripsie (ESWL) zertrümmert werden. Wie sind die weiteren Aussichten? Bei Nierensteinen in der Vorgeschichte beläuft sich das Lebenszeitrisiko für die Bildung weiterer Steine auf 50 Prozent. Da Rezidive also häufig sind, werden prophylaktische Massnahmen empfohlen. Das oberste Gebot lautet: Ausreichend trinken! Je nach Fall ist auch eine spezielle Diät sinnvoll. Zudem kann der Urin alkalisiert werden, damit er sich in einem pH-Bereich von 6 bis 7 befindet. Hierfür können Zitratverbindungen (Urocit®) eingesetzt werden, um einer erneuten, schmerzhaften Nierenkolik vorzubeugen.
Monika Lenzer
Quelle: Manjunath A et al: Assessment and management of renal colic. BMJ 2013; 346: f985.
Interessenkonflikte: Die Autoren erhielten keine finanziellen Zuwendungen für diese Arbeit.
Weitere Massnahmen In einigen Fällen ist eine sofortige Einweisung ins Spital dringend erforderlich. Ist das nicht notwendig, kann der Patient
ARS MEDICI 2 I 2014
93