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EDITORIAL
Zwischen Evidenz, Erfahrung und Ethik: Psychedelika in der psychiatrischen Therapie
Noch vor zwei Jahrzehnten war die empirische Forschung zu Psychedelika ein Randthema. Heute steht sie im Zentrum eines wissenschaftlichen und klinischen Aufbruchs. Die in diesem Heft versammelten Beiträge zeigen, dass Psychedelika nicht nur Hoffnungsträger, sondern auch Prüfsteine für die moderne Psychiatrie sind: Sie fordern uns heraus, über Wirksamkeit, Sicherheit und die Rolle des Bewusstseins im therapeutischen Prozess neu nachzudenken. Die Arbeit von Vandersmissen et al. fasst die aktuelle Evidenzlage zusammen: Für therapieresistente Depressionen, Angststörungen, Abhängigkeitserkrankungen und posttraumatische Belastungsstörungen liegt mittlerweile robuste klinische Evidenz vor. Gleichzeitig mahnt sie zur Nüchternheit: Kleine Stichproben, Selektions- und Erwartungseffekte sowie begrenzte Daten zu Langzeitwirkungen und Nachsorge schränken die Aussagekraft noch ein. Psychedelika sind kein Allheilmittel, sondern Werkzeuge, deren Wirkung wesentlich von Indikationsstellung, therapeutischem Setting und Integrationsprozess abhängt. Aicher und Müller beleuchten die besondere Schweizer Situation. Seit 2014 erlaubt das Bundesamt für Gesundheit auf Antrag die beschränkte medizinische Anwendung von LSD, MDMA und Psilocybin. Rund 1800 Bewilligungen wurden bisher erteilt. Dies ist ein weltweit einzigartiges Modell, das regulatorische Sicherheit, klinische Verantwortung und therapeutische Flexibilität miteinander verbindet. Die bisherigen Erfahrungen zeigen: Unter sorgfältiger Indikationsstellung, Vorbereitung und Nachbegleitung kann Psychedelika-assistierte Therapie sicher durchgeführt werden. Zugleich bleiben Fragen nach Qualitätssicherung, Weiterbildung und gerechter Zugänglichkeit zentral.
Der Artikel aus meiner Arbeitsgruppe an der Universität Fribourg beschäftigt sich ergänzend damit wie Psychedelika auf Traumafolgestörungen wirken können und welche Faktoren dabei therapeutisch relevant sind. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem sogenannten Helioskop-Effekt, einem potenziellen Therapieprozess, den wir aktuell wissenschaftlich untersuchen und der beschreibt, wie psychedelisch unterstützte Prozesse emotionale Konfrontation und psychische Stabilität miteinander vereinen können. Wie ein Helioskop das grelle Sonnenlicht filtert, erlaubt der therapeutische Rahmen, belastende Erinnerungen zugänglich zu machen, ohne zu überfluten. So entsteht ein Zustand, in dem schmerzliche Erfahrungen bearbeitet und in einen neuen Zusammenhang gebracht werden können.
Gemeinsam zeichnen die Beiträge ein differenziertes Bild einer sich rasch entwickelnden Therapieform. Der Weg zu einer etablierten Praxis führt über wissenschaftliche Strenge, ethische Verantwortung und psychotherapeutische Kompetenz. Wenn es gelingt, diese Elemente auszubalancieren, kann die psychedelikaassistierte Therapie einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung der Psychiatrie leisten – als Brücke zwischen neurobiologischer Forschung, klinischer Erfahrung und therapeutischen Prozess.
Wir wünschen eine interessante Lektüre
Prof. Dr. med. Gregor Hasler Molecular Psychiatry Lab, University of Freiburg FNPG, Chemin du Cardinal-Journet 3 1752 Villars-sur-Glâne E-Mail: gregor.hasler@unifr.ch
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