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BAUCH I UPDATE DIVERTIKULITIS I KONSERVATIV BAUCH I UPDATE DIVERTIKULITIS I KONSERVATIV
DIVERTIKELKRANKHEIT – EIN LIFESTYLEPROBLEM?
Vorbeugen durch Anpassen der Ernährungsgewohnheiten
Die Ursache der Kolondivertikulose ist bis heute nicht restlos geklärt, aber in diese Richtung geht es: Rohkost am Abend und zu viel Zucker führen zu Gärungsprozessen, der Darm wird zur «Biogasanlage», es kommt zu Ausstülpungen der Darmwand, die sich dann entzünden. Therapie und Prävention werden vorgestellt.
Peter Schmid
DIVERTIKULITIS Die Prävalenz steigt mit dem Alter: • 40 Jahre 10%
(stark steigend!) • 60 Jahre 30% • 80 Jahre 65%
FODMAP Als gärungsfreudig gelten: • Fermentable
(gärungsfreudige) • Oligosaccharide • Disaccharide • Monosaccharide • And • Polyole
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Die Divertikelkrankheit des Kolons und ihre entzündlichen Komplikationen nehmen zu, immer mehr Menschen sind davon betroffen. Während vor 50 Jahren die Krankheit kaum vor dem 40. Lebensjahr beobachtet werden konnte, treffen wir heute – auch dank modernerer Bildgebung – bereits bei 20-Jährigen auf die typischen Veränderungen.
Ursachen: Erhöhter Druck, längere Passage
Einig ist man sich darüber, dass ein erhöhter intraluminaler Druck eine der Ursachen für die Entstehung von Divertikeln sein muss. Weshalb dieser Druck aber entsteht, bleibt kontrovers. Im gleichen Kontext macht man zu lange Transitzeiten für die Entstehung von Divertikeln verantwortlich. Studien zeigen, dass in Westeuropa die mittleren Transitzeiten um 80 Stunden schwanken, während diese bei Probanden aus Afrika bei 34 Stunden liegen. Andere Studien beschreiben eine vermehrte Prävalenz der Divertikelkrankheit bei der Umsiedlung aus Afrika in die USA. So hat man geschlossen, dass wohl die Menge der konsumierten Ballaststoffe – in Afrika viel, in den westlichen Ländern wenig – ausschlaggebend für die Entwicklung von Darmdivertikeln sein müsse.
Ballaststoffe: Lösung oder Problem?
Als Chirurg weiss man, dass in der akuten Entzündung, also im Divertikulitisschub, Ballaststoffe Gift
sind. Die Beschwerden der Patienten nehmen bei deren Konsum zu, bei deren Weglassen meist klar ab. Ist der entzündliche Schub abgeklungen, werden in fast unverbesserlicher Weise wieder reichlich Ballaststoffe empfohlen. In letzter Zeit mehren sich Studienresultate, welche die positive Auswirkung von Ballaststoffkonsum auf die Divertikelkrankheit in Zweifel ziehen, sodass wir diese Ernährungsempfehlungen wohl überdenken müssen.
Therapie: Differenziertes Vorgehen
Therapiebedürftig ist die entzündliche Komplikation oder die Divertikelblutung. Während bis vor ein paar Jahren die Divertikelkrankheit relativ aggressiv operativ angegangen worden ist, setzt sich heutzutage eine differenzierte Vorgehensweise durch: Wir unterscheiden die unkomplizierte Divertikulitis, welche sich lediglich in der Bildgebung manifestiert und von bescheidenen klinischen Symptomen begleitet ist. Die Therapie besteht aus Analgesie und faserarmer Ernährung. Eine Antibiotikatherapie ergibt laut neusten Studien keine Vorteile. Eine Hospitalisation muss nicht obligat erfolgen. Die komplizierte Divertikulitis schliesst eine Perforation, Abszess, Obstruktion/Stenose oder Fistelbildung ein. Sie erfordert tendenziell eher eine interventionelle Therapie, sei es die Drainage von Abszessen, die laparoskopische Lavage oder die notfallmässige Operation bei kotiger Peritonitis.
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BAUCH I UPDATE DIVERTIKULITIS I KONSERVATIV
Wenn wir die Entwicklung der Divertikelkrankheit betrachten, müssen wir sie als Zivilisationskrankheit bezeichnen. Zivilisationskrankheiten – im Englischen «Lifestyle Disease» genannt – haben offenbar etwas mit unseren Lebens- und Ernährungsgewohnheiten zu tun. Die Ernährungsgewohnheiten verschiedener Ethnien unterscheiden sich nicht nur in der Menge aufgenommener Ballaststoffe. Ein wesentlicher Faktor sind auch die raffinierten Zucker und der Kohlenhydratkonsum generell. Während der Konsum von Zucker vor 200 Jahren noch 1 kg/Kopf/Jahr betrug, ist er heute auf 50 kg/Kopf/Jahr (Europa) bis gegen 80 kg/Kopf/Jahr (USA) gestiegen. Wir essen heute in einem Jahr so viel Zucker wie früher in einem ganzen Leben. Zucker und Kohlenhydrate werden Im Darm zum Teil durch Gärung abgebaut. Dieser Prozess startet mit Zucker und endet mit der Bildung von Gasen und Fuselalkoholen. Die Gase spüren wir als Blähungen. Das Phänomen, dass nach den Mahlzeiten plötzlich «der Bauch aufgeht», ist weit verbreitet und findet regelmässig in Fernsehwerbung für probiotische Produkte seinen Ausdruck. Die Wirkung der Fuselalkohole spüren wir nicht, zumindest nicht bewusst. Inwieweit diese giftigen Produkte das intestinale Biom oder die Darmwand beinträchtigen, ist vorderhand nicht evident. Es liegt aber nahe – und dies wird aktuell gerade wissenschaftlich erforscht –, dass wir mit einem bestimmten Ernährungsstil, zum Beispiel kohlehydratreich, ein bestimmtes Biom «züchten», das sich in dem vorliegenden Milieu entsprechend wohlfühlt. Also wird ein gärungsfreudiges Substrat eine gärungsfreudige Darmflora zur Folge haben. Eine besondere Rolle nehmen dabei Darmpilze (Hefe) ein. Sie sind spezielle Gärungsmaschinen, führen zu Süssigkeitshunger, Blähungen und chronischer Müdigkeit und sind für viele sogenannte unspezifische Beschwerdebilder im Magendarmtrakt verantwortlich.
Blähungen als Hypothese
Gelegentliche Blähungen sind wohl nicht relevant, aber jahrzehntelang chronisch daran zu leiden vielleicht schon. Ein spezielles anatomisches Phänomen weist darauf hin, dass Gase für eine chronische Druckerhöhung vor allem im Colon descendens verantwortlich sein könnten. Die linke Flexur ist der höchste Punkt des Kolonrahmens. Sind Gase mal dort angekommen, lassen sie sich nur widerwillig nach distal transportieren. Die Gase streben nach oben, der Darminhalt strebt nach unten. So entsteht ein Druckgradient im linken Kolon – und hier treten Divertikel am häufigsten auf (siehe Abbildung). Dass das zuneh-
mend auch bei Jüngeren geschieht, hat wohl damit zu tun, dass der «Zucker-Load» bei der jungen Generation bereits exzessiv höher ist, als das noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war.
Prävention: Kein Salat am Abend
Chronische Blähungen sollten bei deutlichem Leidensdruck nicht bagatellisiert werden, sie können Organfunktionen einschränken und zum Beispiel den verfügbaren Raum oberhalb des Zwerchfells zugunsten des Abdomens beeinträchtigen. Herz und Lungen werden kompromittiert. Vorwölbungen des Abdomens oberhalb des Nabels sind immer Luft (Gas), die sich im Quercolon und im Bereich der linken Flexur sammelt. Prävention heisst also Vermeidung chronischer Blähungen. Gärungsfreudig ist, was in letzter Zeit unter dem Kürzel FODMAP zusammengefasst wird. Vereinfacht gesagt geht es um verschiedene Zuckerarten, wie zum Beispiel auch Zellulose, die sich besonders im rohen Gemüse und Salat findet. Natürlich ist die Empfindlichkeit gegenüber entprechenden Nahrungsmitteln individuell und mengenabhängig.
Darmsanierug: Säuberung, Schonung und gut kauen
Wenn die Beschwerden nicht durch Anpassung des Speiseplans oder des Lifestyles gebessert werden können, kann es sich lohnen, einmal den «Reset button» zu drücken. Mittels Säuberung, Schonung und Diziplin wird dem Verdauungstrakt ein Timeout angeboten. Die Massnahmen erfolgen ärztlich kontrolliert und aufeinander abgestimmt: Säuberung durch Abführen mit Bittersalz (MgSo4) bis die Ausscheidungen nicht mehr übel riechen, Schonung durch Befolgen eines individuellen Menüplans, mit einfachen Menüs, gemüsebetont, ohne Rohkost und Zucker. Diszplin meint Kautraining, Sättigungsreflex beachten und Verzicht auf Zwischenmahlzeiten. Stufenweise wird das Menüangebot erweitert. In aller Regel sind die vorbestehenden Beschwerden nach 3 bis 6 Wochen verschwunden. So kann ein adaptiertes Biom aufgebaut werden, das bei guter Pflege Gärungs- und Fäulnisgase im Darm gar nicht erst entstehen lässt. Der Darm braucht Pflege, wie die Haut – sonst wird er zur Biogasanlage. Und dann lassen die Divertikel grüssen. Versuchen wir doch, die Divertikelkrankheit gar nicht erst entstehen zu lassen, bevor sie allenfalls aufwendig behandelt oder gar operiert werden muss.
Kontakt: Dr. med. Peter Schmid Dipl. F.X.Mayr-Arzt, Rapperswil (Diplom der österreichischen Ärztekammer ÖÄK) E-Mail: schmidpeter@fxmayr.ch
«WIR ESSEN HEUTE
IN EINEM JAHR SO VIEL ZUCKER WIE FRÜHER IN EINEM
»GANZEN LEBEN.
PETER SCHMID, Facharzt Chirurgie FMH 1997 Ausbildung zum dipl. F.X.-Mayr-Arzt seit 2001 in freier Praxis als Chirurg und Ernährungsmediziner tätig, seit 2008 Dozent Kräuterakademie BBZ Buchs SG, Oberarzt Viszeral-, Thoraxund Gefässchirurgie, Stadtspital Triemli, Zürich
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