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Prionen
Ungewöhnliche Erreger neurodegenerativer Erkrankungen
Es war Stanley Prusiner, der 1982 auf der Suche nach den Ursachen seltener neurodegenerativer Erkrankungen bei Tieren (Scrapie bei Schafen) und Menschen (z.B. Kuru, Creutzfeldt-Jakob) neuartige, nur aus Protein bestehende Erreger entdeckte, die er Prionen nannte. Damit war jedoch noch lange nicht geklärt, wie ein Protein zu infektiösen Eigenschaften kommt. Heute, nach jahrelanger molekularbiologischer Forschung, existiert ein breites Wissen über die zellulären Mechanismen, die zur Bildung und Übertragbarkeit infektiöser Prionen führen. Gleichzeitig wuchs das Verständnis für die Pathogenese der mit Prionen assoziierten neurodegenerativen Erkrankungen, wie Creuzfeldt-Jakob beispielsweise, die mit den typischen schwammartigen (= spongiformen) degenerativen Veränderungen des Gehirns einhergehen. Der nachfolgende Beitrag fasst die Erkenntnisse der Forschung über die menschlichen Prionenkrankheiten zusammen.
Walter Bodemer
Historisch-wissenschaftlicher Hintergrund Scrapie bei Schafen ist seit Jahrhunderten bekannt, während Kuru auf Neuguinea erst in den späten 1950er-Jahren in den Fokus biomedizinischer Forschung geriet. Zunächst konzentrierte sich die Suche nach dem infektiösen Agens, das für Kuru verantwortlich sein könnte, auf mögliche virale Erreger wie Hepatitis B (HBV) oder die zu den «slow viruses» gehörenden Lentiviren. Obwohl eine Übertragung des ominösen Erregers von Kuru-Patienten auf Schimpansen erfolgreich verlief, ergaben sich auch durch weiterführende Untersuchungen keine Anhaltspunkte für einen viralen Infekt. Letztlich entwickelte sich daraus die heftig umstrittene, weil revolutionäre Hypothese, dass Proteine auch Eigenschaften eines «protein-only»-Pathogens besitzen und weitergeben könnten. Das Paradigma der Genetik, dass ausschliesslich DNA oder RNA als kodierende und vererbliche Komponenten gelten, wurde erschüttert. Damit rückten in der Molekularbiologie – neben der klassischen Genetik – erstmals die Mechanismen der Epigenetik in den Fokus, durch die die Zellen unter anderem selbst steuern können, wann und in welcher
Menge bestimmte Proteine produziert werden. Die BSE-Epidemie sowie die intensive medizinische Forschung über die Creutzfeldt-JakobKrankheit (CJD) trugen entscheidend zur Aufklärung der Pathogenese von Prionenerkrankungen bei. Zusätzlich sicherten Studien aus Tiermodellen (Hamster, Maus, jüngst Drosophila!) und mit transgenen Mäusen als Biosensor für übertragbare Prionen die in der humanmedizinischen Forschung gewonnenen Erkenntnisse.
Pathomechanismen Als erstes Prion konnte das normale zelluläre Glykoprotein PrPc (für «Prion Protein») identifiziert werden. Dieses körpereigene membrangebundene Protein findet sich vorwiegend in Nervenzellen und im Gehirn; seine genetische Information (PrNP) ist beim Menschen auf dem Chromosom 20 lokalisiert. Weitgehend aufgeklärt wurde inzwischen die Bildung der infektiösen, übertragbaren Prionen PrPsc (als PrP scrapie bezeichnet). Diese pathogenen Formen besitzen zwar die gleiche Aminosäuresequenz (Primärstruktur) wie die physiologische Variante, unterscheiden sich jedoch durch eine veränderte Faltung des Proteins. Die dadurch ausgelösten Konformationsänderungen in ihren Sekundär- und Tertiärstrukturen führen zum Verlust seiner physiologischen Funktionen. Die Umwandlung eines normal gefalteten PrPc in eine missgefaltete Form lässt sich als Metamorphose beschreiben, die in wenigen Schritten nachvollziehbar ist: Normal gefaltetes PrPc wird in der Zelle gebildet, um beispielsweise Kupferionen abzufangen. In seltenen Fällen kommt es zu einer spontanen Fehlfaltung und damit zur Umwandlung der funktionsfähigen Form in seine missgefaltete Variante. Damit verliert das Protein seine angestammte funktionelle Eigenschaft. Seit nachgewiesen wurde, dass missgefaltetes PrPsc in der Lage ist, den normal gefalteten, physiologischen Varianten quasi einen Stempel aufzudrücken, sodass deren Struktur und Funktion sich in einer Kettenreaktion in die krankheitsassoziierte Form umwandeln, weiss man, dass diese Fehlfaltung übertragbar ist. Dazu kommt, dass sich missgefaltete PrP-Moleküle den zellulären Entsorgungsmechanismen entziehen. Sie häufen sich somit im Zellinneren
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mensatz verankert ist, gilt als ausschlaggebend für
die Krankheitsanfälligkeit. Man kann aber gerade
die M/V-Heterozygoten als «resistent», das heisst
als gegen die Ausprägung der Erkrankung gefeit
betrachten. Die Inzidenz der sporadischen CJD liegt
seit Jahren unverändert in der Grössenordnung von
1 bis 2 Fällen pro 1 Million Menschen. Charakteris-
tisch für die Erkrankung sind der fortschreitende
Abbau der geistigen Fähigkeiten bis hin zur De-
menz, unwillkürliche Muskelzuckungen und ein
Verlust der Koordination (torkelnder Gang). Die
durchschnittliche Lebenserwartung der Patienten
liegt hier bei 6 Monaten bis etwa 2 Jahre.
Abbildung 1: Schnitt durch den Hypothalamus und immunhistochemische Färbung mit dem monoklonalen Antikörper 12F10. Proteolytisch nicht abbaubares und aggregiertes PrP ist bräunlich gefärbt und kann post mortem nachgewiesen werden.
Familiäre (erbliche) Prionenkrankheiten Neben diesen im menschlichen Genpool vorherr-
schenden PRNP-Allelen auf mütterlichen und väter-
an, entfalten toxische Wirkungen und sind für die Zelle letzt-
lichen Chromosomen finden sich familiär vererbbare
lich tödlich. Bisweilen bilden sich daraus auch spezifische
Prionenkrankheiten wie das Gerstmann-Sträussler-Schein-
Aggregatformen wie Fibrillen und Amyloide, die wiederum
ker-Syndrom (GSS) oder die Fatale Familiäre Insomnie (FFI),
Ursprung weiterer pathogener Prionen sind, welche als Frag-
die jeweils an bestimmte Punktmutationen im PrNP-Gen
mente aus grösseren Aggregatstrukturen entstehen und im-
gekoppelt sind. Bei der FFI konnte eine Familie gefunden
mer neue Zellen infizieren. Die Infektion führt schliesslich zu
werden, die nachweislich seit Generationen diese tödliche
den für Prionenkrankheiten wie Scrapie, BSE und Creutzfeld-
neurodegenerative Krankheit vererbte. Auch hier kommt es
Jakob so typischen schwammartigen Anomalien des Hirnge-
zum Abbau der geistigen Fähigkeiten bis hin zur Demenz, zu
webes. Die Übertragbarkeit einer Prionenkrankheit ist ein-
Koordinationsstörungen und Muskelschäden.
zigartig, da die pathologische Information nur durch
missgefaltetes PrP weitergegeben wird und nicht durch eine
Erworbene Prionenkrankheiten
Veränderung seines in der DNS kodierten Gens.
Iatrogene und/oder nosokomial erworbene CJD wurden bei
Durch intensive molekularbiologische und klinische Studien
Patienten nachgewiesen, welche Dura-Mater-Transplantatio-
wurden Pathogenese und Pathologie der Prionenkrankheiten
nen, menschliche Hormonpräparate oder Bluttransfusionen
und deren zugrunde liegende molekulare und zellbiologische
erhielten, die mit übertragbaren Prionen kontaminiert waren.
Regulationskaskaden aufgeschlüsselt.
Aussergewöhnlich war dabei, dass durch Prionen kontami-
nierte neurochirurgische Instrumente eine «CJD-Infektion»
Menschliche Prionenkrankheiten
von Mensch zu Mensch verursachten. Besondere Aufmerk-
Die menschlichen Prionenkrankheiten lassen sich in drei
samkeit gewann der vor allem in England beobachtete An-
Gruppen einteilen: die sporadischen, die familiären (erbli-
stieg von CJD-Fällen in den 1990er-Jahren. Da die damals auf-
chen) und die erworbenen Prionenkrankheiten.
tretenden CJD-Krankheitsbilder von den bis anhin bekannten
sCJD oder fCJD klinisch unterscheidbar waren, wurde diese
Sporadische Prionenkrankheiten
neue CJD-Form als CJD-Variante (vCJD) klassifiziert. Die
Die sporadisch, ohne erkennbare Ursachen auftretende
gleichzeitig ansteigende Zahl der an boviner spongiformer
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (sCJD) lässt sich zurückführen
Enzephalopathie (BSE) verendeten Rinder wies darauf hin,
auf eine Homo- beziehungsweise Heterozygotie in den Alle-
dass BSE-Prionen auf Menschen übertragbar sein könnten,
len des Prion-Protein-Gens (PrNP), die für Methionin oder Va-
was später durch einen «PrP-Fingerabdruck» im Western Blot
lin kodieren. Genetisch für Methionin homozygote Menschen
bestätigt werden konnte. Mit dem Rückgang von BSE sank
(M/M) neigen offenbar eher dazu, eine sCJD auszuprägen.
gleichzeitig die Inzidenz von vCJD. Gut 20 Jahre nach BSE
Weniger betroffen sind für Valin homozygote (V/V) und vor
scheint heute die Wahrscheinlichkeit, dass neue vCJD-Fälle
allem für Methionin/Valin (M/V) heterozygote Personen. Die
auftauchen, gering. Eine verlässliche Aussage über den Zeit-
genetische Disposition, die in unserem diploiden Chromoso-
punkt und die Anzahl möglicher vCJD-Fälle ist allerdings nicht
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möglich, da Prionen – ebenso wie einige Viren – langfristig asymptomatisch auch in nicht neuronalem Gewebe wie dem Appendix persistieren können. Die gesundheitspolitische Relevanz von CJD und vCJD ist eher gering, während der wissenschaftliche Gewinn durch die Prionenforschung immens ist. Bei der Erforschung der Proteinopathien wie Morbus Alzheimer, Parkinson und der amyothrophen Lateralsklerose (ALS) wird zunehmend auf Erkenntnisse aus der Prionenforschung zurückgegriffen. Erste, wenngleich noch nicht eindeutig reproduzierte Ergebnisse im Mausmodell lassen eine mögliche Übertragbarkeit von mit Alzheimer assoziierten Amyloid-beta-(a-beta-) beziehungsweise Tau-Proteinen und dem Alpha-Synuclein der Parkinson-Krankheit vermuten. Unsere eigenen Arbeiten über menschliche sCJD, vCJD und BSE-Prionen bestätigten zweifelsfrei die Übertragbarkeit und die Pathophysiologie im Rhesusaffen als menschennahem Tiermodell.
Diagnose, Prävention und Therapie von Prionenkrankheiten Zur Diagnose von CJD haben sich die nicht invasive Bildgebung im MRT sowie die Aufnahme eines EEG mit hohem prognostischen Wert etabliert. Gewebliche Anomalien lassen sich histochemisch erfassen. Für den Pathologen ist die Lokalisierung von PrPsc in Gewebeschnitten mit spezifischen Anti-PrP-Antikörpern unerlässlich. Ergänzt wurde die Immunhistologie grossflächig durch ELISA-Tests, die bei epidemiologischen Untersuchungen von BSE weltweit durchgeführt wurden. Im Rahmen einer internationalen Prionen-Forschungsgruppe konnten wir Mitte der 1990er-Jahre monoklonale Anti-PrP-Antikörper (mAk) herstellen (Abbildung 1). Einige der mAk werden immer noch in BSE-Testkits erfolgreich eingesetzt. Eine weitaus höhere Sensitivität und Spezifität des PrPscNachweises gelingt mit der Protein-Misfolding-Cyclic-Amplification (PMCA). Sie erlaubt eine frühzeitigere und empfindlichere Prionendiagnose als die etablierten ELISA-Tests und erfordert zudem nur sehr wenig Untersuchungsmaterial. Dazu ein paar Informationen darüber, warum diese Methode so attraktiv wurde: Die Struktur eines Prions wurde durch Kernspinresonanz-(NMR-)Untersuchungen und mit der KryoElektronenmikroskopie aufgeklärt. Dabei zeigte sich, dass sich missgefaltete PrPsc-Moleküle wie in einer Spule stapelartig übereinander lagern, wobei natives PrPc bei seiner Anlagerung an die falsch gefalteten Formen ebenfalls, gewissermassen autokatalytisch, in eine missgefaltete Isoform umgewandelt wird. Aus dem wachsenden Stapel (Solenoid) bilden sich polymere, fibrillenartige Amyloidaggregate, aus denen sich kleinere Fragmente als infektiöse Prionenpartikel
Abbildung 2: Das Schema beschreibt vereinfachend die Umwandlung von nativem PrP (Alpha-Helix) sowie die Bildung neurotoxischer PrP-Zwischenformen und die spulenähnlichen Beta-Faltblatt-Aggregate (Solenoide). Die Fragmentierung eines Solenoids kann zu infektiösen Prionenstämmen führen und zu deren Übertragbarkeit mit dem Potenzial, sich ohne Nukleinsäure zu vermehren.
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abzuspalten scheinen (Schema in Abbildung 2). Es zeigte sich, dass bereits eine geringe Zahl missgefalteter PrP-Moleküle aus Gewebe oder Liquor (CSF = cerebrospinal fluid) genügt, um im «Reagenzglas» natives PrPc in krankheitsauslösende PrPsc-Moleküle umzuwandeln. Diese Erkenntnis machte man sich bei der PMCR-Methode zunutze. Therapeutische Substanzen, die präventiv wirken oder eine einsetzende Prionenerkrankung zum Stillstand bringen könnten, wurden trotz intensiver Forschung bis heute nicht gefunden. Es schien in den vergangenen Jahren, als ob das Antibiotikum Tetrazyklin die prionenassoziierten Fehlfaltungsprozesse unterbrechen und PrPsc-Moleküle an der Amyloidbildung hindern könnte. Erfolg versprechende erste Ergebnisse im Prionenhamstermodell liessen sich klinisch jedoch leider nicht bestätigen. Eine erfolgreiche Prophylaxe und Therapie sollte darauf zielen, die prionentypischen Mechanismen der Amyloidbildung zu inhibieren. Das Andocken von nativem PrPc und die Blockierung der konformationellen Zwischenstufen bei der autokatalytischen Stapelung zum Amyloid sind Ziele für eine therapeutische Intervention. Eine passive Immunisierung mit mAk gegen das PrPsc war experimentell erfolglos und vom Konzept her ein Irrweg. Bis heute lassen sich Prionenkrankheiten (noch) nicht ursächlich medizinisch beeinflussen. Das gilt leider auch für andere neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Parkinson und ALS, hinsichtlich deren Pathogenese ja inzwischen ebenfalls «Prionenszenarien» diskutiert werden. Bis anhin mangelt es jedoch an aussagekräftigen Markern, um diese
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Krankheiten schon früh in ihrem jahrelangen asymptomatischen Verlauf zu diagnostizieren. Wenn die typische Symptomatik bereits vorliegt, können Verlauf und Symptome durch die bis heute verfügbaren Medikamente bestenfalls hinausgezögert und beeinflusst, aber nicht aufgehalten werden.
Ausblick/Fazit Die breit gefächerte Forschung bei Mensch und Tier über Prionen und diverse Prionenkrankheiten trug wesentlich dazu bei, neu erkannte Eigenschaften von Regulationsmechanismen der Genexpression zu definieren und der Epigenetik zuzuordnen. Revolutionär war die Tatsache, dass diese Prionenmechanismen die Genexpression auf Ebene der Proteine regulieren. Diese Regulierung der Genexpression basiert weder auf der veränderten Basensequenz eines Gens noch auf dessen Umschreibung in Boten-RNA. Die Fehlfaltung und die Aggregation von pleiomorphen PrP-Isoformen in toxische Zwischenprodukte und im Falle des infektiösen
Prions zu einem übertragbaren Erreger zählen somit zu den
bahnbrechenden Beispielen einer epigenetisch gesteuerten
und nicht vererbbaren Veränderung der Genexpression. In
einem Fortsetzungsartikel in einer der nächsten Ausgaben
soll auf diese Erkenntnisse näher eingegangen werden. x
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Walter Bodemer Deutsches Primatenzentrum DPZ Leibniz-Institut für Primatenforschung Kellnerweg 4 D-37077 Göttingen E-Mail: WBodemer@dpz.eu
Weiterführende Publikationen: • Kovacs GG, Budka H: Prion Diseases from Proteins to Cell Pathology. Am J Pathol
2008; 172 (3): 555–565. doi: 10.2353/ajpath.2008.070442. • Collinge J: Mammalian prions and their wider relevance in neurodegenerative disea-
ses. Nature 2016; 539 (7628): 217–226. doi: 10.1038/nature20415. • Aguzzi A, Lakkaraju AK: Cell Biology of Prions and Prionoids: A Status Report; Trends
Cell Biol 2016; 26 (1): 40–51. doi: 10.1016/j.tcb.2015.08.007. Epub 2015 Oct 9.
Weiterführende Links für Interessierte: • www.neuropathologie.usz.ch (Prof. Dr. med. Adriano Aguzzi) • www.eurocjd.ed.ac.uk
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