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Titel
Metabolische Chirurgie kann mehr als Gewicht und Diabetes behandeln
Untertitel
9. Adipositassymposium, 8. März 2018 am Universitätsspital in Zürich.
Lead
Bariatrische Eingriffe sind zur Senkung exzessiven Körpergewichts hocheffektiv. Damit führen sie auch zu einer erfolgreichen Therapie eines Typ-2-Diabetes bei Adipositas. Darüber hinaus bewirken der laparoskopisch angelegte Magenbypass und die laparoskopische Schlauchmagen-Gastrektomie auch eine günstige Beeinflussung des Lipidprofils mit Senkung des kardiovaskulären Risikos.
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-
Rubrik
SVDE ASDD
Artikel-ID
40270
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SYMPOSIUMSBERICHT
9. Adipositassymposium
Metabolische Chirurgie kann mehr als Gewicht und Diabetes behandeln

Fotos: Halid Bas

Halid Bas*

Bariatrische Eingriffe sind zur Senkung exzessiven Körpergewichts hocheffektiv. Damit führen sie auch zu einer erfolgreichen Therapie eines Typ-2-Diabetes bei Adipositas. Darüber hinaus bewirken der laparoskopisch angelegte Magenbypass und die laparoskopische Schlauchmagen-Gastrektomie auch eine günstige Beeinflussung des Lipidprofils mit Senkung des kardiovaskulären Risikos.

Bariatrische und metabolische Chirurgie werden mittlerweile nahezu synonym benutzt, stellte Prof. Dr. med. Marco Bueter, Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universitätsspital Zürich, einleitend fest. Als metabolische Chirurgie wird definitionsgemäss jede chirurgische Intervention am Gastrointestinaltrakt bezeichnet, die zu einer Verbesserung einer diabetischen Stoffwechsellage oder anderer metabolischer Parameter führt. Die resultierenden Therapieeffekte sind sowohl abhängig wie auch unabhängig vom erzielten Gewichtsverlust. Derzeit gelten vier operative Verfahren als etabliert (1): • Roux-en-Y-Magenbypass • Schlauchmagengastrektomie • Magenbandoperation • Biliopankreatische Diversion. Aus Sicht des Operateurs stellt sich die Frage, ob eine Methode den anderen überlegen ist.

Auch eine randomisierte, nicht verblindete Multizenterstudie aus der Schweiz (SM-BOSS), hat die FünfJahres-Ergebnisse für die Gewichtsabnahme für 104 Patienten mit laparoskopisch angelegtem Magenbypass und 101 Patienten mit laparoskopischer Schlauchmagengastreketomie zusammengetragen (3). Nach fünf Jahren lag der Anteil der Patienten mit stärkerem Gewichtsverlust in der Schlauchmagengruppe höher. Ganz allgemein warnte Bueter davor, den Erfolg des chirurgischen Eingriffs (unabhängig vom angewandten Operationsverfahren) nur am Gewichtsverlust festzumachen. Neben diesem sind funktionelle Aspekte und die Verbesserung der Stoffwechsellage ebenfalls wichtig, was auch den Patienten vermittelt werden muss. Zwischen den beiden Gruppen liess sich für Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Schlafapnoesyndrom und Depression kein signifikanter Unterschied nachweisen.

Prof. Marco Bueter Dr. Renward Hauser

Metabolische Effekte nach metabolischer Chirurgie

Komplikationen sprechen eher für Magenbypass

In der Schweiz werden fast ausschliesslich die beiden ersten Operationstechniken eingesetzt. Diese wurden in der randomisierten, nicht verblindeten STAMPEDE-Studie mit einer intensiven konservativ medizinischen Therapie verglichen, deren Fünfjahresergebnisse unlängst publiziert wurden (2). Die Studie besass für einen Vergleich der beiden Operationsverfahren nicht ausreichend statistische Aussagekraft, was bei der Wertung des primären Endpunkts (Hämoglobin A1c < 6,0% nach 12 Monaten mit oder ohne Medikation) zu berücksichtigen ist. Nach Roux-en-YMagenbypass waren nach einem Jahr 45 Prozent der Patienten ohne antidiabetische Medikation, nach Schlauchmagengastrektomie waren es 25 Prozent. Nach Roux-en-Y-Magenbypass fiel auch die Abnahme des Körpergewichts im Vergleich zur SchlauchmagenGastrektomie nach fünf Jahren um zirka 5 kg grösser aus. Eine Besserung des gastroösophagealen Refluxes wurde nach Magenbypass häufiger beobachtet als nach der Schlauchmagenoperation (60,4% vs. 25,0%), und eine Verschlechterung eines vorbestehenden Refluxes war nach Schlauchmagen häufiger als nach Magenbypass (31,8% vs. 6,3%). Dies könnte ein Warnhinweis gegen den Schlauchmageneingriff sein, denn in einer italienischen Studie wurde vier Jahre nach diesem Eingriff ein neu aufgetretener Barrett-Ösophagus bei immerhin 17,2 Prozent der Patienten beobachtet (4). Angesichts der heute europaweit in sehr hohen Zahlen durchgeführten bariatrischen Eingriffe, von denen die Hälfte Schlauchmagenoperationen sind, muss der Barrett-Ösophagus als Vorstufe zum Speiseröhrenkrebs ernstgenommen werden, meinte Bueter. Nach der derzeitigen Datenlage lässt sich die Frage nach dem «besten» Operationsverfahren nicht sicher beantworten. Bei nahezu identischem Ge- * Halid Bas ist Medizinjournalist BR und freier Mitarbeiter beim Verlag Rosenfluh Publikationen. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2019 23 SYMPOSIUMSBERICHT wichtsverlust scheint jedoch der Roux-en-Y-Bypass im Vergleich zur Schlauchmagengastrektomie einen grösseren metabolischen Benefit zu vermitteln. Der Trend zur übermässigen Verwendung der Schlauchmagenoperation ist zurzeit sicher nicht gerechtfertigt, schloss Bueter. Bariatrische Eingriffe senken Cholesterin und Triglyzeride Die metabolische Chirurgie ist zur Behandlung des Diabetes etabliert, aber sie könnte weitere Anwendungsgebiete finden, insbesondere bei Störungen des Fettstoffwechsels, erklärte Dr. med. Renward Hauser, Facharzt FMH Chirurgie und Konsiliararzt klinische Ernährung und bariatrische Chirurgie in Zürich. Anhand des eigenen Patientenguts fand Hauser, dass etwas über 30 Prozent präoperativ einen Typ-2-Diabetes und rund 23 Prozent eine Hypertriglyzeridämie als Dyslipidämieerscheinung aufwiesen. Durchaus vergleichbar mit den Patientencharakteristika der SMBOSS-Studie zeigten nahezu zwei Drittel eine Hypercholesterinämie, fast immer mit tiefem HDL-Cholesterin und hoher LDL-Cholesterinfraktion, und trugen somit ein hohes kardiovaskuläres Risiko. Eine kürzlich publizierte unkontrollierte Beobachtungsstudie aus der Westschweiz (Lausanne und Monthey) hat die Auswirkungen der bariatrischen Chirurgie auf das Lipidprofil und das kardiovaskuläre Risiko über einen Fünfjahreszeitraum untersucht (5). Die Ergebnisse stützen sich auf die Daten von 1048 Patienten, die alle einen proximalen Magenbypass erhalten hatten. Insgesamt verbesserten sich die Lipidwerte signifikant. Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel sanken nach einem Jahr von 5,4 auf 4,48 mmol/l respektive von 3,2 auf 2,41 mmol/l und blieben danach unverändert. Die HDL-Cholesterinwerte stiegen kontinuierlich von 1,27 auf 1,77 mmol/l nach fünf Jahren an. Die Verbesserungen beim Lipidprofil fielen bei den Patienten mit dem grösseren Gewichtsverlust höher aus. Unter der Annahme, dass alle Patienten Nichtraucher seien und die übrigen Risikofaktoren wie Diabetes und Hypertonie unverändert blieben, bewirkte die Verbesserung des Lipidprofils durch den bariatrischen Eingriff eine Senkung des kardiovaskulären Risikos um 27 Prozent nach fünf Jahren (p < 0,001). In den Daten seines Patientenguts der letzten beiden Jahrzehnte fand Hauser Übereinstimmungen mit diesen Resultaten, aber auch irritierende Differenzen. Von 588 Patienten hatten 232 ein Magenband erhalten, 33 eine Magenschlauchgastrektomie sowie 235 einen proximalen und 88 einen distalen Roux-en-YBypass. Nach Magenbandoperation sanken die Triglyzeride zunächst, um später wieder anzusteigen. Nach Bypassoperation stiegen die Triglyzeridwerte im Verlauf an. Für diese beunruhigende Beobachtung konnte Hauser keine Erklärung geben. Nach Einlage eines Magenbandes stieg das Gesamtcholesterin an, was bei unverändertem LDL-Cholesterin auf eine Zunahme des HDL-Cholesterins zurückzuführen war. Übereinstimmend mit den Beobachtungen aus der Westschweiz ergab sich nach Magenbypass eine Abnahme des Gesamtcholesterins, eine Zunahme des HDLCholesterins und eine Senkung des LDL-Cholesterinspiegels. Für die günstigen Veränderungen hinsichtlich der Komponenten des Lipidprofils kommt eine ganze Reihe von Wirkmechanismen infrage: • Reduktion der Gesamtverzehrmengen • Reduktion des Gewichts und der Fettmasse • Reduktion der Fettverzehrmengen (nach Roux-en- Y-Bypass) • Änderung der Nahrungspräferenzen • Reduktion der Fettabsorption (nach Roux-en-Y-By- pass) • Reduktion von gastrischem Ghrelin mit möglicher HDL-Cholesterinzunahme (nicht nach Magenband) • Zunahme der körperlichen Aktivitäten mit konsekutiver HDL-Cholesterinzunahme. Für den Gewichtsverlust und gesundheitlichen Nutzen nach bariatrischer Chirurgie werden als traditionelle Gründe die mechanische Restriktion der Nahrungsaufnahme und die kalorische Malabsorption angeführt. Daneben scheinen aber auch Änderungen der Nahrungspräferenzen mit einer postoperativen Bevorzugung von Nahrungsmitteln mit einem tiefen Zucker- und Fettgehalt eine Rolle zu spielen. Studien beim Menschen haben bisher widersprüchliche Ergebnisse gebracht, und es bleibt unklar, ob grundlegende Veränderungen bei der Schmackhaftigkeit sehr fetter und besonders zuckriger Speisen oder beim Appetit darauf verantwortlich sind. Zudem dürften Lerneffekte hinzukommen, da die Selektion der Nahrungsmittel im Verlauf noch zunimmt (6). Zusammenfassend stellte Hauser fest, dass die Bypasseingriffe etwas besser wirksam sind als die Statine. Es bleiben aber noch viele Fragen offen, insbesondere zu den Wirkmechanismen und zur Wahl des besten Verfahrens bei den verschiedenen Dyslipidämietypen. Quelle: 9. Adipositassymposium, 8. März 2018 am Universitätsspital in Zürich. Literatur: 1. Rubino F et al.: Metabolic surgery in the treatment algorithm for type 2 diabetes: A joint statement by international diabetes organizations. Diabetes Care. 2016; 39(6): 861–877. 2. Schauer PR et al.: For the STAMPEDE Investigators: Bariatric surgery versus intensive medical therapy for diabetes – 5-year outcomes. N Engl J Med. 2017; 376(7): 641–651. 3. Peterli R et al.: Effect of laparoscopic sleeve gastrectomy vs laparoscopic Roux-en-Y gastric bypass on weight loss in patients with morbid obesity: The SM-BOSS randomized clinical trial. JAMA. 2018; 319(3): 255– 265. 4. Genco A et al.: Gastroesophageal reflux disease and Barrett's esophagus after laparoscopic sleeve gastrectomy: a possible, underestimated long-term complication. Surg Obes Relat Dis. 2017; 13(4): 568–574. 5. Gero D et al.: Laparoscopic Roux-En-Y gastric bypass improves lipid profile and decreases cardiovascular risk: a 5-year longitudinal cohort study of 1048 patients. Obes Surg. 2018; 28(3): 805–811. 6. Gero D et al.: Do food preferences change after bariatric surgery? Curr Atheroscler Rep. 2017; 19(9): 38. 24 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2019