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Titel
Hypertonie: Schweizer Hypertonie-Empfehlungen sehr nah bei der ESC-Guideline
Untertitel
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Lead
Die im letzten Jahr aktualisierten ESC/ESH-Guidelines zum Management der Hypertonie bei Erwachsenen bieten in der Praxis umsetzbare Anleitungen zu Screening und Therapie. Sie sind weitgehend in die Empfehlungen der Schweizerischen Hypertoniegesellschaft eingeflossen, wie am SGK/SSCS-Kongress zu erfahren war. Aber aus geriatrischer Sicht gibt es Fragezeichen.
Datum
Autoren
-
Rubrik
Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) - 19.-21. Juni 2019 in Interlaken
Artikel-ID
41689
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SGK
Hypertonie
Schweizer Hypertonie-Empfehlungen sehr nah bei der ESC-Guideline

Die im letzten Jahr aktualisierten ESC/ESH-Guidelines zum Management der Hypertonie bei Erwachsenen bieten in der Praxis umsetzbare Anleitungen zu Screening und Therapie. Sie sind weitgehend in die Empfehlungen der Schweizerischen Hypertoniegesellschaft eingeflossen, wie am SGK/SSCS-Kongress zu erfahren war. Aber aus geriatrischer Sicht gibt es Fragezeichen.

In den aktualisierten ESC-Guidelines zum Hypertoniemanagement erhielten die automatisierte Praxismessung, die Heimmessung und die ambulante Blutdruckmessung die stärkste Empfehlung, die «normale» Praxismessung durch Arzt oder Praxispersonal erhalte eine etwas schwächere Empfehlung (1), erklärte Prof. Felix Mahfoud, Kardiologie, Universitätsklinikum des Saarlandes und Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes (D). Dass die in der ambulanten Blutdruckmessung bestimmten systolischen und diastolischen Werte sehr gut mit der Gesamtmortalität korrelieren und darin der Praxismessung überlegen sind, hat kürzlich auch eine grosse Studie aus Spanien gezeigt (2). Dieselbe Untersuchung belegte auch klar, dass eine Weisskittelhypertonie nicht benigne ist und dass eine maskierte Hypertonie mit einem höheren Todesrisiko einhergeht als eine «normale» persistierende Hypertonie.
KURZ & BÜNDIG
 Die SSH empfiehlt einen systolischen Zielbereich von 120 bis ≤ 140 mmHg (optimaler Zielwert 130 mmHg) und einen diastolischen Zielbereich von 70 bis ≤ 90 mmHg (optimaler Zielwert 80 mmHg).
 Zur Förderung der Therapieadhärenz soll schon die Initialbehandlung eine Zweierkombination (ACE-Hemmer oder Sartan plus Kalziumantagonist oder Diuretikum) sein.
 Zwei Wochen nach Behandlungsbeginn hat eine Kontrolle zur Ermittlung unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu erfolgen, nach sechs bis acht Wochen ist zu überprüfen, ob das Therapeziel erreicht wurde.
 Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und Therapieresistenz sollen Diuretika erhalten.
 Geriater empfehlen für Patienten mit Demenz oder kognitiver Beeinträchtigung den Verzicht auf eine enge Blutdruckkontrolle.

Studien bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder mit Hypertoniepatienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko haben übereinstimmend ergeben, dass sowohl für den therapeutisch erreichten systolischen als auch für den diastolischen Blutdruck eine j-förmige Korrelation aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Hirnschlag und Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz besteht (3, 4). Entsprechend postulieren die ESC-Guidelines nun neue Zielwerte: systolisch unter 130 mmHg, aber nicht unter 120 mmHg, sowie diastolisch unter 80 mmHg, aber nicht unter 70 mmHg. Eine Metaanalyse von vier Studien zur Blutdrucksenkung bei älteren Patienten über 65 Jahre ergab Reduktionen bei schweren kardiovaskulären Ereignissen (–29%), bei der kardiovaskulären Mortalität (–33%) und bei der Häufigkeit einer Herzinsuffizienz (–37%) bei intensiverer Therapie, und das ohne vermehrte Nebenwirkungen oder häufigere Niereninsuffizienzen (5). Die ESC-Guidelines haben diese Daten berücksichtigt und empfehlen bei Patienten über 65 Jahre einen systolischen Blutdruck unter 130 mmHg (sofern vertragen) bis 140 mmHg.
Von Beginn an Kombinationspräparate
Zur Beschäftigung mit den europäischen Hypertonieleitlinien empfahl PD Dr. Isabella Sudano, Universitäres Herzzentrum, Kardiologie, Universitätsspital Zürich, eine Kurzfassung («Ten Commandments») zur Lektüre (6). Die Guideline definiert Blutdruckwerte ab 140/90 mmHg bei Praxismessung als hypertensiv. In der ambulanten 24-Stunden-Messung entspricht dies 130/80 mmHg und bei der Heimmessung im Durchschnitt 135/85 mmHg. Beim Screening fordern die europäischen Guidelines nun, was die schweizerischen Empfehlungen schon 2015 postulierten: Praxismessungen sollten, wenn immer möglich, durch ambulante oder Heimmessungen bestätigt werden. Neu geben die Empfehlungen der Schweizerischen Hypertoniegesellschaft (SSH) das Blutdruckziel nicht mehr als Niveau (z.B. < 140/90 mmHg) an, sondern formulieren einen Bereich (7). Für den systolischen Blutdruck gilt ein Zielbereich von 120 bis ≤ 140 mmHg (bei einem optimalen Ziel- 20 CongressSelection Kardiologie | September 2019 SGK wert von 130 mmHg). Für den diastolischen Blutdruck erstreckt sich der Zielbereich von 70 bis ≤ 90 mmHg (mit einem optimalen Zielwert von 80 mmHg). «Akzeptabel wäre auch ein Wert von 120/70 mmHg, wenn der Patient keine therapiebedingten Symptome zeigt – aber für die meisten Patienten ist der optimale Zielwert 130/80 mmHg», präzisierte Sudano. Das Flussdiagramm der SSH sieht zwei Wochen nach Therapiebeginn eine Kontrolle zur Ermittlung unerwünschter Arzneimittelwirkungen vor. Liegen solche vor, muss die Dosierung reduziert oder die Medikation geändert werden. Nach sechs bis acht Wochen ist zu prüfen, ob das Therapieziel erreicht wurde. Ist dies der Fall, kann die nächste Kontrolle nach sechs Monaten erfolgen. Wurde das Therapieziel verfehlt, ist die Adhärenz zu überprüfen und ein Ausbau der Therapie ins Auge zu fassen. Bei der Ausgestaltung der Behandlung lehnen sich die schweizerischen Empfehlungen eng an die ESC-Guidelines an. Neu sei die Empfehlung, nicht erst Monate mit Lifestylebemühungen zu verbringen, sondern bei etablierter Hypertonie schon ab Grad 1 rasch eine medikamentöse Therapie zu beginnen, erläuterte PD Dr. Thomas Dieterle, Allgemeine Innere Medizin und Kardiologie FMH, Kantonsspital Baselland, Liestal. Aus der breiten Erfahrung, dass die Therapieadhärenz bei Hypertonie oft schlecht ist und noch schlechter ausfällt, wenn mehrere Pillen pro Tag einzunehmen sind, leitet sich die Empfehlung ab, schon für die initiale Behandlung auf eine Zweierkombination (ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker plus Kalziumantagonist oder Diuretikum) abzustellen. Idealerweise sollte diese als eine einzige Tablette verschrieben werden, um die Compliance zu erleichtern. Besonders sorgfältige Therapie für Diabetiker und Nierenkranke Ein hoher Blutdruck ist bei Typ-1- und vor allem bei Typ-2Diabetikern häufig. Oft zeigten diese Patienten eine maskierte Hypertonie und hätten einen abgeschwächten nächtlichen Blutdruckabfall, erinnerte Dr. Grégoire Würzner, Service de nephrologie, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne. Eine ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung kann bei anscheinend normotensiven Diabetikern eine sinnvolle diagnostische Ergänzung sein, vor allem wenn schon Endorganschäden vorliegen. Substanzielle Daten zeigen, dass die Blutdrucksenkung bei Diabetikern die mikround makro-angiopathischen Komplikationen und die Mortalität zu verringern vermag. Bei Diabetikern sei auch immer eine signifikante orthostatische Hypotonie auszuschliessen, die aufgrund einer autonomen Neuropathie sehr ausgeprägt sein könne, sagte Würzner. Das Blutdruckziel sollte auch für Diabetiker zunächst unter 140/90 mmHg liegen (mit einem systolischen Zielwert von 130 mmHg). Angesichts des Behandlungsnutzens in der Hirnschlagprävention sollte unter Therapie ein systolischer Wert < 130 mmHg in Betracht gezogen werden, sofern dies toleriert wird. Unabhängig von der Ursache ist eine Hypertonie ein gewichtiger Risikofaktor für die Entwicklung und das Fortschreiten einer chronischen Niereninsuffizienz. Therapieresistenz, maskierte Hypertonie und erhöhte nächtliche Blutdruckwerte sind auch bei dieser Population häufig. «Diese Patienten sind schwierig zu behandeln und erfordern oft eine Kombinationstherapie», sagte Würzner, «und bei Therapieresis- tenz darf man die Diuretika nicht vergessen.» Ab einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) < 30 ml/min/ 1,73 m2 sollen Thiazide oder thiazidähnliche Diuretika durch Schleifendiuretika ersetzt werden. Nicht so streng im Alter? Aus Sicht des Geriaters seien die aktuellen amerikanischen Guidelines nicht nachvollziehbar, sagte Prof. Andreas Schö- nenberger, Geriatrische Universitätsklinik, Tiefenauspital, Bern. Sie stützten sich in hohem Mass auf die SPRINT-Studie, deren Liste von Ausschlusskriterien überaus lang gewesen sei und so ziemlich alle im fortgeschrittenen Alter relevanten Er- krankungen umfasst habe (Diabetes, Herzinsuffizienz, Krebs, Demenz usw.). Aber auch die ESC/ESH-Guidelines seien widersprüchlich, indem sie für ≥ 80-Jährige ab systo- lisch 160 mmHg eine Behandlungsindikation definierten und für die ≥ 65-Jährigen einen Blutdruckzielbereich von systo- lisch 130 bis 139 mmHg vorgäben. Geriatrische Leitlinien haben demgegenüber einen völlig anderen Blick auf die Fragestellung der Hypertoniebehand- lung im Alter (8). So wird für Patienten mit Demenz oder kognitiver Beeinträchtigung keine enge Blutdruckkontrolle (< 140/90 mmHg) empfohlen. Bei dementen oder funktionell beeinträchtigten Patienten wird zudem vom Einsatz von drei oder mehr Antihypertensiva abgeraten. Eine enge Blutdruck- kontrolle ist auch nicht angezeigt, wenn die Lebenserwar- tung unter zwei Jahren liegt. Schliesslich sollte bei bei hypo- toniebedingten Stürzen, oder bei symptomatischer Ortho- stase die Zahl der blutdrucksenkenden Medikamente reduziert und die gleichzeitige Verabreichung mehrerer ver- schiedener Antihypertensiva vermieden werden. L Halid Bas Quellen: «Joint ESC-SSC/SSCS guidelines session» und «SSH track ESC/ESH Guidelines for Hypertension», gemeinsamer Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) und der Schweizerischen Gesellschaft für Herz- chirurgie (SSCS), 19. bis 21. Juni 2019 in Interlaken. Referenzen: 1. Williams B et al.: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2018; 39: 3021–3104. 2. Banegas JR et al.: Relationship between clinic and ambulatory blood-pressure measurements and mortality. N Engl J Med 2018; 378: 1509–1520. 3. Vidal-Petiot E et al.: Cardiovascular event rates and mortality according to achieved systolic and diastolic blood pressure in patients with stable coronary artery disease: an international cohort study. Lancet 2016; 388: 2142–2152. 4. Böhm M et al.: Achieved blood pressure and cardiovascular outcomes in high-risk patients: results from ONTARGET and TRANSCEND trials. Lancet 2017; 389: 2226–2237. 5. Bavishi C et al.: Outcomes of intensive blood pressure lowering in older hypertensive patients. J Am Coll Cardiol 2017; 69: 486– 493. 6. Williams B et al.: Ten Commandments of the 2018 SC/ESH HTN Guidelines on Hypertension in Adults. Eur Heart J 2018; 39: 3007–3008. 7. www.swisshypertension.ch: Recommendations for medical doctors. 8. Onder G et al.: Recommendations to prescribe in complex older adults: results of the CRIteria to assess appropriate Medication use among Elderly complex patients (CRIME) project. Drugs Aging 2014; 31: 33–45. CongressSelection Kardiologie | September 2019 21