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Nahrungsergänzungsmittel
In der Regel kein Ersatz für gesunde Ernährung
Nahrungsergänzungsmittel sind beliebt, denn viele Leute glauben, je mehr Vitamine und Mineralstoffe sie zu sich nehmen, desto besser. Sie wahllos zu schlucken bringt jedoch nicht viel, im Einzelfall kann es sogar problematisch sein. Damit stellt sich die Frage: Wann ist es sinnvoll, solche Präparate einzunehmen?
von Andrea Wülker*
E igentlich wissen wir, was uns guttut: ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse, Bewegung und ausreichend Schlaf, keine Zigaretten, Kaffee und Alkohol nur in Massen. Aber dann haben wir Stress im Beruf, zum Einkaufen und Kochen bleibt zu wenig Zeit, und zum Sport können wir uns nicht aufraffen. Um dann doch noch etwas Gutes für ihre Gesundheit zu tun, greifen viele von uns zu Nahrungsergänzungsmitteln.
Schlechtes Gewissen – grosse Nachfrage Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel wächst in der Schweiz jedes Jahr um 10 bis 15 Prozent und damit eindeutig stärker als derjenige für Arzneimittel. Im Jahr 2008 erzielten Vitaminpräparate ei-
nen Umsatz von 55 Millionen Franken, Mineralverbindungen brachten es sogar auf einen Umsatz von 59 Millionen Franken. Offensichtlich besteht ein grosses Bedürfnis, durch «Gesundheitsprodukte» die eigene Gesundheit zu erhalten oder zu verbessern. «Für bestimmte Produkte mit Nahrungsergänzungsmitteln gibt es wissenschaftliche Daten, daneben werden aber durch Produktemarketing oder die Suggestion grösserer Fitness auch Bedürfnisse geweckt», sagt Stefan Mühlebach vom Departement Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Basel und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Vifor Pharma AG. Viele Menschen sind sich bewusst, dass sie zu wenig für ihre Gesundheit tun oder sogar richtig ungesund leben. Sie hoffen, sich mit Nah-
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ERNÄHRUNG
Was sind Nahrungsergänzungsmittel?
Nahrungsergänzungsmittel gehören in den Grenzbereich zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln. Sie werden als Kapseln, Tabletten, Flüssigkeit oder Pulver angeboten. Nach Verordnung des EDI (Eidgenössisches Departement des Inneren) dürfen sie nur die unten genannten Substanzen in definierten (sicheren) Dosen enthalten. Doch nicht alle Hersteller halten sich streng an diese Definition. Auch Pflanzenextrakte, Kräuter und Ballaststoffe werden als Nahrungsergänzungsmittel angepriesen.
Vitamine Fettlösliche Vitamine A, Beta-Carotin (Provitamin A), Vitamine D, E und K, wasserlösliche Vitamine C, Thiamin, Riboflavin, Niacin, Folsäure/Folacin, Vitamin B6 und B12, Biotin, Pantothensäure.
Mineralstoffe und Spurenelemente Kalzium, Phosphor, Eisen, Magnesium, Zink, Jod, Selen, Kupfer, Mangan, Chrom, Molybdän, Kalium, Chlorid.
Andere Nährstoffe Coenzym Q10, Isoflavone, Carotinoid Lutein, Carotinoid Zeaxanthin, Carotinoid Lycopin, langkettige Omega-3-Fettsäuren wie EPA und DHA, Taurin.
rungsergänzungsmitteln etwas Gutes zu tun und gleichzeitig aufwendigere Massnahmen wie angepasste Ernährung, allfälliges Absetzen des Rauchens oder regelmässige sportliche Betätigung umgehen zu können.
Sich ausgewogen
ernähren Nährstoffe, die der Körper braucht, sollten wir in erster Linie über gesunde Lebensmittel zu uns nehmen. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt denn auch fünf Portionen Gemüse und Früchte pro Tag, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, weitere Getreideprodukte und Kartoffeln zu jeder Hauptmahlzeit. Auch sollten täglich drei Portionen Milch oder Milchprodukte konsumiert werden und zusätzlich abwechslungsweise eine Portion Fleisch, Fisch, Eier, Käse oder ein anderes eiweissreiches Nahrungsmittel. Öle, Fett und Nüsse sollten mit Mass verzehrt werden, Süssigkeiten und salzige Knabbereien mit Zurückhaltung. «Wer sich so ernährt, ist kaum auf Supplemente angewiesen», erklärt Barbara Walther, Gruppenleiterin Ernährung der Forschungsanstalt Agroscope LiebefeldPosieux (ALP). Sie weist darauf hin, dass der Nährstoffbedarf möglichst über Lebensmittel gedeckt werden soll und dass Nahrungsergänzungsmittel kein Ersatz für eine gesunde Ernährung sind.
Erhöhter Bedarf an
Nährstoffen «Eine ausgewogene und vollständige Ernährung genügt in der Regel», bestätigt Stefan Mühlebach. Doch gibt er zu bedenken, dass diese oft nicht mehr gegeben ist. Bei den heute verbreiteten Essgewohnheiten mit häufigem Konsum von Fertigprodukten und Fastfood sei denn auch qualitative Mangelernährung gar nicht so selten. Zudem sei in besonderen Situationen wie Schwangerschaft, Krankheit oder bei körperlicher Hochleistung der Bedarf an Nährstoffen erhöht. Essenzielle Fettsäuren und bestimmte Mineralien können dann knapp
werden. Ausserdem sind beispielsweise Fische mit den essenziellen Omega-3Fettsäuren durch Schadstoffe belastet und geschmacklich nicht jedermanns Sache. «Dann sind Konzentrate mit gereinigten und aufbereiteten Nährstoffen eine sehr sinnvolle und risikoarme Alternative», sagt Stefan Mühlebach.
Nährstoffmangel: Wer ist gefährdet? Schwangere: Sie benötigen eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung, damit sie und ihr Baby reichlich mit Nährstoffen versorgt werden. Eine besondere Rolle spielt das Vitamin Fol-
Was Sie beachten sollten
Ernähren Sie sich gesund und ausgewogen. Eine gute Basis hierfür ist die Lebensmittelpyramide der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (www.sge-ssn.ch). Wenn Sie befürchten, nicht ausreichend mit allen Nährstoffen versorgt zu sein (wegen Nahrungsmittelunverträglichkeit oder einer chronischen Erkrankung), lassen Sie sich von Ihrem Arzt beraten. Er kann entsprechende Untersuchungen veranlassen, um abzuklären, ob bei Ihnen Defizite vorliegen. Tun Sie nicht zu viel des Guten: Wer mit Vitaminen und Mineralien angereicherte Lebensmittel konsumiert und zusätzlich Nahrungsergänzungsmittel schluckt, kann im
Einzelfall eine Überdosis an fettlöslichen Vitaminen zu sich nehmen, was problematisch ist. So kann zu viel Vitamin A zu Haarausfall und Hautproblemen führen, während eine Überdosis an Vitamin E Übelkeit und Erbrechen hervorrufen kann. Falls Sie sich für ein Nahrungsergänzungsmittel entscheiden, kaufen Sie es im Fachhandel oder bei seriösen Anbietern, die der öffentlichen Kontrolle unterstehen. Das Internet ist ein unsicherer Weg, denn Sie können die Herkunft des Produkts, dessen Inhaltsstoffe und die Seriosität des Anbieters nicht überprüfen.
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ERNÄHRUNG
säure. Ist die Mutter nicht ausreichend mit Folsäure versorgt, steigt das Risiko, dass das Kind mit einem «offenen Rükken» (Spina bifida, Neuralrohrdefekt) zur Welt kommt. Daher wird allen Frauen, die schwanger werden möchten, empfohlen, bereits vor der Empfängnis täglich 0,4 mg synthetische Folsäure einzunehmen. Ausserdem ist darauf zu achten, dass Schwangere ausreichend mit Kalzium, Eisen, Zink und den Vitaminen D und B12 versorgt sind. Ebenfalls wird empfohlen, dass Schwangere und Stillende die für die Hirnentwicklung des Kindes nötige Omega-3-Fettsäure DHA in genügender Menge (täglich 200 mg) entweder über Fisch oder Supplemente einnehmen.
Ältere Menschen: Betagte Menschen klagen häufig über mangelnden Appetit oder Schwierigkeiten beim Kauen. Dies kann dazu führen, dass sie zu wenig Nährstoffe aufnehmen – dies gilt auch
bei chronischen Erkrankungen, unter denen viele Senioren leiden. Sind sie ausserdem nicht mehr gut zu Fuss oder bettlägrig, erhalten sie häufig zu wenig Sonnenlicht, was die Versorgung mit Vitamin D gefährdet. Auch ein Mangel an Vitamin B12 und eine unzureichende Versorgung mit Kalzium oder Eisen ist bei älteren Menschen keine Seltenheit.
Chronisch Kranke: Patienten mit Krebs, Diabetes, Rheuma, Leber-, Nieren- oder Magen-Darm-Erkrankungen sowie Alkoholkranke können ebenfalls Mängel entwickeln, weil sie durch die Erkrankung nicht genügend Nährstoffe aufnehmen oder verwerten.
Kinder und Jugendliche: Sie benötigen für Wachstum und Entwicklung mehr Nährstoffe als Erwachsene, weshalb eine ausgewogene Ernährung in jungen Jahren besonders wichtig ist. Essen Kinder und Jugendliche vorwiegend Fast Food oder verweigern sie Obst, Salat und Ge-
müse, Fleisch und Milchprodukte, können auch bei ihnen Mängel auftreten, die kompensiert werden müssen.
Personen mit spezieller Ernährungssituation: Veganer, die nicht nur Fleisch, sondern sämtliche Lebensmittel tierischer Herkunft ablehnen, wie auch Menschen mit Nahrungsmittelallergien oder -unverträglichkeiten müssen ihre Ernährung sorgfältig planen, damit keine Mängel entstehen. Defizite lassen sich vermeiden, wenn Ersatzprodukte geschickt ausgewählt werden. Bei Laktoseintoleranz ist beispielsweise gereifter Käse kein Problem, auch Joghurt wird oft gut vertragen. Personen, die zu einer der genannten Gruppen gehören, sollten mit ihrem Arzt abklären, ob sie zusätzliche Vitamine und Mineralstoffe benötigen.
*Dr. med. Andrea Wülker ist Medizinjournalistin und lebt in Offenburg (D).